(Tele)Visionen – ein Tango von Science und Fiction
BLOG: Uhura Uraniae
Ein Aufsatz über die Lehre(n) und Visualisierungen in der SciFi des 20. Jh. – als Nachtrag zur Diskussion in meinen früheren posts über Chris Hadfield von der ISS, Peenemünde und die Nichtexistenz futuristischer Botschaften und Visionen im aktuellen StarTrek.
Mondflug-Visionen in audiovisuellen Populärmedien
In der Neuzeit, insbesondere im 20. Jahrhundert begann mit dem technischen Zeitalter auch das Zeitalter der Raumfahrt. Wie keine andere Technologie beeinflusste diese Errungenschaft das Leben und Denken aller Menschen. Nicht nur die Raumfahrt selbst umspannt den gesamten Globus, sondern die Erfolge einzelner können im medialen Zeitalter auch sofort zu allen Menschen übertragen werden. Wenn ein Mensch über den Mond läuft, können ihm mit nur einer Sekunde Verzögerung alle Menschen weltweit zuschauen!
Diesen “gigantischen Sprung nach vorn für die Menschheit” (wie Neil Armstrong sagte) soll der vorliegende Artikel im Zeitfluss darstellen und an ihm exemplarisch die These untermauern, dass Visionen aus Träumen geboren und oft zuerst durch Televisionen in populären Medien umgesetzt werden. Die Relation von Technikentwicklung und Science Fiction soll hier als ein unendlicher Tango beschrieben werden, bei dem das Paar leidenschaftlich ringt, auf dass mal der eine und mal die andere die Oberhand gewinne – jedoch nur kurzzeitig, so dass keiner je siegt oder verliert, sondern sie einander stets gegenseitig inspirieren und beflügeln.
Quellenlage: Der Traum vom Flug zum Mond ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit, da dieser Himmelskörper als einziger mit dem unbewaffneten Auge als nichtpunktförmiger und mithin gegenständlich wahrgenommen werden kann. Belege über solche Phantasien sind bis in die Antike zurück zu verfolgen: in Mythen und Märchen wird in Prosa und in Bildern der Traum vom Fliegen, auch zu den Sternen geschürt: Phaeton, Ikarus, da Vincis Konstruktionszeichnungen einer Flugmaschine, Keplers Somnium, Vernes Voyage De la terre à la lune und Autour de la lune, Peterchens Mondfahrt von Gert Basswitz . . . das sind nur einige Beispiele – und hier ein frühes Stummfilm-Beispiel aus Frankreich:
Aus dem schier endlosen Material zu diesem Thema möchte ich mich hier auf das 20. Jh. beschränken und das Erbe des deutschen Raketenpioniers Hermann Oberth herausgreifen. Als Dissertationsschrift “Die Rakete zu den Planetenräumen” dieses weitsichtigen Ingenieurs, der oft als “Vater der Raumfahrt” verklärt wird, wurde abgelehnt, weil die Gutachter an ihrer Seriosität zweifelten. Was sich für sie wie eine Utopie las und dann tatsächlich (auf eigene Kosten gedruckt) als Bestseller verkaufte, zog einen Roman und gleichnamigen Film “Frau im Mond” nach sich – und wurde mehr als vier Dekaden später schließlich Realität.
Der Tango von Science und Fiction in den 1920ern
Die Formeln und seitenlangen Rechnungen in der [Rakete] waren es sicher nicht, die das Gefühl der Utopie auslösten. Wahrscheinlich wurden sie von seinem öffentlichen Publikum überblättert und dienten nur als Visualisierung für die Seriosität der Visionen am Ende des Buches. Der Umstand, dass Mitte der 1920er Jahre gleich mehrere bahnbrechende Bücher erschienen, schlug jedoch Wellen: Nach Oberths [Rakete] erschienen auch Die Erreichbarkeit der Himmelskörper von Walter Hohmann, einem Essener Ingenieur und Vorstoß in den Weltraum von Max Valier. Nach eigener Aussage war “dessen Zweck es allein […], in einer allgemeinverständlichen Form darzustellen, was Prof. Oberth schon ein Jahr vorher in hochwissenschaftlicher Weise in einem im gleichen Verlag erschienenen Werke „Die Rakete . . .“ zu beweisen versucht hatte. . . . Erfolg der Broschüre [meint: Valiers Buch in erster Aussage, die den Untertitel „Eine allgemeinverständliche Darstellung des Problems“ trug (Anm. v. SMH)], deren erste Auflage in wenigen Wochen vergriffen war, . . .“ [Valier, Vorwort]. Max Valier war ein junger Mann, der aufgrund des 1. Weltkrieges sein Studium der Astronomie, Meteorologie, Physik und Mathematik unterbrechen musste und nie wieder aufnahm. Er arbeitete als Publizist und entwickelte Raketenantriebe war mithin ein Grenzgänger von der Wissenschaft zu ihrer Popularisierung: So konnte das Buch [gemeint ist die überarbeitet Auflage vom “Vorstoß. . .“ (Anm. v. SMH)] im gesamten Jahr 1927 nicht erscheinen, . . . weil sich die einzuarbeitenden technischen Entwicklungen überschlugen und der Autor selbst einen Finanicier für praktische Experimente suchte, um “der Welt zu beweisen, dass seine Ideen richtig und keine hirnverbrannten Utopien eines durch keine wissenschaftlichen Kenntnisse getragenen Phantasten waren.“ [Valier, Vorwort]
Ende der 1920er Jahre brach in Deutschland ein Raketenfieber aus: 1927 erfolgte in Breslau die Gründung des Vereins für Raumschiffahrt (VfR) durch Enthusiasten, die privat und öffentlich an der praktischen Realisierung dieser Ideen arbeiteten. Hohmann war von Anfang an im Vorstand, Oberth übernahm 1929 den Vorsitz von Johannes Winkler (1897 – 1947), der 1931 die erste europäische Flüssigtreibstoffrakete startete.
