Old School Infografik: Urluft und Anthropobeben

Drüben im Biosenf-Blog hat Mathilde kürzlich mehrere gemalte Infografiken aus ihrer Studienzeit ausgegraben. Wohlgemerkt: handgezeichnete Infografiken. Und ich fühlte mich angesprochen, immerhin kritzelte ich auch eine Weile lang in diverse Uniblöcke. Die handgekritzelte Grafik hilft mir, Gedanken zu sortieren und mir Strukturen zu merken. Etwa über die Erdgeschichte.

Urluft schnuppern

Die Erde entstand vor etwa 4,5 Milliarden Jahren. Ein unglaublich langer Zeitraum, selbst für einen Geologen schwer vorstellbar. Denn wir wissen eigentlich nur über die letzten 500 Millionen Jahre wirklich viel. In dieser Zeit spielte sich die Evolution höherer Lebewesen ab.

Für die Zeit davor gibt es einige Gesteine, die zumindest rudimentär etwas über die irdische Umwelt erzählen. Die ersten mutmaßlichen Spuren des Lebens gehören dazu, die Stromatolithen, die vor 3,5 Milliarden erstmals sporadisch auftauchten. Zeitgleich entstanden in den Meeren immense Eisenerzvorkommen, die Banded Iron Formations – allerdings nur etwa 1,7 Milliarden Jahre lang. Oxidierte der bis dahin freigesetzte Sauerstoff das vorhandene Eisen? Jedenfalls war irgendwann Schluss mit neuem Eisen. Das Leben machte sich langsam auf den Weg (grüne Beschriftung). Mikroorganismen entwickeln die Möglichkeit, Stickstoff aus der Luft zu binden – ein vorher notorisch knapper Nährstoff! Die zuerst methanreiche Atmosphäre wurde durch einen wachsenden Sauerstoffgehalt abgelöst: Photosynthese! Die Ozonschicht entstand, woraufhin erste Arten das Land besiedeln konnten. Vorher war es durch die UV-Strahlung im Trockenen noch lebensgefährlich gewesen.

Auf den ersten Blick ist die Grafik sicher nicht eingängig – aber sie hilft, die immensen Zeiträume zu begreifen.

Erdgeschichte Chemie (© Karl Urban, 2010)
Wann gab es wieviel Methan und Sauerstoff in der Atmosphäre – und warum? Die x-Achse ist ein Zeitstrahl (Ga = Milliarden Jahre). Darunter sind einige Ereignisse aus der Erdgeschichte markiert. Die Evolution höherer Lebewesen fand fast ausschließlich im grünen Zeitraum statt, dem Phanerozoikum.  (© Karl Urban, 2010)

Menschgemachte Beben

Mein Studium ist ein paar Jahre vorbei – aber ich male noch immer gerne. Journalistische Recherchen erfordern es, viel Material zu verarbeiten. Und am Ende soll ich eine schlüssige Geschichte daraus erzählen.

Diese Grafik entstand in einer Recherche für die Neue Zürcher Zeitung: Es ging um Erdbeben, die vom Menschen ausgelöst wurden. Oder solche, die menschliche Aktivitäten angestoßen haben. In der Mitte steht meine Recherchethese, um die ich die Fakten anordne. Die These kann ich im Laufe der Arbeit am Artikel ändern: Je nachdem etwa, was neue Interviews ergeben. Aber die Grafik gibt mir eine Struktur vor.

Am Ende war die Grundaussage des fertigen Artikels eine leicht andere. Die hier skizzierte Grafik blieb erhalten. Meine Kollegin Helga Rietz von der NZZ hat die kürzlich (aufgrund meiner damaligen Datenrecherche) zu einer interaktiven Infografik gemacht.

Übrigens ist es spannend, mal aus dem Gedächtnis eine Karte zu malen. Wer meine Interpretation der afrikanischen Küstenlinie kritisieren will, versuche bitte erstmal selbst eine Weltkarte aus dem Kopf aufs Papier zu bringen. 🙂

Vorher:
Menschgemachte Erdbeben (© Karl Urban, 2013)
Menschgemachte Beben (© Karl Urban, 2013)

 

Nachher:

Aus: Beben ist menschlich, Helga Rietz in der Neuen Zürcher Zeitung vom 1. Januar 2015

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https://www.astrogeo.de

Karl Urban wäre gern zu den Sternen geflogen. Stattdessen gründete er 2001 das Weltraumportal Raumfahrer.net und fühlt sich im Netz seitdem sehr wohl. Er studierte Geowissenschaften und schreibt für Online-, Hörfunk- und Print-Publikationen. Nebenbei podcastet und bloggt er.

6 Kommentare

  1. Toll solch eine EnthältAlles-Graphik wie die über die Erdzeitalter. Bei mir hab ich schon sehr früh eine Liebe zur extremen Verdichtung festgestellt. Auch beim Lernen versuchte ich ganze Teilgebiete auf eine einzelne Karteikarte zu reduzieren, allerdings nur selten in Graphikform.
    Infographiken zum Lernen und Verdichten vereinen viele Techniken, oft auch Elemente aus dem, was man heute Mind-Maps nennt.

    Es scheint noch mehr Leute zu geben, die so etwas lieben. Die XKCD-Episode vom 13.1.2015 zeigt ebenfalls eine Graphik die in diese Kategorie gehört.

    • Da ist mir wohl der Gletscher abgeschmolzen. Das liegt ja derzeit durch die Last der Gletschermassen zu größeren Teilen unter dem Meeresspiegel.

      Sorry!

  2. Voll spannend! Was ich nicht ganz verstehe: Wo ist denn das Methan hin, als mehr Sauerstoff in die Athmosphäre gelangte? Oder ist nur der Anteil geringer geworden? Der Sauerstoff nimmt zu, weil er aus der Photosynthese entsteht. Gleichzeitig wird Kohlenstoff in organische Moleküle eingebaut. Und das Methan?

    • Wenn ich mich recht erinnere, gibt die relative Zusammensetzung der Atmosphäre grob die momentan dominierende Form des Stoffwechsels wieder. Da waren zuerst methanogene Archaeen und Bakterien (Methanogenese: https://de.wikipedia.org/wiki/Methanogenese). Später kamen methanotrophe Mikroorganismen dazu, die Methan verschlangen. Das Methan in der Luft ging aber erst zurück, als der atmosphärische Sauerstoff (für die meisten dieser Arten ein Zellgift) durch die um sich greifende Photosynthese zunahm.

      Natürlich kommt Methan auch aus Vulkanen – aber über die Jahrmilllionen ja erstmal in relativ konstanter Form.

      Um das genauer zu erklären, müsste ich erst das entsprechende Buch wälzen. Wenn ich dazu komme, verblogge ich das mal.

    • Zur Ergänzung: Hohe Methanwerte in der frühen Atmosphäre erklären auch das „faint young sun paradox“, das Paradox also, dass die Sonne zu Beginn nur 75% der heutigen Strahlkraft hatte, die Erde aber nicht vereist war. Allerdings könnte auch bereits eine CO2-Konzentration von 0.3% (10 Mal mehr als heute) den nötigen Treibhauseffekt bewirken. Im Artikel WARME URERDE: RÄTSEL GELÖST wird davon ausgegangen, dass eine Kombination von hohen Methan und hohen CO2-Werte zusammen mit einer höheren Transparenz der Atmosphäre die junge Erde nicht vereisen liessen.

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