Heißer als die Hölle – Vulkanische Glutströme

BLOG: Geschichte der Geologie

Was die Steine erzählen und wie wir sie verstehen lernten
Geschichte der Geologie

Am 8. Mai 1902 brach der “erloschene” Vulkan Pelèe auf der Karibikinsel Martinique aus. Von über 30.000 Einwohnern der nahen Stadt Saint-Pierre überlebten nur drei, darunter ein kleines Mädchen, das in einer Höhle Schutz gefunden hatte. Nach seiner Rettung lieferte es einen erstaunlichen Augenzeugenbericht ab:

“Bevor ich [an der Höhle] ankam, schaute ich zurück und die ganze Flanke des Berges, die zur Stadt zeigte, schien sich zu öffnen und eine kochende Masse ergoss sich über die schreienden Menschen. Ich wurde von Steinen und der Asche die auf mein Boot fielen verbrannt, aber schließlich schaffte ich es in die Höhle…”

Die ersten Forscher die einige Wochen später die Ruinen der Stadt untersuchten, waren überrascht vom Ausmaß der Zerstörung. Beinahe jedes Haus war bis auf die Grundmauern verschwunden, die Körper der Toten waren teilweise schrecklich entstellt, mit den Gedärmen aus den Körpern gedrückt. Bei anderen verbrannten Leichen dagegen waren teilweise die Kleider noch intakt. Die Suche nach Ablagerungen eines Lavastroms, die vermutete Ursache der Zerstörung, blieb erfolglos. In den Ruinen fand man allerdings geschmolzene Gegenstände aus Glas (Schmelztemperatur ungefähr 700°C), Kupferleitungen und Telegraphendrähte waren dagegen intakt geblieben (die Schmelztemperatur von Kupfer liegt bei ungefähr 1.100°C). Was auch immer geschehen war, die Temperaturen in der zerstörten Stadt hatten um die 700-1000°C gelegen (*). Am 9. Juli beobachteten zwei Geologen eine bis dahin unbekannte vulkanische Eruptionsphase des Mount Pelée:

“Die Wolke hatte eine runde Form und erinnerte an eine Masse von Protuberanzen, die sich mit schrecklicher Geschwindigkeit und Energie ausdehnten. Sie reichte bis zur See und bewegte sich in unserer Richtung, kochend und mit jedem Augenblick sich verändernd in Form. Sie breitete sich nicht seitlich aus, oder stieg hoch in die Atmosphäre auf, aber bewegte sich auf die See als eine turbulente Masse…”

Die unheimliche Wolke erreichte nicht die beiden Geologen, sondern stieg im letzten Moment auf, schwebte über die erstaunten Männer und löste sich dann langsam auf. Allerdings fielen Steine und Asche aus der Wolke. Es handelte sich also nicht um eine gewöhnliche Wolke aus Gas und Dampf, sondern um ein Strom aus festen Partikel, der der Schwerkraft folgend an den Hängen des Vulkans zunächst an Geschwindigkeit gewann und sich danach auf ebene oder flach geneigte Flächen ausbreitete (ähnlich einer Lawine). Diese Beobachtung erklärte was mit St. Pierre geschehen war. Vom Gipfel des Vulkans Pelèe hatte sich eine solche Lawinen aus heißen Gasen, Gesteinsfragmente und Asche gelöst. Die Masse folgte zunächst einem Tal, das genau in Richtung Pierre zeigte, überwand eine kleine Anhöhe vor der Stadt und fegte mit verheerender Gewalt über die Stadt hinweg, bis weit in die See hinaus, wo sogar geankerte Schiffe in Brand gesetzt worden waren.

Es war der französische Geologe Alfred Lacroix (1863-1948) der dieses Phänomen genauer untersuchte, dokumentierte und schließlich auch eine Namen dafür vorschlug. Er nannte die Wolke eine “nueé ardente” bzw. Glutlawine. Lacroix vermutet allerdings, dass die Schwerkraft allein nicht ausreichte um die Wucht einer Glutlawine zu erklären. Er schlug vor, dass ein Stöpsel aus zähflüssiger Lava den Krater des Vulkans so lange verstopft hatte, bis der zunehmende Druck eine seitliche Schwachstelle gesprengt hatte und so einen tödlichen Fluss in Richtung St. Pierre schleuderte.