“Raketenfritz” von Opel (ein Enkel des Gründers der Fahrrad- und Automobilherstellers, Adolph Opel, der an dem Unternehmen nicht mehr beteiligt war), Fr. W. Sander, Valier (Max Valier (1895 – 1930) starb bei der Explosion eines seiner Triebwerke. Die letzten zwei Jahre vor seinem Tod hatte der Publizist mit Raketenantrieben experimentiert. 1929 stellte er auf dem vereisten Starnberger See einen Geschwindigkeitsrekord von 400 km/h auf.) u. a. experimentierten mit Raketenantrieben für schnellere Automobile. 1929 schließlich erschien der Lang-Film Frau im Mond nach einem Roman von Thea von Harbou, der unter der Beratung von Oberth gedreht wurde und im Rahmen von dessen Merchandising die Ufa die Entwicklung einer funktionsfähigen Flüssiggasrakete finanzierte.
2.1 Die Erreichbarkeit der Himmelskörper
Im Jahre 1925 erscheint im Oldenburg-Verlag das Buch des Essener Ingenieurs, Walter Hohmann (1880-1945), das sich mit ähnlichen Inhalten befasst wie das von Oberth.
Seine wichtigste Erkenntnis ist der mathematische Beweis [W. Hohmann, 1924, S. 84 – 88], dass die energetisch günstigste Verbindung zwischen zwei Orbitalen oder zwischen der Erdoberfläche und einer Umlaufbahn eine sie tangierende Ellipsenbahn ist. Sie wird heute Hohmannbahn genannt. Schon das Inhaltsverzeichnis liest sich wie eine Utopie: Loslösung von der Erde – Rückkehr zur Erde – Freie Fahrt im Raume – Umfahrung anderer Himmelskörper – Landung auf anderen Himmelskörpern.
Vom Verlag war das Manuskript jedoch zuerst mit dem Hinweis auf die [Rakete] zurück gewiesen worden – weshalb Hohmann umso besser die zeitgenössischen Papiere studierte. Beim ersten Verfassen seiner Arbeit kannte er die Werke Oberths nicht und der Kontakt zu diesem und Valier wurde erst durch den Verleger hergestellt, als er um Gutachten für die Arbeit bat. Die resultierende Korrespondenz führte gleich auf der ersten Seite im Vorwort zu Verweisen auf die Papiere von Goddard [2], Oberth und das Buch von Valier [Valier]. Wie Oberth aber in seinem Brief an Hohmann mit der Information über ein sehr positives Gutachten für den Verlag schreibt [1, S. XIII], ergänzen sich die Arbeiten sehr gut: Während Oberth selbst detailliert an Raketenbauplänen arbeitet, setzt Hohmann seinen Schwerpunkt auf himmelsmechanische Probleme.
Bei Betrachtungen über den Rückstoßimpuls als Antriebsform gibt er “neuere Arbeiten von Goddard, Oberth und Valier“ als Referenz, zitiert als noch frühere Vorreiter Hermann Ganswindt (der Erfinder des Freilaufs für Fahrräder, eines Helikopters, Explosionsmotors und lenkbaren Luftschiffs und ein visionärer Raketenpionier, 1856–1934) und Ziolkowsky (Konstantin Ziolkowski (1857-1935), ein russischer Mathematiklehrer, fand bei Berechnungen von Raketenantrieben in seiner Freizeit bereits vor 1900 die Raketengleichung) und “[s]chließlich hat sogar schon Newton in einer Vorlesung über das Rückstoßprinzip die Möglichkeit erwähnt, auf diese Weise im luftleeren Raume fliegen zu können.“ [W. Hohmann, 1924, S. 13] In einer Reihe mit diesen Vertretern der Physik und Philosophie zitiert Hohmann im Abschnitt davor die Science Fiction-Autoren Verne und Lawitz (“Er [der Rückstoß] findet sich unbewußt schon in Jules Vernes `Reise um den Mond’ angedeutet in der Erwähnung von mitgeführten Raketen zum Zwecke der Geschwindigkeitsminderung und ist bewußt verwendet in Kurt Laßwitz’ `Auf zwei Planeten’, . . .“ [W. Hohmann, 1924, S. 13]). Hier scheinen sich die Grenzen von Science und Fiction also buchstäblich aufzulösen.
2.2 Die Rakete zu den Planetenräumen
Inspiriert insbesondere durch Jules Verne [5], leitet Oberth Kap. 13 (Physische Wirkung abnormen Andrucks auf den Menschen) seines Buches mit den Worten ein: “Apparate können nun so stark gebaut werden, daß sie imstande sind, einen Menschen mit in die Höhe zu tragen. Vorher müsste man allerdings experimentell feststellen, welchen Andruck ein Mensch ohne Schaden verträgt. Im Anhang zur sehr rasch erscheinenden zweiten Auflage entschuldigt er sich, dass er noch keine Zeit für eine Überarbeitung gehabt hatte. Dort nennt er diesen Punkt als überholt.
Dass dieses Thema große Wellen schlug, ist z. B. daraus ersichtlich, dass noch 1929 Walter Hohmann den raumfahrtkritischen Artikel eines Diplomingenieurs mit Sätzen konterte wie: “. . . der Zustand fehlender Schwereempfindung tritt z. B. für den Skispringer mit dem Moment des Verlassens der Schanze ein, ohne daß er durch die angebliche `. . . sofort angestrebte kugelförmige Lagerung seiner Weichteile. . . ‘ geschädigt wird . . .”. [1, S. XIV]
Seine Intention nennt Oberth jedoch allein die Demonstration, dass es “mit der heutigen Technik überhaupt möglich ist, Geschwindigkeiten zu erreichen, wie ich sie angenommen habe. Dagegen wollte ich keineswegs eine bestimmte Konstruktion für ein Raumschiff angeben. Die Skizzen, die ich anbrachte, dienen mehr zur Erläuterung und zum besseren Verständnis des Textes; sie sollen lediglich zeigen, auf was es bei solchen Maschinen im allgemeinen ankommt. Bei einer praktischen Ausführung würde ich die Sache vor allem wesentlich einfacher gestalten. (…)”, schreibt er im Vorwort zur [Rakete]. Tatsächlich liest sich das Kap. I über Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit wie ein Schulbuch: Er definiert, “[j]ede Flugmaschine nun, die vom Rückstoß ausströmender Gase getragen wird, will ich hier als Rakete bezeichnen.“ (S. 9) Danach diskutiert er in extenso die Raketengleichung von Ziolkowski (Massenverlustraten, Ausströmgeschwindigkeiten, Kräfte (Schub). . . ), Wirkungsgrade und das Flugverhalten unter Berücksichtigung des in der Höhe variablen Luftdrucks (Die barometrische Höhenformel der Meteorologie diskutiert er zwar. Da sie aber auf “unlösbare Integrale“ führe, entscheidet er sich für eine gute Näherungsrechnung.) und leitet als optimale Form für das Geschoss den Konus ab.
