Ein erweiterter Fitnessbegriff für die Evolutionsforschung des Menschen? Eine Frage an Darwins Geburtstag
BLOG: Natur des Glaubens
Heute würde Charles Darwin seinen 203. Geburtstag feiern. Und während fundamentalistische Kreationisten dies als Unglück oder Glaubensprüfung betrachten mögen, begehen besonders in den USA auch immer mehr christliche, jüdische und islamische Glaubensgemeinschaften Evolution Weekend mit speziellen Gottesdiensten und Angeboten rund um die Fragen von Wissenschaft und Glauben. Persönlich habe ich mich aber entschieden, am Darwin-Tag eine Frage aufzuwerfen, die der Bürgerwissenschaftler sich schon selbst stellte, auf die es aber noch immer keine befriedigende Antwort gibt. Genau genommen ist noch nicht einmal klar, ob die Frage überhaupt richtig gestellt ist…
Aber geht das denn überhaupt – in einem Wissenschaftsblog zuzugeben, dass da eine Frage klafft, an der man nicht weiterkommt? Sollten Wissenschaftler nicht immer so tun, als hätten sie alles im Griff, auf alles eine Antwort – oder wenigstens eine heiße Spur? Als könnten sie über Wasser laufen?
Fast hätte es diesen Blogpost gar nicht gegeben, hätte nicht eine Kollegin mir neulich schmunzelnd die aktuelle Ausgabe der Deutschen Universitätstzeitung (duz) vorbeigebracht, dessen vieldeutiger Cartoon des Monats von Sepp Buchegger mich schmunzeln ließ. Danke an die Duz-Redaktion für die Erlaubnis, diesen maliziösen Religionswissenschaftler-Sketch hier im Blog zu veröffentlichen! 🙂
Nachdem Sie jetzt also ohnehin wissen, dass bei uns selbst Wunder nicht gut genug sind – kommen wir zur Frage.
Religiosität erhöht im Durchschnitt den Fortpflanzungserfolg. Aber reicht das?
Wie treue Leserinnen und Leser dieses Blogs, der entsprechenden Artikel oder Bücher wissen, forsche ich seit einigen Jahren an der Evolution von Religiosität und Religionen. Dabei hat sich eine zentrale Annahme bereits von Charles Darwin bestätigt: Der gemeinsame und einander durch nicht nur rationales Verhalten signalisierte Glaube an überempirische Akteure (wie Ahnen, Geister, Götter, Gott) ermöglicht es Glaubenden, untereinander durchschnittlich erfolgreicher zu kooperieren. Über Generationen hinweg setzen sich dann immer wieder jene religiösen Varianten durch, die diese Kooperation auch in höhere Kinderzahlen umsetzen – wie die kinderreichen Old Order Amish im Vergleich zu den kinderlosen Shakern. Religiöse Praxis geht daher in allen gewachsenen Weltreligionen evolutionär schlüssig mit durchschnittlich höherem Fortpflanzungserfolg einher.
Fachlich kann ich mich über die auch internationale Resonanz zu diesen Befunden wirklich nicht beklagen. Und als der komplexe Zusammenhang von Religion und Demografie nicht nur aus den USA, sondern zuletzt auch aus Israel in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt ist, berichtete auch der humanistische pressedienst (hpd).
Nun ist der vergleichende Reproduktionserfolg aber nicht nur für gesellschaftliche Prozesse relevant, sondern in der Evolutionsbiologie der gültige Maßstab für evolutionäre (“darwinsche”) Fitness.
Nur frage ich mich (und weiß, dass sich auch viele Leserinnen und Leser längst diese Frage stellen): Reicht das als evolutionäre Perspektive aus? Immerhin ist der Mensch ja nicht nur ein biologisches, sondern darüber hinaus auch ein zu Kultur, Bewußtsein und Nachdenken fähiges Wesen. Charles Darwin selbst brachte die Sache in seiner “Abstammung des Menschen” von 1871 (deutsch 1875) auf den Punkt, als er schrieb:
Grosse Gesetzgeber, die Gründer segensreicher Religionen, grosse Philosophen und wissenschaftliche Entdecker unterstützen den Fortschritt der Menschheit in einem viel höheren Grade durch ihre Werke, als durch das Hinterlassen einer zahlreichen Nachkommenschaft.
Jesus und Buddha fallen hierzu beispielsweise ein – wobei letzterer zwar der Überlieferung nach einen Sohn hatte, diesen jedoch später ebenfalls zum zölibatären Mönch ordinierte. Oder denken wir an einen Wissenschaftler, der vielleicht selbst auf Kinder verzichtet, aber ein Medikament entwickelt, das Abertausende Leben rettet. Oder eine kinderlose Politikerin, die eine Politik “für unsere Kinder” gestaltet. Wäre in diesen und unzähligen weiteren Fällen mit biologische Fitness = 0 das Eigentliche gesagt? Und umgekehrt: Hätte sich eine Menschheit, die sich stets nur maximal vermehrt, nicht gerade dadurch längst unweigerlich in ihr Verderben gestürzt? Wurden wir nicht auch durch eine balancierte Demografie zum denkenden Menschen?
Bisherige Lösungsvorschläge
In Darwins “Abstammung” und in Arbeiten späterer Evolutionsforscherinnen und -forscher fand ich im wesentlichen drei Lösungsvorschläge für diese Frage:
1. Verwandten- und Gruppenselektion, “inklusive Fitness”, globale Kooperation
Darwin betont, dass auch Menschen, die auf Überleben und Reproduktion zugunsten Anderer verzichten, dennoch (und gerade dadurch!) zum “Erfolg des Stammes” beitragen können – sie es als leuchtendes Beispiel für Kooperation (“Nächstenliebe”) oder durch Leben ermöglichende Kulturprodukte. Menschengruppen, in denen sich viele solcher “selbstloser” Menschen fänden, könnten so sehr viel besser bestehen. Martin Nowak nennt Menschen entsprechend bereits “Superkooperatoren”. Letztlich ginge es also immer weniger um den Wettbewerb, sondern zunehmend um den gemeinsamen Erfolg des (menschlichen) Lebens.
2. Steigerung des Glücks
Oder ist der Mensch vielleicht der natürlichen und sexuellen Selektion bereits so weit entwachsen, dass er sich eigene Ziele setzen kann – wie beispielsweise die Förderung des menschlichen Glücks bzw. Wohlbefindens? Dann wäre “oberhalb” der Biologie eben nicht mehr nur die “Quantität”, sondern auch die “Qualität” menschlichen Lebens zu berücksichtigen. Aber wäre das noch empirische Wissenschaft oder Wunschdenken? Und ein Glücklichmacher im Trinkwasser wirklich ein Fitnessindikator?
3. Gene versus Meme
Von Richard Dawkins stammt die Mem-Metapher. Er empfiehlt seinen Anhängerinnen und Anhängern lieber viele “Meme” als “Gene” in die Welt zu setzen. Aber abgesehen davon, dass nie eine anwendbare Arbeitsdefinition von “Memen” gelang erkenne ich auch kein überzeugendes Gewichtungskriterium. So setzt die Mem-Metapher ja voraus, dass sich die Kinder Anderer bereit finden, die Meme Kinderloser durch die Zeiten zu tragen. Und Terroristen oder Serienmörder wie Jack the Ripper mögen sehr viel mehr “Meme” hervorgerufen haben als eine engagierte Nonne, die ihr Leben der Pflege anderer widmete. Aber könnte das ein Maßstab sein?
Freilich ist es 4. durchaus denkbar, dass schon die Frage falsch gestellt ist. Immerhin ist Evolutionsforschung immer empirische Forschung – also rekonstruierend-beschreibend auf bereits geschehene (historische) Befunde gestützt. Wenn auch Darwin aber über “den Fortschritt der Menschheit” sinniert, so greift er damit doch nicht nur in die Zukunft, sondern nimmt auch eine implizite Bewertung vor. Vielleicht müsste sich Evolutionsforschung einfach damit “begnügen”, die Entwicklungsgeschichte des Menschen immer umfassender als biokulturellen Prozess zu rekonstruieren und diese Befunde dann den öffentlichen Debatten, Philosophien und Theologien zur Begutachtung und Bewertung zu überlassen?
Ehrlich gesagt: Ich weiss es einfach (noch) nicht. Bislang habe ich zu “Antwort” 4 tendiert – sicher auch, weil mir dies erlaubte, von einem gesicherten Fundament aus zu forschen. Nun aber frage ich mich, ob es dabei auf Dauer bleiben sollte. Und bin hier einfach einmal so frei, zuzugeben, dass ich da noch rätsele. Darf Sie um Ihre Einschätzungen und Meinungen bitten? Reicht der klassische, biologische Fitnessbegriff des Reproduktionserfolgs für die Evolutionsforschung zum Menschen aus?
