Plötzlich Prinzessin – Weltraumausrüstungen in Ost und West, in Science & Fiction

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

Im März war ich im historischen Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan und im April dokumentierte ich eine marsianische Eishöhlenmission des österreichischen Raumanzugs Aouda. Jetzt habe ich diese beiden Ereignisse noch einmal doku-filmisch aufbereitet und verschiedene Vergleiche von Raumanzügen, Raketen und Kapseln, von Science und Fiction angestellt:

Sehen Sie hier eine etwa zehnminütige Doku über den Anzug “Aouda” als Interview mit FlightDirector Alex und SuitTester Daniel beim Pressetermin am Sa, dem 28.4.: 

Plötzlich Prinzessin (*)

Also, von den Amis weiß man, dass sie Astronautenanzüge machen können und Menschen darin überleben – und von den Russen weiß man das auch. Aber die Österreicher??? Können die das wirklich? Ok, klar, man fliegt ja hier noch nicht in den Weltraum, sondern stapft “nur” durch Eishöhlen, aber auch das ist gefährlich. So ein Anzug,

  • der den Insassen quasinach außen hin durch den Krach von Lüfterventilatoren und anderem taub macht; 
  • der seinen Insassen künstlich mit sauerstoffreicher Zuluft versorgen muss und dafür die CO_2-reiche Abluft künstlich abführen muss
  • der sein Gesichtsfeld durch seine riesigen Ausmaße sehr einschränkt [ich meine, ich kann durchaus noch als schlank durchgehen – zumindest sehe ich normalerweise meine Füße, ohne mich bücken zu müssen … im Anzug sehe ich sie gar nicht, denn ich kann mich nicht hinreichend weit bücken]
  • der 45 kg wiegt und die motorischen Fähigkeiten durch Gewichte und Gummibänder weiterhin einschränkt
  • der auch alle anderen lebenserhaltenden Bedürfnisse während der Arbeit im Anzug befriedigen muss: der Insasse muss essen, trinken und auf Klo gehen können … 

Derartige Zweifel treiben natürlich auch die Entwickler ständig um und so wurde die Münchener Firma Techcos damit beauftragt, den Raumanzug auf menschensicher zu überprüfen. Dabei wurde weniger die Weltraumtauglichkeit geprüft, denn so weit ist es noch nicht. Aber es wurde geprüft, ob man in dieses hermetisch fast abgeschlossene System einen Menschen hineinschnüren darf und ob man es auch unter den abwechselnden Klimaten von Eishöhlen in Mitteleuropa und der marokkanischen Sahara tun darf. Die Entwickler loben die Tester sehr, da sie sogar Dinge geprüft haben, auf die man selbst gar nicht gekommen sei, sagt Gernot Grömer (ÖWF). Abschließend wurde der Aouda aber ein Sicherheitszertifikat ausgestellt. Sie hatte alle Tests mit Bravur bestanden!

Die Aouda nun quasi “TÜV”-geprüft.

Trotzdem verlässt man sich nicht einfach auf diesen Erfolg, sondern arbeitet und forscht zielstrebig weiter. Ein medizinisches Team von Forschern experimentiert mit dem Insassen des Anzugs und überwacht Daniel während seiner Arbeiten in der Höhle. Natürlich – wir haben’s im Film gehört – sind auch stets Sanitäter dabei und die Lage wird stets gesichert: “Safety muss bleiben”.

Sogar an die Schneeketten wurde gedacht! Man kann sich, wie gesagt, nicht leichtfüßig auf unbekanntem Mars-Terrain so bewegen wie auf der Erde. Der Tester bekommt deshalb Schneeketten an die Stiefel – ihre sagenhaft harten Metallspitzen hört man auf dem steinigen Boden vor der Höhle silberhell scheppern. “Klingklking, der Anzug kommt” … als wenn man es nicht schon durch das Heulen der Lüfter bemerkt hätte. Es ist schon ein komisches Geräusch von diesem 100 kg-Koloss (Anzug pus Mensch).

Also, nun nochmal langsam, zum mitlesen:

Der Anzugtester zieht zuerst einen Unterwäsche an. Richtige Unterwäsche von Kosmonauten ist ein Korsette aus Schläuchen, die für die Versorgung des Menschen im Anzug dienen und zur Entsorgung seiner Abfälle. So einen Anzug habe ich in Baikonur an der International Space School an der Wand hängen sehen (Foto: F. Dreithaler).