Anschließend betrachtet er die Flugbahn einer solchen Rakete, berechnet Steighöhen und Flugweiten und diskutiert mit weitsichtigem Blick auf Realisierungen Abschussorte verschiedener geographischer Breiten unter Berücksichtigung der Coreoliskraft. In diesem Zusammenhang stellt er mehrere verschieden große Raketen vor und konstatiert, dass kleinere vorzugsweise von hochgelegenen Orten gestartet werden sollten; die Riesenrakete allerdings “fährt besser vom Meeresspiegel ab“. Durch ihre hohe Querschnittslast folgt aus seinen Gleichungen die Empfehlung eines Unterwasserstarts zur Kompensation des Binnendrucks durch die Auftriebskraft.
Auf große Überzeugung von der Idee der Fahrt zu den Planeten lässt schon die anschließende Diskussion von Details an seinem Raketenentwurf schließen, die neben einem Abschnitt über die Innenausstattung bis hin zu ihren Außenfarben reichen: „auf der einen Seite blank lassen und auf der anderen schwarz anstreichen. Ist I [die Kammer] zylindrisch, und ich drehe die schwarze Hälfte gegen die Sonne, so steigt die Temperatur bis auf 25 °C.“ [Rakete, S. 83]
Stets den Gedanken an menschliche Raketeninsassen verfolgend, beschreibt er für den Flug ins äußere Sonnensystem andere Temperaturstabilierungsmöglichkeiten, da allein die Farbe in größerer Sonnenferne nicht mehr die gewünschte Wirkung erzielen könne. Bei den Möglichkeiten zum Luftaustausch oder der Luftreinigung unterscheidet er ebenfalls für kurze und lange Reisen.
3 “Frau im Mond” – ein Fritz Lang Film
Auf die detaillierten Beschreibungen zu seinen Konstruktionsplänen in [Rakete] – eingeheftet zwischen den Seiten 80 und 81, wobei rot die Wasserstoffrakete und schwarz die Alkoholrakete dargestellt ist – wurde die Muse aufmerksam: Auf sie gestützt schrieb die Schriftstellerin Thea von Harbou einen Roman mit dem Titel Frau im Mond, den ihr Ehemann, der Regisseur Fritz Lang verfilmte. “Oberths Chance lag darin, seine auf wissenschaftlichen Forschungen basierenden Ideen und Konzepte filmische Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Aussicht musste euphorisierend auf alle wirken, die sich für die Eroberung des Weltraums interessierten:
Ein Raumfahrtfilm an sich wäre schon sehr schön gewesen, aber ein Raumfahrtfilm von Fritz Lang nach einem Roman von Thea von Harbou mit Prof. Oberth als wissenschaftlichem Berater – das war kaum auszudenken.“ [3, S. 186]. Und weiter unten heißt es ebenda “Denn FRAU IM MOND ist nach meiner Kenntnis der erste deutsche Film, bei dem es einen so direkten Transfer zwischen Naturwissenschaft und Fiktion gab. FRAU IM MOND ist der erste veritable deutsche Science-Fiction-Film.“
In diesen pathetischen Worten fasst das Vorstandsmitglied der Friedrich-Murnau-Stiftung zur Restaurierung alter Filme vortrefflich die gigantische medienhistorische Bedeutung dieses Streifens von 1929 zusammen. Sei es die Erfindung des Countdowns durch den Filmregisseur, da man an solch dramaturgische Details eben erst denkt, wenn man einen Raketenstart einmal durchspielt oder der bloße (nichtflugfähige) Aufbau von Oberths Ingenieur-Konzepten: dieser Film schrieb tatsächlich Technikgeschichte. Der Historiker Beyer zitiert Fritz Lang “Wenn ich eins, zwei, drei, vier, zehn, fünfzig, hundert zähle, weiß das Publikum nicht, wann die losgeht. Aber wenn ich rückwärts zähle, (. . . ) zwei, eins NULL! – dann verstehen sie.“ ([3], S. 191)
Er weckte bereits vor der Première im Oktober 1929 größtes Interesse der Öffentlichkeit.
Schließlich belohnte das Kinopublikum den gigantischen Aufwand, den die Ufa dafür betrieb damit, dass er “zum größten Erfolg der deutschen Lichtspielsaison 1929/30“ [3] wurde. Die New York Times erwarb die Rechte zur Exklusiv-Berichterstattung von der Uraufführung, für die eine gewaltige PR-Aktion geplant war: Herr Oberth erhielt kurzfristig den Auftrag, eine echte startfähige Rakete zu bauen! Der Vertragsabschluss erfolgte im Sommer 1929 nach Ende der Dreharbeiten, während die Filmpremiere am 10. Oktober 1929 stattfand. – Zu kurzfristig und so schlug das Projekt leider fehl, was rückschauend bei einer illusorischen Entwicklungszeit von ca. zwei Monaten auch nicht verwundert: Die erste Rakete, die das hier gestellte Ziel erreichte, flog 1942 in Peenemünde – nach jahrelanger militärisch geförderter und durch den Krieg vorangetriebener Entwicklungsarbeit.