Meines erachtens gibt es zwei Aspekt hier bei die besonders wichtig sind. Einerseits, wie lange bleibe ich in meinen Nachkommen erhalten? Wenn wir mal den Austausch von Chromosomabschnitten, Mutationen und die Eigenschaftsbildung durch mehrere Gene auf verschiedenen Chromosomen weg lassen, dann gilt die Reihe 2, 4, 8, 16, 32, 64tel. Meint aus der Urururgroßelterngeneration sind 18 direkte Vorfahren definitiv nicht mehr genetisch representiert. Andererseits lassen sich alle Eigenschaften phänotypisch vererben? Nur so ein Beispiel… ich weiß, dass keinen Gott gibt oder sagen wir ich bin davon überzeugt… Ich denke aber mit einer anderen Kinderheit, hätte ich auch gläubig werden können… Ich persönlich vermute, dass vielleicht die Denkbasis für Religösität vererben läßt, nicht aber der Glaube an den auferstandenen Heilant. Und in diesem Zusammenhang fürchte ich funktioniert die Evolution beim Menschen kaum anders als bei den Pavianen. Wirklich individuelle Merkmale lassen sich nur in kleinen Gruppe oder genetisch sehr ähnlichen erfolgreich weitergeben. Kultur, die und in ihrer Menge von anderen Arten abhebt, bedarf vieler Träger und kann so nicht als individueller Vorteil betrachtet werden.
Vorschläge zur Differenzierung
Nachdem ich da jetzt ein bisschen drüber nachgedacht habe, kommen mir drei Vorschläge zur Differenzierung in den Sinn:
1. Natürlich ist der Mensch nicht nur das Produkt seiner Gene, sondern entwickelt im Kontakt mit seiner Umwelt durch Erziehung und viele andere Einflüsse eine Persönlichkeit und eine Gedankenwelt, die sich nicht (vollständig) in den Genen wiederfindet, also auch nicht durch die schlichte Zeugung von Nachkommen weitergegeben werden kann. Dazu gehört dann ebenfalls die Erziehung dieser Nachkommen. Wenn man also fragt, ob sich ein Mensch reproduktiv durchgesetzt hat, dann muss damit nicht gemeint sein, ob er seine Gene weitergegeben hat, sondern man kann damit auch die Durchsetzung seiner Gedankenwelt bei Freunden, Bekannten, ja in der ganzen Menschheit meinen.
Das oben schon genannte Beispiel von Jesus und Buddha macht schon ziemlich gut deutlich, was damit gemeint ist, denke ich. Vielleicht wäre es allerdings von Vorteil, wenn man biologische Reproduktivität und die Reproduktivität des Geistes, wie ich sie einfach mal nenne, kombiniert, denn der Geist spiegelt sich ja auch immer in den Genen und würde sich somit biologisch verfestigen.
Dieser Vorschlag ginge also in die Richtung der von Dawkins entwickelten Memtheorie, wobei diese als ergänzend zur biologischen Fitness über die Gene verstanden werden sollte.
2. Nur noch kurze Anmerkungen: Die Reproduktivität eines Menschen kann man auch in andere Kategorien differenzieren: Individuell, bezogen auf die Gruppe und bezogen auf die ganze Art. So kann jemand selbst keine Nachkommen haben, aber sich aufopfernd um die Nachkommen von Freunden kümmern, sodass die Reproduktivität der Gruppe und letztlich der ganzen Art erhöht wird.
3. Eigentlich nicht mehr eine Differenzierung der Reproduktivität, sondern ihrer Voraussetzungen. Ist auch wahrscheinlich jedem klar, aber nur noch mal als Erinnerung: Ob ein Merkmal sich reproduktiv durchsetzt, hängt immer auch von der Umwelt ab. Heutzutage ist eine sehr hohe Kinderzahl beim Menschen vielleicht nicht mehr so günstig, wie sie früher einmal war…
Der EGO-Tunnel
Prof. Thomas Metzinger beschreibt in seinem Buch ´Der EGO Tunnel´ die Philosophie des Selbst. Ein lesenswertes Buch.
Im Zusammenhang mit dem Thema Evolution (Kap. I/2)weist er auf die Idee des ´metabolischen Preises´ hin: Wenn ein Lebewesen evolutionär neue kognitive Fähigkeiten entwickelt, muss es dafür einen Preis in Form von Zucker/Glucose bezahlen – da die erweiterten Gehirnfähigkeiten zusätzliche Energie benötigen. D.h. eine Weiterentwicklung lohnt sich nur dann, wenn das neue Merkmal auch hilft, diese zusätzliche Energie aus der Umwelt zu gewinnen.
Zwei Anmerkungen
Ich möchte zunächst nur eine kurze Anmerkung zu zwei Sätzen beisteuern, die mir aufgestoßen sind.
“Religiöse Praxis geht daher in allen gewachsenen Weltreligionen evolutionär schlüssig mit durchschnittlich höherem Fortpflanzungserfolg einher.”
Dass Religionen, deren Anhänger relativ viele Kinder bekommen, erfolgreicher bezogen auf ihre Verbreitung sind als andere mit weniger Nachkommen, kann nicht wirklich überraschen. Sozialisation ist einer der wichtigsten Faktoren, bezogen auf den Fortbestand bestimmter Glaubensrichtungen. Abgesehen davon sind auch hier soziale, wirtschaftliche und kulturelle Faktoren zu berücksichtigen. So ist bekannt, dass beispielsweise Islam und Christentum, die zur Zeit am stärksten wachsenden Weltreligionen besonders in Afrika auf dem Vormarsch sind. Dass sich dort aber im Vergleich mit Industriestaaten statistisch mehr Nachkommen finden, kann nicht auf Religiösität zurückgeführt werden. Da gibt es eine Reihe anderer Faktoren, die berücksichtigt werden sollten.
“Aber wäre das noch empirische Wissenschaft oder Wunschdenken?”.
Es gibt durchaus Wissenschaften, man denke an die Mathematik, Philosophie, Theologie oder diverse Kulturwissenschaften, die methodisch nicht auf die Erhebung empirischer Daten angewiesen sind. Deshalb sind sie aber noch lange nicht “Wunschdenken”. Der Eingangs genannte Satz ist in dieser Hinsicht schlichtweg sehr unglücklich. Ich will Ihnen keinesfalls unterstellen, dass sie einen ontologischen Naturalismus annehmen. Das würde auch keinen Sinn machen, wenn man behauptet über über Religionen zu forschen. Hier wird jedoch nicht nur vielen Disziplinen, die zurecht an Universitäten gelehrt werden unrecht getan, sondern auch der Eindruck einer Position erweckt, die sich argumentativ nicht halten lässt.
@Ole
Eigentlich möchte ich mich die nächsten Tage noch auf das ‘Zuhören’ beschränken, aber gerne zwei Punkte klären, die Sie zu Recht anfragen.
So vertrete ich als empirischer Forscher in der Tat einen methodologischen Naturalismus, nicht aber einen ontologischen.
Und daraus ergeben sich meine Zweifel bezüglich der Reichweite. Welche Fragen können wir noch empirisch erkunden und ab wann wird dies Wunschdenken, weil Philosophien und Theologien gefragt wären? Mein Respekt auch vor diesen Perspektiven ist groß.
Nachtrag – Demographie
Eine Frage ist noch offen geblieben: Selbstverständlich zeigt sich das reproduktive Potential von Religiosität nicht nur im weltweiten Maßstab, sondern auch innerhalb von Gesellschaften, Städten usw. Das obige Bild zeigt so nicht nur die Daten der WVS-Studien in 84 Nationen (orange), sondern auch speziell in Deutschland (gelb). Links im Text verweisen auf weitere Datensätze aus Israel und den USA. Und eine ganze Sammlung von Studien zu Religion & Demografie (verschiedenster Autoren) findet sich auch hier:
http://www.blume-religionswissenschaft.de/….html
Voneinander lernen
Danke, dass Sie den Punkt mit dem ‘Wunschdenken’ klar gestellt haben. Ich freue mich natürlich zu hören, dass sie nicht empirisch arbeitenden Wissenschaften Respekt entgegenbringen. Leider hört man heutzutage von einigen Naturwissenschaftlichen Kollegen auch Gegenteiliges.
Wie Sie meinen Beiträgen vielleicht schon entnehmen konnten, halte ich es an vielen Stellen für richtig und wichtig, dass sich Geisteswissenschaftler einmischen. Ich will es gar nicht so negativ beschreiben, wie man ihre Wortwahl interpretieren könnte. Philosophen und andere sollen keinesfalls nur bewerten, sondern auch kritisch Begrifflichkeiten und Methoden hinterfragen. Das nicht weil sie die besseren Einzelwissenschaftler wären, sondern einfach weil sie aufgrund ihrer Perspektive Wichtiges beitragen können.
