Was beim JWST-Start etwas haarig war …

Screenshot von Youtube-Video von Arianespace und ESA, der das JWST kurz nach Abtrennung von der Ariane-5-Oberstufe zeigt.

Bevor ich auf den Start des JWST (James Webb Space Telescope) am 25.12. eingehe, soll noch kurz der Syzygienkönig zu Wort kommen.

Dieser gibt nämlich an dieser Stelle bekannt, dass man am frühen Abend des 4.1.2022 (Dienstag) vier Planeten und die dünne, zunehmende Mondsichel (Neumond ist zwei Tage vorher) am horizontnahen Südwesthimmel beobachtet werden können. Jupiter und Venus sind dabei um etwa 40 Grad getrennt. Die ganze Szene passt also gerade in das Blickfeld eines 50mm-Objektivs (35 mm-Äquivalent), falls Sie die Szene fotografieren möchten. Es empfiehlt sich, einen erhöhten Standort mit freiem Blick auf den Südwesthorizont zu wählen, denn die Venus steht schon arg niedrig.

Auch am 5.1. können die fünf Himmelskörper gemeinsam beobachtet werden. Der Mond ist dann 13 Grad weiter gewandert und der Abstand zwischen Merkur und Venus hat etwas zugenommen.

Jupiter, die dünne, zunehmende Mondsichel, Saturn, Merkur und Venus am frühend Abend des 4.1.2022 kury nach Sonnenuntergang, hier simuliert für Darmstadt um 17:15 MEZ, Quelle: Michael Khan via Stellarium
Jupiter, die dünne, zunehmende Mondsichel, Saturn, Merkur und Venus am frühen Abend des 4.1.2022 kurz nach Sonnenuntergang, hier simuliert für Darmstadt um 17:15 MEZ, Quelle: Michael Khan via Stellarium

Und jetzt zum JWST …

Die Ariane 5 ECA, die am 25.12.2021 um 13:20 unserer Zeit mit dem JWST an Bord startete, war so programmiert, dass ihre nominale Zielbahn eine hochelliptische Bahn um die Erde war. Das JWST konnte auf dieser Bahn also den Lagrange-Punkt 2 nicht erreichen. Dies galt auch dann noch, wenn die Rakete es etwas zu gut gemeint hätte. Keine Maschine funktioniert absolut fehlerfrei. Somit ist auch die anvisierte Bahn nur innerhalb gewisser Fehlertoleranzen erreichbar. Auch im schlimmsten Fall sollte aber das JWST nicht in eine Erdfluchtbahn eingeschossen werden.

Schon sehr kurz nach der Trennung von der Oberstufe begann das Hochfahren der Bordsysteme des JWST. Wenn Sie den Start verfolgt haben, dann haben Sie auch gesehen, wie die Solargeneratoren ausfuhren und auf die Bestätigung gewartet wurde, dass die Teleskopsonde “power positive” war – dass also elektrischer Strom produziert und die Batterien geladen werden konnten. Dieser Schritt war der erste einer komplexen Kette, die auch heute noch lange nicht abgeschlossen ist.

Nach der Energieversorgung und der Funkverbindung musste das AOCS (Attitude and Orbit Control System) in Betrieb genommen werden. Damit kann die Lage und die Bahn eines Raumfahrzeugs gesteuert werden. Gleichzeitig war die Mannschaft im Kontrollzentrum damit beschäftigt, die tatsächlich erreichte Bahn zu bestimmen und daraus die Größe und Richtung des erforderlichen Korrekturmanövers zu berechnen, um von der noch etwas zu niedrigen Anfangsbahn in den korrekten Transfer zur Zielbahn zu kommen.

Das JWST ist ein Weltraumteleskop, dessen Sensoren im nahen Infrarotbereich “sehen”. Es ist sehr wichtig, zu jeder Zeit von der Sonne weg zu schauen, um Beschädigungen der empfindlichen Technik zu vermeiden. Dazu besitzt die Sonde einen tennisplatzgroßen Sonnenschild, mit dessen Ausfahren nach Ausführung des Bahnkorrekturmanövers begonnen wurde. Alle Bordsysteme, die kalt bleiben müssen – also die wissenschaftliche Nutzlast – sind im Flug auf der sonnenabgewandten Seite des Sonnenschilds. Auf der sonnenzugewandten Seite sind nur Komponenten, die weniger wärmeempfindlich sind.