3.1 Die Story
Die Haupthandlung ist ein Flug zum Mond, der von ersten visionären Ideen bis hin zur Umsetzung durchgespielt wird. Basis sind die Arbeiten und Visionen eines Deutschen (verarmten) Professors Manfeldt, die durch seinen jungen Freund, den wohlhabenden Ingenieur “Helius” (Ob diese Namensgebung, abgeleitet von griechisch „Sonne“ ist, weil er Licht ins Leben des Professors bringt, wird nirgends erläutert.) in die Tat umgesetzt werden sollen. Nebenhandlung ist natürlich eine sich dabei entspinnende Liebesgeschichte zwischen der attraktiven Verlobten seines Freundes, Friede. Nach erfolgreicher Landung auf dem Mond entfacht sich ein Streit ob der dortigen Goldvorkommen, der Professor stirbt in seinen Theorien bestätigt und Helius opfert sich, damit sein von Heimweh geplagter Freund zur Erde zurückkehren kann. Das Happy End ist, dass Friede (die sich heimlich aus der Rückkehrkapsel geschlichen hatte) ihn in seiner lunaren Einsamkeit in die Arme schließt [siehe YouTube, ca. 5. min].
Nicht genug, dass die Autorin sämtliche technischen Daten aus Oberths Bestseller übernommen hatte. Die pausenlose Anwesenheit des Professors am Set wirkt sich an unzähligen Details aus, die beim Film andernfalls vielleicht untergegangen wären.
Gleichzeitig gibt es aber auch viele Details, die eben erst bemerkt wurden, als man einige Jahrzehnte später tatsächlich den Weltraum ausprobierte. An einigen Details soll hier die große Umsichtigkeit und Detailliebe demonstriert werden, die der Rakete im Film anzusehen ist und die Anwesenheit eines Beraters hoher Expertise verrät. – Andererseits soll auch vielleicht aufgezeigt werden, dass an nicht wenigen Stellen die Phantasie über die Physik triumphierte.
3.2 Dichtung und Wahrheit bei der Frau im Mond
Wirkung der Mikrogravitation im Raumschiff. Von großer Voraussicht zeugt beispielsweise der Effekte der Mikrogravitation auf Flüssigkeiten: Der Schnaps, den Friede einschenken will, verlässt die Flasche nicht. An anderer Stelle wurde allerdings nicht bedacht, dass auch in Kugelschreibern nur mithilfe der Schwerkraft die Tinte nach unten fließt: Helius und später der Junge, der ihm hilft, schreiben weiterhin nicht mit Bleistift Tagebuch.
https://www.youtube.com/watch?v=nkiRCNMq_Es
Von wo bis wo spürt man Mikrogravitation? Der Effekt von 0 g tritt natürlich nur in genau einem Punkt zwischen Erde und Mond auf (dem so genannten Lagrange-Punkt). Die Bahnkurve betrachtend, wird im Film folgerichtig dieser Effekt nur in diesem winzigen Stückchen zwischen Mond und Erde simuliert.
Es wird hingegen nicht beachtet, dass bereits lange vor diesem “Nullpunkt“, noch in Erdnähe derart geringe Anziehungskraft gespürt wird, die wir als Mikrogravitation bezeichnen. Dieser Effekt war eigentlich bereits diskutiert worden, insbes. von Valier in [Valier, S. 13]: “Die Insassen eines Raumschiffs werden daher nicht erst allmählich mit Annäherung an den schwerefreien Punkt gewichtslos, . . .“ sondern seiner Meinung nach in jeder Flugphase ohne Beschleunigung: vom Abschalten des Antriebs bis zum Zünden der Bremse. Auf dem ersten Stück der Reise laufen die Akteure noch normal durch die Kapsel und trinken aus Gläsern; erst in weiter Erdferne hangeln sie an Griffen oder “fliegen“ durchs Raumschiff.
Der Raketenstart.
https://www.youtube.com/watch?v=uQlwhG76P9A
Feierlich wird die Rakete aufrecht stehend aus dem Hanger gefahren (großartige Inszenierung mit zwei Scheinwerfern derart beleuchtet, dass sie zwei Schatten auf die Hangertüren wirft, die an Bilder des startbereit zur Rampe transportierten Space Shuttles der NASA erinnern.) und dann in dieser Pose (im Wasserbassin) gestartet. In der Rückschau sieht man, dass die Idee Oberths eines Senkrechtstarts später tatsächlich und ausschließlich realisiert wurde: Seit Peenemünde wurden alle auf dem A4 basierenden Weltraumraketen sowohl in der SU als auch in den US und später auch in Europa und China mit eigenem Antrieb senkrecht gestartet – und nicht wie in früheren Utopien z. B. von Jules Verne schräg aus einer externen Kanone abgefeuert.
Wasserstart. Dargestellt wurde hier erstmalig ein Start aus einem Wasserbassin. Die Idee des Wasserstarts (s. Kap. 2.2, S. 4) der bemannten Rakete wurde jedoch für unnötig befunden. Später übrigens aufgegriffen durch in der deutsch-französischen Science-Fiction-Serie “Raumpatrouille – Die fantastischen Abenteuer des Raumschiffs Orion“, Ausstrahlung Sept. – Dez. 1966 – In Kap. II seiner [Rakete] schildert Oberth, dass dies für eine Riesenrakete sinnvoll wäre und die leere Rakete schwimmend auch besser transportierbar wäre.
Die Darstellung des Geschwindigkeitsverlaufs: Die Kurve beginnt langsam während des Raketenstarts und wird dann asymptotisch steiler. – Anschaulich ist das m. E. nur halb plausibel: Klar ist zwar, dass die Geschwindigkeit erst langsam ansteigt und erst später maximal wird; jedoch denken m. E. viele Zuschauer bei dieser Anzeige zuerst an den Schub, also die Kraft, die die Rakete auf Fluchtgeschwindigkeit beschleunigt, was zu Verwirrungen führen könnte. Diese aber wird insbes. am Boden benötigt, um g zu überwinden. Die Kraft ist proportional zur Zeitableitung der Geschwindigkeit und müsste mit wachsendem Abstand quadratisch abnehmen. So ist die Darstellung im Film verständlich. Unklar bleibt, wie viel Einfluss hier die Überlegung Oberths hat, dass der Luftwiderstand die Rakete bremst. Jedenfalls war (mindestens ihm) klar, dass die Rakete im “Ätherraum” allein weiterfliegt (siehe sein Kap. III, x 17; Aussichten).