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Die Experimente von Benjamin Libet, in denen eine Hirnaktivität gemessen wurde bevor die Versuchsperson eine einfache Handbewegung machte, lösten große Diskussionen aus. Nicht wenige Naturwissenschaftler schickten sich daraufhin an, den freien Willen für abgeschafft zu erklären. Welch weitreichende Konsequenzen diese Erkenntnis nicht nur für unser Menschenbild, sondern auch für ganz praktische Fragen (z.B. in der Rechtssprechung) hätte, kann man sich ausmalen. Doch abgesehen von methodischen Schwächen, die das Experiment offenkundig hat, stellt sich die Frage, welcher Freiheitsbegriff hier eigentlich zu Grunde liegt. Nehmen wir an auf der Ebene der Synapsen herrsche keine Determination. Folgt daraus die Willensfreiheit? Nein, bestenfalls lässt sich ein Verlust an Kontrolle diagnostizieren. Sind die Ursachen einer Handlung unbestimmbar, lässt sich nicht von einer bewussten Entscheidung sprechen. Wie könnte man da einen freien Willen verteidigen? Freie Handlungen dürfen determiniert sein, sofern die Determination vom Urheber ausgeht. Über Details der Argumentation kann philosophisch gestritten werden. Als Beispiel für den Punkt, den ich machen will, soll dieser kurze Eindruck reichen. Philosophen spielen eine wichtige Rolle bei der Beobachtung anderer Wissenschaften. Sie leisten Dinge, die empirische Forschung aufgrund ihrer Methodik nicht leisten kann und auch nicht leisten muss. Dennoch sind beide Forschungsansätze von unschätzbarem Wert und ergänzen sich gegenseitig. Auch empirische Forschung, man denke nur an die Neurologie, befruchtet die Philosophie in vielfältiger Weise.
Im Bezug auf die darwinistische Evolutionstheorie gibt es auch einige Schwierigkeiten. Damit meine ich in erster Linie methodische und begriffliche. Empirische Probleme und die moralisch-ideologischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts, die Darwin ohne Zweifel aufs schärfste verurteilt hätte, lassen wir zunächst außer Acht. Dennoch dürfte Ihnen sicher besser als mir bekannt sein, dass Darwin Anleihen bei Thomas Robert Malthus genommen hat und sich vom Vorwurf, in seiner These schwinge Ideologie mit, nicht gänzlich frei machen kann. Erkenntnistheoretisch wirft jedoch allein schon der Fitnessbegriff genügend Fragen auf. Vielleicht können wir auf dieses Problem an einer anderen Stelle eingehen. Ich möchte sie nicht erneut aus Ihrer ‘Zuhörer-Rolle’ nötigen. Außerdem hat dieser Beitrag bereits eine beträchtliche Länge erreicht, so dass es Zeit wird zum Ende zu kommen.
Den Verweis auf bedeutende Philosophen zum Thema verkneife ich mir. Dennoch möchte ich zum Abschluss, ein knackiges Zitat von Friedrich Nietzsche streuen. Der sagte nämlich in seiner Götzendämmerung: “Darwin hat den Geist vergessen (- das ist englisch!)”.
Die Sache mit der “Fitness”
Ich möchte anmerken, dass der Begriff „fitness“ für meinen Geschmack nicht deutlich herausgearbeitet ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird er im Sinne der „strength“ (Stärke) gebraucht, meint im Kontext der Darwinschen Evolutionstheorie jedoch „Angepasstheit“ (Man denke an des Klempners „Fitting“).
Ich habe den Artikel nach dem ersten Lesen so aufgefasst, das Religiösität mit genau diesem Sinn von „fitness“ des allgemeinen Sprachgebrauchs in Verbindung gebracht wird (Zitat: „Über Generationen hinweg setzen sich dann immer wieder jene religiösen Varianten durch, die diese Kooperation auch in höhere Kinderzahlen umsetzen…“). Insofern sind Ergebnisse, die eine positive Korrelation von Vermehrung und Religiösität aufzeigen freilich erfreulich („Je mehr, desto stärker“). Betrachtet man „fitness“ allerdings im Sinne der Anpassung, ist die Frage zu stellen, inwieweit ein (stetes) „mehr“ eine gelungene Anpassung darstellt. Denn dieses „mehr“ „erzeugt“ auf der Seite der Ressourcen ein „weniger“, dass die Art als Ganzes in Gefahr bringen kann (außer freilich, die Todesrate steigt adäquat, dieses „mehr“ dann allerdings auch wieder Folgen haben wird…).
Insofern ist es durchaus denkbar und wohl im „evolutionären Sinne“ angebrachter und angepasster, mit einer moderaten Vermehrungsrate zu operieren – also besser keine Religiösität.
@Volker Homann: Fitness für wen?
Sie unterscheiden nicht – genau so wenig wie der Autor Michael Blume – zwischen der Fitness einer Populationsgruppe und der Fitness der ganzen Art (hier also der Menschheit) wenn sie schreiben:
Wenn die Menschheit als Ganzes durch Übervölkerung in Schwierigkeiten gerät, dann leiden alle darunter und eventuell sterben in der Folge viele direkt (Hunger) oder indirekt (Krieg) wegen der Überpopulation. Doch – und das ist der entscheidende Punkt – anschliessend gibt es unter den Überlebenden immer noch einen grösseren Anteil derer, die sich vorher rasant vermehrt haben. Sind es also vor allem die Religiösen, die sich vermehren, dann werden mit oder ohne Populationskatastrophe die Religiösen und ihre Religionen den Sieg davontragen, indem sie immer mehr den Ton angeben.
Wenn es hier um Evolution geht, dann geht es letztlich um Sein oder NichtSein und nicht um Glücklichsein. Superkooperation, Altruisums oder beliebige andere Phänomene sind im Licht der Evolution nur Mittel um mehr Erfolg zu haben und mehr Erfolg bedeutet mehr Lebewesen, die ein bestimmtes Merkmal haben. Evolutionäre Kräfte gibt es inzwischen wohl auch für Ideen und Religionen verkörpern solche Ideen. Aber wer weiss, vielleicht verkörpern Religionen nicht nur Ideen, sondern sogar Gene (Gottes-Gen).
Allerdings ist der Vermehrung der Religiösen in Wirklichkeit eine Grenze gesetzt durch die Tatsache, dass auch Religionen einem Erosionsprozess unterliegen. Zunehmender Wohlstand und damit abnehmender Gruppenzwang führen zum Abfall von der Religion. Umgekehrt nimmt in schwierigen Verhältnissen die Religiosität zu. Es ist kein Zufall, dass die Reislamisierung dort besonders stark ist, wo es politisch überhaupt nicht klappt und die Zukunftsaussichten alles andere als gut sind.
Es könnte also folgenden selbstverstärkenden Effekt geben: Mehr Nachkommen -> mehr Elend -> mehr Religiosität -> mehr Nachkommen.
Den Rest der Kette überlasse ich der Fantasie der Leser.
Fitness/Anpassung
Ich möchte noch mal darauf hinweisen, dass man bei der Zuweisung eines Fitnesswertes die Umweltbedingungen berücksichtigen muss. So war vor 2000 Jahren eine hohe Reproduktivität auch aufgrund der hohen Kindersterblichkeit sehr vorteilhaft und deshalb Grund für eine erhöhte Fitness. Heute sorgt der medizinische Fortschritt dafr, dass eine geringere Reproduktivität viel besser wäre, um die Fitness der Menschen zu erhöhen.
Deshalb ist es schon mal schwierig (=unmöglich), Religionen insgesamt und für alle Zeiten _einen_ Fitnesswert zuzuordnen.
Wenn man außerdem den Religionen die (alleinige) Schuld an der Überbevölkerung gibt, dann sollte man sich die Zahlen noch mal genauer anschauen: Der Effekt der Religionen ist z.B. lange nicht groß genug, um die Alterung Deutschlands aufzuhalten. Die Kette “Mehr Nachkommen -> mehr Elend -> mehr Religiosität -> mehr Nachkommen” kann man also an keinem Punkt wirklich so einfach stehen lassen, wie aber auch wohl jedem klar sein dürfte. Nur noch mal als Hinweis 😉
Erst denken, dann forschen
Wegen Unsachlichkeit gelöscht. Lieber Herr Trepl, bitte gewöhnen Sie sich einen angemessenen Ton an. Ich investiere für diese Blogdialoge knappe Freizeit und möchte mich gerne mit ernsthaften Beiträgen befassen. Vielen Dank. M.B.
@Sebastian Voß & Volker Homann
Lieber Sebastian Voß, ich wollte mich einfach für die sehr durchdachten Kommentare bedanken, die m.E. schon einiges auf den Punkt bringen. Habe sie jetzt mehrfach gelesen und grübele darüber.
Lieber Herr Homann, in der Evolutionsforschung verwenden wir keinen “umgangssprachlichen” Fitnessbegriff, sondern wenn überhaupt, dann jenen der Biologie, vgl.
https://scilogs.spektrum.de/…-fitness-und-religiosit-t
Ob diese wissenschaftliche Arbeitsdefinition im Bezug auf die Evolutionsforschung zum Menschen ausreichend ist oder ob es umgekehrt nicht neue Probleme aufwerfen würde, diesen zu erweitern – das ist hier die Frage.
Wenn ich Sie richtig verstehe, würden Sie wieder eher zum Konzept der “Arterhaltung” (wie z.B. K. Lorenz) hin tendieren, das aber zumindest in der Biologie zugunsten der Betrachtung von Genfrequenzen in Populationen aufgegeben worden ist. Auch würden Sie die Chancen zukünftiger Generationen einrechnen wollen und z.B. Faktoren wie Ressourcenverbrauch zu berücksichtigen. Verstehe ich Sie richtig?
@ole
Ja, in der Befürwortung von interdisziplinärem Dialog auf Augenhöhe kann ich Ihnen gar nicht genug zustimmen. Und habe auch insgesamt überwiegend gute bis sehr gute Erfahrungen damit gemacht.
