Krebs an einer Hand erklärt

Krebs, was ist das eigentlich? Eine Krankheit – aber was genau ist da eigentlich krank? Wenn ich Patient:innen ihre Diagnose und Therapiemöglichkeiten erkläre, verwende ich gerne ein einfaches Hilfsmittel, um Krebs zu veranschaulichen: meine Hände.

Auch Menschen ohne Hintergrund-Wissen können die Erkrankung verstehen, ganz ohne medizinische Fachbegriffe.

Krebs erklärt an einer Hand

Strecken Sie einmal eine Ihrer Hände vor sich aus. Spreizen Sie die Finger und achten ganz genau auf die Zwischenräume zwischen den Fingern.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wieso unsere Finger eigentlich nicht zusammenwachsen? An anderen Stellen in unserem Körper ist es ähnlich: in unserem Bauch liegen Magen, Darm, Leber und andere Organe eng aneinander. Dennoch wachsen sie nicht zusammen. Auch werden wir nicht unendlich groß, in unserem Leben behalten unsere Arme und Beine oder unsere Nase ungefähr dieselbe Länge.

Die Bausteine unseres Körpers sind unsere Zellen. Sie bilden Gewebe – zum Beispiel Organe, Haut und Knochen. Und sie haben eine besondere Fähigkeit: sie wissen ganz genau, wo ihr Platz ist. So kommt es, dass sie genau an der richtigen Stelle aufhören sich weiter zu vermehren.

Bei Krebs ist genau diese Fähigkeit gestört: Krebs ist eine Erkrankung, bei der bestimmte Zellen unseres Körpers nicht mehr wissen, wo sie hingehören. Sie wachsen dann an Stellen, an denen sie gar nicht wachsen sollten. Und zerstören dort im schlimmsten Fall lebenswichtige Organe.

Fehler im Zellbauplan lassen Zellen an den falschen Stellen wachsen

Wie kommt es, dass Körperzellen plötzlich ihren Platz nicht mehr kennen und keine Grenzen zu benachbarten Geweben mehr respektieren? Die Antwort ist: durch Fehler in ihrem Bauplan. Dieser liegt gut geschützt im Inneren unserer Zellen. Durch innere und äußere Faktoren können Fehler in diesen Bauplan geraten. Innere Faktoren sind angeboren und zufällig, sie können nicht beeinflusst werden. Zu diesen Faktoren gehört zum Beispiel, wie gut Zellen Fehler in ihren Bauplänen selbst bemerken und reparieren können. Zu den äußeren Faktoren zählen zum Beispiel bestimmte Schadstoffe, wie sie etwa im Zigarettenrauch vorkommen. Diese Faktoren sind zu einem großen Teil beeinflussbar.

Bei der Krebsentstehung spielen innere und äußere Faktoren zusammen. Wer schädliche äußere Einflüsse reduziert, kann sein persönliches Krebsrisiko senken. Da wir die inneren Faktoren aber nicht beeinflussen können, spielt bei der Entstehung von Krebs auch immer Pech eine Rolle.

Krebs entsteht aus dem eigenen Körper

Krebs ist also kein Eindringling von außen: kein Bakterium, kein Virus, kein Parasit. Sondern entsteht aus unserem eigenen Körper heraus. Dadurch erklärt sich, warum manche Krebstherapien schwere Nebenwirkungen haben. Ziel einer Krebstherapie ist nämlich, eigene Körperzellen zu zerstören: die Krebszellen, die aus unseren gesunden Körperzellen entstanden sind. Da Krebszellen gesunden Zellen so ähnlich sind, werden durch die Therapie auch gesunde Zellen zerstört.

Übelkeit bei Chemotherapie mit Zahnfleischbluten erklärt

Krebszellen vermehren sich im Gegensatz zu gesunden Zellen sehr stark, sie respektieren plötzlich keine Grenzen mehr. Chemotherapeutika, das sind Medikamenten gegen Krebs, die im ganzen Körper wirken, greifen diesen Mechanismus an: die Zellvermehrung.

