Planetarische (Welt)Geschichte

Das Wunder von Jena ist die Spitze einer langen Entwicklung. Am Fin-de-Siècle gab es ein regelrechtes Ausstellungsfieber. Gerade die Weltausstellungen in Europa und den USA wollten die Welt zeigen – und mithin auch Modelle der Welt, riesige Globen. So gab es 1851 auf der allerersten Weltausstellung (organisiert durch den technikbegeisterten Prinzgemahl Albert von Sachsen-Coburg und Gotha der Queen Victoria, der also nicht weit von Jena aufwuchs) einen gigantischen Globus in London: Mit einem Durchmesser von etwa 18 m war er etwa so groß wie heute ein Zeiss-Großplanetarium oder ein Asis-Panorama. Es gab eine Galerie mit kleineren Globen und Karten sowie unterhaltsame Vorträge und andere Edutainment-Angebote des Erbauers: des renommierten Geographen James Wyld. Während man die Treppen erklomm, konnte man in der Innenwand des Globus eine Reliefkarte der Erde (falsch herum gekrümmt) betrachten. 

Der Globus stand nicht auf dem Ausstellungsgelände der Weltausstellung, sondern am Leicester-Square in London, denn er war zwar zeitgleich mit dieser aufgestellt worden, sollte sie aber um 10 Jahre überdauern. Es gab von Anfang an einen auf 10 Jahre befristeten Vertrag seiner Aufstellung. 

Wyld Globus 1851-1862 (public domain)

Grand Globe Céleste (Cosmorama)

Das Konzept von Weltausstellungen wurde von London rasch in alle Welt kopiert. Auf der Weltausstellung 1900 in Paris gab es einen Riesenglobus direkt neben dem Eiffelturm (der selbst erst 11 Jahre alt war und zur vorherigen Pariser Weltausstellung errichtet worden war). Während man in London ursprünglich die Erde, ihre Tiere, Pflanzen und (für Londoner) exotischen Menschen zeigen wollte, ging der Pariser Globus ein Stück weiter: Außen auf der riesigen Kugel war ein Sternbilderhimmel aufgemalt, innen eine Sternkarte und die 45 m durchmessende Kugel (doppelt so groß wie ein Zeiss-Großplanetarium!) konnte von außen in einem überdachten Wandelgang umschritten werden. Er war von dem französischen Architekten Albert Galeron entworfen und umgesetzt worden. 

Galeron-Globus Paris 1900

Eine Schnittzeichnung dieses Pariser Globus demonstriert, dass auch hier eine Treppe in der Mitte war, mit der man einen innen aufgestellten Erdglobus betrachten konnte – aber dieser befand sich in einen künstlichen Sternhimmel eingebettet: “la terre dans l’universe” war die Beschriftung und die Innenansicht des Sternhimmels hieß “Cosmorama” (wie der letzte hantelförmige Projektor von Zeiss). 

Der Globus stand nur für den Sommer der Ausstellung, war dort aber eine Attraktion, die gern auf Postkarten abgebildet wurde. Die französische Nationalbibliothek hat ein Video erstellt: 

BNF (siehe auch: Gallica Blog): was hier sicher falsch ist, sind die geodätisch”geraden” Sternketten

Das Patent für Kuppeln

Bereits im Rahmen der Revolutionsarchitektur ein Jahrhundert zuvor hatte es in Paris mehrere Architekten gegeben, die sphärische Bauten vorschlugen. Der Cénotaph à Newton, den Etienne Louis Boullée entworfen hatte, wirkt wie ein Zwischenschritt zwischen dem Weigelschen Pancosmus (1697), bei dem die Sterne mit Tageslicht in Löchern der Kugel performt wurden und dem gigantischen Grand Globe Céleste der Exposition Universelle 1900.  

Entwürfe von Boullée, Komposition by SMH

Derlei Gebäude waren damals nicht realisierbar: vor allem, weil es in den 1790ern keine Bautechnik gab, die ein kugelförmiges Gewölbe tragen konnte. Kirchenkuppeln hatten in Byzanz nur Kugelkappen, ägyptische Gräber sind halbzylindrisch und die spitze Rippenkuppel des Doms zu Florenz hatte in der Renaissance neue Maßstäbe gesetzt. Ein Gebäude mit innen und außen komplett glatter Kugelform, das vielleicht sogar als Ganzes eine Kugelform (oder Halbkugel) bildet, ließ sich aber nicht realisieren. Darauf hat tatsächlich der Zeiss-Ingenieur Walther Bauersfeld das Patent (gehabt). Erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gelang Buckminster-Fuller etwas ähnliches, aber die Firma Zeiss war hier ein halbes Jahrhundert schneller!

Vorgeschichte

Das besondere an all diesen Darstellungen ist, dass sie realistisch den Sternhimmel zu zeigen suchen, wie er sich dem Auge darbietet. Die Sterne wurden so zueinander angeordnet, dass Kundige die Sternbilder wieder erkennen können. Das ist deshalb so sensationell, weil ältere Darstellungen von Sternhimmeln (meist für sakrale Zwecke) die Sterne nur symbolisch in Linien und anderen regelmäßigen Mustern anordneten. Ägyptische Grabkammern ebenso wie Kirchengewölbe zeigen den Sternhimmel als symbolische Form, weil es sich hier um keine edukativen Medien handelt, sondern um Repräsentationen des Ewigen und Göttlichen. Beispiele unten: 

symbolischer Sternhimmel über einem der orthodoxen Altäre in der Grabeskirche in Jerusalem
Die Hauptkuppel der Grabeskirche in Jerusalem ist zwar mit einem symbolischen Sternhimmel verziert, aber diese Aufnahme des Lichtscheins am Ostersonntag (röm.-kath.) zeigt eindrucksvoll den sakralen Charakter.

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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