Anm.: Den Begriff “Ätherraum” gebraucht Oberth gern (siehe [Rakete]), obgleich der Äther durch Michelson und Morley bereits 1881 (Potsdam) bzw. 1887 (Cleveland) widerlegt worden war.
Die Mondrückseite. Bizarr wirken die Szenen nach der Landung (Hier ist man geneigt anzuzweifeln, dass irgendein Experte konsultiert wurde.): Wie andere Science Fiction-Autoren unterstellt v. Harbou auf der erdabgewandten Mondseite eine Atmosphäre, was a priori unverständlich ist: Warum sollte nur die Hälfte des Mondes eine Gashülle haben? Die Gravitation wirkt doch radial (also in alle Richtungen gleichermaßen), so dass sie in jeder Richtung eine Atmosphäre halten kann oder in jeder Richtung eben nicht. Es ist auch kein Grund erkennbar, weshalb die erdzugewandte Seite atmosphärenfrei geblasen werden sollte. – Von der Sonne hingegen geht ja tatsächlich ein Sonnenwind aus, der z. B. das Erdmagnetfeld (van Allen-Gürtel) und womöglich auch die Atmosphäre verformt – und zwar auf der sonnenzugewandten Seite staucht. Von der Erde ist aber kein Analogon bekannt oder naturwissenschaftlich denkbar.
Aufgrund der thermischen Bewegung würde die Diffusion Gasmoleküle auf der einen Seite des Himmelskörpers umgehend auch zur anderen treiben. Wenn wir also keine Atmosphäre auf dem Mond sehen, ist davon auszugehen, dass er in toto auch keine besitzt. Oberth schreibt in [Rakete] über die Arbeit im luftleeren Raum, dass “Leute im Taucheranzug“ [Rakete, § 17, Ausblicke, 2: (über die Montage des Spiegels)] diese erledigen könnten. Einen solchen trägt der Professor beim Ausstieg zwar – allerdings hinkt diese Beschreibung eines Anzugs mit mächtigem Helm zur Atmung (sinnvoll!) leider an der Umsetzung um den restlichen Körper, da der Anzug fast zusammenfällt. Wie es besser aussehen müsste, zeigt eine Abbildung eines Anzugs “auf inneren Überdruck ausgelegt“ in [Valier, S. 69]. Zwei Seiten früher liest man ebenda über den menschlichen Organismus “. . . genügt es nicht, daß seiner Lunge jeweils die zur Atmung gerade benötigte Sauerstoffmenge zugeführt wird, sondern es muß auch der Körper unter hinreichenem Gasdruck stehen.“ Übersah der sonst in allen Bereichen sehr umsichtige Oberth die Atmung der Haut und den Druckgradienten des menschlichen Körpers zum umgebenden Vakuum? Oder ist nur die filmische Darstellung des Anzugs eine unbeachtete Nebenbaustelle, weil sich der allgemein gebildete – In [Rakete] widmet er ein ganzes Unterkapitel zu Kap. II den § 13 “Physische Wirkung abnormen Andrucks auf den Menschen“ Analysen der Verträglichkeit der Raumfahrt – Ingenieur mehr um die korrekte Darstellung der Raketentechnik scherte als um die menschlichen Bedürfnisse? Sogar eine Sauerstoffflasche, wie sie Tauchende seit Jahrhunderten mit sich führen, ist in dem Kosmonautenanzug nicht erkennbar; Vgl. z. B. Ausstellung der Ausrüstung des schwedischen Kriegsschiffs Vasa in Stockholm, die bereits 1628 sank.
3.3 Resümee zu Frau im Mond
Nicht umsonst lobt Beyer [3] “die gelungene Einbindung eines wissenschaftlichen Konzepts (. . . ) in eine Spielhandlung. [3] als einen technischen “Demonstrationsfilm“ – zumindest, wenn man sich auf die Visualisierung der Rakete von Innen und Außen beschränkt. Hier folgt der Film pedantisch den Beschreibungen von Präzisionsinstrumenten, Haltegriffen, Hängematten u. a. Designvorstellungen aus der [Rakete]. Aus Sicht der Physik fallen allerdings einige Bugs auf, die wohl in den Bereich der künstlerischen Freiheit verwiesen werden müssen.
Betrachtet man die Biographien von Oberth und Lang, so nimmt der Film im Gesamtwerk des Regisseurs nur eine relativ unbedeutende Nebenrolle ein, während er den Visionen des Ingenieurs zum “Durchbruch von der Theorie zur Praxis“ [edb] verhalf.
Zwar schreibt Oberth selbst im Anhang zu seiner [Rakete], dass Goddard bereits mit Raketentriebwerken experimentierte. Als Eigenständigkeitserklärung fügt er an, dass er erst bei Drucklegung von Goddards Arbeit A method of Reaching extreme altitudes, Smithonian Institute Massachusetts, 1919 erfuhr. Auch Goddard experimentierte mit 8°-Konen als Düsenform, mit denen er beneidenswerten Wirkungsgraden von 64.5 % (Exp. 51) erzielt hatte. Oberth nennt vergleichend die derzeit gebräuchlichen mit eta <2 %, beschreibt die Arbeiten Goddards aber als experimentelle Bestätigung seiner theoretischen Überlegungen und sieht sie die beiden Arbeiten daher nicht als konkurrierend, sondern einander ergänzend.