Ein Beispiel ist die von Ihnen angesprochene Willensfreiheit, über die ich z.B. intensiv mit dem Theologen Wolfgang Achtner debattierte und dessen Buch zum Thema ich rezensierte und noch immer sehr empfehlen kann:
http://www.spektrum.de/artikel/1064965
Allerdings kann interdisziplinärer Dialog m.E. nicht heissen, dass empirische Forscher Begriffe und Daten erarbeiten – und Geisteswissenschaftler dann nur mäkeln. Vielleicht gibt es von der einen Haltung im Englischen manchmal wirklich zu viel – und von der anderen im Deutschen. Gerade in diesem Blogpost gebe ich ja zu, nicht weiter zu wissen und Rat zu suchen. Also los, weisen Sie mir bzw. uns einen Weg! 🙂
Fitnessbegriff – ja: erweitern
Richtig begreife ich nicht, wo Dein Problem ist. Wenn man Reproduktionserfolg nicht nur in der Zahl der Nachkommenschaft sieht. Nicht nur im Weitergeben von Genen. Sondern auch in den Lebensbedingungen, die man der Nachkommenschaft zubereitet, in der Nachhaltigkeit, in den ganzen zivilisatorischen und kulturellen Bedingungen. Da kann eine demographische Stabilität sehr wohl zu den Überlebensbedingungen der Menschheit gehören. Also: Reproduktionserfolg durch Verzicht auf wachsende Reproduktion.
Langfristig wird man ja den Reproduktionserfolg auch im Maß gesicherter sozialer Verhältnisse oder im Maß gesellschaftlicher, politischer Stabilität messen. Da gibt’s mannigfache zivilisatorisch-kulturell-biologische Wechselwirkungen. Und das ist doch klar: das ist eine mehrschichtige Angelegenheit, die über das, was man unmittelbar biologisch feststellen kann, über die Weitergabe von Genen, weit hinaus geht.
Auch der religiöse Faktor spielt dabei eine Rolle, die du mit Recht hervorhebst. Gibt natürlich noch weitere Faktoren (die auch wieder in unterschiedlichster Weise mit Religion verknüpft sind):
Beispielsweise gab’s ja mit Beginn der Neuzeit für Europa gewisse Veränderungen zB durch die Industrialisierung und die Eroberung von Kolonien (neue Nahrungsressourcen, Formen der Nahrungsbeschaffung, des Nahrungstransports…). Auch durch entsprechende Auswanderungen nach Amerika und Osteuropa. Und für Deutschland besonders eindrücklich, die Auswirkung der bismarckschen Sozialgesetze: Bessere Überlebensfähigkeit und dadurch verminderter Druck zur Nachkommenschaft. Das ist auch eine Form von Reproduktionserfolg. Die Kriege waren dann etwas kontraproduktiv. Bei beiden Beispielen kann man die Verknüpfungen (unterschiedlichste!) mit Religion(en) wahrnehmen.
So können auch Leute, die Häuser, Betten 😉 … herstellen, ebenso zum Reproduktionserfolg beitragen wie auch Leute, die Kindergärten und Schulen bauen oder betreuen – also die längerfristige Pflege und Begleitung der Nachkommenschaft. Und da gibt’s vielerlei Tätigkeiten, die außerhalb des unmittelbaren Nestbaus wichtig sind – vielerlei indirekte „Helfer am Nest“ (und natürlich auch Nestbeschmutzer).
Das kann auch schon bei Tieren sein: Irgendwo haben doch Affen gelernt, Kartoffeln auf eine bestimmte Art zu waschen. Hat sich anscheinend als besondere Technik dieses Affenstamms bewahrt. Ich weiß es nicht genauer – jedenfalls: Falls so etwas zur Ernährungssicherheit beigetragen hat, könnte das ein Beitrag zum reproduktiven Erfolg werden – ohne dass der Affe, der das zuerst gemacht hat, selber besonders viel Nachkommen haben muss. Aber er wäre so etwas wie ein Helfer am Nest. Und so können viele handwerkliche oder technische Erfindungen Reproduktionsvorteile bringen – nicht unbedingt den Erfindern persönlich, sondern denen, die die Erfindungen benützen.
Zu dem allem muss man natürlich wahrnehmen, dass es kulturell vermittelte Standortvorteile gibt, die sich für eine Gruppe als Selektionsvorteile auswirken – also so etwas wie Gruppenselektion, auch wenn manche orthodoxen Biologen darauf beharren, dass Selektionsvorteile nur in der individuellen Ausstattung von Genen begründet sei. Menschliche Zeugung und Geburt und Aufzucht geschieht nicht im Labor, sondern braucht ein gewisses Umfeld, das kulturell sehr verschieden geprägt und insofern zum Erfolg beitragen kann.
Weiter: ein einmal festgestellter Reproduktionserfolg aufgrund bestimmter biologischer Eigenschaften oder kultureller Einflüsse ist ja nicht auf immer festgeschrieben: Verändern sich Umwelteinflüsse, kann ein bisheriges Erfolgsmodell auch wieder verschwinden. So geschehen an den Sauriern. Oder wenn sich Techniken der Menschen verändern, verändern sich dadurch die Umweltbedingungen für die Tiere, von denen (zu) viele derzeit massenhaft aussterben – und wenn sie noch so sehr Erfolgsmodelle waren. Oder: Was wir „Raubtiere“ nennen, das ist in gewissem Sinn ein Erfolgsmodell; diese erfolgreichen Tiere sind aber wiederum gerade deshalb durch den Menschen besonders gefährdet. Ebenso: Die Stoßzähne der Elefanten: Ihr Erfolgsmodell; und der Grund, warum zu viele schon ausgerottet sind.
Worauf ich hinaus will: Evolution ist ein sehr ambivalentes Geschehen, in dem verschiedene Eigenschaften und Verhaltensweisen in jeweils unterschiedlicher Weise mal zum Erfolg beitragen und dann auch wieder sich schädlich auswirken können.
Auch Religion kann aufbauend wirken oder zerstörerisch, gesundmachend und kränkend – und womöglich sogar bei manchen positive (Reproduktions-)Erfolge bewirken, indem gleichzeitig andere geschädigt werden, indem Erfolge ungerecht verteilt werden. Deshalb ist’s nicht falsch, auch bei der Arznei namens Religion die „Risiken und Nebenwirkungen“ anzusehen und zu versuchen., mit Herz und Verstand entsprechend zu gestalten.
Ich habe deine Sachen bisher so gelesen, dass du das alles mit einkalkulierst. Und dass du, wenn du vom religiösen Beitrag zum Reproduktionserfolg redest, genau die vielfältigen kulturellen, sozialen politischen Ebenen und die Ambivalenz im Blick hast. Wenn das alles (na ja nie total, aber genügend) zusammen“passt“, dann ergibt es die entsprechende „Fitness“, die beim Menschen eben komplizierter zu definieren ist als bei Ameisen. Der Fitnessbegriff ist nicht falsch oder überholt. Er muss aber in seiner ganzen, auch kulturellen und politischen Vielschichtigkeit gesehen werden – eben: ein „erweiterter Fitnessbegriff“.
Unfruchtbare Evolutionstheorie
Den Ansatz, Religiosität „erklären“ zu wollen mit den Mitteln der derzeitigen Evolutionstheorie, halte ich für außerordentlich bedenklich, da die Evolutionstheorie dem Wesen des Religiösen niemals gerecht werden kann, sondern es im Gegenteil zwangsläufig verfehlen muss. Der Grund ist, dass die Evolutionstheorie nur ein einziges Interpretationsmuster für alles Vorhandene zulässt, nämlich die „Aufdeckung“ (oder muss man eher sagen: die Erfindung) eines damit verbundenen hypothetischen Selektionsvorteils. (Das Wort „Aufdeckung“ steht nicht umsonst in Füßchen, da es sich bei evolutionstheoretischen Interpretationen, besonders wenn sie den Menschen betreffen, ausschließlich um hypothetische Konstruktionen handelt.)
Sich auf die Perspektive einzulassen, Religion unter evolutionstheoretischen Gesichtspunkten zu betrachten, heißt, Religiosität einer rein äußerlichen und funktionalen Deutung zu unterwerfen. In dieser Perspektive taucht allerdings nichts davon auf, was das subjektive Phänomen und die Inhalte des Glaubens betrifft. Für den Evolutionstheoretiker rücken nur diejenigen äußerlichen Aspekte der Religion in den Blick, die in seine funktionalen Interpretationsschemata passen.
@Hermann
Danke, das ist sehr hilfreich!
Und, ja, Du hast Recht – schon bisher denke ich so, allerdings auf Basis der Unterscheidung von Beschreibung (empirisch) und Bewertung (metaphysisch). Aber ich frage mich: Soll sich der Fitnessbegriff ‘erweitern’ oder beschränken? Und bin freudig überrascht, dass Du meine Sorge vor Grenzüberschreitung ins Wertende hier gar nicht so teilst. Ein biokultureller oder gar holistischer Fitnessbegriff – das wäre doch vielleicht was…
@fegalo
Letztlich decken wir über die Evolutionsforschung die Geschichte der Merkmale auf. Und ich habe es nie so empfunden, dass unser wachsendes Wissen um die Evolution z.B. von Liebe, Sprache, Musik, Kunst, Literatur, Geschmack oder Religion sie entzaubern würde – im Gegenteil. Heute erfahre, staune, ja lebe ich eher noch bewusster. Würden Sie wirklich dafür plädieren, die Evolutionsforschung zum Menschen einzustellen?
