Indonesien: Land der Vielfalt – Erlebnisbericht
Als Astronomin einmal an einer juristischen Fakultät zu arbeiten: Das hatte ich beim besten Willen nicht erwartet, als ich damals mein Studium begann. In unserer akademischen Kultur war ich stets bestrebt, mich möglichst breit aufzustellen und an zwei Fakultäten zuhause zu sein, nämlich der math.-nat. Fak. für die Physik und der geistenswissenschaftlichen für manche Richtungen der Wissenschaftsgeschichte. (Ich gebe zu, dass mir der Denkstil der ersteren näher liegt – aber die Leute an der zweiten können besser reden, was ich für mich (charakterlich eher still) als Entwicklungspotential sah und zu lernen bestrebt war/ bin. [Das sind natürlich sehr grobe Pauschalisierungen, aber ich lasse das mal als These stehen.]) Diese beiden Richtungen, in denen ich mich zweigleisig zu schulen und zu entwickeln bestrebt war und bin, fand ich schon schwierig genug zu vereinbaren. Aber nun führte mich ein Gastaufenthalt in eine andere Kultur, die dieses faszinierende Fach (Astronomie) nochmals exotischer macht: In Indonesien wirkte ich an einer Fakultät für Scharia und bürgerliches Recht.
Der Inselstaat Indonesien, der aus vielen Eilanden zwischen dem südostasiatischem Kontinent und Australien besteht, eignete sich historisch sehr gut für verschiedenen kulturelle Entwicklungen auf den diversen Inseln. So gibt es viele verschiedene Traditionen, verschiedene Religionen und eine große Vielfalt in allen Lebensbereichen. Das drückt sich u.a. auch darin aus, dass auf den Straßen etwa jeder macht, was er will und Polizei und Justiz im Fall von Missgeschicken/ Unfällen in der Regel nicht herangezogen werden.
Eine Beobachtung im Alltag
Einmal saß ich zum Mittagessen in einem Straßenbistro. Ein LKW, der Ware für ein dahinter liegendes Haus brachte, hatte beim Einparken in die enge Gasse natürlich Probleme. Leider wurde das Sonnendach des Bistros beim Rückwärtsfahren von der Ladefläche des LKWs erfasst und beschädigt. Im Grunde kein großes Ding, denn der LKW war sehr langsam gefahren worden und der Fahrer hatte auch sofort gestoppt.
Aber als Europäerin wusste ich: In Deutschland und Österreich würde jetzt ein großes Geschrei losgehen, der Besitzer des Bistros herauslaufen und zetern, die beiden Beteiligten ihre Versicherungsnummern austauschen, auf die Polizei gewartet, die den Unfall aufnimmt …
Zu meiner Überraschung geschah hier nichts von alledem: Die Betreiber des Bistros standen weiter ruhig im Laden und kümmerten sich um ihre Gäste. Die Fahrer des LKWs fuhren nochmal kurz raus, lenkten korrekter ein und — fuhren nicht etwa in die Gasse, sondern so weit, dass man auf die Ladefläche klettern und von da aus bequem die Markise reparieren konnte. Dann hatte sie zwar hinterher eine leichte Delle, aber sie funktionierte wieder und mehr wollte doch keiner. Dann setzte der LKW seinen eigentlichen Weg fort und kein Hahn krähte mehr danach.
Mein Kollege, ein Soziologe, erklärte mir “ja, wir meiden hier die Polizei”. Und jegliche juristische Auseinandersetzung sowieso. Es hat private Gründe, dass mich dies besonders beeindruckte – dieser Zweckpragmatismus gefällt mir: Wichtig ist doch bei einem Schaden, dass er reguliert wird, also dass der Geschädigte eine Genugtuung bekommt, d.h. sein Schaden behoben wird. Das wurde ganz selbstverständlich und unkompliziert bewerkstelligt, ein ungeschriebenes Gesetz, weil es so klar ist, dass es nicht nötig ist, es aufzuschreiben oder auf Geschriebenes zu pochen. Faszinierend, dass es funktioniert!
Juristische Fakultät: Islamisch!
Trotzdem gibt es natürlich ein bürgerliches Gesetzbuch in Indonesien. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was darin steht, denn ich bin ja keine Juristin – aber es gilt in diesem Land und wird von Gerichten angewandt.
