Bausteine astronomischer Forschung am Beispiel Rote Riesen

Astronomische Forschung folgt bestimmten allgemeinen Mustern. Da gibt es Beobachtungsdaten und die Notwendigkeit, von den tatsächlich gemessenen Werten (z.B. Pixelwerte einer digitalen Kamera) zu den physikalischen Daten zu kommen, beispielsweise zu einem Messwert für die Helligkeit eines Sterns. Dann möchte man natürlich von den Beobachtungsdaten aus physische Eigenschaften der beobachteten Himmelsobjekte erschließen, bei einem Stern beispielsweise die Masse, oder wieviel Energie der Stern pro Zeiteinheit aussendet. Hat man solche Angaben für hinreichend viele Objekte, kann man klassifizieren und vergleichen: Welche Himmelsobjekte lassen sich sinnvoll in ein und derselben Klasse zusammenfassen? Hat man solche Klassen einmal gefunden, stellt sich natürlich die Frage: Was steckt hinter den Unterschieden? Oft ist die Entwicklungsgeschichte im Spiel, und sobald ich die Entstehung und Entwicklung der betreffenden Objektsorte simulieren kann, ergibt sich aus solchen Simulationen dann oft auch, woher die unterschiedlichen Erscheinungsbilder jener Objekte kommen. Last but not least: Simulationen sind viel wert, aber ein wirklich tieferes Verständnis haben Astrophysiker*innen dort, wo sie gleichzeitig anhand einfacher physikalischer Überlegungen nachvollziehen können, was in den Simulationen eigentlich warum passiert. Für diesen komplexen Prozess gibt es ein schönes Spielzeugmodell, das mit den sogenannten Roten Riesen zu tun hat.

Dieses Spielzeugmodell habe ich jüngst in einem Vortrag unserer Reihe “Faszination Astronomie Online” vorgestellt:

Just am Vortag war ich via Twitter dann noch auf einen interessanten, gerade erst erschienenen Artikel gestoßen, aus dem zusammen mit den darin zitierten Arbeiten klar wird: Vollständig in dem Sinne, dass es einen Konsens gäbe, wir uns anhand einfacher physikalischer Prozesse erklären könnten, was da vor sich geht, wie Sterne sich zu Roten Riesen aufblähen, verstehen wir Rote Riesen auch heute noch nicht. Das war für meinen Vortrag natürlich gutes Timing.

Zumindest die erste Etappe der Erkenntnisreise, die ich in dem Vortrag nachgezeichnet habe, können Sie in dieser Jahreszeit selbst absolvieren. Warm anziehen, nachts an einen nicht allzu hell erleuchteten Ort gehen, das markante Sternbild Orion anpeilen, und dann die Frage stellen: wieso sind eigentlich einige der Sterne eher bläulich, während der Schulterstern da links, die Beteigeuze, orange ist?

Orion mit Sternen in der Umgebung über einer Teleskopkuppel. Links oben am Orion haben wir mit Beteigeuze zwar nicht einen Roten Riesen, aber einen Roten Überriesen mit deutlicher orangener Färbung.
Winterkonstellationen – eines der Gewinnerbilder im Astrofotografie-Wettbewerb 2022 des IAU Office of Astronomy for Education. Bild: M. Aboushelib / OAE unter Lizenz CC BY 4.0

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

15 Kommentare

  1. Danke für den Interessanten und lehrreichen Vortrag. Eine kleine Anmerkung möchte ich trotzdem machen:

    Die Beziehung zwischen Strahlungsspektrum und Temperatur nannten Sie “Stephan-Boltzman Strahlungsgesetz”. Ist das nicht das “Wiensche Verschiebungsgesetz”?

    Gruß
    Rudi Knoth

    • Unterschiedliche Gesetze für unterschiedliche Aussagen! In Bezug auf die Sterne ist der Zusammenhang von abgestrahlter Energie und Temperatur das, worauf es ankommt. Diesen Zusammenhang liefert in der Tat das Stefan-Boltzmann-Gesetz. Das Wiensche Verschiebungsgesetz trifft stattdessen eine Aussage über das Maximum der Verteilungskurve (eine physikalisch für sich genommen übrigens eher nichtssagende Größe).