Dazu gehören auch die Steuerungstriebwerke. Davon findet man auf der kalten Seite gar keine. Die Wärme, die sie im Betrieb generieren und vor allem aber ihre Abgase, die an kalten Komponenten kondensieren könnten, sind unerwünscht.

Wenn nun aber alle Triebwerke sich auf der Sonnenseite befinden, kann ihr Schub logischerweise nur in der Richtung von der Sonne weg wirken. Daraus folgt nun, dass die Sonde, deren Flugrichtung von der Sonne weg weist, mit ihren Bordtriebwerken nur beschleunigt, nicht aber abgebremst werden kann. Aus genau diesem Grund war auch die von der Ariane 5 anvisierte Anfangsbahn elliptisch – damit das JWST auf jeden Fall immer nur beschleunigt und niemals abgebremst werden muss, um die Zielbahn zu erreichen.

Und was ist daran haarig?

Die Ariane 5 ECA besteht aus zwei Feststoffboostern, einer Zentralstufe und der Oberstufe. Die Booster sind schon früh ausgebrannt und fallen in den Atlantischen Ozean. Als nächstes wird die Nutzlastverkleidung abgetrennt; einige Zeit danach folgt die dann ausgebrannte Zentralstufe. Nichts davon erreicht eine Umlaufbahn. Nur die Oberstufe ist am Ende zwangsläufig in derselben Bahn wie das JWST. Also in einer hochelliptischen Bahn, auf der die Oberstufe etliche Wochen später wieder der Erde nahe käme und entweder dann oder später in die Erdatmosphäre eintreten und sich zerlegen würde. Dabei würde zwar das meiste verbrennen, einige Bauteile würden es aber bis zum Boden schaffen.

Weil das nicht erwünscht ist, muss die Stufe sicher entsorgt werden, und zwar durch Einschuss in eine Erdfluchtbahn. Die Oberstufe ist dann erst einmal in einem interplanetaren Orbit. Um in eine Erfluchtbahn zu kommen, muss die Oberstufe beschleunigt werden, indem ihre Triebwerks noch einmal zünden. Das Haupttriebwerk der Oberstufe ist nicht wiederzündbar, aber es gibt kleine Triebwerke zur Lagesteuerung und andere zur Längsbeschleunigung, die mit flüssigem Wasserstoff bzw. Sauerstoff betrieben werden. Für diese Manöver muss noch Treibstoff in den Tanks übrig sein.

So weit, so gut, nur gibt es hier ein Problem: Der Oberstufe voraus fliegt ja noch ihre 10 Milliarden Dollar teure Nutzlast, nämlich das JWST. Würde die Oberstufe jetzt einfach wieder Gas geben, dann könnte sie dem JWST gefährlich nahe kommen. Auch eine Kollision wäre durchaus möglich. Der Einschuss in die Entsorgungsbahn muss also auch noch sicher stellen, dass das JWST nicht gefährdet wird, selbst unter Berücksichtigung ungenau ausgeführter Manöver und nicht genau vorhersehbarer relativer Position.

Einfach abwarten, bis beide weit genug voneinander entfernt sind, das geht leider nicht, denn die Oberstufe ist nur für eine begrenzte Lebensdauer ausgelegt. Die Zeit drängt da also. Arianespace musste in Zusammenarbeit mit der ESA eine Manöverstrategie finden, die allen harten Randbedingungen Rechnung trägt, das Risiko einer Kollision minimiert und doch die Entsorgung der Oberstufe mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit ermöglicht.

Das ist ja auch gelungen, wie wir gesehen haben. Es hat alles geklappt. Aber das war ein kompliziertes Problem, bei dem auch die NASA sehr genau hingeschaut hat. Der Rest war nicht komplexer als andere Starts auch, aber die Phase der Entsorgung hatte es in sich.

Avatar-Foto

Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

9 Kommentare

  1. Vielen Dank für die detaillierte Darstellung des Ablaufs und warum dieser so passieren musste wie beschrieben. Eine Frage aber noch: War die frühe Inbetriebnahme der JWST-Solaranlage und die frühe Entfaltung des Sonnenschilds nötig oder hätte man das auch deutlich später tun können?
    Ich denke, wenn man früh festgestellt hätte, dass etwas mit der Solaranlage nicht funktioniert, hätte man trotzdem nichts tun können. Nach dem Start gab es nur noch wenig Interventionsmöglichkeiten denke ich mir.