Die Unterwäsche unserer österreichischen Kollegen ist schwarz, aber nicht minder mit Schläuchen durchzogen und mit zahlreichen Haken bestückt, um diverse Teile der Oberbekleidung daran zu befestigen (siehe Foto links von Frank Dreithaler). Außerdem enthält sie zahlreiche Gummizüge, die die Bewegung erschweren.

Ich trug dabei ein “Ersatzhemd” der Unterwäsche, als ich mich darauf vorbereite, den Anzug nun selbst übergestülpt zu bekommen.

Die Handschuhe sind ebenfalls dreilagig: Erst zieht man einen weißen Stoffhandschuh an (den ich hier aus Zeitgründen weggelassen haben). Darüber kommt ein “Borg”handschuh mit zahlreichen Drähten für die Sensoren an den Fingerspitzen und Anschlüssen. Der sieht ungefähr aus wie meine Fahrradhandschuhe daheim.

Darüber schließlich kommen dann die Silberlinge, die vorher schon neben Schneehügeln im Schatten auf ihren Gebrauch warten. Die zwei oberen Lagen der Handschuhe können aber erst angzogen werden, nachdem der eigentliche Oberanzug sitzt. Dazu erforderte es bei mir allein drei Anläufe … natürlich, … es musste ja schnell gehen.

Also, zuerst einmal hinknien und Arme hoch! Dann heben zwei Helferlinge den schweren Anzug von seinem Podest, auf dem er auf seinen Träger wartet.

Es ist gar nicht so einfach, den richtigen Eingang für jeden Arm zu finden. Schließlich gibt’s da ein Kunststoff-Schulterpolster wie bei einem Rucksack und einen Arme-Abspreizer in den Achselhöhlen. Begleitet werden die Arme von zahlreichen Kabeln und Schläuchen … Da muss sich die Prinzessin öfter mal von einer Kammerzofe unter den “Rock” fassen lassen, damit die zahlreichen Utensilien in dem Anzug auch richtig sortiert sind.

Ein echter Raumfahrer müsste sich in einem solchen Anzug in eine Raumkapsel quetschen. In Baikonur haben wir eine solche (ausgediente) Kapsel in der Schule stehen sehen und von innen fotografiert. Leider war natürlich ausgerechnet an jenem Nachmittag meine Speicherkarte irgendwann voll und ich greife hier auf Fotos von Kollegen zurück:

[Fotos von Arndt Latußeck]

Die Hartschale unten links, die hier gerade noch im Bild ist, wird von dem Raumfahrenden besetzt. Man kriegt auf dem Bild, das von der Luke aus aufgenommen wurde, einen Eindruck von der Enge in diesem echten Raumschiff, in dem zwei bis drei Insassen Platz finden. Unten ist nochmal zu sehen, wie das mit einem Insassen aussehen würde:

 

Russische Jugendliche im Kosmonautensitz 

beim SpaceCamp für Jugendliche

in Novosibirsk, Frühjahr 2010. 

 

Nach einem sehr langen Flug wäre man dann vllt irgendwann beim Mars angekommen. Dann würde man dort aussteigen, herumspazieren und vielleicht tatsächlich auf Eishöhlen stoßen und dann Bilder wie diese hier sehen: Die Prinzessin (Aouda mit Daniel) steigt die Stufen herab und kommt auf die Kamera zu. Zum Vergleich setze ich hier mal das Bild eines russischen Kosmonautenanzugs aus Baikonur daneben:

Bis auf die Farbe erkennt man auf den ersten Blick wenige Unterschiede. Dieser (alte) sowjetische (oder schon russische?) Kosmonautenanzug erinnert ein bißchen an frühe Taucheranzüge, wie sie z.B. in der frühen Neuzeit bereits an Bord des schwedischen Schiffes Vasa historisch belegt werden können. Er ist allerdings wirklich ein in sich geschlossenes Lebenserhaltungssystem. Bei genauerer Betrachtung stellt sich Aouda noch nicht ganz so fertig heraus: Die silberfarbene Außenhaut ist quasi nur “drübergelegt” über die HighTec innen, also eine “Tapete”. Sie wird mit Klettverschlüssen z.B. am Tornister befestigt und in sich zusammengehalten. Es ist also wie ein Kleid, das noch nicht fertig zusammengenäht ist, sondern vorerst während der Anprobe beim Schneider nur mit Stecknadeln gehalten wird. Das ist eines der zahlreichen Details, die Flight Director Alex im obigen Video meinte, wenn er sagt, dass der Analogforschungs-Raumanzug noch “nicht dafür gedacht” ist, in den Weltraum zu fliegen.