In Deutschland hingegen verhalfen vor allem die Arbeiten an der flugfähigen, 2 m langen Experimentalrakete für die Begleitshow zur Uraufführung zum Erfolg, denn es sollte “nach Möglichkeit zum Tag der Premiere von FRAU IM MOND –, die mit flüssigem Treibstoff 40 km hoch steigen sollte.“ mit Geldern aus dem Reklame-Etat der Ufa finanziert werden [3]: Die Kegeldüse wurde der Ufa später vom wurde vom Verein für Raumschiffahrt abgekauft, so dass damit weitere Experimente erfolgen konnten. Das jüngste Mitglied dieser Assoziation, Wernher von Braun sollte später tatsächlich als technischer Programmdirektor bei der NASA zwei Menschen auf den Mond bringen – allerdings flogen 1969 zwei Männer, nicht ein Mann und eine Frau zum Erdtrabanten. Trotz aller Raumfahrterfolge war in realitas bis heute noch keine einzige Frau auf dem Mond [und meine Bestrebungen, dorthin zu gelangen, waren bisher leider noch nicht erfolgreich 🙁 ].
So resümiert Beyer in seinem Vortrag abermals sehr pathetisch die Bedeutung des Films als “der Rake tentechnik entscheidenden Schub – ermöglicht durch Fritz Lang und die Ufa (. . . ). Ein Vorgang, der in der Filmgeschichte ohne Beispiel ist.“
4 Ein Rückblick auf die Zukunft
4.1 Visionäre in Science und Fiction
Die enge Liaison, die Science und Fiction seit den 1920er Jahren eingingen, findet in beiden Bereichen konstruktiven Niederschlag: Nach den Erfolgen von Oberth und Hohmann auf dem Büchermarkt ließen Science Fiction Schriftsteller ihre Werke von den Ingenieuren begutachten und die Physiker und Ingenieure suchten ihrerseits in den Populärmedien Visualisierungen und Ausdrucksmöglichkeiten ihrer Ideen. z. B. heißt es in [1, S. XIV], dass der Schriftsteller “Otto W. Gail bedauerte, `. . . das Werk nicht eher gekannt zu haben. . . ‘ und Hohmann seinen Roman zur Stellungnahme schickte. Und analog wurde die USamerikanische Serie StarTrek, die nun bereits seit vier Dekaden eine gigantische Fangemeinde aufbaut, nicht nur von Wissenschaftlern beraten, um die technischen und astrophysikalischen Gegenstände korrekt darzustellen. Darüber hinaus ließ es sich der berühmteste lebende Astrophysiker, Steven Hawking, nicht nehmen, sogar vor der Kamera mitzuwirken, was aus Sicht des Publikums der Serie höhere Seriosität zuspricht. Für StarTrek-Fans erschien nach jahrzehntelangem Erfolg der Serie ein Buch mit dem Titel Die Technik der Enterprise, das zeigt, dass auch hier jedes Detail sorgfältig durchdacht ist. [Vgl.: Rick Sternbach, Michael Okuda: Star Trek. Die Technik der U. S. S. Enterprise. Das offizielle Handbuch, Heel; Nachdruck 2005] Umgekehrt verwenden verschiedene Physiker (z.B.: Metin Tolan, Hanns Ruder) Sequenzen aus dem televisionären StarTrek-Universum zur Visualisierung in populärwissenschaftlichen Vorträgen und besprechen sie zusammen mit eigenen Visualisierungen. [9]
Den Auftakt zu diesem “Tango“ bildete Oberths [Rakete] von 1923. Die bescheidene Einleitung und die anschließende ca. achtzigseitige genaue rechnerische Diskussion der Raketendüse in Kapitel I können es nicht gewesen sein, die in Gelehrtenkreisen damals utopisch erschienen. Das gesamte Kap. II widmet der Autor jedoch der Diskussion einer Rakete, die einen Menschen ins All trägt und der Humanverträglichkeit dieses Unterfangens. Die daran (folgerichtig) anknüpfenden Ansichten über “Zweck und Aussichten“ in Teil III des Büchleins müssen sich damals tatsächlich wie Science Fiction angehört haben, wenngleich sie uns heute beinahe banal erscheinen mögen.
4.2 Die Ausblicke Oberths
Das war es, was seine Gutachter erst so erboste, dass sie seine Arbeit “als nicht wissenschaftlich genug” abstempelten [btw: haben wir das nicht gerade kürzlich diskutiert gehabt?]. Für uns klingt das heute absurd, denn die meisten Visionen sind inzwischen realisiert. In (§ 17) über die Anwendungsmöglichkeiten seiner Ideen zählt Oberth die folgenden Ideen auf:
Experimente im luftleeren Raum und in Schwerelosigkeit Genau dies ist heute tatsächlich der Schwerpunkt der Raumfahrt: Astronauten und Kosmonauten arbeiten in der ISS und im SpaceShuttle an Langzeitexperimenten mit der Schwerelosigkeit. Auf der Erde werden in Parabelflügen und Falltürmen ähnliche Bedingungen und sekundenweise realisiert.
Experimente mit kondensierter Materie nahe dem absoluten Nullpunkt und zwar unterhalb der Erstarrungstemperatur des kältesten irdischen Kühlmittels, Helium, zwecks der Beobachtung des Verhaltens von Elektronen. Hier greift Oberth in der Geburtsstunde der Quantenmechanik ein damals sehr brisantes Forschungsthema auf. Solche Versuche sind tatsächlich von größtem Interesse, werden allerdings kaum im Weltraum, sondern in irdischen Labors realisiert.
astronomische Beobachtungen
1. mit Fernrohren in jeder Größe, “da die Sterne nicht flimmern“: Das 1990 gestartete Hubble Space Telescope (HST) brachte tatsächlich in vielen Bereichen der Astrophysik enorme Fortschritte.
2. in allen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums: Satellitenteleskope im UV- und Röntgenbereich, die bereits in den 1960er Jahren gestartet wurden, ermöglichten der Stellarphysik wahrhaftige Durchbrüche.
3. in der Nähe der Sonne, da der Himmel schwarz sei und man nur ihre Scheibe abdecken müsse: Er schrieb dies wenige Jahre nach der ersten erfolgreichen Messung der Lichtablenkung am Sonnenrand durch die Sonnenfinsternisexpedition 1919 von Sir Arthur Eddington, die einen Beweis für die neue nicht-newtonische Gravitationslehre der Allgemeinen Relativitätstheorie lieferte.
