Hohe Töne, hohe Farben

BLOG: Quantenwelt

Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Ich war letztens mit meinem Kind in einem Kurs zu musikalischer Früherziehung. Das macht dem Quantenkind viel Spaß, aber eine Übung hat mich stutzig gemacht: Wir sollten dem Kind ein natürliches Gefühl für Tonhöhen vermitteln, in dem wir mit den Händen entsprechend gezeigt haben, wie die Töne einer Melodie hoch und wieder runter gehen.

An dieser natürlichen Zuordnung zweifle ich als Physiker. Der Kammerton a1 hat eine Frequenz von 440 Hz. Höhere Töne haben eine höhere Frequenz, eine (räumlich) kürzere Wellenlänge, eine (zeitlich) kürzere Periode; tiefere Töne haben eine niedrigere Frequenz, eine längere Wellenlänge und eine längere Periode. Dabei bezieht sich das Gegensatzpaar höher—niedriger auf den Zahlenwert der Frequenz und hat keine räumliche Entsprechung. Kürzer—länger bezieht sich auf den räumlichen oder zeitlichen Abstand zweier Druckmaxima der Schallwelle.

Dass ein Ton höher ist als ein anderer, hat keine physikalische Entsprechung. Es ist eine Konvention von höheren und tieferen Tönen zu sprechen. Sie stimmt mit der Notenschreibweise überein, bei der hohe Töne auf oder zwischen den oberen Strichen zu finden sind. Mit der Anordnung einer Klaviatur jedoch nicht. Dort sind die hohen Töne rechts, die tiefen links.

Wäre die Zuordnung von Tönen zu hoch und tief physikalischen Ursprungs, so müssten wir auch bei Farben von hohen und tiefen Farbtönen sprechen. Hier gibt es aber nichts dergleichen. Es gibt einen Farbkreis und es gibt kalte und warme Töne. Physikalisch sind Farben und Töne sehr ähnlich. Beides sind Wellenphänomene. Sie haben Frequenzen, Perioden und Wellenlängen. Der Unterschied liegt lediglich darin, was schwingt. Bei Licht ist es elektrisches Feld, bei Tönen Luftdruck.

Physiologisch sind die Unterschiede dagegen groß. Licht wird nicht direkt anhand der Wellenlänge identifiziert sondern über Farbpigmente im Auge, die jeweils auf ein bestimmtes Spektrum von Licht reagieren. Es gibt dabei drei Farbrezeptoren, deren Spektralbereich weit überlappt. Diese Rezeptoren erlauben keine direkte Wahrnehmung der Frequenzen. Dass grünes Licht zwischen blauem und rotem liegt, entgeht dem Auge. Deshalb nehmen wir die drei Grundfarben gleichwertig an und es entsteht der Farbkreis, eigentlich ein Farbdreieck.

Geräusche nimmt das Ohr dagegen in sehr viel feinerer Abstufung wahr. Verschieden hohe Töne erzeugten an verschiedenen Stellen der Hörschnecke maximal starke Schwingungen. Das Ohr erspürt die Tonhöhe kontinuierlich in einem weiten Frequenzbereich. Damit ist eine lineare Skala durchaus natürlich.

Die räumliche Anordnung dieser Skala – als vertikale Achse mit kurzen Wellenlängen oben und langen Wellenlängen unten – halte ich dagegen für eine Konvention. Töne könnten statt hoch und tief auch links und rechts oder nah und fern sein.

Nun haben gesellschaftliche Konventionen immer eines gemeinsam: Sie sind willkürlich aber nicht beliebig. Vor allem sind sie nicht schell und einfach zu ändern. Die Gesellschaft setzt Änderungen von Konventionen eine erhebliche Trägheit entgegen. Ich denke in diesem Fall, dass es gut ist, Kindern die Konvention hoher und tiefer Töne nahe zu bringen. Sie ist ganz nützlich im Alltag. Natürlich ist sie vermutlich nicht.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

21 Kommentare

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  2. Tiefe, sehr tiefe Töne werden mit dem Bauch oder mit dem ganzen Körper wahrgenommen, und dieser Bereich liegt unter dem Ohr, sofern das Subjekt steht.

    Bei Farben bzw. bei der Aufnehmung über dafür geeignete Rezeptoren könnte es metaphorisch ebenso versucht werden, dunkle Farbtöne bis schwarz machen sozusagen satt, bedienen den Verdauungsbereich sozusagen.

    Ansonsten war da noch ein Fehlerchen mit dem ‘sch[n]ell’ und was ‘natürlich’ ist, bleibt eine interessante Fragestellung.
    Natürlich‘ könnte das bezeichnet werden, was funktioniert, auch den Bestandserhalt meinend wie den Bestand der Welt, hier auch physikalische Erkenntnis meinend.

