Beitritt zur VG Wort – ein Selbstversuch

In Sachen VG Wort sollte man nicht zu viel Vertrauen darein setzen, dass es transparente Regelungen und Verfahrensweisen gibt. In meinem letzten Posting zur VG Wort, in dem es um die bizarren und für die Wissenschaft schädlichen Regelungen zu den Nutzungsentgelten der Hochschulen für gescannte Teile aus nur gedruckt vorhandenen Werken Büchern ging (der berüchtigte Paragraf 52a des Urhebergesetzes), hatte ich angeregt, als Autorin oder Autor wissenschaftlicher Werke einfach Mitglied der VG Wort zu werden und dort über die Abstimmungen in der Mitgliederversammlung die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Leider ist das schwieriger als gedacht, da die Mitgliedschaft gerade für wissenschaftliche Autoren mit einem System von Schutzwällen umgeben ist, die nicht so leicht zu überwinden sind.

Anfang November hatte ich tatsächlich die Mitgliedschaft bei der VG Wort beantragt und dies stolz per Twitter der Welt kundgetan:

Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist, dass man seit mindestens drei Jahren wahrnehmungsberechtigt ist und in den letzten drei Abrechnungsjahren im Durchschnitt jeweils mindestens 400 Euro an Tantiemen erhalten hat. So ist das in der Satzung der VG Wort geregelt. Was ich dabei übersehen hatte (und worauf man mich innerhalb von zwei Tagen, nachdem ich meinen Brief in den Briefkasten geworfen hatte, hinwies), war, dass ich überhaupt kein „Wahrnehmungsberechtigter“ bin. Zwar bin ich seit 1991, als ich das erste Mal einen Meldeschein eingereicht hatte, bei der VG Wort registriert, das aber nur als bezugsberechtigt. Wahrnehmungsberechtigter wird man erst, wenn man einen Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort abgeschlossen hat – ein Unterschied, von dem ich nichts wusste, da er in der Satzung der VG Wort nicht vorkommt. Wissenschaftliche Urheber können als einzige Urhebergruppe ihre Ansprüche auch geltend machen, ohne einen solchen Vertrag abgeschlossen zu haben. Dann ist man eben bezugsberechtigt, aber nicht wahrnehmungsberechtigt. Ob das die ganzen Jahre über rechtlich überhaupt so haltbar gewesen ist, kann ich nicht beurteilen, scheint mir aber zumindest fragwürdig zu sein.

Warum diese Regelung überhaupt existiert, konnte man mir auch in der Rechtsabteilung nicht genau sagen. Ein freundlicher Mitarbeiter vermutete, dass es etwas damit zu haben könnte, dass es früher eine eigene Verwertungsgesellschaft für wissenschaftliche Urheber gegeben hat, die VG Wissenschaft. Die ist allerdings schon Ende der 1970er Jahre in die VG Wort integriert worden. Man habe die Sache mit der Bezugberechtigung, so die Erläuterung aus der Rechtsabteilung, beibehalten, um wissenschaftlichen Urhebern einen leichteren Zugang zu den Tantiemenzahlungen zu ermöglichen, also ohne Abschluss eines Wahrnehmungsvertrags. Jemand, der einmalig Ansprüche etwa aufgrund seiner publizierten Dissertation geltend machen kann und danach nie wieder, komme dadurch leichter an sein Geld.

Diese Regelung ist jedoch höchst zweischneidig, denn zugleich dürften die allermeisten wissenschaftlichen Urheber dadurch nicht so ohne weiteres die Mitgliedschaft erlangen können. Diese ist ihnen zwar nicht verwehrt, wenn sie rechtzeitig einen Wahrnehmungsvertrag abgeschlossen haben, allerdings gibt es im Normalfall keinen Grund, das tatsächlich zu tun, irgendwelche Vorteile ergeben sich daraus nicht. Nur die Partizipationsmöglichkeiten in den Gremien der VG Wort entfallen ohne einen Vertrag. Vielleicht war das so gewollt, vielleicht wollte man dort nur Leute haben, die mit dem Publizieren ihren Lebensunterhalt bestreiten. Das könnte ich sogar verstehen, solange es um die Verteilung der Mittel geht, auf die hauptberufliche Autoren ja in höherem Maße angewiesen sind als Urheber aus der Wissenschaft. Bedenkt man aber, dass gerade wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten nur durch hohe, oft privat an Verlage bezahlte Druckkostenzuschüsse publiziert werden, dann sieht die Sache schon etwas anders aus. Die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die womöglich ohne feste Stelle 2.000 Euro aufzubringen haben, würden sich vielleicht schon dafür interessieren, was mit den ihnen zustehenden Tantiemen bei der VG Wort genau passiert, und daran mitwirken wollen.

