Die großen Fragen: Leben ist Chemie

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

“Chemie ist doch auch nur die Physik der äußeren Elektronenschale.” habe ich schon so manchen Physiker, meistens aus der Atom- und Molekülphysik, sagen hören. Meistens ist das natürlich ein Scherz, denn vor allem methodisch funktioniert Chemie ganz anders als Physik. Biologie wiederum ist mehr als die Chemie der Kohlenstoffverbindungen. Und dennoch hat dieser Scherz einen wahren Kern.

XKCD: Purity
Nur die Philosophen fehlen in diesem XKCD-Comic noch.

Sinnvoll wird die Aussage, wenn wir die Biologie nicht auf die Chemie und die Chemie nicht auf die Physik zu reduzieren versuchen, sondern nach den Grundlagen fragen. Oder nach der Reinheit der Wissenschaften, wie es Randall Munroe im hier wiedergegebenen XKCD-Comics tut. Damit wären wir bei der großen Frage an die Wissenschaft:

Woher kommt alles Leben?

Leben ist in der Tat Chemie. Seit etwa 10 Jahren beschäftige ich mich beruflich mit Protein-Kristallographie und bekomme so ganz gut mit, was diese biologischen Moleküle so alles leisten können. Viele Prozesse in einer Zelle, also auch in unserem Körper, laufen nur deshalb reibungslos ab, weil die Zelle die richtigen Proteine bilden kann.

Proteine arbeiten dabei oft als Katalysatoren. Das heißt, sie nehmen an chemischen Prozessen teil, ohne dabei selbst verbraucht zu werden. Sie binden zum Beispiel zwei Moleküle an den richtigen Stellen und helfen durch ihre eigene geometrische und elektronische Struktur, die beiden Moleküle zu einem zusammen zu schweißen. Andere Proteine tun genau das Gegenteil: Sie spalten andere Moleküle an der richtigen Stelle. Oder sie sind Strukturbausteine in der Zelle oder Botenstoffe zwischen den Zellen.

Proteine können auch außerhalb lebender Organismen im Labor erzeugt werden und sie funktionieren dort genauso, wie im Organismus. Sie sind Chemie. Aber so komplexe Chemie, dass es ausgeschlossen ist, dass sie spontan irgendwo in einem Reagenzglas enstehen und sich zu Leben zusammentun.

Dennoch zeigt die Beschäftigung mit Proteinen sehr klar einen Weg, wie Leben entstanden sein muss: Proteine haben sich langsam zu den komplexen und spezifischen Strukturen entwickelt, die sie heute sind. Es gibt Klassen von Proteinen, die in fast allen Arten von Leben auftreten, aber unterschiedlich spezifisch, unterschiedlich komplex, unterschiedlich effektiv sind.

Evolution von Blut- und Muskelfarbstoff

Hämoglobin und Myoglobin
Hämoglobin und Myoglobin aus dem Molecular Machinery Viewer der RCSB Protein Data Bank

Sehen wir uns mal rechts das Hämoglobin und das Myoglobin des Menschen an. Beide Strukturen speichern Sauerstoff. Hämoglobin ist der Blutfarbstoff, Myoglobin der Muskelfarbstoff.

Das kleinere Myoglobin ist ein einzelnes Protein, das an einer Stelle (rot im Bild) Sauerstoff speichern kann.1 Es kommt in unseren Zellen, vor allem in den Muskeln, vor. Dort speichert es Sauerstoff, so dass er dort jederzeit zur Verfügung steht.

Das größere Hämoglobin kommt in den roten Blutkörperchen vor und transportiert Sauerstoff von der Lunge in die Muskeln. Hämoglobin ist kein einzelnes Protein, sondern ein Protein-Komplex: Es besteht aus vier Bausteinen, von denen jeweils zwei gleich sind; zwei Alpha-Globine und zwei Beta-Globine. Jedes dieser vier Proteine im Hämoglobin-Komplex hat eine Bindungsstelle für Sauerstoff. Im Bild sind daher zwei rote Bereiche zu sehen, die anderen beiden sind auf der anderen Seite.

Das kleine Myoglobin und die beiden Hämoglobin-Bausteine Alpha-Globin und Beta-Globin sind nicht identisch, aber sie sind einander ähnlich. Ähnlich genug, dass man sich vorstellen kann, dass sie aus demselben Vorgänger-Protein entstanden sein müssen. Es hat irgendwann einmal ein Protein gegeben, das erstmals in der Lage war Sauerstoff für den Organismus vorzuhalten. Dieses Protein war der Vorgänger aller heutigen Hämoglobine, Myoglobine und anderer ähnlicher Proteine und Protein-Komplexe.

So ähnlich aber primitiver

Natürlich ist ist Leben nicht mit Globinen entstanden. Die ersten Lebewesen müssen primitiv gewesen sein. So primitiv, dass wir sie heute wahrscheinlich als komplexe chemische Systeme sehen würden und nicht als einfache biologische Systeme. Es muss eine Membran gegeben haben, die äußeres von innerem unterschied. Und im Inneren muss es Nukleinsäuren gegeben haben. Diese Stoffklasse kennen wir heute am besten als DNA, als Speicher von Erbinformation. Sie übernimmt aber auch heute noch an einigen Stellen Funktionen, die denen der Proteine ähneln. Nebenan erklärt Anna Müllner noch etwas mehr zu diesen Machern des Lebens.