In Indonesien gibt es Buddhisten, Hindu, Christen, Juden, Muslime und vieles mehr, aber inzwischen ist die überwiegende Anzahl von Menschen islamischer Religion. Daher gibt es neben den konfessionslosen staatlichen Universitäten auch staatliche islamische Universitäten in diesem Land und an solchen werden Juristen nicht nur in bürgerlichem Recht geschult, sondern auch in islamischem Recht, der Schari’a. Eine solche Fakultät suchte gerade einen Astronomen, ich bewarb mich und wurde angenommen.
“Als Frau an einer islamischen Universität???” werden Sie jetzt fragen. Und ich werde Ihnen lächelnd antworten: Warum denn nicht?
(Erstens gibt es auch in der islamischen Welt Frauen, das ist keineswegs ein Randphänomen: die Herren wissen dort genauso wie hier, dass das eine “andere Sorte” Mensch ist, liebenswürdig, aber aus eigener Sicht sonderbar. Das gleiche gilt schließlich auch vice versa.
Zweitens habe ich das doch auch früher schon gemacht: 2007, 2008.)
Während meines Aufenthalts hielt ich Vorträge vor Studierenden vom Studienvorkurs bis zu frisch gebackenen Absolventinnen und Absolventen, vor Dozierenden unserer Fakultät und Gästen von anderen Universitäten des Landes… ich beriet und betreute auch Studierende der Astronomie, u.a. eine Bachelorarbeit eines (männlichen) Kandidaten. Zu keiner Zeit habe ich ein Kopftuch getragen und erntete von den Indonesiern hin und wieder Komplimente zu meiner Frisur (in dem halben Jahr, das eine BA-Arbeit dauert, sind meine Haare ein ganzes Stück gewachsen und mithin änderte sich die Frisur von Kurzhaar zu schulterlang und nicht immer hochgesteckt), was sie als ganz selbstverständlich fanden. In warmem Klima habe ich die Angewohnheit, an meinen Hemden und Blusen den obersten Knopf offen zu lassen und ein kleine Halskette zu tragen: Das fand auch in Indonesien niemand anstößig. Freie Beine hätte man wohl nicht gern gesehen, hatte man mir bei meiner Abreise auf Nachfrage gesagt, aber da ich sowieso bevorzugt lange Hosen trage, musste ich für diesen Wunsch meiner Gastgeber nicht einmal meine Gewohnheiten ändern.
Ich habe mit den Kollegen dort genauso zusammen gearbeitet wie in Europa und Amerika. Es sind die gleichen Sorten von Menschen – manche eitel und großmäulig, manche egoistisch, die meisten aber hilfsbereit, neugierig und umsichtig. Es ist einfach überall auf der Welt das gleiche, egal welche Religion, Hautfarbe, Ethnie etc. Menschen und Menschengruppen “funktionieren” überall gleich.
Warum Astronomie an der juristischen Fakultät?
Islamische Astronomie (oft mit dem arabischen Wort “ilmu falak” bezeichnet) hat als eine der Hauptaufgaben immer noch die Bestimmung des Kalenders. Die erste Sichtbarkeit der jungen Mondsichel nach Neumond bestimmt den Beginn des neuen Monats – und der islamische Kalender ist ja ein Mondkalender. Diese erste Sichtbarkeit kann entweder – wie der Prophet es gemacht hat – durch Beobachtung festgestellt werden oder sie kann durch Berechnung bestimmt werden.
In jedem Fall, wie auch immer die Astronomen das machen, muss diese für Staatsgeschäfte und das öffentliche Leben relevante Entscheidung, dass ein neuer Monat beginnt, nicht nur von einem universitär geschulten Astronomen getroffen werden, sondern auch von Juristen bestätigt werden. Juristen müssen demzufolge auch dermaßen gründlich in Astronomie geschult werden, dass sie verstehen, was die Astronomen – rechnend und beobachtend – tun und ggf. prüfen und Fehler finden können. Daher besteht der Masterstudiengang der Juristen etwa zur Hälfte aus Astronomie-Themen: Mondlauf, sphärische Trigonometrie, Programmierung, Ephemeridenrechnung (natürlich vor allem für den Mond) und anderes. Das studieren die Juristen gemeinsam mit den Astronomen und daher lohnt es sich, beide an derselben Fakultät unterzubringen.
Aus europäischer Sicht ein ungewöhnliches Konstrukt!