Wenn allerdings die VG Wort mit dem Rahmenvertrag zur Umsetzung des Paragrafen 52a des Urhebergesetzes, über den die urheberrechtlich vorgesehenen Zahlungen geregelt werden sollen, die Institution, an der besonders viele wissenschaftliche Urheber tätig sind, in einer Weise in die Pflicht nehmen will, dass deren Arbeit und erst recht das Studium von Tausenden junger Menschen massiv beeinträchtigt werden, dann möchte ich schon ganz gern offenkundig falsche Entscheidungen beeinflussen wollen.

Wohin diese Zugangshürden führen, kann man in den Gremien sehen. Die Berufsgruppe 3 der „Wahrnehmungsberechtigten“, also diejenigen, die einen Vertrag mit der VG Wort abgeschlossen haben, wählen eine Handvoll Delegierter für die Mitgliederversammlung der VG Wort. Unter den fünf „Autoren und Übersetzern von wissenschaftlicher und Fachliteratur“, so die offizielle Bezeichnung dieser Berufsgruppe, findet sich, soweit man das über die bloße Nennung von Namen und Email-Adressen auf der Webseite herausfinden kann, keine einzige Person, die auch nur entfernt irgendetwas mit einer Hochschule oder auch nur der Wissenschaft im engeren Sinne zu tun hat. Stattdessen gibt es dort eine Autorin von tanzpädagogischen Ratgebern, den Nachlassverwalter des Werks des Gewerkschafters Wilhelm Leuschner, einen Fotografen und einen freien Journalisten, zugleich Gewerkschaftsvertreter, der als Sachbuchautor nicht wahrnehmbar ist. Unter den stellvertretenden Mitgliedern findet sich als besonderes Kuriosum mit Christoph Dohr der Inhaber eines gleichnamigen Musikverlags.

Diese fünf Delegierten und ihre drei Stellvertreter (laut Satzung müssten es eigentlich fünf sein), sind nicht ganz unwichtig, da sie mit vollem Stimmrecht der Mitgliederversammlung angehören, also auch ohne die Regelung mit den durchschnittlich 400 Euro Ausschüttungen in den letzten drei Jahren erfüllen zu müssen. Diese Delegierten sind also so etwas Ähnliches wie die „Vertreter der Kleinaktionäre“ in den Hauptversammlungen der großen Aktiengesellschaften. Dass diese für den Vorstand und die Großaktionäre des Unternehmens, im Sinne der VG Wort die Verlage, mitunter recht unangenehm werden können, wissen wir spätestens seit der Aufarbeitung der großen Finanzkrise 2008 bei den börsennotierten Banken.

In der mit der Berufsgruppe 3 korrespondierenden Berufsgruppe 6 der Verleger von wissenschaftlicher und Fachliteratur ist der Schöningh-Verlag vertreten, der ein großes wissenschaftliches Verlagsprogramm unterhält. Merkwürdig ist in dieser Gruppe, dass mit dem „Roswitha-Stumm-Verlag“ der Delegierten Roswitha Stumm ein Verlag vertreten ist, der noch nicht einmal über eine eigene Webseite verfügt oder in wahrnehmbarer Weise Bücher verlegt. Einen dritten, laut Satzung vorgesehenen Delegierten gibt es nicht, wie sich offenbar auch die Verlage der beiden anderen Gruppen nicht groß um diese Delegiertenentsendung scheren: Von insgesamt sechs Delegiertenpositionen ist gerade einmal eine besetzt. Schlimm ist das nicht, denn eigentlich dürften die Verlage ohnehin nicht mehr zu den Wahrnehmungsberechtigten gezählt werden, wenn die VG Wort das dazu ergangene Urteil des Bundesgerichtshofs konsequent umsetzen würden.

