Viele Tropfen machen einen Fluss

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Forschung lecker zubereitet
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In den letzten 48 Stunden habe ich Dinge gesehen, die mir so noch nie zuvor begegnet sind. Ein Sofa mit Schlammbezug, sauschwer dank Muldewasser. Es wird aus dem Fenster geschoben und fällt aufs Hofpflaster. Matthias Berger*, der aussieht als ob er drei Tage weder gegessen noch geschlafen hat. Einsatzkräfte in allen Farben und Funktionen. Amphibienfahrzeuge. Häuser mitten im Fluss. Drei Kilo fliehende Weinbergschnecken auf nur zehn Metern Uferlinie. Ein Maulwurf, der panisch Richtung Flussmitte schwimmt. Überfahrene Fische. Wasser, das bis zum Rathaus steht. Eine Hängebrücke als Baumstammsieb auf der gefährlich steigenden Mulde. Eine Mulde, die nicht plätschert sondern brüllt.

Heute kam die Sonne raus. Wir stellten das durchweichte Sofa zu den anderen kaputten Möbeln, wischten uns den Schlamm an den Hosen ab und kuckten in den Himmel. Ein ungewohnter Anblick, nach all dem Regen.

Viele Tropfen machen einen Fluss. Das wissen wir Ossis schon seit der friedlichen Revolution. So viele Menschen, die alle dasselbe wollten und deshalb viel erreicht haben. Dem Regen geht’s nicht anders. Der macht sich als Tropfen auf und kann in der Masse zur Naturgewalt werden.

Hochwasser in Dorna

Sieht idyllisch aus, ist aber eine Katastrophe: Überfluteter Bauernhof in Dorna bei Grimma. Foto: Magnus Wendeberg

Keiner hat mit so starken Regenfällen gerechnet und schon gar nicht mit einer Flut, die der von 2002 Konkurrenz machen könnte. Sollte die nicht erst in 200 Jahren kommen?

Das Wort Klimawandel kommt in den Sinn. Alle haben es schon mal gehört, trotzdem bleibt der Begriff nur so greifbar wie ein Pups. Keiner nimmt Klimawandel wirklich ernst und die wenigsten interessieren sich dafür.

Unser Klima wandelt sich trotzdem. Dazu gehören Starkregenereignisse wie dieses. Ganz Deutschland hat’s gesehen. Kommt das wieder? Ja, kommt es.

Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und koordinierender Leitautor für den Bericht des Weltklimarates (IPCC) sagt dazu: “Von einer Zunahme an Starkregenereignissen ist auszugehen, wir können aber durch eine entsprechende Klimapolitik die extremsten Entwicklungen vermeiden. Auch für das Muldental könnten so die Folgen von Extremereignissen abgemildert werden.”

Bei dem Wort Klimapolitik mag der eine oder andere heraushören, dass Politiker den entscheidenden Schritt Richtung Klimaschutz tun müssen. Da muss ich mir mal eben auf die Schenkel hauen und ganz laut lachen. Das Volk meckert permanent über Politiker, um im selben Atemzug die Rettung der Welt zu fordern.

Wir alle machen Klimapolitik, das war schon immer so. Unsere Eltern, Grosseltern und die Generationen davor haben uns dieses Klima beschert. Auch damals jammerte man über Ökonomie, Arbeitsplätze und schlechtes Wetter. Wir machen es nicht anders und verschärfen so das Klima- und Ressourcenproblem für unsere Kinder, Enkel und alle folgenden Generationen.

Wir machen Klimapolitik durch unser Konsumverhalten. Wir regieren Deutschland mit unseren täglichen Entscheidungen, bei wem wir was einkaufen. Doch das ist wenigen wirklich bewusst. Wenn wir jemandem Geld für ein Produkt oder eine Leistung zahlen, sagen wir nichts anderes als „Ich finde gut, was du tust.“ Das fängt bei der über den Ozean gereisten Banane an und hört noch lange nicht beim niemals abbaubaren Plastikbeutel auf.

Revolution kommt vom Volk. Das wissen wir Ossis schon lange. Wir alle leben in einer Demokratie und regieren unser Land, ob wir wollen oder nicht. Wegschauen signalisiert Einverständnis, Schweigen genauso. Nichts zu wissen ist keine Entschuldigung, denn wir leben im Zeitalter des Internets.

Wir Grimmaer zeigen wieder, das viele Tropfen einen Fluss machen. Eine Flut von Helfern, eine Flut von Informationen auf Facebook und Twitter. Jeder will was tun, jeder will wissen wie es weiter geht, ob das eigene Haus schon zugänglich ist, ob die Brücken wieder frei sind.