Kinder
Unter http://www.spektrum.de/…ottesfuerchtigen/1138871 gab es einen notwendigen und übersichtlichen Beitrag, der hier angesprochene Themen durchaus ergänzen kann.
Damit sich eine Gesellschaft entwickeln kann, geht es nicht ohne Kinder. Wie viel es sein sollen, hängt von den Umständen mit ab – in D könnten es mehr sein. Arme Völker haben mehr Kinder, weil weniger Erwachsen wurden.
In Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten die Geburtenrate etwa halbiert, das bedeutet nun nicht, dass weniger Kinder erwachsen werden! Hinzu kommt, dass die älteren Leute auch deutlich verbesserte Lebensbedingungen gefunden haben – und so wächst Indiens Bevölkerung weiter und kann in 7-8 Jahren die Bevölkerungszahl der Chinesen überschreiten.
Hermann Aichele sieht den „…Reproduktionserfolg nicht nur in der Zahl der Nachkommenschaft… Nicht nur im Weitergeben von Genen. Sondern auch in den Lebensbedingungen…“ So lange z. B. in Afrika die Eltern in ihren Kindern eine Alterssicherung sehen, müssen die Frauen wegen der schlechten Gesamtbedingungen mehr Kinder gebären, als sie großziehen können – eine zusätzliche Belastung!
Eine deutlich höhere Kinderzahl – Tafel seit fruchtbar…, bzw. „Religiosität erhöht im Durchschnitt den Fortpflanzungserfolg“ – kann nicht die Lösung sein, wenn es um die Ressourcen der Erde geht. Die allseitige Bildung ist ein wichtiger Beitrag, um die anstehenden Probleme der Menschheit zu lösen!
Fast bin ich geneigt, JA zu sagen, weil mir die Elaborate zum Thema Mensch, die von der Evolutionsbiologie hervorgebracht werden, gar nicht mehr wie Forschungsergebnisse vorkommen, sondern wie weltanschauliche Traktate. Was unter der Fahne empirischer Wissenschaft einhersegelt, ist – wie etwa bei der evolutionären Psychologie – eine fast komplett empiriefreie Spekulation, welche für sämtliche Erscheinungen des Lebendigen und des angeborenen menschlichen Verhaltens nur den einen Erklärungsschlüssel „Selektionsvorteil“ anzubieten hat und auch als einzig wissenschaftlich vertretbar verteidigt. Glauben Sie wirklich, damit würde die Wirklichkeit angemessen erfasst?
Ich plädiere also nicht gegen Forschung als solche, sondern gegen die Anwendung einer bestimmten spekulativen Ideologie, die geneigt ist, sämtliche Phänomene des Menschlichen mit der Deutung durch einen primitiven Mechanismus „aufzufressen“, indem sie einzig die funktionale Betrachtungweise übrig lässt.
Wenn Sie sagen, dass die Evolutionstheorie Ihre Erfahrung von Liebe, Sprache, Musik, Kunst, Literatur, Geschmack oder Religion nicht entzaubern würde – im Gegenteil : dann frage ich mich, ob Sie die Evolutionstheorie in ihrer derzeitigen Ausformulierung wirklich konsequent zu Ende gedacht haben.
Biologen haben das getan. Vielleicht Der Erste, der es tat, oder zumindest veröffentlichte, war Jacques Monod, der schon 1970 ganz konsequent eine Mutter definierte als eine „Maschine, die alles in ihrer Macht stehende tut, um die in ihren Kindern enthaltenen Kopien ihrer Gene zu erhalten“ oder als „Umweg der Natur, um zu einer Kopie der eigenen Gene zu kommen“ (Zitate aus dem Kopf).
Das ist konsequentes Denken im Sinne der wissenschaftlichen Evolutionstheorie. Innerhalb einer solchen Deutung verdampft Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit, Tugend, Geschmack und Religion zu einer rein auf möglichen individuellen Reproduktionserfolg ausgerichteten Funktion ohne Inhalt.
Das, was wir als Praktizierende der Liebe, der Verantwortung, des Geschmacks, der Religion als deren Gehalt erfassen, wird durch Theorie der Evolution der „Uneigentlichkeit“ überführt. Denn es geht nicht um die Inhalte, um die wir glauben, dass es uns geht. Sondern es geht um Fortpflanzung. Doch nicht einmal das ist richtig, da dort niemand ist, dem es darum ginge, sondern das bezieht sich nur auf das zufällige Vorhandenseins eines Programms. Denn eigentlich geht es um gar nichts.
Das ist die Perspektive der Evolutionstheorie.
Nachtrag: dialektische Fitness
Bevor ich Deine lobenden Worte gelesen habe – danke! – kam mir noch was, was ich nachtragen sollte: Vielleicht sollte man dezidiert davon reden: original war der Fitnessbegriff wohl sehr passivisch gedacht: das, was in die jeweilige Umwelt hineinpasst, relativ besser als andere passt. Spätestens beim Menschen (aber wie angedeutet, auch bei manchen handwerklich/kulturellen Leistungen von Affen ) muss man von einer aktiv-passiven Wechselwirkung reden: Der Mensch macht sich auch die Umwelt passend. Also dialektische Fitness!
Na ja, da könnte man mit dem Wort spielen: Der Mensch verpasst sich da was und verpasst auch manches. Und er muss aufpassen, was er sich da anpasst… Und wem es dann – doch nicht – passt.
Ernsthafter: Eben deshalb kommt wohl das mit den Werturteilen hinein, die natürlich keine rein wissenschaftliche Frage sein können, sondern politisch, moralisch, religiös. Ich nenne da lieber diese Zusammenhänge als den Begriff „metaphysisch“, dessen Bedeutung ja auch sehr schillert: im allgemeinen Sprachgebrauch = überweltlich; in einem strengeren Sprachgebrauch dann erst: alles, was über die wissenschaftlichen Beobachtungen hinaus wertende Zusammenhänge benennt.
Egal wie ausgedrückt – da muss man dann doch aufpassen wegen der Grenzüberschreitungen. Ist gut, wenn man bei allem die Naturwissenschaft zu Rate zieht, aber sich dadurch das Werturteil nicht diktieren lässt. Es muss ja nicht gleich so schief laufen wie beim Sozialdarwinismus. Es darf aber auch nicht so schief laufen, dass Religionen – obwohl wissenschaftlich klar widerlegt –menschliche Verhaltensweisen als widernatürlich bezeichnen. Beispiel Homosexualität. Und trotzdem: Nicht alles, was „nur natürlich“ ist, ist deshalb menschlich tolerabel. Da wird’s halt schwierig. Am besten wird’s sein, wenn es einen offenen Diskussions-Prozess gibt, bei dem keine Seite ein alleiniges Recht beansprucht. Eine Art Gewaltenteilung zwischen den Entscheidungsträgern; und Offenlegung der Karten.
Und das trägt auch dem Rechnung, dass eine richtige Entscheidung von heute schon morgen wieder falsch sein kann. Beispiel: Je nach Sozialgesetzgebung ist die Entscheidung für viele oder wenige Kinder die richtige.
Empirie oder Ideologie?
@fegalo. Als Theologe verstehe ich Ihre Einwände natürlich. Ich würde es aber so sagen: Natürlich kann jede menschliche Verhaltensweise, Religion ebenso wie Musik oder Tanz, unter evolutionären Gesichtspunkten betrachtet werden. Und das ergibt sinnvolle Perspektiven. Nur Vorsicht mit der Behauptung, diese Betrachtungsweise würde alles „erklären“. Es gibt in der Religion ebenso wie in der Kunst Zusammenhänge, wofür man keine evolutionsbiologische Erklärung braucht, um die zu verstehen. In anderem Zusammenhang habe ich mal formuliert: Wissenschaft kann alles erklären, aber das erklärt nicht alles.
Gestern Nacht gelang’s nicht mehr, das reinzusetzen. Mein anderer, mit Ihnen zeitgleicher Kommentar von 0:05 Uhr hat scheints was blockiert. Jetzt das als Nachtrag:
Die Gefahren haben Sie sehr schön skizziert, karikiert. Aber man muss diesen doch nicht erliegen. Von Kant habe ich auch mal (in der Schule, vor knapp 50 Jahren) gehört, er habe Ehe definiert als – auch frei zitiert – Vertrag von Vertretern zweier Geschlechter, um ihre jeweiligen Geschlechtseigenschaften zum gegenseitigen Vorteil einzubringen . Der Lehrer hat damals gesagt, man müsse wohl Philosoph sein, um es so trocken auszudrücken.
Andererseits: Das, was Sie über evolutionäre Psychologie schreiben und über andere zur Anthropologie relevanten Äußerungen – „empieriefreie Spekulation“ – da gibt’s doch genügend Darstellungen mit einer Unmenge konkreter Fallbeispiele.