Erste Lebewesen können wir heute nicht mehr beobachten. Sie werden so ineffizient gewesen sein, dass sie von heutigen Organismen schon längst verdrängt sind. Sie werden auch noch sehr abhängig von ihrer Umwelt gewesen sein. Das Beispiel von den Globinen, das ich oben angerissen habe, gibt uns einen Hinweis auf die Entstehung des Lebens.

Anfangs gab es vermutlich nur einfache Proteine, die Sauerstoff speichern konnten. Mit der Zeit haben sich dann verschiedene Varianten durchgesetzt und perfektioniert, die unterschiedlich spezialisiert für die Speicherung oder den Transport funktionieren. Erste Lebewesen waren wohl fragile, wenig angepasste Membransäcke mit Nukleinsäuren. Mit der Zeit konnten sich dann Strukturen durchsetzen, die stabiler und spezialisiert waren. Welche das waren, ist – wie jedes historische Ereignis – zu einem nicht unerheblichen Teil einfach Zufall.

Anmerkungen:
1. Es braucht dazu noch ein kleineres Molekül, den Häm-Komplex. Dieses Molekül ist im Bild rot markiert.
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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

7 Kommentare

  1. Erstaunlich ist doch, dass es nur einen Lebensursprung gibt, dass sich alle heutigen Lebewesen auf ein Urlebewesen und dieses auf einen einzigen Proto-Lebensvorläufer zurückführen lassen. Wenn die Lebensentstehung nichts anderes als günstige Umweltbedingungen bräuchte wie sie beispielsweise in hydrothermalen Quellen (schwarzen Rauchern) herrschen, warum gibt es dann nicht mehrere unabhängige Lebenslinien? Warum hat sich nur eine Linie mit den bekannten DNA- und Proteinbausteinen durchgesetzt? Oder ist es denkbar, dass es mehrere Linien gab, die aber fusioniert haben? Ich interpretiere die Tatsache, dass es nur eine Lebenslinie gibt damit, dass die spontante Lebensentstehung gar nicht so wahrscheinlich ist. Ja es gibt sogar Hinweise, dass Protoleben von Meteoriten auf die Erde eingeschleppt wurde (Leben als invasive Form), denn wenn man die DNA-Evolution (Änderungsrate) zurückrechnet, kommt man auf einen Lebensbeginn vor der Entstehung der Erde (Zitat, übersetzt von DeepL):

    Eine Extrapolation der genetischen Komplexität von Organismen auf frühere Zeiten legt nahe, dass das Leben vor der Entstehung der Erde begann.

      • Ich bin da bei Karl Bednarik: Wenn die Bedingungen günstig genug waren, dass spontan (Proto-)Zellen entstehen konnten, dann ist das nicht nur einmal passiert. Aber selbstverständlich konnten die sich auch wieder auflösen, miteinander verschmelzen oder von anderen Organismen verdrängt werden. Am Ende haben sich die erfolgreichsten Konzepte durchgesetzt.

        • Zitat:

          Am Ende haben sich die erfolgreichsten Konzepte durchgesetzt.

          Das setzt eine Konkurrenzsituation voraus. Doch bei sehr unterschiedlichen Lebenschemien aufgrund unterschiedlicher Entstehungsgeschichten muss es solch eine Konkurrenz gar nicht geben, weil die verschiedenen Lebenslinien andere Ressourcen brauchen und einander nicht gegenseitig konkurrenzieren.
          Mir scheint es viel plausibler, dass das Leben schon lange vor der Erde entstanden ist und die Erde schliesslich besiedelt hat. Das würde erklären, warum es nur einen LUCA gibt und warum das Leben so früh auf der Erde auftauchte – nämlich bereits von 3.8 Milliarden Jahren kurz nach der Abkühlung auf “vernünftige” Temperaturen.

          • @Martin Holzherr

            »Mir scheint es viel plausibler, dass das Leben schon lange vor der Erde entstanden ist und die Erde schliesslich besiedelt hat.«

            Diese Besiedelungstheorie ist kein bisschen plausibel. Und sie würde auch rein gar nichts erklären, schon gar nicht LUCA. Was es vor LUCA alles an “Lebens”-formen gegeben hat, wissen wir nicht, da bin ich ganz bei Bednarik und Schulz.

  2. MH,
    ganz genau, das Leben gab es schon vor der Erde. Das ist nicht nur logisch, sondern auch notwendig.
    Ungeklärt bleibt nur die Frage, wie es das (biologische) Leben es geschafft hat, sich selbst zu erkennen in der Form des Menschen.
    Wenn man da die Evolution als Kronzeuge nennt, dann ist das eine schwacher Beweis.
    Die Religionen machen da deutlichere Aussagen.

  3. Naja die religionen können sich ihre fakten ja auch ausdenken, die evolution ist eine weitgehend bewiesene theorie, das lässt sich so garnicht vergleichen, außer dass die beweise in richtung evolution anstatt religion deuten

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