Kein einziger würde auf die verrückte Idee kommen und sagen „ich glaube nicht an die Flut“ oder „warum soll ich meinem Nachbarn helfen, ich krieg ja nichts dafür.“

Lasst es dort nicht aufhören Leute. Wenn der Schlamm weggeräumt ist, müssen wir helfen solche Extremwetterereignisse abzumindern. Klimaschutz beginnt bei bewussten Entscheidungen beim täglichen Einkauf.

Klimawandel muss in alle Köpfe, denn viele Tropfen machen eine Flut.

*Überbürgermeister von Grimma. Wir sind alle froh, dich zu haben, Matthias!

Was vorher geschah: Hochwasser in Grimma 

Was nachher geschah: Aufräumen nach dem HochwasserStock im Allerwertesten

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In den Muldental Nachrichten

 

Tags: Hochwasser 2013, Grimma, Muldental, Hilfe, Solidarität, Fluthilfe, Extremwetterereignisse, Klimawandel, Rettungskräfte, Helden in Gummistiefeln

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Annelie Wendeberg ist eigentlich Umweltmikrobiologin. Doch eines schönen Wintermorgens klappte sie die Augen auf und dachte sich "ich schreib mal was". Seither versucht sie ihre Leidenschaft Forschung leicht verständlich und spannend in kurzen Blogartikeln zu vermitteln. Meistens schreibt sie über alles Mögliche was irgendwie mit Forschern, Biologie, Umwelt, Ökologie und vor allem Mikrobiologie zu tun hat. Des Nachts bringt Annelie Wendeberg Leute um. Auf dem Papier. Für den KiWi Verlag.

12 Kommentare

  1. Das ist ein interessanter Bericht von der Fluthilfe in Grimma. Wenn es drauf ankommt sind viele Leute eben doch dabei und packen kräftig an. Leider tritt das oftmals erst bei “Katastrophen” zu Tage. Aber immerhin kommt dann das Gute hervor.

    Ich finde es erstaunlich, daß nach dem Hochwasser in 2002 die Leute sich nicht unterkriegen lassen.

  2. Not in my backyard

    Ja, es ist sicherlich beeindruckend, wie hoch die Solidarität ist, wenn die Flut erst einmal da ist. Aber Sätze wie „ich glaube nicht an die Flut“ oder „warum soll ich meinem Nachbarn helfen, ich krieg ja nichts dafür.“ scheinen in den Zeiten zwischen den Fluten doch eher der Normalfall zu sein,. Dieser Eindruck ergibt sich zumindest wenn man diesem SPON-Artikel glauben darf:
    http://www.spiegel.de/…ertig-wurde-a-903738.html

    O-Ton eines Verantwortlichen aus Grimma:
    “Wir haben uns jahrelang in Diskussionen zum Thema Denkmalschutz in Grimma verloren. Viele Behörden und auch Einwohner wollten keine Mauer vor der Stadt. […] Uns standen zwei kräftige Bürgerinitiativen mit großen Transparenten gegenüber, die uns fast gesteinigt hätten.”
    In Deutschland ist es eben kaum noch möglich Bauvorhaben durchzusetzen, die der Allgemeinheit dienen, weil sich immer jemand findet, der meint dagegen sein zu müssen.

    Siehe dazu auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Nimby

  3. Die Flut kehrt wieder – homo amnesticus

    Wo Lawinen niedergehen und Menschen begraben dauert es ein paar Jahrzehnte bis die Menschen es vergessen haben und am gleichen Ort erneut bauen. Inschriften mahnten die heutigen Japaner vor Tsunamis, die vor vielen Jahrzehnten oder Jahrunderten passierten – aber genau an den gleichen Orten wurde später wiedergebaut.
    Auch Grimma wurden schon 2002 Opfer einer Flut, dass aber die nächste Flut so schnell kommen würde hätte niemand gedacht. Insoweit bricht das Verhalten des Menschen auf dieses Ereignis etwas aus dem gewohnten Rahmen. Meist wird auf ein Katastrophenereignis schnell reagiert – indem im Extremfall die Siedlung im betreffenden Gebiet aufgegeben wird. Hier aber haben wir den Fall, dass die Leute dachten, die nächste Flut halte sich gewiss an den Fahrplan und komme erst in ein paar Jahrzehnten wieder.
    Doch auf den Zufall ist kein Verlass und zudem kann sich die Wahrscheinlichkeit für Extremereignisse auch grundsätzlich ändern – was hier möglicherweise passiert ist.