Mondfahrt: “Endlich könnte eine Rakete bei v1 = 11 km/sec Anfangsgeschwindigkeit um den Mond fahren und die unbekannte Hemisphäre erforschen.“
Oberth und der Mond. Selbstverständlich ist der Erdtrabant als unser nächster Himmelskörper das erste Ziel der Raumfahrtgedanken. Als Hermann Oberth im Anhang seiner [Rakete] die Unabhängigkeit seiner Überlegungen von den Experimenten Goddards deklariert, kann er sich nicht zu erwähnen verkneifen, “dass Goddard an die Entsendung einer (. . . ) Rakete nach dem Monde gedacht hat.“ In der Öffentlichkeit ist das realistische Interesse jedoch verhalten. Noch 1927 mussten wissenschaftliche Vorträge des Schriftstellers Otto W. Gail zu seinem Roman Der Stein vom Mond in Köln und Essen abgesagt werden, da die Kölner Stadtverwaltung mit der Meinung, dass “es sich nur um einen humoristischen Abend handeln könne. . .” ([1], S. XIV) volle Vergnügunggsteuer verlangte, die durch das kleine zu erwartende Publikum nicht hätten eingespielt werden können.
Erst der Kinofilm von Fritz Lang verhalf der Reise zum Mond nach den Plänen des Ingenieurs zum Durchbruch in der öffentlichkeit. Die “Frau im Mond“ war lange Zeit ein wichtiges Leitmotiv der friedlichen Raumfahrt, wie sie Oberth intendierte: “Da nun ein solcher . . . auch hohen strategischen Wert haben könnte (man könnte damit . . . den größten Schaden anrichten), wäre es sogar nicht einmal ausgeschlossen, daß einer der Kulturstaaten bereits in absehbarer Zeit an die Ausführung dieser Erfindung geht, zumal sich auch im Frieden ein großer Teil des angelegten Kapitals verzinsen lassen dürfte.“ [Rakete, § 17] – so prangt sie beispielsweise auch als Logo auf den Raketen aus Peenemünde, die das Team um Wernher von Braun schließlich im Auftrag des Militärs als Waffe entwickelte: Das Aggregat 4 (A4) flog am 03. 10. 1942 als erstes an die Grenze des Weltraums: Startfreigabe 15:50 – Flughöhe 84.5 km – Flugweite 296 m. Von Goebbels wurde es später als Vergeltungswaffe V2 propagiert. – Für die Techniker aber symbolisierte es die ursprüngliche Vision von der friedlichen Anwendung dieser Technologie. [5]
4.3 Raumfahrt für die Erde!
Des Weiteren beschreibt Oberth seine Vision von Flugkörpern, die um die Erde kreisen (“wir wollen sie lieber Beobachtungsstation nennen“, [Rakete, S. 86]) und von kleineren Raketen versorgt werden. Auch hier verhehlt er seine Intention von Menschen im Weltraum nicht, denn er schlägt vor, zwei solcher Flugkörper mit einem Drahtseil verbunden umeinander rotieren zu lassen, falls sich die Schwerelosigkeit auf lange Sicht widererwartend doch als schädlich herausstellen sollte. Diese Idee ist bis heute nicht realisiert worden, wurde aber von zahlreichen Science Fiction Machern aufgegriffen. Ein Beispiel ist die (kardassianische) Raumstation Deep Space 9 in Roddenberrys StarTrek (1993), die frühe Stationspläne der NASA visualisiert. Durch die Rotation soll vermittels der Zentrifugalkraft in der Station der Eindruck von Schwerkraft erzeugt werden.
Der Zweck einer von Raumstation bestehe nach Oberth im Wesentlichen in drei Punkten:
1. der Erdbeobachtung zum Zwecke von Forschung, z. B. in Erd- und Völkerkunde, zur Funkanbindung abgelegener und abgeschnittener Orte. Diese Idee wird in [6] erweitert ausgeführt. Der für „2001 – Odyssee im Weltraum“ berühmte Science Fiction Autor Clarke prognostiziert hier flächendeckende Radio-, Telefonie- und TV-Versorgung durch geostationäre Satelliten. Daher wird diese Bahn nach ihm liebevoll Clarke-Orbit genannt, obgleich er sie mit seiner Abschätzung nach dem Keplerschen Gesetz 16% höher als den heute tatsächlich verwendeten Orbit berechnete. Bei Oberth liest man weiter über Beobachtung von Kriegsschauplätzen und in der Schifffahrt zur Orientierung, Eisbergwarnung (Er verweist auf das Unglück der Titanic 1912.) und Rettung von Schiffbrüchigen. In der Vorstellung des Amerikaners handelte es sich allerdings um eine unbemenschte Experimentalrakete, die ihr Aufschlagen durch ein Feuerwerk kundtun sollte: Calculation of minimum mass required to raise one pound to an infinite altitude: The only reliable procedure would be to send the smalles mass of ash powder possible to the dark surface of the moon when in conjunction (. . . ), in such a way that it would be ignited on impact. The light would then be visible in a powerful telescope.” [2, S. 55]
2. zum Aufbau eines Spiegels in der Umlaufbahn, um hohe polare Breiten mit Licht zu versorgen, die sibirischen Häfen eisfrei zu “brennen“ und in unseren Breiten die Ernten vor plötzlichen Wetterumschlägen zu retten (Diese Idee wird wohl (hoffentlich!) nicht so schnell realisiert, denn die Folgen solcher (Lokal gut gemeinter) Klimabeeinflussung wären nicht überschaubar, aber in jedem Fall global gravierend!). Zur Montage des gigantischen Spiegels schlägt er vor, ihn in Einzelteilen heraufzubringen – genau so, wie es derzeit mit der ISS realisiert wird.