    Bei der Fragestellung, was natürlich sei, wird sich oft sehr schnell “gerupft”; wird sich derart “gerupft” und über das oben Beschriebene hinausgehend, wird es auch schnell psychologisch interessant.
    >:->

    MFG
    Dr. Webbaer

  3. In der westliche Kultur werden Tonhöhen in einem Kontinuum angeordnet das von ganz tiefen zu ganz hohen Tönen geht. Für mich ist das bereits eine überraschende Übereinstimmung mit der Physik, selbst wenn man darüber diskutieren kann, ob aus physikalischer Sicht die Tonhöhe etwas mit weiter oben oder weiter unten zu tun hat. Tonhöhe, Lautstärke und Reinheit (man spricht von Obertönen) eines Tons werden in unserer Kultur unterschieden und überraschenderweise, sind diese Unterscheidungen und die zugehörigen Kontinua (bei Tonhöhe und Lautstärke) physikalisch sinnvoll und selbst bei den Obertönen eines nicht reinen Tons machen wir mindestens seit 200, vielleicht aber auch schon länger, sinnvolle Annahmen.
    Diese Übereinstimmung von Physik und von uns versprachlichten sensorischen Empfindungen, ist überraschend und wohl die Ausnahme was die Übereinstimmung von Sinneswahrnehmung und physikalischer Erklärung angeht.

  4. Ich könnte mir vorstellen, dass die Bezeichnung tief und hoch vom Gesang herrührt, da tiefere Töne im Resonanzraum der Brust und höhere in dem des Kopfes (Kopfstimme) gebildet werden, also unten bzw. oben.

  5. Das Gehirn kann an den Nervensignalen nicht erkennen, von welchem Sinnesorgan die Reize stammen. Alle Nervensignale sind gleichartig und können daher miteinander verschaltet werden. Es gibt das Phänomen der Synästhesie, wobei Klänge als Farben oder Farben als Klänge wahrgenommen werden. Außerdem darf man nicht vergessen, dass Sensorik fast immer auch mit der Motorik verknüpft ist (Bsp. Spiegelneuronen oder Augenbewegungen). Den Effekt kann man an sich selber beobachten, wenn man Fußball schaut und unwillkürlich oder unterbewusst die Beinbewegungen mitmacht (falls man früher selber Fußball gespielt hat).

    Die natürliche Ordnung zum strukturierten Erkennen der Welt ist der eigene Körper. Der Kopf ist oben und die Füße sind unten, die Brust ist vorn und der Rücken hinten. Damit werden Orientierungen, Maße und Normen möglich, beschreibbar und kommunizierbar gemacht. Der Kopf des Unternehmens oder der Häuptling steht in der Hierarchie oben, die “unteren Schichten” der Gesellschaft haben das geringste Ansehen und die wenigsten Rechte. Das Links und Rechts der politischen Weltanschauung stammt von der relativen Sitzanordnung der ersten Parlamente.

    Sprache ist sehr sparsam und nutzt viele Begriffe mehrfach in verschiedenen Sinnzusammenhängen. Die Ursprünge gehen dabei oftmals verloren.

    • Das Gehirn kann an den Nervensignalen nicht erkennen, von welchem Sinnesorgan die Reize stammen.

      Es sei denn, dass bspw. auf den Schwanz getreten wird.


      Insgesamt, klar, der hiesige WebLog-Artikel war schon ein wenig mau, bis ausgebessert werden konnte, kommentarisch.

      Hier und hier gibt es natürlich: Zustimmung.

      Die natürliche Ordnung zum strukturierten Erkennen der Welt ist der eigene Körper.

      Sprache ist sehr sparsam und nutzt viele Begriffe mehrfach in verschiedenen Sinnzusammenhängen. Die Ursprünge gehen dabei oftmals verloren.

      … partielle Zustimmung, die Etymologie kann oft sehr weit zurückverfolgt werden, auch soz. Ur-Zusammenhänge meinend.
      Die Altvorderen haben schon, teils auch unter extremen Bedingungen und besonders herausgefordert, um die Sprache gerungen, btw, dies hier, wenn auch korrekt – ‘Das Links und Rechts der politischen Weltanschauung stammt von der relativen Sitzanordnung der ersten Parlamente.’ – war “nicht ganz” den Topic treffend.

      MFG
      Dr. Webbaer (dem der im dankenswerterweise zur Verfügung gestellte WebLog-Artikel mit seinem Vergleich von akustischem mit visuellem Input (“RGB”) nicht so-o geschmeckt hat)

      • Was heißt schon mau…
        Sicher war dieser Artikel nicht bis zu Ende durchrecherchiert. Ich habe schlicht einen Gedanken weitergegeben. Aber mit der Resonanz bin ich ganz zufrieden. Offenbar gibt es genügend Menschen, die meine Gedanken zumindest für beachtenswert halten.

        Übrigens halte ich dieses Nachdenken, ob ein Phänomen “in der Welt” oder “nur” in der Konvention existiert, in den Naturwissenschaften für grundlegend.