Auch im Verwaltungsrat sieht es nicht sehr viel besser aus für die Wissenschaft, jedenfalls wenn man die Rechtswissenschaft ausnimmt. In diesem Gremium, das in etwa die Aufgaben eines Aufsichtsrats besitzt und den Vorstand der VG Wort wählt, entsendet die Berufsgruppe 3 vier Vertreter, und diese vier Vertreter sind durch die Bank Jura-ProfessorenInnen, drei von ihnen am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München. Komisch, wie das zustande gekommen ist. Expertise zur rechtlichen Seite ist also ausreichend in diesem Gremium vorhanden, nur die Situation wissenschaftlicher Urheber an Hochschulen ist nirgends repräsentiert. Die Wissenschaftsverlage dagegen müssen sich über mangelnde Repräsentanz im Verwaltungsrat nicht beschweren. Hier sind Hanser, Suhrkamp, Thieme, Beck und Klett vertreten. Kleiner Spaß am Rande: Besagter Christoph Dohr vom Dohr-Verlag vertritt in diesem Gremium auf einmal die Verlage, nicht die Autoren.

Schaut man sich das Gesamtbild an, dann muss man feststellen, dass aktiv publizierende Wissenschaftler massiv unterrepräsentiert sind in den Gremien der VG Wort. Aufgrund der teilweise obskuren Zugehörigkeit der derzeitigen Gremienvertreter kann man dies kaum dadurch rechtfertigen, dass hier anderen Urhebergruppen ein größeres Anrecht eingeräumt wird, ihre Interessen zu vertreten. Vielmehr muss man die Sache wohl genau anders herum betrachten: Während die Wissenschaftsverlage munter in den entscheidenden Gremien der VG Wort, dem Verwaltungsrat und vermutlich, zumindest indirekt, auch dem Vorstand, mitmischen, sind die Wissenschaftler selbst unsichtbar. Das ist nicht sehr erfreulich.

Es bleibt dabei: Wissenschaftler sollten ihre Angelegenheiten in der VG Wort besser vertreten, und zwar selbst. Dazu muss man einen Wahrnehmungsvertrag abschließen, was nicht weiter schwierig zu sein scheint (mit derartigen Beurteilungen bin ich inzwischen vorsichtiger) und nichts kostet. Als Wahrnehmungsberechtigter wird man zu der Versammlung der Wahrnehmungsberechtigten eingeladen, die jeweils einen Tag vor der Mitgliederversammlung stattfindet und alle vier Jahr ihre Delegierten wählen darf. (Zu den genauen Daten der aktuellen Wahlperioden von Delegierten und Verwaltungsrat erfährt man auf den Seiten der VG Wort allerdings nichts.) Und wenn man dann auch noch innerhalb von drei Jahren mindestens 1.200 Euro an Tantiemen eingenommen hat, kann man sich um eine Aufnahme als Mitglied bewerben.

Mittlerweile hat die VG Wort selbst in einem Brief vom 11.11. darauf hingewiesen, dass die bislang nur bezugsberechtigten wissenschaftlichen Autoren schleunigst einen Wahrnehmungsvertrag abschließen sollten. In perfektem Behördensprech wird dies mit einer neuen Rechtslage (Inkrafttreten des “Verwertungsgesellschaftengesetzes” zum 1.6.2016) und mit einem anstehenden Beschluss der Mitgliederversammlung begründet. Dieser Beschluss ist jedoch, worüber Stefan Niggemeier auf Übermedien.de berichtet, auf einer zum Schluss recht turbulent vorlaufenden Sitzung am 26.11. nicht zustande gekommen, so dass die VG Wort wissenschaftlichen Urhebern in einem weiteren Schreiben mitteilt, dass die zuvor groß angekündigten neuen Regeln demnächst nun doch nicht gelten würden, später aber dann doch, vielleicht.

Ganz schön kompliziert, ganz schön langwierig, ganz schön ungeschickt von der guten, alten VG Wort. Vielleicht wäre es besser, diesen skurrilen, undurchsichtigen Verein einfach aufzulösen und einen neuen zu gründen, ohne Verlage, im Sinne der Wissenschaft und ihrer Urheber.