@Ludwig Trepl Erst denken, dann forschen
Lieber Herr Blume,
erklären Sie mir doch bitte, was an dem von Ihnen gelöschten Betrag unsachlich war. Ironisch war er, aber unsachlich? Das ist doch etwas ganz anderes. Die Quintessenz des Beitrags war zudem das, was man in der empirischen Sozialforschung natürlich nicht gern hört, was aber ihr Hauptproblem ist. Und das sollte sie sich doch sagen lassen.
Viele Grüße
Ludwig Trepl
@Michael Blume
Herr Blume, Danke für Ihre Antwort. Ich ging davon aus, der der biologische „Fitness“-Begriff gemeint ist, doch mein Kommentar bezog sich auf den „ersten Eindruck“ im „schnellen Überfliegen“ des Artikels. Ich bin -wie viele andere vielleicht auch- kein Experte, deshalb war es mir wichtig, auf diesen Eindruck hinzuweisen. Ein kleiner Wink auf „Sozialdarwinismus“ steckt vielleicht inhaltlich dahinter.
Ich denke, mit der menschlichen Evolution ist das so eine Sache. Wir Menschen sind ja wohl jene Tiere, die im höchsten Maße Einfluss auf das „Habitat“ (ugs: „die Welt“) nehmen, es verändern, gestalten, etc. und dies auf uns zurückwirkt („Selbstbezüglichkeit“). Insofern steht für mich in Frage, ob ein rein biologisches Evolutionsverständnis ausreichend ist, um menschliche Evolution und deren empirisich „messbaren“ Effekte zu verstehen. Ich bin kein Experte, denke aber, es ist trotz raffinierter statistischer Werkzeuge oder auch Winkelzüge nicht einfach, gemessene Effekte auf ein isolierten Faktor zu religieren (Wortspiel!), meint: ursächlich zurückzuführen. In diesem Sinne schließe ich mich dem [aus welchem Grund auch immer gelöschten] Kommentar von Herrn Trepl an: Die in Ihrem Artikel gezeigten Ergebnisse haben für mich ein wenig den Ruch, wie einst von den Störchen auf die Babies zu schließen, nur weil da eine positive Korrelation zu finden war. Simplifizierung ist gut und richtig, zuviel davon verklärt möglicherweise die „wahren“ Gegebenheiten. Das ist kein Urteil, sondern ein Eindruck. [Es handelt sich also in keiner Weise um eine Beurteilung ihrer methodischen Lauterkeit.] Ich hoffe zum Verständnis beigetragen zu haben.
So, und nachdem das nun so geschrieben und in [] erweitert ist und ich die restlichen Kommentare in meinem Postfach gelesen habe, ist’s wohl so, dass ich mich Herrn Aichele anschließen kann und mir diesen Kommentar hätte sparen können. Nun denn.
Reproduktion. Aber Erfolg?
Mich stört, dass Sie (Herr Blume) immer nur von “Reproduktionerfolg” sprechen. “Reproduktions-Rate” oder dergleichen wäre deutlich angemessener. Angesichts der 7 Milliarden Menschen auf dem Planeten können sehr viele Menschen, mich eingeschlossen, bei hohen Reproduktions-Raten bei Menschen nicht von einem Erfolg sprechen. Auch wenn dies innerhalb der Biologie so üblich ist.
Dass man die Evolution von Homo sapiens angesichts seiner aktuellen Möglichkeiten nicht nur auf der Grundlage rein biologischer Parameter sehen kann, ist ernsthaft eine Frage und keine Selbstverständlichkeit? Das überrascht mich. Homo sapiens ist schon jetzt in der Lage seine Evolution aktiv zu steuern und wird es in Zukunft womöglich auch verstärkt tun. Auf Grundlage dessen noch mit darwischen Begriffen zu zu sprechen, ist schon merkwürdig.
Evolution versus Geschichte
Im Reigen Ihrer Varianten ist Variante 4 mein Favorit.
Ich bezweifle, dass die Evolutionstheorie ein geeignetes Erklärungsprinzip für die menschliche Geschichte ist.
Der Hauptgrund ist, dass der grundlegende Begriff der Evolutionstheorie der Begriff des Individuums ist. Gene sind eben Komponenten der funktionellen Ausstattung des Individuums, welche Fitness und Selektion bestimmen.
Die menschliche Geschichte ist aber keine Geschichte von Individuen, sondern die Geschichte überindividueller Einheiten wie Ethnien, Völker usw. In diesen Einheiten machen aber biologische Begriffe wie Mutation, Selektion usw. keinen Sinn, sie sind leer.
Für die historische Entwicklungen beim Menschen wie die der Religiosität muss ein anderes Erklärungsprinzip gefunden werden.
Auch in der Biologie ist nicht unbestritten, dass die auf das Individuum bezogenen Kategorien ausreichen, auch die Evolution überindividueller Einheiten in der Biologie wie Populationen, Arten oder gar höherer Taxa hinreichend zu erklären. Ich meine, hier sind auch in Biologie weitere Erklärungsprinzipien erforderlich, die dann auch bei der Beschreibung überindividueller Einheiten beim Menschen eine Rolle spielen könnten.
Und übrigens:
Wodurch ist eigentlich belegt, dass die Korrelation zwischen Geburtenzahl und Anzahl der Kirchgänge nicht ebenso eine Scheinkorrelation wie die zwischen Geburtenzahl und Anzahl der Störche?
@fegalo
Den Worten von H. Aichele kann ich mich da nur anschließen. Klar gibt es unter Biologen Reduktionisten, wie sich in jedem Fach Leute finden, die die eigene Perspektive verabsolutieren. Schon Darwin war aber weiter – siehe oben das Zitat in Fettdruck – und grübelte auch über “Fortschritt” jenseits der biologischen Parameter.
Und gerade im durchschnittlich höheren Reproduktionserfolg religiös aktiver Menschen liegt ja sogar ein empirischer Einspruch: Offenkundig hat der biologische Reduktionismus nicht nur philosophisch-wissenschaftliche, sondern auch beobachtbar-lebensweltliche Schwierigkeiten. 😉
Und ich kann nur unter dem Eindruck der letzten ESEB sagen, dass dies sehr viele gerade auch der jüngeren Biologinnen und Biologen auch so sehen (hier mit Foto):
https://scilogs.spektrum.de/…iologen-sind-gar-nicht-so
Anders gesagt: Spätestens beim Menschen greift die nur biologische Perspektive zu kurz.
@Ludwig Trepl
Lieber Herr Trepl, schon die Überschrift Ihres Kommentars “Erst denken, dann forschen” ist eines Dialoges unter Kollegen unwürdig. Gehen Sie bitte einfach davon aus, dass wir auch in der Religionswissenschaft unsere Abschlüsse, Titel, Auszeichnungen, Publikationen etc. nicht verlosen, sondern erarbeiten.
Sie wollen ja sicher auch nicht, dass Ihnen Fachfremde mit höhnisch-herablassenden Halbkenntnissen die Zeit stehlen. Und wenn Sie dann vielleicht auch einmal einen erfolgreichen Wissenschaftsblog haben werden (was ich Ihnen wünsche & gönne) werden Sie feststellen, dass konstruktive Diskutanten sich zurück ziehen, wenn das Niveau erst einmal unter bestimmte Grenzen fällt. Dafür ist mir NdG zu schade, deswegen schreite ich da inzwischen konsequent ein.
Also: Bitte verhalten Sie sich im Ton doch einfach so, wie Sie das von anderen auch für sich und Ihre Blogposts wünschen würden. Man glaubt es vielleicht nicht, aber: Gutes Wissenschaftsbloggen ist ein Teamsport.
@Volker Homann
Lieber Herr Homann, seien Sie als Kommentator auf dem Blog herzlich willkommen – auch wenn Sie auf dem Gebiet (noch) kein Experte sind. Ein Blog ist ja eine gute Gelegenheit, sich niederschwellig und kostenfrei zu informieren und auch eigene Eindrücke einzubringen.
Und ich habe oft und viel von Beitragenden (wie z.B. Sebastian Voß) gelernt, die sich etwas eingelesen und eingebracht haben – oft mit frischen Argumenten und Perspektiven. Auch Ihr “erster Eindruck” ist für mich durchaus hilfreich.
Auf die Storch-Baby-Korrelationsfrage gehe ich dann gerne in der Antwort auf Herrn Litsche ein.
@Detlef Piepke
Sie fragten: Dass man die Evolution von Homo sapiens angesichts seiner aktuellen Möglichkeiten nicht nur auf der Grundlage rein biologischer Parameter sehen kann, ist ernsthaft eine Frage und keine Selbstverständlichkeit?
Biologische Reduktionisten sind zwar auf dem Rückzug (vgl. die Antwort auf @felago), aber es gibt sie durchaus noch. Und das Problem ist eher, dass es von Seiten der Biologie noch relativ definierte Begriffe gibt (wobei es damit bei näherem Hinsehen oft auch gar nicht so eindeutig ist, vgl. den Artbegriff o.ä.), von Seiten der Kulturwissenschaften aber noch nicht. Auch z.B. der Begriff des “Mems” ist ja daran gescheitert, dass nie eine anwendbare Arbeitsdefinition gelungen ist.