  4. Vor allem ist nur wenigen bewusst

    Wir machen Klimapolitik durch unser Konsumverhalten. Wir regieren Deutschland mit unseren täglichen Entscheidungen, bei wem wir was einkaufen. Doch das ist wenigen wirklich bewusst.

    , dass einseitige, bundesdeutsche Klimapolitik wenig bis nichts bringt, vielleicht sogar kontraproduktiv ist, wenn sie mit der Schwächung der Stellung Ds einhergeht.

    MFG
    Dr. W (der auch gespannt ist, wie das Hochwasser im Wahlkampf verwurstet werden wird, Aussteigen geht diesmal ja nicht, sonst würde Mutti dies absehbarerweise tun)

  5. Konsum?

    Alternativer Konsum ist eine feine Sache , aber alleine kann er die Probleme nicht lösen.

    Ja , die Verbraucher sind in der Verantwortung , das darf aber nicht – wie in der politisch korrekten Ecke leider öfter zu beobachten – dazu führen , daß die Politik und insbesondere die Wirtschaft von der Verantwortung freigesprochen werden , nur diese Institutionen haben die Strukturen , um schnelle Änderungen herbeizuführen.

    Beides ist wichtig , ein wenig Kritikbereitschaft beim Konsum , wer sich hemmungslos vollstopft mit Fleich aus der Billigtheke , darf sich nicht über die Folgen wundern .

    Gleichzeitig aber gibt es Abermillionen , die sich “korrekten” Konsum schlicht und ergreifend nicht leisten können.

    Wesentlich ist auch , ob jemand bereit ist , ökologische Beschlüsse mitzutragen ,und nicht bei jedem popeligen Windrad gleich den Wutbürger raushängen läßt und irgendwas über Landschaftsverschandelung absondert.

    Oder in Stammtischmanier alles heruntermacht , was mit ökologischem Denken zu tun haben könnte.

  6. Einkaufen macht keine Klimapolitik

    Niemand kann durch korrektes Einkaufen das Klima ändern. Das ist ja gerade das Problem des Klimawandels, dass folgendes kaum stimmt:
    “Wir machen Klimapolitik durch unser Konsumverhalten.”
    Dagegen gilt der nächste Satz schon: “Wir regieren Deutschland mit unseren täglichen Entscheidungen, bei wem wir was einkaufen.”
    Doch Deutschland ist nicht die Welt auch wenn viele meine, an Deutschland könne die Welt genesen.
    Es gibt viele Dinge, wo der Mythos, wir könnten die Welt durch unser Kosnumverhalten ändern, nicht stimmt. Es gibt eben keinen moralischen Imperativ, der für alle Menschen gilt und der sogar den Bananenkauf miteinschliesst.

    Wenn das Klima durch das Verbrennen von Kohlenwasserstoffen verändert wird, dann löst man dieses Problem nicht dadurch, dass jedem eingebleut wird, auf Kohle, Öl und Erdgas zu verzichten. Die Lösung ist auf einer höheren Ebene dagegen relativ einfach: Man macht den Verbrauch von Kohle,Öl und Erdgas unattraktiv und bietet attraktive Alternativen an. Peitsche und Zuckerbrot also. Nur müssen die Stimmbürger dieser Lenkung zuerst einmal zustimmen.

  7. Ganz allein die Welt retten

    Ja, das stimmt schon, dass es einfacher ist, auf die Politik zu schimpfen, als mit dem Fahrrad zum Bäcker zu fahren. Aber trotzdem ist es gefährlich, die Bürger mit einem latent schlechten Gewissen (und wer hätte das nicht) von den Versäumnissen der Politik abzulenken. Wenn jeder als Einzelner die ganze Welt retten soll – da ist er einfach auch überfordert. Erste Überforderung: Es ist einfach unglaublich anstrengend (und wider die eigene Natur), sich immer gegen die leckere Flugananas und gegen die bequeme Autofahrt zu entscheiden, wenn man den Eindruck hat, dass „die anderen“ das auch nicht tun.
    Zweite Überforderung: Im Grunde weiß ja kein Mensch genau, was beim Einkauf besser ist: Kaufe ich besser die Eier aus Bodenhaltung vom Nachbarn (arme Hühner) oder die Demeter-Eier vom 50 km entfernten Erzeuger (armes Klima)? Mineralwasser in Glasflaschen ist prima – aber Achtung, vielleicht sitzt der Abfüller am anderen Ende Deutschlands?
    Die Dinge sind viel zu komplex, als dass ich sie als Verbraucher alleine durchschauen könnte. Dazu bräuchten wir dann doch eine Politik für mehr Forschung, bessere Information und klare Richtlinien.