Eine neue VG Wissenschaft.

 

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www.lobin.de

Henning Lobin ist seit 2018 Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim (Mitglied der gemeinsam vom Bund und allen 16 Bundesländern finanzierten Leibniz-Gemeinschaft) und Professor für Germanistische Linguistik an der dortigen Universität. Zuvor war er ab 1999 Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Forschungsschwerpunkte bilden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Sprache, Texttechnologie, Grammatik, Wissenschaftskommunikation und Politolinguistik. Er ist Sprecher der Sektion "Geisteswissenschaften und Bildungsforschung" und Präsidiumsmitglied der Leibniz-Gemeinschaft, Mitglied germanistischer Fachbeiräte ua. von DAAD und Goethe-Institut, er war Mitglied des Forschungsbeirats der Stiftung Wissenschaft und Politik und des Fachkollegiums Sprachwissenschaft der DFG. Lobin ist Autor von neun Monografien und hat zahlreiche Sammelbände herausgegeben. Zuletzt erschienen sind Engelbarts Traum (Campus, 2014, polnische Übersetzung 2017, chinesische Übersetzung 2018), Digital und vernetzt. Das neue Bild der Sprache (Metzler, 2018) und Sprachkampf (Duden, 2021). Bei den SciLogs ist Henning Lobin seit 2014 Autor des Blogs "Die Engelbart-Galaxis", nachdem er dort bereits ab 2008 am Gruppenblog "Interactive Science" beteiligt war.

3 Kommentare

  1. Ich war nach Ihrem ersten Ansatz sehr gespannt darauf, wie es Ihnen in diesem Sum… äh, Geschäftszweig wohl im weiteren ergehen würde. Wie ich sehe, machten Sie erste Erfahrungen 😉

    Ich denke durchaus, dass Ihr Ansatz erfolgsträchtig ist (wenn man die Bedeutung von “Erfolg” auf angemessen schmaler Bandbreite hält). Es erfordert eine (relativ) große Hartnäckigkeit und die Bereitschaft, einiges an Zeit und Mühe zu investieren. Das ist nicht anders als sonstwo auch in langanhaltenden Regelungsgeflechten wie Bürokratien oder auch Vereinen. In der Regel – was (hoffentlich) auf Sie nicht zutrifft! – gelangt man (als unbestimmte Größe an Betroffenen) irgendwann zu der Ansicht, dass es den möglichen Ertrag nicht wert ist. Meist schon nach recht kurzer Zeit nach Beginn der Beschäftigung mit dem Thema.

    Dieser R.-Stumm-Verlag (ist) war wohl mal ein (Klein-) Verlag mit Spezialisierung auf sportwissenschaftliche Publikationen. Eventuell wird der Verlag seit einiger Zeit nachlassverwaltet (oder unter ähnlichen Bedingungen rechtsvertretend geführt). Es gibt also wohl durchaus “Eigentümer”/Vertreter und/oder Beauftragte, vielleicht wird es auch irgendwann einmal wieder Verlagsaktivitäten geben (die dann vielleicht gänzlich anderer Art sein mögen).

  2. Vielen Dank für Ihre Ermutigung! Für Hochschulen und sonstige wissenschaftliche Institutionen ist das Thema einfach zu wichtig, um es auf Urheberseite sich selbst zu überlassen. Die Bibliotheken haben hier ja überhaupt keine Handhabe, obwohl sie im wissenschaftlichen Bereich im Zentrum dieser ganzen Entwicklung stehen.

  3. hr Ansatz erfolgsträchtig ist (wenn man die Bedeutung von „Erfolg“ auf angemessen schmaler Bandbreite hält). Es erfordert eine (relativ) große Hartnäckigkeit und die Bereitschaft, einiges an Zeit und Mühe zu investieren. weihnachten 2016
    Das ist nicht anders als sonstwo auch in langanhaltenden Regelungsgeflechten wie Bürokratien oder auch Vereinen. In der Regel – was (hoffentlich) auf Sie nicht zutrifft! – gelangt man (als unbestimmte Größe an Betroffenen) irgendwann zu der Ansicht, dass es den möglichen Ertrag nicht wert ist. Meist schon nach recht kurzer Zeit nach Beginn der Beschäftigung mit dem Thema.

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