Auch andere Zellen im Körper vermehren sich rasch – und genau die werden von Chemotherapeutika besonders angegriffen. Dazu gehören zum Beispiel Schleimhäute im Verdauungstrakt. Und auch das lässt sich an einem Alltagsbeispiel erklären: wenn Sie beim Zähneputzen am Zahnfleisch bluten, finden Sie kurze Zeit später vermutlich keine Wunde mehr. Wenn Sie sich hingegen am Arm verletzen, dauert es womöglich Tage oder Wochen, bis die Wunde vollständig verheilt.

Schleimhäute erneuern sich viel schneller als die äußere Haut an unserem Körper. Hier findet viel Vermehrung statt – ähnlich wie bei Krebszellen. Und deshalb werden vor allem Schleimhäute von Chemotherapeutika angegriffen. Zum Glück gibt es aber sehr wirksame Medikamente, die Patient:innen während einer Chemotherapie vor Übelkeit schützen können.

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Marisa Kurz ist Assistenzärztin an einem Universitätsklinikum und befindet sich in der Ausbildung zur Fachärztin für Hämatologie und Onkologie. Vor dem Medizinstudium hat sie ein Studium der Biochemie (M. Sc., B. Sc.) und der Philosophie mit Nebenfach Sprache, Literatur und Kultur (B. A.) abgeschlossen. Nebenbei schreibt sie als freie Journalistin, u. a. für den Georg Thieme-Verlag. Sie promoviert in der Krebsforschung zu Immuncheckpoints bei Lungenkrebs. Mein Ziel: Ich will, dass Patienten ihre Erkrankungen und Therapien besser verstehen. Deshalb möchte ich Medizin leicht verständlich ohne Fachbegriffe erklären. Nur gut informierte Patienten können autonome Entscheidungen über ihre Behandlungen treffen. Und gut informierte Patienten fühlen sich, so bin ich überzeugt, besser aufgehoben.

2 Kommentare

  1. Anschaulich dieser Beitrag.

    Hier möchte ich noch auf einen wichtigen Aspekt verstärkt eingehen: Wenn man hier liest (Zitat) „ Fehler im Zellbauplan lassen Zellen an den falschen Stellen wachsen„, so sollte man sich bewusst sein, dass dieser Zellbauplan etwa für einen Menschen nirgends zentral abgespeichert ist, sondern dass der Zellbauplan in jeder einzelnen Zelle vorkommt. Ein erwachsener Mensch besteht etwa aus 35 Billionen Zellen, also 4000 Mal mehr Zellen als es Menschen auf der Erde gibt. Im schlimmsten Fall genügt ein Fehler in einer der 35 Billionen Zellen des Körpers um eine Krebszelle hervorzubringen, also eine Zelle, die sich nicht mehr an die lokalen Vorgaben hält und die sich zu noch mehr Krebszellen vermehrt.

    In Wirklichkeit braucht es, damit Krebs entsteht, meist mehrere Fehler im Erbgut und nur die „richtige“ Kombination von Fehlern führt dann zu Krebs. Trotzdem muss man sich über Krebs nicht wundern, wenn man bedenkt, dass (fast) jede Zelle von insgesamt 35 Milliarden zur Krebszelle werden kann. Auch dass Übergewicht und Fettsucht das Krebsrisiko für 13 Krebsarten (die für 40% aller Krebse verantwortlich sind) erhöht, verwundert da nicht mehr. Es gäbe weltweit also weniger Krebs wenn mehr Menschen Normalgewicht hätten.

  2. Von einem vollständigen Laien,
    die Idee mit den Fingern ist gut. Könnte man nicht eine “Art Haut ” künstlich erzeugen und die um die Krebsgeschwulst plazieren, so daß die nicht weiter wachsen kann.

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