Über Qualitätsprobleme an Hochschulen
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In der ZEIT vom 1.12.2016 schreibt der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda “Die Fachhochschulen haben ein Qualitätsproblem”. Er bezieht sich dabei auf eine noch unveröffentlichte Studie über die aktuellen Abbrecherquoten an deutschen Hochschulen. Der wichtigste Befund nach seinem Beitrag (siehe auch seinen Blog): Die Bachelor-Abbrecherquote, die bei der Erhebung vor vier Jahren bei 19 Prozent lag, ist um fast die Hälfte gestiegen, auf aktuell 27 Prozent. Gleichzeitig haben die Universitäten, die vor vier Jahren auf 35 Prozent kamen, den Anteil leicht, aber stetig über 33 auf jetzt 32 Prozent senken können. Seine Schlussfolgerung hierzu “Die Fachhochschulen haben ein Qualitätsproblem” möchte ich hier diskutieren und einordnen in die Ergebnisse weiterer empirischer Studien. Denn in meinen Tätigkeiten befasste auch ich mich bereits häufiger mit solchen Themen (und in einigen meiner Blogbeiträge, siehe z.B. angeg. Link). Hier möchte ich zeigen, dass man auch auf einige andere Schlussfolgerungen kommen kann.
Vorausschicken möchte ich: Mit seinem Beitrag spricht er ein für das Hochschulsystem sehr wichtiges Thema an; lag doch in der Lehre der FH bislang nach allgemeiner Wahrnehmung eine ihrer Stärken! Das “Qualitätsproblem” wäre, wenn sich die Zahlen bestätigen, aber m.E. nicht allein eines der FH. Vielmehr dürfte das Problem auch in den (teilweise impliziten) Fehl-Anreizmechanismen des Wissenschafts- bzw. Hochschulsystems liegen: Die Hochschulen werden in den Lehrleistungs- bzw. Lehrbelastungsbezogenen Finanzierungsanteilen oft noch nach den Studierendenzahlen (in den ersten Semestern) finanziert. Nur in wenigen Bundesländern geschieht dies auch nach Absolventenzahlen bzw. -quoten (m.E. nur Berlin und NRW); dies ist lobens- und unterstützenswert, genügt aber nicht.
Stärkere Finanzierung nach Absolventenzahlen bzw. -Quoten als Ausweg?
Denn die Crux liegt auch darin, dass eine stärkere Finanzierung nach Absolventenzahlen bzw. -quoten allein noch nicht ausreichen dürfte, um die Hochschulen für eine deutlich stärkere Berücksichtigung der Studierendenzusammensetzung zu motivieren (soweit sie es nicht schon tun). Es zeigt sich bereits länger, dass – wie auch von Wiarda beschrieben – Merkmale einer Studierendenkohorte und Absolventenquoten zusammenhängen. Und dies gilt auch unter Berücksichtigung der Lehrqualität, wie empirische Analysen anhand der Hochschulen eines größeren Bundeslandes zeigen (siehe Link 1). Demnach hängt die Höhe der Absolventenquote in Studiengängen empirisch am stärksten mit der Anzahl der Studienanfänger und der Studenten (Kohortenstärke oder auch -anonymität), mit der Bewertung des Lehrangebotes bzw. der Kompetenzförderung zusammen (Lehrqualitätsaspekte und mit der Hochschulart (Uni vs. FH) ); sowie – signifikant aber nur innerhalb der Universitäten (siehe Link 2) – mit dem Anteil der Frauen und der Nichtakademikerkinder. Keine signifikanten Zusammenhänge gibt es dagegen mit Abiturnoten als Indikator für „Studierfähigkeit“. Dies gilt jedenfalls auf der Analyse-Ebene der Studiengänge unter empirischer Kontrolle auch der Lehrqualität und Studienbedingungen. Mit anderen Worten heißt das: Wenn Lehrqualität und Studienbedingungen stimmen, ist die durchschnittliche Abiturnote in den Studiengängen für deren Absolventenquote nicht mehr wichtig. Die Hochschulen schaffen in diesem Fall einen „Mehrwert“, wenn sie trotz (für hohe Absolventenquoten) „ungünstiger“ Studierendenzusammensetzung überdurchschnittliche Absolventenquoten erzielen. Diese Argumentation gilt grundsätzlich auch für den Anteil der Nichtakademikerkinder. Aber empirisch bleibt hierzu an den Universitäten bislang auch unter Berücksichtigung der Lehrqualität immer noch ein Herkunftseffekt.
Die Studierendenzusammensetzung und ihre Effekte stärker in den Fokus nehmen
Die Studierendenzusammensetzung weist auch bundesweit deutliche Differenzen zwischen FH und Universitäten auf. So differiert der Anteil der Nichtakademikerkinder zwischen FH und Universitäten nach der 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes um 17 Prozentpunkte. Dies trifft ähnlich allerdings auch innerhalb derselben Hochschulart zu, z.B. bei Universitäten zwischen „Elite“- und „Normal“-Universitäten, ausführlicher siehe Link 2. Dies gilt insbesondere für die Bildungsherkunft (Differenz 13 Prozentpunkte bei Nichtakademikerkindern) und die Erwerbstätigkeit als Grund für eine Verlängerung der Studienzeit (8 Prozentpunkte), in nicht ganz so hohem Maße auch für andere Aspekte. Bundesweite empirische Analysen zu Zusammenhängen mit der Absolventenquote sind aber bislang nicht verfügbar, daher bin auch ich auf die unveröffentlichte Studie gespannt.