    • Das sofortige Ausfahren der Solargeneratoren ist absolut üblich. Die Batterien sind ja nicht mehr voll und man möchte nach Möglichkeit immer in Non-Standardoperationen mit vollen Batterien hineingehen, allemal bei einem völlig neuen Raumfahrzeug, mit dem man noch keine Erfahrungen gesammelt hat. Man gewinnt gar nichts, wenn man damit noch abwartet. Wenn man es sofort macht, kann es in eine automatische Sequenz eingebettet werden, die mit der Trennung von der Oberstufe beginnt.

      Ob man im Fall des nichtnominalen Ausfahrens noch etwas machen kann, hängt ganz davon ab, wo das Problem liegt. Manchmal klemmt etwas aus thermischen Gründen, da hilft es, wenn man diese Komponente in die Sonne oder in den Schatten dreht. Manchmal kann man durch Pulsen der Triebwerke etwas rütteln. Das sind dann aber ziemlich verzweifelte Maßnahmen.

      Mit der Entfaltung des Sonnenschilds wurde erst nach fast drei Tagen begonnen, lange nachdem das Bahnkorrekturmanöver durchgeführt wurde. Etwa einen Tag nach dem Start wurde die schwenkbare Hauptantenne ausgeklappt. Das erste Bahnkorrekturmanöver fand 12.5 Stunden nach dem Start statt. Dieses dauerte 65 Minuten.

  2. Sind die Manöver der Oberstufe nach dem Aussetzen des JWST irgendwo genauer beschrieben? Bereits auf letzterem reflektiert sieht man ja auf dem Video der Oberstufen-Kamera – die wohl beste Version: (Link zu youtube) – immer wieder ein Aufblitzen, das mutmaßlich von kurzen Zündungen der kleinen Triebwerke stammt. Und über Asien machte sich die Stufe sehr auffällig durch eine dreieckige oder noch komplexere leuchtende Wolke – ein besonders krasses Bild: (link zum APOD vom 27.12.2021) – bemerkbar: Da wüsste man schon gerne, was da jeweils genau passiert ist. Ein paar Astronomen verfolgen die Stufe übrigens immer noch am Himmel (und das JWST natürlich auch, dessen Helligkeit je nach Orientierung und Status des Sonnenschirms stark schwankt).

    • Die Planung und Durchführung von Manövern der Ariane 5 liegt in der Verantwortung von Arianespace. Deswegen müsste eine Veröffentlichung von Details zur Manöverstrategie auch von Arianespace ausgehen.

      Ich gehe davon aus, dass es sich um eine ziemlich simple Strategie gehandelt haben wird:
      1.) ein Schwenkmanöver weg von der Richtung zum vorausfliegenden JWST. Das wäre übereinstimmend mit der scheinbaren Seitwärtsbewegung von JWST und Erde ab etwa 02:00 im von Ihnen verlinkten Film auf youtube, somit scheint der Schwenk in die Richtung nach außen hin erfolgt zu sein, was nicht verwunderlich ist.
      2.) ein Beschleunigungsmanöver durch die Triebwerke an der Rückseite der Oberstufe (also an der Seite, an der auch das HM7-Haupttriebwerk ist). Die Oberstufe hätte danach das JWST außen, also in größerem Erdabstand als das JWST überholt

      Dieser –> Screenshot, den ich von dem verlinkten Film gemacht habe, zeigt, dass die Abtrennung noch deutlich vor Erreichen der Ostküste Afrikas erfolgte. Das APOD zeigt die Sicht von Thailand aus, also schon deutlich danach. Ich vermute, da werden die Disposal-Manöver schon gelaufen sein und die große Wolke ist die Folge des “Venting”, also des Entleeren der Tanks im Rahmen der üblichen Passivierung einer Oberstufe nach Abschluss ihrer Mission.

  3. Hallo!
    Wo werden die Bahndaten des JWST veröffentlicht? Nach meiner Abschätzung sollte es möglich sein, mit Amateurteleskopen das JWST zu beobachten. Dazu benötigte man aber die Bahndaten. In Stellarium 21.3 konnte ich die diese nicht finden.

  4. Mit welcher Messmethode werden die Abweichungen der Segmente
    des Hauptspiegels von der idealen ellipsoiden Form gemessen?
    Vermutlich ein Laser oder ein echter Leitstern?
    Vermutlich muss man eine Genauigkeit im Bereich von 100 Nanometern erreichen?

Schreibe einen Kommentar