Stellenwert der Religion
Noch ungewöhnlicher ist übrigens, dass die Universitäten in Indonesien tatsächlich dem Religionsministerium unterstehen. Nicht also, wie bei uns “Bildung und Forschung”, sondern der Religion. Religion ist für die Asiaten sehr wichtig: Es ist dem Indonesier ziemlich egal, welche Religion man hat und praktiziert – aber, so sagte man mir bei der Vorbesprechung letzteren Jahr in Bonn – Hauptsache, man hat eine. Ganz so gravierend habe ich das nicht erlebt: Zumindest an der Universität, unter den Kolleginnen und Kollegen, die großteils ja auch unsere Kultur kennen, hatte man mich auch mehrfach direkt gefragt, ob ich – wie in Europa üblich – keine Religion hätte. Unter den einfachen Leuten auf dem Markt wäre das aber gewiss unverständlich oder schlimmstenfalls untolerierbar. Jedenfalls wollen sie es wissen. Wie auch immer man antwortet, es ist wirklich egal: Sie wollen es wissen, aber jede Antwort ist “richtig”. Wie überall auf der Welt gibt es auch in Indonesien in der Nähe von Moscheen strikt gläubige Menschen, die allen Nichtmuslimen den Zutritt verwehren wollen und es gibt auch solche, die den Nichtmuslimen die prunkvoll gestalteten Gotteshäuser zeigen möchten… Der Dekan unserer Fakultät hat es sich nicht nehmen lassen, mir persönlich die Große Moschee von Semarang und die Heiligtümer und Königsgräber von Demang zu zeigen. (Und sie hätten es mir krumm genommen, wenn ich meinen DressCode für sie geändert hätte. Alles ist richtig, Hauptsache authentisch und Hauptsache, man ist sich selbst treu.) An einer islamischen Uni ist natürlich die islamische Religion von größerer Priorität. Allerdings wird es auch respektiert, wenn jemand anderer Konfession ist. Indonesien funktioniert so.
Das Land ist sogar dermaßen berühmt für das friedliche Zusammenleben der Religionen, dass eine Delegation der Europäischen Kommission sich in das Land bemühte, um zu lernen, wie es hier funktioniert. Als Europäerin wurde ich natürlich insbesondere darüber befragt, wie es mir hier ergeht. Ruhigen Gewissens konnte ich antworten, dass ich von den Kollegen – wie ich es sowohl von muslimischen als auch orthodox christlichen Gastgebern kenne – quasi mit Diplomatenstatus behandelt werde: Man ist neugierig auf das andere, möchte Brücken bauen und Gemeinsamkeiten sehen, ohne jedoch sich selbst aufzugeben.
In Europa funktioniert das friedliche Zusammenleben m.E. vor allem dadurch, dass man nicht über Religion spricht, denn das Thema hat Fanatismus-Potenzial. Wenn man es zur Privatsache erklärt (wie ich z.B., ich habe das noch nie Kollegen oder Studierende/ Schutzbefohlene gefragt), dann begibt man sich auf neutrale, politisch-korrekte Ebene. Das ist (m)ein Weg.
In Indonesien funktioniert es – für mich erstaunlicherweise – umgekehrt. Man fragt den anderen immer nach der Religion und dann weiß man, woran man ist. Es ist ein persönliches Label – vllt. auch weil dann Handlungsweisen und Verhalten nicht mehr hinterfragt werden müssen, sondern durch das Religionsschema verständlich sind?
Die Subordination der Universitäten zum Religionsministerium trifft mit diesem Hintergrundwissen jedenfalls auch eine Aussage über den Stellenwert von Bildung – und bei genauerer Betrachtung auch unseres Faches. Gerade im Islam ist Bildung sehr hoch angesehen – und daher ist der Abschluss eines Universitätsstudiums an einer islamischen Universität auch etwas oppulent zelebriertes.
Absolventenfeier
Am Ende des akademischen Jahres, im Juli, wird der Campus für einen Tag zum Rummel. Indonesien war dereinst niederländische Kolonie und hat noch heute eine rege Verbindung zu den ehemaligen Herren. Die niederländischen akademischen Kultur kennt noch immer Talare als Insignien der Bildung, aber diese Kultur vermischt sich mit mit lokalem Brauchtum. Besonders auffallend ist das bei den jungen Damen unter den Absolventinnen, die nach islamischem Brauch ihr Haar mit einem farbigen Tuch bedecken, nach asiatischem Brauch glitzernde Krönchen und Spangen tragen sowie Plateauschuhe mit hohen Absätzen. Auf Kopftuch und Zierspangen kommt dann der akademische Hut, den bei uns bestenfalls Doktoren tragen – dort aber für alle Absolventen; sei es Bachelor, Master oder Doktor.