In der Forschungsrealität werden also biologische Begriffe sowie kulturwissenschaftliche Begriffe (wie z.B. Tradition) nebeneinander, aber unverbunden verwendet. Und das führt dann zum von Ihnen formulierten Unbehagen, das ich durchaus teile. Mehr in der Antwort auf @G. Litsche.
@Georg Litsche
Tja, der alte Biologenstreit über die Ebene der Selektion… Ich habe den “Reproduktionserfolg” nicht aus der individuellen, sondern aus der genetischen Perspektive kennen gelernt, womit sich ja auch Varianten wie die Verwandtenselektion rechnen lassen. Und inzwischen sind ja auch gruppenselektive Argumente wieder schwer im Kommen, die noch vor wenigen Jahren als erledigt galten. Da ist die Biologie selbst also sehr in Bewegung.
Sie fragten (wie andere auch): Wodurch ist eigentlich belegt, dass die Korrelation zwischen Geburtenzahl und Anzahl der Kirchgänge nicht ebenso eine Scheinkorrelation wie die zwischen Geburtenzahl und Anzahl der Störche?
Diese Korrelation ist belegt, weil wir neben zahlreichen statistischen Korrelationen inzwischen Dutzender verschiedener Forscherinnen und Forscher aus zahlreichen Nationen auch Fallstudien haben: Den über Jahrhunderte hinweg enorm hohen Geburtenraten z.B. von Old Order Amish, Hutterern, orthodoxen Juden, Old Order Mennonites, Mormonen etc. steht bislang keine einzige Beschreibung einer auch nur demografisch stabilen, nichtreligiösen Population gegenüber. Wir haben bislang keinen einzigen Fall für eine auch nur ein Jahrhundert kinderreiche, nichtreligiöse Population, Bewegung, Gemeinschaft, Siedlung o.ä. gefunden! Neben die quantitativen Daten sind damit auch qualitative Belege in rauen Mengen getreten – und es werden ständig mehr. Hier ein kostenloser Fachartikel mit einer ganze Reihe Datensätze:
http://www.blume-religionswissenschaft.de/…n.pdf
Hier eine Fallstudie zu den kinderreichen Old Order Amish:
http://www.blume-religionswissenschaft.de/…y.pdf
Und hier ein Online-Verzeichnis mit vielen religionsdemografischen Studien auch anderer Forscherinnen und Forscher:
http://www.blume-religionswissenschaft.de/….html
Und wer es dann immer noch nicht glauben mag, dem empfehle ich einfach mal einen Besuch in Israel, in dem die Demografie der (streng) Religiösen gerade Gesellschaft und Politik verändert, Herr Deistung hat ja oben bereits einen Link gesetzt.
@Michael Blume @Ludwig Trepl
“Erst denken, dann forschen” ist, und ich meine, das müßte für jeden erkennbar gewesen sein, keine Kritik an mangelnder Qualifikation von Kollegen, sondern bezieht sich auf ein strukturelles Defizit empirischer Sozialforschung.
Natürlich können die Forscher dieser Richtung denken – sie können, was z. B. die Methoden der statistischen Absicherung ihrer Erhebungen angeht, in einer Differenziertheit denken, bei der ich nur noch staunen kann, ich komme da nicht mit.
Aber die Reihenfolge – und das habe ja nicht ich mir ausgedacht, das ist eine gängige Kritik – ist verkehrt rum: Es wird nicht erst “gedacht”, d.h. darüber nachgedacht, welches Problem man lösen will, sondern man man nimmt die Probleme, wie sie auf der Hand zu liegen scheinen, und geht dann an die empirische Arbeit. In den Naturwissenschaften ist das normal, da sind die Probleme i.a. durch die Fachtradition vorgegeben. Aber im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften ist es in aller Regel anders. Da pflegt die Problemfindung und -definition der schwierigere Teil zu sein, nicht die Problemlösung.
Das Ergebnis ist dann meist, daß für gewaltige Summen empirische Forschungen angestellt werden, die sich im Nachhinein als irrelevant erweisen, weil man die falsche Frage gestellt hat. Das hätte man merken können, wenn man eine Phase des “Denkens” vorgeschaltet hätte. Das tut man aber nie, man macht es nach jedem Fehlschlag wieder auf die alte Weise falsch. Zu einem guten Teil liegt das einfach daran, daß man unendlich viel leichter an Geld kommt, wenn man ankündigt, in zwei Jahren empirischer Forschung herauszufinden, wie viel Prozent der Bevölkerung rassistisch sind oder “ökologisch” denken, als wenn man die gleiche Zeit mit ebenso viel Personal darüber nachdenken möchte, was die Begriffe “rassistisch” und “ökologisch” bedeuten. Soweit es daran liegt, ist es eher ein wissenschaftspolitisches als ein wissenschaftliches Problem.
@Michael Blume
Herzlichen Dank für die Blumen 😉 Auch wenn ich inzwischen finde, dass H. Aichele einiges sehr viel besser ausformuliert und durchdacht hat. “Der Mensch verpasst sich da was und verpasst auch manches. Und er muss aufpassen, was er sich da anpasst… Und wem es dann – doch nicht – passt.” … das ist fast schon poetisch 😉 Aber vielleicht denke ich das auch nur, weil ich von Poesie keine Ahnung habe.
Zum Thema hab ich jetzt nicht mehr viel beizutragen, außer vielleicht einer kleinen Zusammenfassung von Effekten, die die Fitness beeinflussen und bisher genannt wurden:
1. Man muss zwischen individueller Fitness, Fitness der Gruppe (bezogen auf eine bestimmte Gesellschaft/Kultur -> z.B. Afrika vs. Europa)und Fitness der Menschheit/Art als Ganzes unterscheiden. Zwischen diesen Werten gibt es jeweils eine Wechselwirkung, denn ein kinderloser Erzieher kann dafür sorgen, dass andere mehr Kinder haben; und eine (große) Gruppe von Menschen, die sich extrem stark vermehrt, kann verursachen, dass die Ressourcen für die Menschheit als Ganzes zu knapp werden. An welchem Faktor knüpfen Religionen (hauptsächlich) an? Ist das für jede Religion gleich?
2. Der Mensch beeinflusst durch seine Intelligenz ganz massiv die Umweltbedingungen und damit die Selektionskriterien. Zu den Umweltbedingungen gehört nicht nur das Klima, sondern auch der medizinische Fortschritt und die Möglichkeiten der Wissenschaften insgesamt. Auch gesellschaftliche Moden und Trends kann man dazu zählen. Und natürlich: Gesellschaftsprägende Elemente wie Religionen. Vielleicht bekommt man die kulturellen Leistungen des Menschen aus der Perpektive der Evolutionstheorie am besten als variable Umweltbedingungen (teils zufällig verteilt, teils mit vorgegebener Richtung durch den Menschen) in den Griff. Dann braucht man auch keine Memtheorie mehr. Auf jeden Fall gibt es eine Wechselwirkung zwischen Biologie und Kultur oder mit den Worten von H. Aichele: Dialektische Fitness.
Wenn man diese beiden Aspekte betrachtet, dann erscheint es mir schon ziemlich unmöglich, irgendeiner Gruppe/Art tatsächlich einen Fitnesswert, z.B. im Intervall [0,1] zuzordnen zu wollen. Das dürfte ähnlich unmöglich sein wie die Berechnung von Börsenkursen, in die jede Menge zufällige Größen eingehen.
Aber zum Glück haben ja auch viele schon festgestellt:
3. Die Evolution ist nur eine Perspektive von vielen.
Jetzt ists doch gar keine allzu kurze Zusammenfassung mehr… aber wir haben immerhin einiges über Selektionsebenen und (variable) Umweltbedingungen zusammengetragen.
@Trepel
> “Es wird nicht erst “gedacht”, d.h.
> darüber nachgedacht, welches Problem
> man lösen will,”
In der Grundlagenforschung geht es auch garnicht um Problemlösungen, sondern um Erkenntnisgewinn.
Genau deswegen hab ich meine Dr.-Arbeit nicht zuende gebracht: ich habe zwar jede Menge praktische Probleme des Versuchsaufbaus gelöst, aber der Erkenntnisgewinn für das eigentliche Forschungsthema war so marginal, daß es kaum für eine Veröffentlichung reichte – und da ich mich mit der formulierung ebenjener auch noch sehr schwertat, hat mein Prof die Notbremse gezogen.
Inzwischen bin ich seit 8 Jahren freiberuflicher Problemlöser für Computerprobleme und schau mir den Forschungsbetrieb nur noch von weitem an.
Natürlich sind in der Forschung auch Probleme zu lösen; und natürlich hilft der Erkenntnisgewinn aus Forschung oft genug, wiederum andere Probleme zu lösen (an die man vorher garnicht gedacht hatte) aber Forschung und Problemlösung sind prinzipiell zwei paar Schuhe.
Die Sache mit den unglücklich oder missverständlich formulierten Begriffen, zeigt sich ja gerade bei Darwins Theorie (die eben mehr als nur eine Theorie ist) als besonders schädlich für das allgemeine Verständnis dieser Theorie.
