Fangen wir bei uns an mit der Entbürokratisierung der Hochschulen!
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In den vergangenen Wochen wurde häufiger die Bürokratisierung in der Wissenschaft thematisiert (z.B. in der FAZ, von der AvH, kürzlich von Projektträgern). Für eine Gruppe von 26 Expertinnen und Experten aus Wissenschaftspolitik, Verwaltung und Hochschulforschung – überwiegend in Leitungsaufgaben in und für die Wissenschaft zuhause – war diese verstärkte öffentliche Thematisierung auch deshalb interessant, weil die Bürokratisierung in der Wissenschaft bereits Anfang 2023 als Thema des Hochschulforum Sylt gewählt wurde und es damit zusätzliche Aktualität erhielt.
Entsprechend intensiv waren die Diskussionen beim Hochschulforum Sylt, das Ende August in der Akademie am Meer in Klapphottal stattfand. Nichtsdestotrotz gelang es der Gruppe, im Verlauf einer intensiven Beratungswoche konsensual eine Erklärung zur Entbürokratisierung in der Wissenschaft zu erarbeiten, die nun veröffentlicht wurde. Eingeleitet wird sie mit einer bislang eher seltenen Forderung: “Fangen wir bei uns selber in den Hochschulen an!”
Zentrales Ziel der Sylter Erklärung zur Entbürokratisierung in der Wissenschaft[1] ist es dem entsprechend, realistische Wege für eine Trendumkehr aufzuzeigen. Ich versuche hier, in aller Kürze ein paar zentrale Thesen daraus vorzustellen.
Thesen für eine Trendumkehr
Die Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass die meisten Regelungen, die als Bürokratisierung wahrgenommen werden, durchaus Anlass, Sinn und Zweck haben. Ihre konkrete Ausgestaltung und praktische Handhabung führen aber oftmals zu Verkomplizierungen und Verzögerungen bis hin zu Lähmungen. Es geht bei den Vorschlägen der Sylter Erklärung zur Entbürokratisierung daher nicht primär um Abbau von Bürokratie, als vielmehr um deren Veränderung und Verbesserung in Richtung auf ein Management von Wissenschaft[2], das Kräfte freisetzt statt lähmt, und den Eigengesetzlichkeiten von Bildung und Wissenschaft Rechnung trägt, ohne die legitimen Interessen der Gesellschaft außer Acht zu lassen.
Als ein wesentlicher Schritt in Hochschulen wird die Förderung der produktiven Zusammenarbeit von Wissenschaft und Verwaltung gesehen. Denn viele Probleme haben ihre Ursache darin, dass Wissenschaft und Verwaltung unterschiedlichen Logiken folgen, die wechselseitig nicht ausreichend bekannt sind und zum Gefühl der Gängelung auf Wissenschaftsseite und der mangelnden Wertschätzung auf Verwaltungsseite führen. Beide Logiken sind trotz unterschiedlicher Legitimation jedoch für das Funktionieren der Einrichtung gleichermaßen notwendig.
Exemplarisch einige Grundprinzipien für möglicher Maßnahmen
Als exemplarisch für die in der Sylter Erklärung vorgeschlagenen Grundprinzipien möglicher Maßnahmen sollen hier exemplarisch drei herausgegriffen werden
- Anstelle einer möglichst lückenlosen und damit oft sehr bürokratischen Regelung aller vorstellbarer Prozesse und Konstellationen ist es oftmals sinnvoller, Entscheidungsspielräume zu schaffen.
- Für die notwendige Kontrolle, ob Regeln eingehalten werden, reichen Stichproben oft aus und führen zu einer Arbeitsentlastung – im Großen wie Kleinen.
- Fehlerkultur etablieren: Der Betrieb sollte nicht durch die permanente Angst vor Fehlern (und den damit einhergehenden Wunsch nach neuen Regeln) gelähmt werden.
Weitere Vorschläge der Sylter Erklärung zur Entbürokratisierung der Wissenschaft beziehen sich auf die Zusammenarbeit mit Ministerien, Fördereinrichtungen und Rechnungshöfen sowie mit Projektträgern; und auf den Hochschulbau (Details siehe: https://www.iwbb.de/_files/ugd/4100bf_ca261e26322b4e52a9f13e1d2f5ea2a4.pdf).
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[1] Der Verfasser dieser Zeilen hat mit einem Impulsreferat und in den intensiven Diskussionen beim Hochschulforum Sylt mitgewirkt. Er musste aufgrund anderweitiger Verpflichtungen jedoch einen Tag früher abreisen und war daher nicht an der Endredaktion des Papiers beteiligt, sondern hat nachträglich sein Einverständnis erklärt.
[2] Zur Entwicklung des Wissenschaftsmanagements in Deutschland hat der Verfasser gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von der Deutschen Universtät für Verwaltungwissenschaften Speyer und der IU – International University of Applied Sciences das vom BMBF geförderte Verbundprojekt “Karrierewege und Qualifikationsanforderungen im Wissenschafts- und Hochschulmanagement – KaWuM” durchgeführt, welches im vergangenen Jahr abgeschlossen wurde (siehe hierzu einige Zwischenergebnisse, sowie einen Kommentar im ZEIT-Wissen3-Newsletter, zwei DFG-geförderte Open-Acess-Buchbände zu den Projektergebnissen befinden sich in Vorbereitung).
“Entbürokratisierung” – Warum bei der Wissenschaft anfangen, wo ist das nachahmenswerte Vorbild für eine Freiheit die allen Menschen in wirklicher Wahrhaftigkeit eines unkorrumpierbaren Gemeinschaftseigentums OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik gebührt???
Na, irgendwo muss man doch anfangen.
Zumal die hier vom Autor hervorgehobenen Beispiele Fehlerkultur, Entscheidungsspielräume und Stichproben statt Vollprüfung doch durchaus auf andere Bereich des Gesellschaft übertragbar sind.
Hallo Anita Busch,
vielen Dank, da kann ich nur vollkommen zustimmen!
Hallo hto,
Danke für den Kommentar! Ja, warum denn nicht bei der Wissenschaft anfangen? Schließlich genießt sie trotz ihrer z.T. seltsame Blüten treibenden wettbewerblichen Überformung (siehe dazu z.B. auch https://www.researchgate.net/publication/328018791 oder https://www.researchgate.net/publication/271131149) nicht umsonst einen besonderen Schutz im deutschen Grundgesetz. Und Wissenschaft und Bildung sind in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland bekanntlich besonders wichtig für den Werterhalt des Gemeinschaftseigentums…
Naja …, ich belasse es beim Versuch und steige hier besser nicht voll ein.
👋😉👍