BICEP2, Inflation, Kosmologie: Eine Expertenmeinung

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Auch diese Woche waren die neuen Messungen des BICEP2-Experiments noch häufiges Gesprächsthema am Haus der Astronomie und am Max-Planck-Institut für Astronomie dem Königstuhl. Worum es geht, hatte ich in diesem früheren Beitrag beschrieben: um den Nachweis von interessanten Spuren in der kosmischen Hintergrundstrahlung, die uns aus einer Zeit kurz nach dem Urknall erreicht. Diese Spuren scheinen auf urtümliche Gravitationswellen zurückzugehen, also auf rhythmische Verzerrungen des Raums, und diese Gravitationswellen dürften wiederum auf eine rapide Expansionsphase kurz nach dem Urknall zurückgehen, die kosmische Inflationsphase. Wenn diese Interpretation zutrifft, hätten die neuen Messungen auf einen Schlag einen Beleg für die – in allen Details recht unsichere Inflationsphase geliefert, und Messdaten aus einer Zeit so nah am Urknall wie nie zuvor.

Das sind für so gut wie alle Astronomen, bzw. allgemeiner an Astronomie interessierten Menschen, spannende Zeiten. Aber natürlich auch Anlass für kritische Nachfragen: stimmen die Ergebnisse denn so, wie von den Forschern der BICEP2-Gruppe behauptet?

Ich kenne mich zwar bei den Grundlagen der Kosmologie inzwischen recht gut aus, aber ich stecke nicht so tief im Thema der jüngsten Messungen drin, dass ich nur anhand des Fachartikels selbst zu einer belastbaren Einschätzung hätte gelangen können. In meinem letzten Blogbeitrag hatte ich dementsprechend verschiedene online verfügbare Einschätzungen von Wissenschaftlern zusammengestellt, die sich mit den Ergebnissen besser auskennen.

Letzten Mittwoch habe ich noch eine wichtige weitere Expertenmeinung kennengelernt.  Die Kollegen am Max-Planck-Institut für Astronomie hatten kurzfristig Matthias Bartelmann eingeladen, ihnen etwas über BICEP2 zu erzählen, einen der Kosmologen vom Institut für Theoretische Astrophysik am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg. Bartelmann ist nicht nur ein Experte für die kosmische Hintergrundstrahlung – und als solcher an der Auswertung der Daten des Planck-Satelliten beteiligt – sondern auch jemand, der sein Fachgebiet verständlich und gut strukturiert vermitteln kann; für diese Art von Vortrag also genau der richtige.

Der Großteil des Vortrags bestand aus einer Schritt-für-Schritt-Erklärung, wie die Spuren der Inflationsphase in der kosmischen Hintergrundstrahlung überhaupt zustandekommt. Dann kam eine Gesamteinschätzung, die sich doch noch etwas von dem unterscheidet, was ich im vorangehenden Beitrag schrieb, und die ich deswegen hier wiedergeben möchte.

Zum einen geht es wiederum um diese Kurve hier (mitsamt zugehörigem Fachartikel hier herunterzuladen):

b2_and_previous_limits

Sie zeigt im unteren Teil die Messwerte für die Stärke der “Gravitationswellen- bzw. gravitationswellenartigen Spuren” bei verschiedenen Größenskalen (dazu, was das heisst, hatte ich hier etwas mehr geschrieben).

Die Messwerte von BICEP2 sind als schwarze Punkte eingezeichnet. Wichtig sind die roten Kurven unten im Bild. Ähnliche Spuren wie die urtümlichen Gravitationswellen hinterlässt es nämlich auch in der Hintergrundstrahlung, wenn diese Strahlung viel, viel später durch die im Universum vorhandenen Massenkonzentrationen etwas abgelenkt wird (“Gravitationslinseneffekt”). Diese Spuren treten aber vornehmlich auf deutlich kleineren Größenskalen auf als die der Gravitationswellen (im obigen Diagramm stehen solche Größenskalen weiter rechts); wie ihr Beitrag aussieht, zeigt die durchgezogene rote Kurve. Den Beitrag der Inflations-Gravitationswellen zeigt die untere der beiden roten gestrichelten Kurven.

Bei Beobachtungen wie denen von BICEP2 kann man immer nur beide Effekte zusammen messen – im Diagramm ist diese Kombination als obere der gestrichelten roten Kurven gezeigt.