Hierbei stieß ich auf eine weitere Verwirrung: Ich selbst habe ja als niedrigste Qualifizierungsstufe noch zwei „gute alte“ Diplom-Zeugnisse, wie sie in Deutschland früher üblich waren. Deutsche Diplome sind international sehr angesehen, wurden nach mindestens fünfjährigem, meist sehr anspruchsvollem Studium verliehen und überbieten im Ansehen sogar den modernen Master. Das ist in Indonesien allerdings (leider) unverständlich, denn dort ist „Diplom“ der niedrigste Abschluss nach zweijährigem Studium, wenn man noch nicht wirklich etwas kann – im Grunde sogar eine geringere Qualifizierung als der Bachelor. Seltsame Welt! 🙂
In einem mehrstündigen Festakt, bei dem die ganze Universität versammelt war, wurden die Zeugnisse verliehen: nach Fakultäten sortiert, erst die Doktoranden, dann die Masteranden, dann die Bacheloranden, die Diplomanden. Dafür wurde jede Studentin und jeder Student einzeln auf die Bühne gerufen, erhielt vom Vizedekan und vom Dekan die Glückwünsche und die Urkunde sowie das symbolische Umlegen der Hutkordel auf die andere Seite als Zeichen der neuen akademischen Würde. Dieser Teil des Zeremoniells erinnerte mich, ehrlich gesagt, an das christliche Brauchtum von Heiliger Kommunion (jeder tritt einzeln nach vorn und empfängt Hostie und Segen). Die wartende Gemeinde im Audimax (Familie und Kommiliton(inn)en) beobachtet schweigend, teilweise fotografierend das Treiben auf der Bühne. Und (ebenfalls wie katholische Priester) haben die Dekane und Vizedekane auf ihren schwarzen Talaren eine farbige Scherpe, die ihre Fakultätszugehörigkeit kennzeichnet.
Die Zeremonie wird beendet mit einem Dankesgebet, das einer der Eltern als Vorbeter spricht und sie wurde eröffnet mit dem gemeinsamen Singen der Nationalhymne.
Zwischen den Abschnitten des Zeremoniells wird javanesische traditionelle Musik gespielt und Ansagen werden begleitet von einem Helfer mit einer Standarte, der an einen Hofmarschall aus Märchenfilmen erinnert.
Für mich als Mitteleuropäerin, die das Haar offen trägt, im figurbetonten Damenanzug auftritt und weder einen Doktorhut oder Talar besitzt noch jemals an einer Zeugnisübergabe teilgenommen hat… wirkt das Ganze, ehrlich gesagt, recht befremdlich. Die Indonesier sind allerdings stolz auf ihren exotischen Gast und so wird am Abschluss auch den ausländischen Kollegen – zwei Professoren aus Taiwan und meiner Wenigkeit – für unser Beiwohnen gedankt.
Ebenso geordnet wie bei einem katholischen Gottesdienst (zuerst die Dekane, Vizedekane, Professoren, wir akademischen Gäste) prozessieren die akademischen Würdenträger durch die uniformierte Gemeinde nach draußen, wo man sich durch die wartenden weiteren Familienmitglieder der glücklichen Absolventen drängelt. Die gesamten indonesischen Großfamilien sind angereist – aber nur die Eltern dürfen der Zeremonie beiwohnen.
Die Eltern spielen übrigens eine immense Rolle beim Festakt: Am Anfang des Zeremoniells der Zeugnisübergabe werden die Jahrgangsbesten einzeln nach vorn gebeten – und zwar zusammen mit ihren Eltern. Sie stehen dann in zwei Reihen und die Dekane gratulieren den Absolvent(inn)en sowie deren Eltern persönlich per Handschlag! Man erklärt mir, dass es insbesondere für Personen aus einfachen Verhältnissen von großer Bedeutung ist und sie mit großer Ehrfurcht und Glück erfüllt, dass ihre Sprößlinge ein Hochschulstudium abgeschlossen haben. – Die Eltern der Jahrgangsbesten stehen nur exemplarisch vorne, denn alle anwesenden Eltern seien enorm stolz auf ihre Kinder. Auch die Dozenten sind natürlich stolz auf ihre Schutzbefohlenen, die nun einen wichtigen Abschnitt beenden und – wie ich dereinst in einem Seminar gelernt hatte – sind wohl solche feierlichen Abschlüsse wichtig für Menschen. Aber für mein Gefühl wird das in Indonesien überbordend zelebriert.
