Skorpione in Abend- und Morgendämmerung

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

Abenddämmerung. In äquatornahen Ländern sieht man gerade noch den Schwanzstachel des großen Spinnentieres im Tierkreis über dem Horizont. Seinen Kopf legt er bereits auf die großen gelben Sanddünen der südlichen Sahara als wollte er in sie eintauchen. Augenblicklich steht der Stachel wie ein Pfeil schräg unterhalb des Jupiter, während das Zodiakallicht den Westhimmel erfüllt. Vor einigen Tagen hatte ich morgens Besuch von seinem ca. 10 cm großen irdischen Vorbild: Neben meiner Isomatte hatte er sich in der Stunde des Morgenlichts kurz vor Sonnenaufgang ausgegraben, als wir gerade beim Aufstehen waren. Gut, dass niemand ihn geärgert hatte: Die grünen Skorpione lähmen "nur" für ein paar Tage, das Gift der schwarzen ist tödlich.

Skorpion; Foto: Ulrich KnollAm Himmel wandert demnächst die Sonne in den Skorpion: Ab dem 22. bis zum 25. November zieht sie entlang der Sternbildgrenze von der Waage herüber und weilt dann bis 29.11. in diesem Sternbild. Sie schneidet die Scheren des Skorpion, zumindest das, was davon übrig ist. Eigentlich hatten die alten Griechen das Sternbild ja viel weiter gefasst: die Region, die wir heute Waage nennen, hieß um 150 n. Chr. bei Ptolemäus (im Handbuch der Astronomie, VII. Buch: "Unveränderlichkeit des Fixsternhimmels") noch "Scheren des Skorpion" und die arabischen Sternnamen der Region erinnern daran noch heute.

Am 29.11. überschreitet die Sonne die nächste Sternbildgrenze und wechselt bei rho Ophiuchi in den Schlangenträger, das 13. Sternbild im Tierkreis. Nach einer knappen Woche im Skorpion hält sie sich hier dann bis Mitte Dezember auf. Kurios ist, dass es in der Astrologie kein Sternzeichen "Schlagenträger" gibt, obwohl der entsprechende Ekliptikabschnitt doch viel größer ist als das des Skorpions selbst.

Natürlich, könnte man als Verfechter der Sterndeutung argumentieren, war für Griechen und Römer ja der Skorpion dort, wo bei uns die Waage ist und mithin würde die Sonne ca. fünf Wochen in diesem Bilde stehen. Allerdings wäre dann das Sternbild des Skorpion erst heute korrekt positioniert – und zwar als einziges! Gemäß der Präzession haben sich alle anderen Sternbilder gegenüber den Sternzeichen, also den Abschnitten auf der scheinbaren Sonnenbahn (Ekliptik) verschoben: Eine Bewegung, die binnen der letzten Jahrtausende ca. ein Sternbild ausmacht. So steht heute die Sonne bei Steinbockgeborenen im Sternbild Schütze, bei Fischegeborenen im Wassermann usw. – aber bei Skorpiongeborenen (wo sie in der Waage steht und mithin heute "richtig" in den Scheren der Stachelspinne) hätte die Sonne folglich vor 2000 Jahren die Scheren bereits verlassen gehabt und sich im "Niemandsland" zwischen ihnen und dem Schützen aufgehalten. Dort steht Asklepios (Äskulab), der seine Schlange emporhält und darum am Himmel "Schlangenträger" genannt wird: der Gott der Ärzte und Heilkundigen, die man nach einem Stich eines Skorpions auch dringend nötig hätte.

 


Foto: Ulrich Knoll. Grafik: SMH (x-ephem) für: Himmelsatlas

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), ... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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