Bartelmann wies nun darauf hin, dass allerdings auch der Beitrag des Gravitationslinseneffekts nicht genau bekannt sei – und die BICEP2-Kollegen würden in ihrem Artikel leider nicht näher ausführen, wie sie zu dem von ihnen verwendeten Wert kämen. Genauere Angaben dazu, wie die Gravitationslinsen-Kurve verläuft, dürfte erst der Planck-Satellit liefern (an dessen Datenauswertung Bartelmann mitarbeitet), nämlich insbesondere Messwerte für das Maximum der durchgezogenen roten Kurve – aus der Lage dieses Maximums würde sich dann auch der Gesamtbeitrag des Gravitationslinseneffekts genauer abschätzen lassen. Bevor jener nicht bekannt sei, könne man auch keine sichere Aussage zur Stärke des Inflations-Gravitationswellen-Einflusses treffen. (Klar: Wenn die durchgezogene rote Kurve höher liegt, die man erst abziehen muss, um aus den tatsächlichen Daten auf die Gravitationswellen rückzuschließen, dann bleibt letztlich nicht mehr soviel Einfluss der Gravitationswellen zurück.)

Auch auf die Vordergründe ging Bartelmann ein, also auf die Möglichkeit, durch Staub oder durch in Magnetfeldern umlaufende Elektronen [Synchrotronstrahlung] innerhalb unserer Galaxie Spuren wie die der urtümlichen Gravitationswellen zu erzeugen. Die Abschätzungen für solche Vordergründe liegen zwar in der BICEP2-Abbildung deutlich unterhalb des nachgewiesenen Signals:

foregroundproj

Aber Bartelmann wies darauf hin, dass dieser Eindruck trüge. Tatsächlich sei eben nicht allzuviel über die Vordergründe bekannt. Der entscheidende Test sind dabei Messungen bei unterschiedlichen Wellenlängen. Darauf war ich ja in meinem letzten Beitrag bereits kurz eingegangen, aber ich hatte die Wahrscheinlichkeitswerte nicht dazu genannt. Diese Wahrscheinlichkeitswerte hat Bartelmann ausdrücklich hervorgehoben: Im BICEP2-Artikel (S. 14) steht, dass die Daten mit 2,3σ bzw. 2,2σ gegen Synchrotronstrahlung bzw. Staub als Ursache der entsprechenden Effekte sprächen. Die Sigma-Schreibweise bezieht sich auf die für solche Datenanalysen wichtige Normalverteilung und besagt übersetzt in etwa: die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die tatsächlich gemessenen, den Inflations-Gravitationswellen zugeschriebenen Effekte (oder noch größere!) anstatt durch Gravitationswellen durch Synchrotronstrahlung plus zufällige Schwankungen der Daten (so etwas machen reale Messdaten immer) zustandekommen, beträgt etwas mehr als 2,1 Prozent, beim Staub knapp 2,8 Prozent. Üblicherweise fordert man in der Physik geringere Wahrscheinlichkeiten dafür, dass ein bekanntgegebenes Ergebnis alternativ durch Zufall zustandekommen könnte.

Auch in diesem Falle dürften diejenigen Messungen des Planck-Satelliten, welche den hier entscheidenden Effekt (Polarisationsmessungen zum Nachweis von B-Moden) bei sieben verschiedenen Frequenzen messen und auf diese Weise Vordergrund (aufgrund von Quellen in unserer eigenen Galaxie) und Hintergrund (aufgrund von Inflations-Gravitationswellen) deutlich unterscheiden können, Gewissheit bringen.

Das Fazit von Bartelmann war jedenfalls: Die BICEP2-Messungen an der Hintergrundstrahlung selbst sind  beeindruckend, offenbar mit großer Sorgfalt durchgeführt, und sie weisen die betreffende Art von Spuren in der kosmischen Hintergrundstrahlung (B-Moden der Polarisation) überzeugend nach. Aber was die Interpretation angeht, mahnt er zur Vorsicht. Da müsse sich erst noch zeigen, ein wie großer Anteil der Messdaten tatsächlich auf den kosmischen Hintergrund zurückginge, und wieviel auf Vordergrundeffekte und Gravitationslinsen.

 

 

 

 

 

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

8 Kommentare

  1. Ein direkter Nachweis, der auch jetzt noch durch den Raum laufenden Gravitationswellen der kosmischen Inflation könnte dabei helfen, die BICEP2- Ergebnisse  richtig zu interpretieren. Doch heute eingesetzte Nachweisverfahren für Gravitationswellen wie sie bei LIGO zur Anwendung kommen sind zuwenig sensitiv dafür. Der Nachweis von durch Gravitationswellen erzeugten Phononen in Bose- Einstein- Kondensaten könnte jedoch um Grössenordnungen empfindlicher sein gemäss dem arxiv-Artikel Phonon creation by gravitational waves wo man liest:

    In the best scenario, the predicted strain sensitivity is several orders of magnitude beyond the performance of highly sophisticated programmes for gravitational wave detection such as LIGO. 