        • Lieber Herr Schulz, war jetzt flapsig formuliert, sorry, vielen Dank für das Teilen Ihrer Überlegungen, ein großartiger WebLog liegt vor, sofern dies hier so eingeschätzt werden kann.

          Übrigens halte ich dieses Nachdenken, ob ein Phänomen „in der Welt“ oder „nur“ in der Konvention existiert, in den Naturwissenschaften für grundlegend.

          “Nur” in der Konvention, Fakten werden gemacht.

          MFG
          Dr. Webbaer

  6. Ich sehe es wie @Klais (oder Klaus?) Lorch, die (Ton-)Bezeichnungen hoch und tief dürften vom (scheinbaren) Ort der Bildung der Töne im Körper herrühren. Von daher wäre zu erwarten, dass das in allen Kulturen gleich ist. Gibt es dazu Informationen oder Daten?

  7. In meiner Muttersprache (ostwestfälisches Platt) heißt “HELL” sowohl LAUT (bei Tönen, Sprache) als auch HELL (bei Beleuchtung) .
    Hei kürt helle / De Sünne schinnt helle

  8. Einfach auf der y-Achse die akustischen Frequenzen nach oben hin auftragen.
    Auf der x-Achse wird dann die Zeit nach rechts aufgetragen, und schon ist die Musik genau beschrieben.
    Auf einer optionalen z-Achse könnte man die Lautstärke eintragen.
    —–
    Seltsam ist es schon, dass rot und blau einfach durch violett verbunden sind, obwohl nach der Frequenz zwischen rot und blau ein großer Unterschied besteht.

  9. @Karl Bednarik / 4. Dezember 2016 @ 06:43

    »Seltsam ist es schon, dass rot und blau einfach durch violett verbunden sind, obwohl nach der Frequenz zwischen rot und blau ein großer Unterschied besteht.«

    Erstaunlicherweise lässt sich auch bei der Wahrnehmung von Tonhöhe (psycho-akustische) Zirkularität finden, siehe Diana Deutsch, Pitch Circularity.

  10. Intuitiv gute Sängerinnen kennen nur den Unterschied hell oder dunkel klingender Töne. Singen sie “hoch” empfinden Sie es nicht weil beim guten Gesang die Töne alle auf einer Ebene empfunden werden. Hat man ein ‘Kopfstimmgefühl’, liegt man eigentlich schon daneben. Zumal unterschiedliche Töne durch die unterschiedliche Spannung der Stimmlippen erzeugt werden, die man gar nicht direkt wahrnehmen kann.
    Ich widerspreche also dem Gedanken, das Bild von hohen und tiefen Tönen zu lehren, da es uns von unserer perfekt natürlich angelegten Stimmgebung weg bringt!

    • Das mag für Sängerinnen stimmen, nicht aber für Zuhörer von Konzerten oder Besitzerinnen von hochwertigen Audioanlagen. Zuerst einmal sind wir alle Rezipienten von Geräuschen, Tönen, Musikalischen Instrumenten und Stimmen und als solche liegt es nahe von hohen und tiefen Tönen zu sprechen -vor allem im Extremum -, man denke nur an den raumgreifenden Ton des Kontrabasses oder der Tuba oder die ganz andere Erfahrung, die einem eine Piccoloflöte beschert.

  11. Die ältesten bekannten Notenschriftzeichen waren die Neumen, die ohne Linien notiert wurden und nur die Tonhöhe angaben. Mit ihnen ließen sich aber weder eine absolute Tonhöhe noch die Tondauer angeben. Das änderte sich mit der Einführung der Notenschrift.
    Es hatte also durchaus einen Sinn, von hohen und tiefen Tönen zu sprechen, weil sich das bildlich darstellen ließ. Theoretisch hätte man auch Farben wählen können, was allerdings angesichts der Tonlagen und des Tonumfangs der einzelnen Lagen, etwas unübersichtlich geworden wäre.

    Da Synästhesie bereits angesprochen wurde: was man farbig sieht, ist nicht der einzelne Ton, sondern die Tonart, z.B. ist A -Dur hellblau, Es-Dur karmesinrot. Synästhesisten und Farbenblinde hätten also Probleme, wenn man statt der Notenschrift eine Farbskala eingeführt hätte.

  12. Bezug nehmend auf die Positionen von Chrys und anton reutlinger hier noch etwas Evidenz aus der psycholinguistischen Forschung, dass uns diese Art von Klangsymbolik a priori in die Wiege gelegt ist: http://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0956797614528521
    Wie der Artikel zeigt, sind verschiedene Assoziationen möglich (hoch-tief bzw. dünn-dick) – also quasi natürlich (vermutlich in Form der von anton erwähnten Synästhesie, also die Verknüpfung der Gehirnbereiche, die für die Verarbeitung der verschiedenen Sinnesmodalitäten zuständig sind). Welche Sprache dann auf welcher dieser Assoziationsmöglichkeiten aufgebaut hat, ist dann die Konvention daran…

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