Da aber auch so bundesweit davon auszugehen ist, dass sich die Unterschiede in der Zusammensetzung der Studierendenschaft in unterschiedlichen Absolventenquoten niederschlagen, ist Folgendes zu erwarten: Ihre Berücksichtigung (und damit ein Eingehen auf Heterogenität bzw. Diversität und eine höhere Attraktivität z.B. für Nichtakademikerkinder) seitens der Hochschulen dürfte und kann längerfristig nur dann in ihrem Interesse sein, wenn dies nicht zusätzlich noch mit finanziellen Nachteilen durch zu erwartende niedrigere Absolventenquoten einhergeht. Dem kann zwar durch eine stärkere Investition in eine diversitätsgerechte(re) Lehre entgegengewirkt werden. Aber hier ist auch das bekannte Reputationsgefälle zwischen Forschung und Lehre hinderlich, was stärkere Argumente als bisher für dauerhafte Investitionen in Lehre erfordert. Anderenfalls ist es naheliegend, dass – wie oft bereits angemerkt wurde – viele Hochschulen versuchen, sich (weiter) in Richtung forschungsorientierte Universitäten zu entwickeln.
Ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma wäre, die u.a. mit dem Qualitätspakt Lehre unternommenen Anstrengungen mit einer Weiterentwicklung auch der Anreize im Hochschulsystem zu flankieren – nicht nur finanziell, aber auch finanziell (siehe dazu meinen Blogbeitrag bzw. Link 3).
Hier noch einmal die Links im Klartext (für Leser, die noch drucken):
Link 1: www.hof.uni-halle.de/journal/texte/08_1/Krempkow_Studienerfolg.pdf
Link 2: www.researchgate.net/publication/273101419
Link 3: https://scilogs.spektrum.de/wissenschaftssystem/added-value/
Ich halte es für einen großen Fehler, aus hohen Abbrecherquoten Qualitätsprobleme abzuleiten. Ein Qualitätsproblem wäre vielmehr gegeben, wenn Studierende auch bei schwachen Studienleistungen durchgewinkt werden und die Hochschule mit Abschluss verlassen – jedoch keine ausreichende Qualifikation aufweisen. Eine Finanzierung gemäß Absolventenzahl erhöht den Druck auf prüfende Professoren, regelmäßig ein Auge zuzudrücken und “Diplome zu verteilen”. In MINT-Fächern gibt es seit jeher hohe Durchfallquoten in Mathematik, die ein Indiz dafür sind, dass an der Qualität eben nicht gespart wird. Wenn nun aufgrund geänderter Finanzierungsansätze plötzlich viele Abbrecher in MINT-Fächern verschwänden, hätten wir das größtmögliche Qualitätsproblem in der Lehre: Die Abschlüsse wären nichts mehr wert, weil sie nichts über die erlangte Qualifikation aussagen.
Leider arbeiten QM-Abteilungen in Hochschulen regelmäßig mit Kennzahlen wie Zufriedenheitsquoten (Lehrevaluation, Absolventenbefragung) und Abbrecherquoten, weil diese Zahlen billig zu haben sind. Es wäre ihr Auftrag, zu messen, welches Wissen und Können die Absolventen erlangt haben und dies zwischen Hochschulen zu vergleichen, aber solch dicke Bretter will erfahrungsgemäß niemand in der Hochschulverwaltung bohren …
Sicher gibt es Studierende, die für ein bestimmtes Fach, auch welchen Gründen auch immer, nicht geeignet sind und von daher die geforderten Leistungen nicht erbringen können. Neben Überforderung und finanziellen Probleme werden jedoch unzulängliche Studienbedingungen als Grund für den Abbruch eines Studiums angegeben. Als Kritikpunkte gelten überfüllte Lehrveranstaltungen, mangelhafte Organisation, fehlende Betreuung, mangelnde Ausstattung sowie mangelhaftes fachliches Niveau. Lehrende tragen zweifellos eine Mitverantwortung für den Studienerfolg ihrer Studierenden. Wichtig wäre zudem ein entsprechendes Betreuungsverhältnis. Nicht umsonst studieren Betuchte oft an teuren privaten Hochschulen, die ein Betreuungsverhältnis von 20 Studenten pro Professor bieten, dementsprechend gering sind die Durchfallquoten. Sind Abschüsse an besser finanzierten privaten Hochschulen aus diesem Grund weniger wert? Dies könnte man allerdings durch Vergleiche mit anderen Hochschulen herausbekommen. Eine Schwierigkeit wird allerdings sein, dass es bei Bachelor- und Masterstudiengängen keine einheitlichen Fächerkombinationen gibt, weil beinahe jede Uni einen anderen Schwerpunkt hat und sich die Studierenden ihren Stundenplan auch noch selbst zusammenstellen können.
Danke für die Kommentierung! Zwei Hinweise noch dazu:
– Vergleiche mit anderen Hochschulen bezüglich Studienorganisation, Betreuung, Ausstattung u.ä. gibt es aus Studierendensicht (z.B. CHE-Hochschulranking: http://ranking.zeit.de/che2016/de/; oder als ausführlicher wissenschaftlicher Bericht, wenngleich schon etwas älter, der Hochschulbericht Sachsen: http://www.researchgate.net/publication/279173175_Saechsischer_Hochschulbericht_2006)
– Es gibt sie aber auch (als Vergleich mit bundesweiten Ergebnissen) aus Absolventensicht z.B. an der HU Berlin (Kurzfassung: http://www.hu-berlin.de/de/absolventenstudie/jg2011/kurzbeschreibung-hu-tu-fu.pdf, Langfassung: https://www.hu-berlin.de/de/absolventenstudie/jg2011/jg11w1-vergleich-berlin-final-effektgrossen.pdf). Außerdem findet sich darin auch eine Einordnung des beruflichen Erfolges im Bundesvergleich.
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