Originalbilder von Glutströmen des Mount Pelée, aufgenommen im Dezember 1902, von LACROIX (1904)

Credit: Lacroix

Glutlawinen, oder pyroklastische Ströme, sind besondere Eruptionsphänomene die eng an den Chemismus der Lava und den Vulkantyp gebunden sind. Saure Vulkangesteine sind zäh genug um Vulkanschlote zu verstopfen bzw. Vulkandome oder Kuppen zu bilden, die bei Sprengung oder Kollaps zu einer Gerölllawine führen können. Die Geröllmasse folgt der Schwerkraft. Allerdings herrschen in einem Partikelstrom andere physikalische Bedingungen als z.B. in einer Flüssigkeit, die Ausbreitungsart von Gerölllawinen ist daher noch nicht vollständig verstanden. Teilweise erfolgt die Bewegung auf einem Kissen aus Luft oder Wasserdampf (vor allem wenn der heiße pyroklastische Strom das Meer erreicht), ein Großteil der Bewegung wird allerdings auch durch das Gegenseitige Anstoßen der Trümmer und Partikel untereinander erzeugt. Es ist sogar möglich, das erzeugte Infraschall-Wellen in der Lage sind die Trümmer zu “tragen”. Wie auch immer, im Gegensatz zu einer Flüssigkeit sind solche Trümmerströme in der Lage auch Steigungen zu erklimmen. Der Pelèe hatte schon Wochen vor seinem Ausbruch eine verstärkte Aktivität mit Erdbeben und Ascherregen gezeigt. De Einwohner von St. Pierre fühlten sich aber sicher, da zwischen Ihnen und dem Vulkan ein Bergrücken lag. Ein Lavastrom oder Schlammstrom hätte auch tatsächlich davon umgelenkt werden können, die Glutlawine allerdings überwand das Hindernis ohne größere Probleme. Das folgende Video zeigt einen solchen pyroklastischen Strom am Unzen (Japan), im Jahr 1991, der über eine Strecke von viereinhalb Kilometer reichte und dabei 43 Personen tötete.

Nachdem die physikalischen Ursachen der Katastrophe mehr oder weniger klar waren, stellte sich die Frage wie Glutlawinen ihre Opfer töten, auch um zu verstehen ob man sich in Zukunft vor einem solchen Phänomen schützen könnte. Eine Andere, viel ältere, aber ähnliche Katastrophe, konnte einige Antworten auf diese Frage geben. 1748 wurden die ersten Reste von Leichnamen in den verschütteten Ruinen der römischen Stadt von Pompeji entdeckt. In Pompeji können zwei Arten von Ablagerungen unterschieden werden: mächtige feinkörnige Ascheschichten und dünne, klastenreiche Ablagerungen von Glutströmen.

Ablagerungen eines 300 Milliionen Jahre alten pyroklastischen Stromes in den Südalpen. Charakteristisch sind die großen Schwankungen in der Korngröße (mit feinkörniger Matrix), die vulkanische Petrographie der Klasten und der thermische Reaktionssaum der größeren Klasten, verursacht durch die hohen Temperaturen innerhalb der Glutlawine.

Credit: David Bressan

In der Stadt wurden über 300 Skelette oder Abdrücke von Leichen in den Ascheschichten entdeckt, die Menschen erstickten anscheinend oder wurden von den Gebäuden, die unter der Last der Asche zusammenbrachen, erschlagen. 650 Leichen wurden in unmittelbarer Nähe der Ablagerungen der pyroklastischen Ströme gefunden, vermutlich starben sie daher an den Effekten von eben diesen. Dort wo die vulkanischen Ablagerungen direkt die Knochen umschließen, war die Hitze anscheinend so hoch (um die 600°C), dass das Fleisch der Menschen einfach verdampfte. In Bereichen des Glutstromes mit geringeren Temperaturen blieben die Körper erhalten. Die berühmten Gipsabgüsse der Hohlräume, die übrig bleiben, nachdem die eingeschlossenen Körper zerfallen sind, zeigen Menschen die mitten in der Bewegung erstarrten. Die geringere Hitze des Glutstromes in diesen Bereichen (300-250°C) verursachte augenblickliche Krämpfe und die Lungen füllten sich mit heißer Asche und Gase. Diese Beobachtungen lassen vermuten, dass die Temperaturen, gefolgt von der Bewegungsenergie und Asche/giftige Gase, die tödlichsten Eigenschaften eines pyrpoklastischen Stromes sind. Noch bis zu 10km entfernt vom Gipfel des Vesuv waren die Temperaturen tödlich. Auch viele Opfer von St. Pierre wurden anscheinend durch die schiere Wucht der bis zu 160km/h schnellen Glutlawine getötet, die gewaltige Hitze verbrannte andere bei lebendigen Leibe. Menschen, die sich in Bereichen mit besonders hohen Temperaturen aufhielten, zerplatzten regelrecht. Andere Opfer inhalierten kühlere Gase und wurden lebendig von Innen nach außen gekocht, wobei die Kleider intakt blieben.

(*) In der Offenbarung des Johannes wird die Hölle als schrecklicher Ort, gefüllt mit geschmolzenem Schwefel, beschrieben. Schwefel verdampft bei 450°C, die meisten vulkanischen Phänomene spielen sich bei noch viel höheren Temperaturen ab.

Veröffentlicht von

David Bressan ist freiberuflicher Geologe hauptsächlich in oder, wenn wieder mal ein Tunnel gegraben wird unter den Alpen unterwegs. Während des Studiums der Erdwissenschaften in Innsbruck, bei dem es auch um Gletscherschwankungen in den vergangen Jahrhunderten ging, kam das Interesse für Geschichte dazu. Hobbymäßig begann er daher über die Geschichte der Geologie zu bloggen.

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