3. einer Art kosmischen Tankstelle zur Vorbereitung von Flügen zu fernen Planeten: Wie in einem Raumdock sollen hier die Fahrzeuge zu anderen Planeten konstruiert werden, denn “[w]enn die Rakete niemals durch eine Atmosphäre dringt oder Andruck ausgesetzt werden soll, so liegt auch ihre Form und Festigkeit ganz in unserem Belieben. (. . . )“ Etwas weniger trocken malt Valier diese Zukunft: “Noch viel günstiger als unser Mond wäre als Umstieg- und Tankstation theoretisch ein winzig kleiner Mond, dessen eigene Anziehungskraft praktisch keine Rolle mehr spielt. Ein solcher dürfte auch vorteilhafter etwas näher bei unserer Erde kreisen. Liefe er z. B. in 7.04 Erdradien oder 44 000 km Abstand um, so würde er die Erde umkreisen und über einer bestimmten Stadt (Hier trägt also bereits Valier, 1928 (wenn nicht sogar bereits in früheren Auflagen) – also mindestens 17 Jahre vor Clarke! – die Idee der geostationären Satelliten vor. Während der Orbitradius bei Clarke 16% über dem heutigen liegt, ist er bei Valier allerdings 22% Abweichung vom verwendeten Wert. [6], [Valier]) dauernd im Scheitel stehen. (. . . ) Nun haben wir allerdings keinen derartigen Kleinmond, während der Planet Mars auf das glänzendste durch Phobos und Deimos versorgt ist. Aber man könnte daran denken, einen solchen künstlich zu schaffen, . . .“ [Valier, S. 27 f.]
Dieser Punkt ist bisher in realitas noch nicht gegeben, wenngleich die Science Fiction natürlich schon längst davon Gebrauch macht: Das Raumschiff Enterprise aus StarTrek wäre weder unter Gravitation stabil noch von der Erde aus startbar. Wie es gedacht ist – konstruiert im Weltraum -, sieht man z.B. im Kinofilm StarTrek 1 als die neue Enterprise gerade zu ihrem Jungfernflug aufbricht; ein paar weitere schöne Einstellungen finden sich am Beginn von StarTrek 3, nachdem die alte Besatzung ihr Schiff “stiehlt“ und damit zur Suche nach Mr. Spock aufbricht.
Es ist nicht unrealistisch, dass der Fleiß moderner Ingenieure auch der letztgenannten Vision Oberths zur Performanz verhelfen wird. Die Science Fiction hat es ja schon gezeigt und laut Hasso Plattners Entwicklungsmodell des Design Thinking dürfte die verfilmte Utopie ein gelungene Art des Prototypings sein. Nach dem Erfolg der Mondfahrt – vom Traum Keplers und der Vision Oberths und über den Kinofilm zur Realität der Jahre 1969 bis 1972 – wäre es nicht das erste Mal, dass nach einer Television Zukunft gestaltet wird!
Der ganze Film
https://www.youtube.com/watch?v=91e8f7uYAPo
Literatur
[Rakete] Hermann Oberth: Die Rakete zu den Planetenräumen, 2. Auflage, Verlag Oldenburg, München und Berlin, 1925
[Frau im Mond] Frau im Mond, Regie: Fritz Lang, Buch: Thea von Harbou, Ufa-Produktion, 1929
[W. Hohmann, 1924] Walter Hohmann: Die Erreichbarkeit der Himmelskörper: Untersuchungen über das Raumfahrtproblem, 1. Auflage, Verlag R. Oldenburg, München Wien, 1925; in: ergänzter Nachdruck; Herausgegeben durch das Konservatorium Der Mensch und der Weltraum e. V., 3. Aufl., R.Oldenburg Graphische Betriebe GmbH, München 1994
[Valier] Max Valier: Raketenfahrt, 5. Auflage von “Der Vorstoß in den Weltraum“ – Eine technische Möglichkeit, Verlag Oldenburg, 1928
[1] Marga Hohmann: Biographische Daten zum Leben und Wirken von Walter Hohmann; in: ergänzter Nachdruck; Herausgegeben durch das Konservatorium Der Mensch und der Weltraum e. V., 3. Aufl., R.Oldenburg Graphische Betriebe GmbH, München 1994
[2] Goddard: A Method of Reaching extreme altitudes, Smithsonian Institution, Massachusettes, City of Washington 1919 in: Smithsonian Miscellaneous Collection, Vol. 71, Number 2
[3] Beyer, Friedemann: Ein Film macht Technikgeschichte: Fritz Langs Frau im Mond (1929), in: 8. Tag der Raumfahrt-Geschichte (26.6.2004): Tagungsband. Feucht bei Nürnberg 2004, 178-96.
[4] Friedemann Beyer: Die Erfindung des Countdowns, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. 10. 2004, Nr. 240, S. 37
[5] Es begann in Peenemünde, Dokumentarfilm für das Historisch-Technische Informations-Zentrum Peenemünde, Studio Pierer, Hamburg
[6] Arthur C. Clarke: Extra-terrestrial Relays – Can Rocket Stations Give World-Wide Radio Coverage?, in: Wireless World, October 1945
[7] Peterchens Mondfahrt, nach dem Buch von Gerdt von Bassewitz (1915), Produktion des Planetariums am Insulaner, Berlin
[8] Johannes Kepler: Kepler’s Somnium: The Dream, or Posthumous Work on Lunar Astronomy, Dover, 2003
[9] Hanns Ruder: Was Einstein noch nicht sehen konnte, Vortrag im Rahmen des Einstein-Jahres oft und an verschiedenen Orten gehalten, 2005 (PDF), verschiedene Visualisierungen auf den Webseiten von Prof. Dr. Ute Kraus: tempolimit-lichtgeschwindigkeit.de
Gimmick: “Raumpatrouille Orion – Rücksturz in Kino”, ein neuer Zusammenschnitt (200();
und vergessen Sie nicht: “Alles wird galaktisch gut”
Nur ganz kurz
ein Dankeschön für diese gewohnt detaillierte wie kenntnisreiche Rückschau, wieder ein Highlight in diesem Inhaltsverbund.
BTW, haben Sie sich mal mit der sogenannten Technischen SciFi beschäftigt, meist amerikanischer Bauart, die besonders in den Sechzigern vglw. präsent war?
MFG
Dr. W
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