Also, …

Aouda wird noch nicht gleich das nächste Mal zum Mars fliegen, sondern erst in ferner Zukunft… hofft man. Aber wer weiß: manchmal gehen Träume ja auch in Erfüllugn und manchmal sogar schneller als gedacht. Als Hermann Oberth in den 1920ern am Set den Fritz Lang-Film “Frau im Mond” beriet, hat er sich wohl auch kaum träumen lassen, das schon vierzig Jahr später tatsächlich Menschen zum Mond fliegen würden. 🙂

 

Zur Erinnerung noch einmal unser Raketenstart im März im kasachischen Weltraumbahnhof:

Über den ewigen Tango von Science und Fiction …

… der zu Entwicklungsprozessen dazu gehört wie das Atmen und soziale Kontakte zum Menschsein. Wissenschaft braucht die Inspiration der Phantasie und die Phantasie wird stets beflügelt von neuen Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik. Man kann nicht sagen, dass das eine stets voraus geht und das andere hinterher hinkt. Vielmehr befinden sich beide in einem innigen Tango, einem Tanz umeinander und miteinander, bei der mal die eine und mal der andere die Oberhand hat, aber das Wechselspiel sich stets fortsetzt und keiner je siegt oder verliert.

Der Raketenstart, wie Hermann Oberth ihn sich in den 1920ern vorstellte (Fritz-Lang-Film “Frau im Mond”, 1929):

Wie es in den 60ern wirklich aussah (hier der Start zur ersten Mondumkreisung, Apollo 8):

Und der Start des ersten Menschen ins All erfolgte mit einer Soyuz-Rakete. So wie in diesem movielet hob Yuri Gagarin, der erste Mensch, 1961 vom kasachischen Kosmodrom ab: 

Und wenn man sich das mal historisch anschaut, wird man feststellen, dass das mit der “Mars-Analogforschung” gar nicht so dumm ist. Vielleicht werden in hundert Jahren die Menschen auch über uns schmunzeln, was wir uns alles vorgestellt haben – so, wie wir heute retrospektiv über die Vorstellungen einer Mondlandung von 1929 schmunzeln:

H. Oberth dachte damals, dass der Mond auf der erd-zugewandten Seite (wie auch immer das gehen mag) eine Atmosphäre habe und dass man aufgrund der freilich vorhandenen Gravitation durchaus dort normal laufen können müsse. … Er hat das sicher nie genau nachgerechnet, denn er dachte auch, dass Schwerelosigkeit auf dem Weg zum Mond in der Rakete nur im Lagrange-Punkt zwischen Mond und Erde herrsche, also dort, wo sich die Anziehungskräfte von Mond und Erde gerade die Waage halten. Von der Mikrograviation sonst auf dem Weg hat er nichts gewusst.

[verfilmt bei Fritz Lang: man sehe sich den von der Murnau-Stiftung sehr gut rekonstruierten Film an]

… und der Vollständigkeit halber nochmals hier das bekannte Originalvideo der tatsächlichen Mondlandung von 1969:

Ist doch gar nicht so weit weg von der Fiction der 1920er, diese Science der 1960er. 🙂

Als Historikerin denke ich vorausschauend, dass es mit dem Mars so ähnlich gehen wird. Vielleicht nicht ganz so schnell wie im 20. Jahrhundert, weil das von der Politik und der Wirtschaft abhängt und von den menschlichen Vertretern, die diese bestimmen, abhängt und diese sich nicht vorhersagen lassen. Dass es aber “ungefähr so” kommen wird, ist aus historischer Sicht auf die Zukunft absolut logisch und nahezu unausweichlich. Wir Menschen sind einfach so. 🙂

 


Das Team vom ÖWF am Dachstein …

tolle Truppe! 🙂

Schöne Zeit mit Euch und vielen Dank!

NACHTRAG vom 31.12.2012 – TIME-Magazin kürte “ungewöhnlichstes Foto des Jahres”


 

PS: Ja, dieses Wochenende war ITV … und ich war wiedermal nicht dabei. Sorry, aber derzeit hab ich leider echt keine Nerven dafür: zwei Wochen vor dem Venustransit (zu dem ich ein großes eigenes Projekt habe). Wünscht mir viel Erfolg dabei … bzw nur sekundär mir, sondern meinen Jugendgruppen und ihren Betreuern

 

 

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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