    • Diese direkten Nachweise, egal mit welcher Methode, funktionieren nur mit einigermassen hochfrequenten Wellen. Bei niedrigeren Frequenzen ist der Einfluss von Erderschütterungen viel zu hoch. Die kosmischen Gravitationswellen liegen weit, weit darunter und dürften (Rotverschiebung!) so niederfrequent sein, dass noch nicht einmal die Pulsar-Timing-Methode sie derzeit nachweisen kann. Einen Überblick über Frequenzbereiche und Nachweismethoden gibt’s hier: http://arxiv.org/pdf/gr-qc/9506086v1.pdf

      • Danke für den Link. Kip Thorne schliesst allerdings nicht völlig aus, dass primordiale Gravitationswellen nachgewiesen werden können, das hänge von den Anfangsbedingungen im Universum ab:

        “On the other hand, if the graviton field did not begin in its vacuum state, or if the equation of state in the very early Friedman era was stiffer than that of radiation, then the primordial backgrounds at high, low, and very low frequencies could be significantly stronger than Ω∼3×10−14, and could be strong enough to detect.”

        Überbleibsel primordialer Gravitationswellen gemäss kosmischem “Standardmodel” wären dagegen tatsächlich heute zu schwach, als dass sie je nachgewiesen werden könnten.

        Interessant ist ja auch, dass mit Laserinterferometrie bis heute keine Gravitationswellen nachgewiesen werden konnten. Falls unserer Universum ein Hologramm wäre, könnte es überhaupt unmöglich sein, schwache Gravitationswellen nachzuweisen, denn dann würde selbst eine Körnigkeit der Raum-Zeit mit Planckdimensionen den Nachweis verhindern.

        So weak a background cannot be detected by LIGO in the
        high-frequency band, nor by LISA at low frequencies, nor
        by pulsar timing at very low frequencies

        • Nachweisbarkeit, wenn stärker: Ja, aber da sind wir jetzt bei Hintergrundsmessungen. Da muss man dann noch ganz andere systematische Aufarbeitung mit Abziehen diverser Vordergründe vornehmen.

          Zum direkten Nachweis mit Laserinterferometrie: Derzeit sind die Interferometer allerdings noch ungefähr in dem Empfindlichkeitsbereich, wo es durchaus sein kann, dass die Quellen (deren Häufigkeit/Eigenschaften man auch nur mit einer bestimmten Unsicherheit abschätzen kann) einfach nicht stark genug sind. Erst wenn Advanced LIGO fertig ist und einige Jahre in Betrieb war, wird es kritisch. Wenn’s dann noch keinen Nachweis gibt, ist irgendetwas an unserem Verständnis von Gravitationswellen, ihrer Erzeugung und ihrem Nachweis grundfalsch.

  2. Killing the Straw Man: Does BICEP Prove Inflation?
    sieht auch einen postinflationären Phasenübergang des Universums als mögliche Quelle der anhand der B-Mode-Polarisation nachgewiesenen Gravitationswellen:

    In order to provide compelling evidence, other possible sources of the signal need to be ruled out. While the Inflationary signal remains the best motivated source, the current measurement unfortunately still allows for the possibility that a comparable gravitational wave background might result from a self ordering scalar field transition that takes place later at somewhat
    lower energy.

    Nicht nur der Vordergrund könnte also das Signal vortäuschen auch der Hintergrund könnte diese Gravitationswellen durch ein anderes Phänomen als die kosmische Inflation liefern.

  3. Ob Staub oder Magnetfelder in Blickrichtung die beobachtete B-Mode-Polarisation der Hintergrundsstrahlung verursachen, scheint mir einfach festzustellen: Man müsste einfach auf einen anderen Fleck am Firmament schauen, denn der Vordergrund ist ja je nach Blickrichtung von der Erde relativ zu unserer Galaxie nicht der Gleiche. Dies zu:

    Auch auf die Vordergründe ging Bartelmann ein, also auf die Möglichkeit, durch Staub oder durch in Magnetfeldern umlaufende Elektronen [Synchrotronstrahlung] innerhalb unserer Galaxie Spuren wie die der urtümlichen Gravitationswellen zu erzeugen.

    • “Man müsste einfach auf einen anderen Fleck am Firmament schauen”
      Es werden doch ohnehin großflächige Himmelskarten erstellt.
      Ich könnte mir aber vorstellen, dass die im Artikel genannte Wahrscheinlichkeit “2,3σ bzw. 2,2σ gegen Synchrotronstrahlung bzw. Staub” durch entsprechende Kartierung an einem von Bicep2 entfernten Ort noch verbessert werden könnte.

      • Planck erstellt eine Himmelskarte des Mikrowellenhintergrunds. Gewöhnliche Teleskope können das nicht, denn kleinste Schwankungen in der Mikrowellenstrahlung kartieren ist nicht so einfach und von der Erde aus sowieso schwierig, weil diese Strahlung durch Feuchtigkeit verschluckt wird.
        Planck hat allerdings noch die Technologie von Bicep1 an Bord, die in der Empfindlichkeit deutlich hinter derjenigen von Bicep2 zurückliegt.