Während ich das Spektakel beobachte, bekomme ich ein schlechtes Gewissen: Ich habe wohl meine (Diplom- und Doktor)eltern um derlei „emotionalen Abschluss“ gebracht, weil ich bisher immer solche Feierlichkeiten vermied: Ich wollte mich noch nie selbst feiern, sondern freute mich stets über die (per Post zugesandten) Zeugnisse, um mich damit auf höhere Positionen bewerben zu können: Auch in Deutschland ist das universitäre System strikt an Weiterqualifikation gekoppelt, d.h. jedes Zeugnis ist die Eintrittskarte für einen besser bezahlten Job und rückt eine unbefristete Universitätsanstellung näher. Das ist aber das Ziel (die Professur) und nicht das Zeugnis selbst und daher wollte ich darum bisher nie großes Brimborum machen. Das indonesische andere Extrem gab mir zu denken. Braucht vielleicht das Umfeld so etwas? . . . eine Frage für die Soziologie.
Indonesien – das Land.
Indonesien liegt etwa am Äquator, d.h. in tropischem Klima. Die hohen Berge, Vulkane, sind noch aktiv und es gab einen Ausbruch auf Nachbarinsel Bali letzten Sommer. Davon wurde auf Java aber nichts bemerkt. Ein heftiger Tropensturm legte allerdings anderntags auf unserer Insel, Java, teilweise alles lahm.
An den Wochenenden haben mich die Kollegen gerne zu Familienausflügen entführt. Der eine Kollege ist besonders stolz auf seine riesige Familie mit fünf Kindern, greisen Großeltern und eine Schar von Schülern und Studierenden. Der andere hat eine normalgroße Familie mit drei Kindern und wir machen Ausflüge ins Umland. Java ist für den Kaffee berühmt und da ich als Kaffeetrinker bekannt bin, ging es eines Tages auf die nächstgelegene Kaffeeplantage. Riesige Flächen, bebaut mit Kaffeepflanzen und an jeder Kurve des Weges stand ein Schild, auf dem man lernte, wie gesund das braune Gold ist.
Auch Tee wird erfolgreich angebaut und natürlich viele Tropenfrüchte. Man kann aus einer Kokosnuss trinken und exotisches Obst genießen, das dort viel besser schmeckt als bei uns. Bäckereien sind dafür rar – sie wurden von den Niederländern eingeführt, aber die große Brotsortenvielfalt von uns Mitteleuropäern vermisst man dort. Alles ist irgendwie süß, erinnert eher an Kuchen im Geschmack, selbst, wenn es nach Brot aussieht. – Das ist ja auch nicht überraschend, denn Indonesien ist eine asiatische Kultur (war vor den Niederländern auch lange chinesisch), in der viel Reis gegessen wird und eine Art „Chips“ aus Wasser und Mehl.
Auffallend fand ich, dass in Indonesien irgendwie alles grün ist: Auf dem Kampus ist (natürlich) alles grün, da grün die Farbe des Islam ist. Daher hat man auf dem Kampus der islamischen Uni vor einigen Jahren alle Gebäude innen und außen in dieser Farbe gestrichen.
Damit aber nicht genug: Grün hat wohl in der asiatischen Kultur auch die Bedeutung von Gesundheit und Wohlstand. Gute Gründe, um auch Lebensmittel auffallend oft grün einzufärben – sogar dann, wenn es gar nicht deren Natur ist. Bei jeder Art von Versammlung – sei es eine Zeugnisübergabe, eine Rede vor einer Gast-Delegation, eine Vorlesung vor Studierenden oder eine Diskussion mit der EU-Kommission oder eine Fakultätsratssitzung… bekommen alle Anwesenden eine Snackbox mit einem kleinen Getränk, etwas Süßem und etwas Herzhaftem. Egal, was genau drin ist: Es ist meistens grün. 🙂
In der Korrespondenz mit Europa habe ich daher von Semarang oft als “Smaragdstadt” gesprochen, weil eben wie beim “Zauberer von Oz” alles grün ist.
Naja … Das soll’s erstmal gewesen sein an Eindrücken aus einem weiteren faszinierenden Land, in das es mich verschlagen hatte. Jetzt bin ich wieder zurück in Europa, mein indonesischer Bachelor-Student hat seine Arbeit über die Beobachtung der jungen Mondsichel bereits vor einer Weile abgeschlossen und im Februar auch schon verteidigt,… und ich breche zu anderen faszinierenden Abenteuern auf: stets in der Hoffnung, auch einmal etwas zu finden, das “nie ein Mensch zuvor gesehen hat”… (wenn ich mal groß bin 🙂 ).