    • Mit so einem kurzen Kommentar, auch wenn der Text im Link schon ziemlich drastische böswillige bzw. beleidigende Unterstellungen gegen meine Person enthält, habe ich keine größeren Probleme. Wer Herrn Freylings lose von meinem Blogbeitrag inspirierten (und sachlich aus meiner Sicht weitgehend inkorrekten) Ansichten lesen möchte, folge seinem Link. Was ich üblicherweise nicht freischalte, sind Kommentare, die mit ausufernden, über das Thema des Blogbeitrages weit hinausgehenden Ausführungen die Kommentarspalte hier so flächig füllen, dass kürzere und relevantere Kommentare ggf. verdrängt werden. Wer bei solchen Moderationsversuchen reflexhaft “Zensur” schreit, disqualifiziert sich selbst.

      • Nachtrag für Herrn Freyling (wen es interessiert, sein Kommentar ist vermutlich auf der oben verlinkten Webseite zugänglich): Nein, dass die in den Links ersichtlichen Nummern bei den SciLogs-Kommentaren hier springen, heißt nicht, dass ich 19 weitere Kommentare “willentlich nicht veröffentlicht” hätte. Die hat das System in den Spam-Ordner verschoben, weil sie auf englisch und thailändisch für Handschuhe, Online-Glücksspiel etc. Werbung machen. Und so lustig ich es auch finde, dass Ihre Verschwörungstheorie “Pössel zensiert 19 weiterer Kommentare!!!!” offenbar darauf beruht, dass Sie Spam und Spam-Filter nicht auf der Reihe haben: Sorry, aber mit dieser Kombination aus beleidigenden Unterstellungen, drohendem Unterton (“Sie werden sich Ihre Antwort oder Nichtantwort sicherlich gut überlegen müssen”) und kompletter Ignoranz der Sachlage haben Sie sich für mich hier als Kommentator auf “Relativ einfach” endgültig disqualifiziert, nach dem Motto “Wer pöbelt fliegt raus”. Und Tschüß!

  2. Schöner Vortrag und vor allem sehr lehrreiche App (auch wenn der korinthenkackerische Softwerker in mir sich beschweren würde, warum auch unsinnige Verhältnisse von Sternmasse und -radius einstellbar sind). Aber kein Grund zur Beschwerde – sie soll ja nur für Astronomielaien veranschaulichen, warum die Messkurven so aussehen, wie sie aussehen und das tut sie perfekt.

    Und an Freyling: Analysieren Sie sich doch mal selbst daraufhin, warum Sie solche Blogartikel nicht nutzen, um was zum Thema zu sagen, sondern lediglich Endlosgejaule über Ihre gesammelten seelischen Verletzungen durch alle möglichen Wissenschaftsblogger posten. Das ist ja nur noch peinlich.

  3. Zitat:
    Vollständig in dem Sinne, dass es einen Konsens gäbe, wir uns anhand einfacher physikalischer Prozesse erklären könnten, was da vor sich geht, wie Sterne sich zu Roten Riesen aufblähen, verstehen wir Rote Riesen auch heute noch nicht.
    = = =
    Diese Aussage vermisse ich in Ihrem sonst gelungenen, arbeitsintensiven Vortrag, Herr Pössel.
    Um was geht es dabei konkret, oder handelt es sich um ein in der Fachwelt wohlgehütetes Geheimnis?
    Mit bestem Dank im Voraus und freundlichen Grüßen,
    W. Bülten

    • Ich verstehe die Nachfrage ehrlich gesagt nicht. Genau darum geht es auf der vorletzten Folie des Vortrags, und dann noch einmal kurz in der Zusammenfassung. Und zwei Fachartikel für diejenigen, die es konkret nachlesen möchten, habe ich dort auch angegeben.

