BICEP 2-Gravitationswellen: Zu früh veröffentlicht?

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… aber nicht einfacher
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Ich hatte in BICEP2-Messungen: Der Vorhang vor der Kosmologie über die zwei Fachartikel berichtet, in denen es darum geht, ob die Messungen des BICEP2-Teleskops, mit denen Astronomen die Spuren von Raumzeit-Verzerrungen aus der Frühzeit des Universums (primordiale Gravitationswellen aus der Inflationsphase) nachgewiesen zu haben glauben, in Wirklichkeit nicht durch solche Signale aus der Frühzeit, sondern durch das Licht von Staub in unserer eigenen Galaxis zustandekamen (siehe dazu auch meine Blogbeitrage zur BICEP2-Kritik hier und hier).

Gerade habe ich einen Artikel im Guardian Online gelesen, der noch deutlich härtere Töne anschlägt (“Gravitational waves turn to dust after claims of flawed analysis”), mir aber aus mehreren Gründen etwas aufstößt. Der Guardian hatte die BICEP2-Resultate ja zunächst durchaus enthusiastisch gefeiert, mit Artikeln wie Gravitational Waves give Nobel Prize Committee another headache. Und jetzt schlägt das Pendel da für meinen Geschmack zuweit in die andere Richtung aus.

(Wobei ich selbst gerade sehe, dass ich zumindest eine Information, die ich beim Guardian vermisse, auch selbst nicht geschrieben hatte: Dass nämlich Paul Steinhardt, der auch beim Guardian als Kronzeuge auftritt, durchaus nicht unbefangen ist, was die BICEP2-Resultate angeht: seine kosmologische Lieblingstheorie, das ekpyrotische Universum, müsste man schon deutlich verbiegen, damit sie mit den BICEP2-Resultaten vereinbar wäre, die ja ungewöhnlich viele urtümliche Gravitationswellen behaupten.)

Nachdenklich gemacht hat mich aber insbesondere die Forderung von Paul Steinhardt in Nature, solche Resultate sollten erst veröffentlicht werden, wenn sie bereits durch den Peer-Review-Prozess geprüft worden sind; genauer:

[The] announcements should be made after submission to journals and vetting by expert referees. If there must be a press conference, hopefully the scientific community and the media will demand that it is accompanied by a complete set of documents, including details of the systematic analysis and sufficient data to enable objective verification.

Ist das BICEP-2-Team zu früh mit seinen Ergebnissen an die Öffentlichkeit gegangen? Hätten die Wissenschaftler erst darauf warten sollen, bis sie eine entsprechende Veröffentlichung vorweisen können – oder zumindest die systematische Analyse der Daten präsentieren?

Generell bin ich der Überzeugung, dass es gute Praxis ist, erst dann eine Pressemitteilung herauszuschicken, wenn die entsprechende Arbeit bei einer Fachzeitschrift zur Veröffentlichung angenommen ist. So halten wir es auch am Max-Planck-Institut für Astronomie mit unseren Pressemitteilungen. Das sollte der Regelfall sein. Auf diese Weise kommt durch den Begutachtungsprozess der Zeitschrift automatisch eine gewisse (natürlich nicht perfekte!) Qualitätskontrolle ins Spiel.

Aber ich sehe durchaus, dass potenziell besonders spektakuläre Resultate wie jetzt BICEP-2 oder wie im Herbst 2011 die vermeintlichen überlichtschnellen Neutrinos noch etwas anderes sind. Innerhalb einer kleinen Forschergruppe mag man sich noch darauf einigen können, Stillschweigen zu bewahren, bis das Ergebnis zur Veröffentlichung angenommen ist. Aber in größeren, vernetzten Forschergruppen dürften solche Resultate nicht lange unter Verschluss bleiben – und wenn das die Alternative ist, dann kann ich durchaus verstehen, dass die betreffenden Verantwortlichen die Kontrolle behalten und selbst mit dem, was sie haben, an die Öffentlichkeit gehen wollen.

Klar ist aber auch, dass die Berichterstattung in solchen Fällen nicht einfach wie üblich verlaufen kann, sondern dass klar herausgearbeitet werden muss, dass es hier um eine frühere Stufe des wissenschaftlichen Veröffentlichungsprozesses handelt als normalerweise. Und das sollte auch in der Pressemitteilung klargestellt werden – letzteres haben die Kollegen vom CfA allerdings ganz klar versäumt: In deren Mitteilung lese ich nichts, was sich von der Berichterstattung über eine zur Veröffentlichung angenommene Arbeit unterscheiden würde.

Im Falle der vermeintlich überlichtschnellen Neutrinos – zugegeben, ein ganz besonderer Fall – war dagegen sogar die CERN-Pressemitteilung entsprechend vorsichtig. Bei BICEP-2 hätte ich mir ein Zwischending gewünscht: Klar war das Ergebnis nicht so vorläufig wie bei den Neutrinos – dort hatten die Wissenschaftler ja extra dazu gesagt, dass sie nicht genau wissen, was da vorgeht, und dass sie insbesondere deswegen mit ihren vorläufigen Ergebnisse an die (vor allem auch: wissenschaftliche) Öffentlichkeit gehen. Das BICEP-2-Team sah seine Ergebnisse im Gegensatz dazu ja durchaus als gesichert an; allerdings hätte dann eben auch die Pressemitteilung darauf hinweisen sollen, wo es haken könnte – und dass die Ergebnisse noch nicht durch den peer review gegangen ist.

Wäre die Pressemitteilung so deutlich formuliert gewesen – das hätte sich dann ja hoffentlich auch gebührend in der Berichterstattung niedergeschlagen – dann hätte ich für das Vorgehen des BICEP-2-Teams durchaus Verständnis gehabt. So, wie es stattdessen gelaufen ist, müssen sich die Kollegen nicht wundern, wenn es einen Backlash gibt – siehe den verlinkten Guardian-Artikel.

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

3 Kommentare

  1. Vielen Dank für den Post!

    Auf jeden Fall sollte man den Kollegen von der BICEP2-Kollaboration finde ich aber zu Gute halten, dass sie das Manuskript des zugehörigen Fachartikels und auch einiges an zusätzlichem Material zeitgleich mit (bzw. sogar schon kurz vor) der Pressekonferenz für jeden Interessierten zugänglich gemacht haben (http://bicepkeck.org/).

    Ich bin sogar der Ansicht, dass das peer review einer Zeitschrift gerade bei so fundamentalen und auch kontroversen Beobachtungen wie dieser hier oft dem gemeinsamen “quasi-review” durch die gesamte kritische Community _unterlegen_ ist. Unter anderem auch deshalb, weil es sehr schwierig ist bei so einem Thema einen einzelnen Referee zu finden, der gleichzeitig auf allen berührten Teilgebieten kompetent und völlig unbefangen ist. Ich bin genau aus diesem Grund ein sehr grosser Anhänger der preprint-archive. Gerade durch die allgemeine Diskussion der BICEP2-Messungen hat man vermutlich jetzt bereits ein sehr viel umfassenderes und ausgewogeneres Bild als in vielen früheren Fällen!

    • Das stimmt – Fachartikel und zusätzliches Material waren da, und das ist positiv.

      Und die zukünftigen Entwicklungen in punkto peer review werden auch interessant – das ist ein guter Punkt. Da gab es ja schon vor einigen Jahren eine interessante Diskussion auf astrobetter: Artikel auf dem arXiv posten, bevor sie zur Veröffentlichung akzeptiert sind, oder danach?