Sehr interessanter und treffender Artikel über Indonesien. Vielen Dank dafür.
> der akademische Hut, den bei uns bestenfalls Doktoren tragen
Stimmt nicht mehr so ganz, siehe z. B. hier in Potsdam: https://hpi.de/news/jahrgaenge/2017/hpi-absolventenfeier-2017.html
Danke für die Ergänzung. Aber dieses Bild ändert nichts an meiner Aussage. Ich war mal am HPI, habe dort gearbeitet und daher weiß ich, dass das HPI anders “tickt”. Das ist eben keine staatliche Hochschule (im Gegensatz zu der, die ich hier schildere). Kurzzusammenfassung übers HPI: Hasso Plattner wollte eigentlich eine Uni gründen, um gute Leute für Computerkram (vor allem Software-Entwicklung, aber auch alles drum herum wie Management, Hardware, …) exzellent auszubilden. Nun kann man aber in .de nicht so einfach eine Uni gründen (im Gegensatz zu USA, da ist das gang und gäbe, dass Elite-Unis von reichen Leuten gestiftet werden: Harvard z.B. von Herrn Harvard gestiftet, liegt in Cambridge, MA – naja – ca. Boston).
Plattner wollte sowas aus persönlichen biographischen Gründen für Potsdam und daher hat er ein Institut für Lehre und Forschung (das HPI) gegründet. Es arbeitet eng mit am. Unis zus., vor allem Stanford u.a. großen Zentren für Software-ENtwicklung weltweit. Ich hatte oft den Eindruck, dass Stanford (bzw. allg. der am. Stil und Geist) dort auch stets ein wenig durch die jungen Gemäuer schwebt – u.a. drückt sich das auch in den Zeremoniellen und Doktorhüten aus.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich persönlich bin gewiss ein Exot (in vielerlei Hinsicht, z.B. kein einziger Dr-hut trotz Promotion) und auch für europäische Verhältnisse nicht der Maßstab – aber das HPI ist auch kein zulässiger Gegenbeweis gegen die von mir geäußerte Wahrnehmung.
Ich glaube, was ich hier im Wesentlichen sagen wollte: Auch wenn man noch so verschieden ist, kann man trotzdem zusammen forschen, Spaß haben und eine schöne Zeit haben … bzw. im Minimalbeispiel einfach friedlich zusammenleben.
Was meines Erachtens zu wenig herausgearbeitet wurde sind die verschiedenen Formen des Islam, wie er in Indonesien gelebt wird.
Offiziell gilt Aceh als die Provinz mit der strengsten Auslegung des Islam und ist auch die einzige Provinz mit praktizierter Schariah (allerdings typisch indonesisch stark verwässert).
Dann gibt es West Sumatra mit dem Volk der Minangkabau, die als Nr. 2 mit der Auslegung des Islam gelten, bei denen jedoch, wiederum indonesisch verwässert, eine Form des Matriarchats praktiziert wird.
Die Völker auf Java (Sundaneser und Javaner – zusammen ca. 55 % der Indonesier) sind sehr stark hinduistisch beeinflußt (Garuda ist der Vogel des Hindugottes Wischnu, was jedoch niemand davon abhält ihn als Staatswappen zu verwenden sowie die größte Luftlinie danach zu benennen. Theater (nahezu alle Formen des Wayang), Musik (Dangdut!) sind stark hinduistisch bzw. indisch beeinflußt.
Und neben dem Islam gibt es die christlichen Regionen wie Nord Sumatra und Minahasa sowie das hinduistische Bali, dies, wiederum indonesisch verwässert, ohne das Kastenwesen.
Danke für die Ergänzung. Wenden Sie sich für Glaubensfragen bitte an den Kollegen Michael Blume und für umfassend ausgearbeitete Landesbeschreibungen an das Reisebüro Ihres Vertrauens. Vielen Dank!
In meinem Blog schreibe ich, was ich erlebt habe – insbesondere, wenn “Erlebnisbericht” drüber steht – und auch davon selbstverständlich nur Exzerpte.
Diese Blogposts sind eine unbezahlte Freizeitaktivität, die ich zu meiner und Ihrer Unterhaltung betreibe. Wem das nicht passt, der möge bitte einfach weiterklicken. Wem es aber doch recht ist und nur etwas zu ergänzen hat (weil kein Bericht je vollständig sein wird), ist herzlich eingeladen, diese Ergänzungen in Kommentaren einzufügen – aber bitteschön als solche und nicht als Kritik des Gesagten. Danke.