  8. Klimarettung als Lifestyle-Entscheidung

    Wer die Klimarettung von der richtigen Konsumentscheidung abhängig macht, für den gibt es kein wirkliches Klimaproblem, sondern er erkennt in der Einstellung zu dieser Frage eine Lifestyleentscheidung ähnlich derjenigen, die Veganer oder überzeugte Nicht-Automobilisten treffen.
    Ein Ökonom hat dazu in einem Klimablog geschrieben:
    “So kann beispielsweise eine linksliberale, gut ausgebildete Person zustimmen, dass die globale Erwärmung ein hohes Risiko darstellt, und einen stärkeren Klimaschutz befürworten.”
    Dumm nur, dass das Klima für linksliberale und für konservative Personen das gleiche ist und nicht nur eine Wahlentscheidung oder Präferenz für den einen so und für den andern anders wird.

    Sobald wir annehmen das Klimaproblem sei ein wirkliches Problem vergleichbar mit dem Asbestproblem wird es klar, dass nicht Konsumentscheidungen die Lösung dieses Problems bestimmen dürfen. Denn keine Privatperson und keine Schulbehörde kann heute ein Schulhaus oder nur schon ein Schulzimmer mit Asbest als Baustoff bauen. Da Asbest als äusserst gesundheitsgefährdend erkannt wurde, wurde dem Einzelnen die Entscheidungsbefugnis entzogen: Es ist schlicht verboten Asbest für neue Schul- oder Privategebäude zu verwenden.

    Es gibt eben Probleme und Entscheidungen , die zu wichtig sind, als dass man sie dem Konsumenten überlassen könnte. Dazu gehört auch das Klimaproblem.

  9. Klimarettung als Lifestyle-Entscheidung

    war solid formuliert. Allerdings gilt das nicht nur für einen bestimmten Konsumententyp, sondern auch für die politische Klasse Ds.

    Die Klimapolitik Ds ist einfach irre, wie u.a. der Atomausstieg belegt, nicht etwa wegen des Ausstiegs, sondern wegen der Art und Weise wie dieser lifestylemäßig mal eben so beschlossen worden ist. Nicht schlecht auch das aktuelle WBGU-Gutachten (“Große Transformation”, Expertokratisches).

    An der Vervielfachung des Weltenergiebedarfs führt kein Weg vorbei und auch an dem damit einhergehenden höherem CO2-Ausstoß.

    Zum einen kann man den Developing Countries nicht die Zukunft verbauen, will man keine Klimakriege führen, zum anderen ist man international, gerade auch was die Prognosehöhen (im Durchschnitt +3,2K zwischen 1990/1999 und 2090/2099 – zum Vergleich: die NASA-Daten belegen zwischen 1880/01 und 2013/04 eine Erwärmung von ca. +0,75K) und mögliche Gegenmaßnahmen (Idee: Geo-Engineering statt industrieller Rückbau) betrifft, dezent formuliert skeptisch.

    MFG
    Dr. W

  10. Noch ist es nicht vorbei

    Wir wurden kürlich aus unserem Haus in Halle evakuiert. Es ist schrecklich und ich habe Angst, das der Damm bricht.
    Alles was wir haben sind unsere Anziehsachen und die Hoffnung in ein paar Tagen von meinem Bruder wieder in unser Haus ziehen zu können.
    Ich hoffe so sehr, das ich sowas nie wieder durchmachen muss.

  11. Hochwasser Grimma

    Hallo Leute,
    es ist wirklich fürchterlich für die Hochwasseropfer, Mensch wie Tier, nun schon wieder solch eine Überschwemmung erleiden zu müssen.

    Mir kam bei den News dazu in den Sinn: ich kenne keine Studie, die das Versiegeln, also den Flächenverbrauch in Deutschland und seinen flußaufwärtigen Nachbarländern von 2002 bis 2013 bilanziert hätte; ebenso Bodenverdichtungen durch Intensivlandwirtschaft etc. .
    Das zu untersuchen ist meines Erachtens für Wissenschaftler aber unbedingt nötig, denn der regen ist “an gar nichts schuld”, er fällt einfach, aber dann ….

    Hoffentlich wirds besser.

    Gruß aus Braunschweig,
    Wolfgang Maeser

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