      • Diese Antwort trifft nicht den Kern der Sache, Herr Pössel.. Es geht doch um die Feststellung: wie Sterne sich zu Roten Riesen aufblähen, verstehen wir Rote Riesen auch heute noch nicht.
        Bei Wikipedia kann man nachlesen, Zitat:
        Der erhöhte Strahlungsdruck während des Heliumbrennens führt zu einem Aufblähen der äußeren Sonnenschichten, die sich nun wegen der größeren Oberfläche abkühlen, woraufhin sich das Strahlungsspektrum der Photosphäre der Sonne zu längeren Wellenlängen verschiebt. Ein Stern in diesem Zustand wird darum als Roter Riese bezeichnet. Zitatende.
        = = =
        Damit wäre doch das Problem gelöst, oder gibt es Zweifel an dieser Deutung?
        M. E. müsste doch die zunehmende Gravitation des Sternenkerns die Entfernung der äußeren Schale verhindern können. Sie sind doch so zu sagen ein Astronom-Physiker, wie sehen Sie dieses Phänomen? M. f. G.

        • OK? Erst bescheinigen Sie mir, meine Antwort treffe nicht den Kern der Sache. Und dann beschreiben Sie den Kern der Sache trotzdem als genau das, worum es auch in der Vortragsfolie und den Fachartikeln geht, auf die ich Sie in meiner vorigen Antwort hinwies.

          Zu dem Wikipedia-Zitat (aus welchem Artikel übrigens?): Zwischen dem Heliumbrennen und den sich aufblähenden Sternenschichten befindet sich ja noch das Wasserstoff-Schalenbrennen. Im Kippenhahn/Weigert/Weiß-Buch (“Stellar Evolution”, 2012) wird das Spiegelbild-Verhalten (Kern kontrahiert, äußere Aufblähung) entsprechend direkt mit Bezug auf die heiß brennenden Schale beschrieben – von Strahlungsdruck ist in dem entsprechenden Abschnitt 31.1. an jener Stelle überhaupt keine Rede. Insofern finde ich die Wikipedia-Erklärung nicht überzeugend. Was geben die Wikipedia-Autor*innen denn für jene Behauptung überhaupt als Quelle an?

          • Besten Dank Herr Pössel für die schnelle Antwort.
            Das Wikipedia-Zitat fand ich unter der Überschrift “Drei-Alpha-Prozess“.
            Meine Überlegung war, ob evtl. ein Zusammenhang mit der Expansion des Universums besteht. Ihnen eine erholsame Nachtruhe, W. B.

          • OK – da steht leider keine Quelle. Anzeichen für einen Zusammenhang mit der kosmischen Expansion sehe ich keine. Im Gegenteil: die numerischen Rechnungen der Sternentwicklung reproduzieren das Aufblähen zum Roten Riesen ja sehr gut. Ungelöst ist lediglich die Frage, ob bzw. wie man das Aufblähen mit einfachen physikalischen Überlegungen plausibel machen kann. Berechnen kann man den Prozess, ganz ohne die kosmische Expansion einbeziehen zu müssen.

          • Sie schreiben, Zitat:
            Ungelöst ist lediglich die Frage, ob bzw. wie man das Aufblähen mit einfachen physikalischen Überlegungen plausibel machen kann. = = =
            Das ist wohl recht umständlich Herr Pössel, woran fehlt es? Sind es fehlende Energie- oder Materie-Teilchen, an die man die Mathematik festmachen kann? Oder mangelt es an Grundlagenforschung? Ansonsten kann Mathematik zu einer Spielwiese werden. Es muss zuerst logisch passen, danach die Mathematik, oder?
            In der realen Welt ergeben 1 kg Äpfel und 1 kg Birnen = 2 Kg Mischobst, nichts anderes. Danke für Ihre Geduld!

          • Nein – der Umstand, dass die Simulationen, in die man die gängigen Kräfte und Effekte einprogrammiert hat, das Aufblähen soweit wir sehen können realistisch und angemessen wiedergeben, zeigt ja gerade, dass keine neue Physik nötig ist. Es geht wirklich “nur” darum, ob sich jene Simulationsergebnisse auch ohne Computereinsatz, mit einem vereinfachten Modell, verstehen lassen.

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