• Von Markus Pössel
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Urknall-Gravitationswellen: Der BICEP2-Artikel ist erschienen!

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… aber nicht einfacher
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Als Mitte März die potenziell bahnbrechenden Messungen des BICEP2-Experiments online vorgestellt wurden, war der Artikeltext, der da öffentlich wurde, noch nicht begutachtet (“peer review”) und zur Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift angenommen worden – dieses Vorgehen war ja durchaus Teil der Kritik am BICEP2-Team gewesen (siehe meinen Text dazu hier).

(Worum ging’s physikalisch? Um die Behauptung eines Nachweises von Signalen aus der Zeit Sekundenbruchteile nach dem Urknall; meine Artikel dazu habe ich hier gesammelt.)

Gestern, am Donnerstag, den 19. Juni 2014, ist auch der begutachtete Fachartikel erschienen, und zwar in der Zeitschrift Physical Review Letters, kurz PRL. Dabei hat sich PRL nicht lumpen lassen: Der Artikel ist auch für Nicht-Abonnenten der Zeitschrift freigeschaltet und hier online zugänglich; in einem Editorial erklären die Redakteure, dass der Artikel auch ein deutlich anderes Format hat als in PRL üblich, dass das aber ob der besonderen Bedeutung kein Problem war.

Außerdem hat PRL der BICEP2-Veröffentlichung zwei Überblicksartikel zur Seite gestellt: einen Überblick über die Bedeutung für den Status der Inflationsphase von Lawrence Krauss und einen Überblick über die Vielzahl der zwischenzeitlich erschienenen Theorie-Artikel, die auf die BICEP2-Resultate Bezug nehmen, aber natürlich im BICEP2-Artikel selbst noch nicht zitiert wurden.

Vergleicht man die PRL-Version mit der Vorabversion vom März, fällt zunächst einmal auf, dass die Autoren jetzt merklich vorsichtiger formulieren, ob es sich tatsächlich um einen Nachweis von urtümlichen Gravitationswellen handelt. Hauptkritikpunkt war ja gewesen, dass nicht genügend Daten vorliegen, um die kosmologischen Effekte auf die BICEP2-Messung von Effekten von Staub in unserer eigenen Galaxis zu unterscheiden (siehe meine früheren Beiträge hier, hier, hier).

Die BICEP2-Autoren schreiben jetzt

However, these models [of polarization due to galactic dust] are not sufficiently constrained by external public data to exclude the possibility of dust emission bright enough to explain the entire excess signal.

Zu deutsch: Die Modelle, mit denen der galaktische Staub bei der Auswertung der BICEP2-Daten berücksichtigt wurde, sind durch die öffentlich verfügbaren Daten anderer Gruppen (zur Staubverteilung) nicht hinreichend gut eingeschränkt, als dass sich ausschließen ließe, dass die interessanten, als Gravitationswellenspuren interpretierten Messwerte stattdessen vollständig durch galaktischen Staub erklärbar wären.

Die Situation ist damit, zumindest was die öffentlich verfügbaren Daten angeht, noch ganz offen. Ich hatte (andere auch) spekuliert, dass die im Angesicht der Kritik doch beachtliche Selbstbeherrschung der BICEP2-Gruppe darauf zurückzuführen sein könnte, dass die Astronomen längst Zugang zu den unveröffentlichten Daten des Nachfolgeexperiments Keck Array haben – das misst bei mehr als nur einer Frequenz und kann so Hinweise darauf liefern, ob die Messergebnisse auf Gravitationswellen oder Staub zurückgehen. Vor diesem Hintergrund lässt mich die vorsichtige Formulierung, die ausdrücklich nur veröffentlichte externe Daten beschreibt, natürlich aufhorchen.

Es bleibt spannend. Aber auch wenn die Spannung wahrscheinlich noch länger anhält als bei der Fußball-Weltmeisterschaft: Spätestens im Herbst, wenn die Daten des Satelliten Planck zum galaktischen Staub veröffentlicht sein sollen, werden wir mehr wissen. Bis dahin geht es Schritt für Schritt weiter. Letzte Neuigkeit ist, dass offenbar Jean-Loup Puget bei seinem Vortrag auf der Zeldovich-100-Konferenz, die diese Woche in Moskau stattfindet, ziemlich überzeugend in die Kerbe des galaktischen Vordergrundstaub-Problems gehauen hat. Puget ist leitender Forscher (PI) für eines der Instrumente des Planck-Satelliten, also wiederum jemand, der zum jetzigen Zeitpunkt auf deutlich mehr Daten zugreifen kann als nicht eingeweihte Astronomen.

Einige gute Artikel zum Weiterlesen:

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.