Seine unglückliche und eigentlich auch falsche Formulierung: “Survival of the fittest” , hat ja nicht unwesentlich zur üblen und definitiv “falschen” Übersetzung: “Das Überleben des Stärkeren (Stärksten)” beigetragen. Denn der Superlativ “fittest” (der dann wohl zur “Fitness” führte), ist völlig irre führend. “Das Überleben des hinreichend Passenden”, (was dann ins Englische zu übersetzen wäre) ist deutlich treffender. Denn viele Arten passen ja “so gerade eben”, um überleben zu können, z.B. weil Fressfeinde rein zufällig in einem gewissen Zeitraum, in genau ihrem Habitat völlig fehlen. Mit der Formulierung “fittest” ist das denkbar schlecht dargestellt. Kommt durch irgendeinen weiteren Zufall ein Fressfeind hinzu, kann eine Art sehr schnell aussterben. Dann wird sie von “fittest” auf “does not fit” heruntergestuft.
Nun ist es leider so, dass sich solche irre führenden Formulierungen verblüffend hartnäckig halten. Sie werden auch durch einen sehr unbeweglichen akademischen Apparat am Leben gehalten, obwohl ihre Erkenntnis stiftende “Fitness” eigentlich nicht hinreichend ist.
@Störk@Trepl
“In der Grundlagenforschung geht es auch garnicht um Problemlösungen, sondern um Erkenntnisgewinn.”
Das ist ein MIßverständnis. Man unterscheidet praktische und theoretische Probleme. Die Lösung eines praktischen Problems besteht in einer Veränderung der Realität, die Lösung eines theoretischen in einer Veränderung des Denkens (“Erkenntnisgewinn”). Empirische und theoretische Grundlagenforschung sind Beiträge zur Lösung theoretischer Probleme, empirische und theoretische angewandte Forschung sind Beiträge zur Lösung praktischer Probleme.
Man kann diese Begriffe auch noch in anderer Weise definieren (z.B. praktische von technischen Problemen unterscheiden), aber wie ich es eben gemacht habe, ist wohl das Üblichste.
@Dietlef Piepke
Oh ja – denken wir nur an den Begriff der Selektion, in der frühen deutschen Übersetzung: Zuchtwahl. Darwin hat da einen verständlichen Begriff geprägt, nach dem die Natur “wie eine Züchterin” funktioniere. Allerdings wurde sie damit eben auch quasi-personalisiert, was zusammen mit dem Perfektionsargument zu quasi-religiösen Formen von vermeintlich wissenschaftlichem Naturalismus führt.
Nur – und darüber ging es ja auch im Dialog mit @ole – bringt es ja nichts, Biologen Begriffsprobleme vorzuwerfen, ohne konstruktive Alternativen anbieten zu können. Meckern ist kein interdisziplinärer Dialog. Es wird doch nur dazu führen, dass dann wiederum die Naturwissenschaftler antworten, dass die Kultur- und Geisteswissenschaftler noch sehr viel weniger empirisch anwendbare Begriffe gefunden hätten und also doch bitte erst einmal selbst die Präzision erarbeiten sollten, die sie von anderen erwarten.
Mit schon einigen Jahren auch internationaler Erfahrung in diesem Feld wage ich zu sagen: Erkenntnisfortschritte sind nur möglich, wenn sich alle Beteiligten wirklich konstruktiv um gemeinsame Lösungen bemühen. Vgl. genau dazu übrigens den Beitrag im Nachbarblog von Physiker Josef Honerkamp:
https://scilogs.spektrum.de/…riffe-und-begriffsbildung
@Sebastian Voß
Lieben Dank! Wenn ich es richtig verstehe, würde dies letztlich auf eine Empfehlung zu 4. hinaus laufen: Die Begriffsapparate sind gewachsen und unterschiedlich, zudem sei eine über das Biologische hinausgreifende Berechnung von Fitness praktisch nicht möglich. Also könnten sich natur-, kultur- und geisteswissenschaftliche Perspektiven gegenseitig informieren, vielleicht auch annähern, aber letztlich keinen wirklich gemeinsamen Begriffsapparat ausbilden. Habe ich da so einigermaßen richtig aufgefasst?
“survival of the fittest”
In einem Punkt hat Detlef Piepke absolut recht. Darwins Theorie ist eben genau das: Eine Theorie, nicht mehr und nicht weniger. Ich beobachte die Diskussion über den Fitnessbegriff mit Interesse, habe jedoch den Eindruck, dass man zunächst ein Mal ein paar Schritte zurück gehen müsste. Deshalb würde ich mich freuen, wenn mir jemand beim Verständnis des darwinistischen Fitness-Begriffes helfen könnte.
Was genau bedeutet Fitness bei Darwin? Darwin proklamiert das “survival of the fittest”. Wenn ich das richtig verstehe, erkenne ich den fittesten oder best angepassten daran, dass er überlebt. Das kann ich natürlich empirisch untersuchen. Gibt es noch ein anderes Merkmal? Gibt es überhaupt eines außerhalb der These selbst?
Ich möchte das Problem anhand eines Beispiels verdeutlichen: Wenn ich als Alternative ein “survival of the wooden” ausrufe, dann habe ich gegenüber Darwins These den eindeutigen Vorteil, dass ich klare empirische Kriterien benennen kann, nach denen man feststellen kann, ob eine Kreatur aus Holz ist. Das heißt, dass ich um diese These zu falsifizieren, zwei Dinge zu prüfen habe. Ich schaue, wer überlebt und welche dieser Kreaturen sind aus Holz. Wenn ich feststelle, dass keine überlebende Spezies aus Holz ist, ist meine These falsch. Ich kann also von vornherein klare Kriterien angeben, nach denen die These falsifiziert werden kann. Dies scheint mir mit Blick auf Darwins These ein fundamentaler Unterschied.
Darwins Problem ist, dass ich den fittesten nur daran erkenne, dass er unter bestimmten Bedingungen überlebt. Wenn das so ist, steckt in Darwins These kaum mehr als ein “survival of the surviving”. Dass ich diese These empirisch problemlos nachweisen kann ist logisch. Ist Darwins These eigentlich prinzipiell falsifizierbar? Wenn in meiner Argumentation kein Fehler ist, lautet die Antwort ‘nein’. Sollte das zutreffen, erfüllt sie nach Popper ein wichtiges Kriterium einer wissenschaftlichen These nicht, weil man sie gar nicht widerlegen kann. Habe ich einen Fehler gemacht? Ich freue mich über jeden Beitrag um die Verwirrung aufzuklären.
@ole
Ja, die Evolutionstheorie ist “nur” eine Theorie, eben weil sie – nach Popper – empirisch und falsifizierbar ist. Ein einziges Fossil z.B. eines Hasen im Kambrium würde schon reichen, um sie einstürzen zu lassen.
Fitness wird in der derzeitigen Evolutionsbiologie über den relativen Fortpflanzungserfolg von Genen über mehrere Generationen hinweg definiert (Darwin selbst wusste noch gar nichts von Genen, er neigte in dieser Frage eher Lamarck zu – und wurde mit diesem in diesem Punkt widerlegt). Hier eine Darstellung des heute gängigen, evolutionsbiologischen Fitnessbegriffs, gar mit einem Video der Tübinger Kollegen:
https://scilogs.spektrum.de/…-fitness-und-religiosit-t
Der heutige Stand der Evolutionstheorie könnte also sowohl an historischen wie an gegenwärtigen Befunden falsifiziert werden – etwa, wenn Fossilfunde außerhalb der Entwicklungslinien auftreten (z.B. ein Hase im Kambrium) oder sprunghafte Merkmalsveränderungen ohne entsprechende genetische Grundlagen aufträten (z.B. ein Primat mit Flügeln).
Dass über Hunderttausende von Studien und Experimenten zwar unzählige Hypothesen innerhalb der Evolutionstheorie, diese aber nie als Ganzes falsifiziert werden konnte (trotz z.B. massiver, politisch einflußreicher und auch finanzkräftiger Versuche religiöser Fundamentalisten) ist eines der großen Wunder der Wissenschaft. Es gab und gibt keine Theorie zur Entwicklung des Lebens, die auch nur annähernd so erfolgreich sowohl historische wie experimentelle Befunde zu integrieren vermochte. Wie es Theodosius Dobzhansky so eindrucksvoll formulierte: “Nichts in der Biologie macht Sinn außer im Licht der Evolution”.
@ole: To Be Or Not To Be
“Survival of the Fittest”, also “Überleben des Bestangepasstesten” ist als Begriff zu stark auf das einzelne Individuum und die einzelne Art ausgerichtet.
Der vorzeitige Tod – vor der Fortplanzung – ist nämlich nicht rein zufällig, sondern hat systematische biologische Ursachen hat. Nicht etwa das Gefressenwerden ist die häufigste Ursache für einen vorzeitigen Tod, sondern es sind Krankheiten, von denen die wichtigsten die Infektionskrankheiten sind. Und diese wiederum befallen oft Individuuen mit einer bestimmten genetischen Ausstattung. Dies bewirkt, dass genetische Vielfalt – auch innerhalb einer Art – von Vorteil ist. Deshalb hat die sexuelle Fortpflanzung die asexuelle weitgehend verdrängt. Infektionskrankheiten sind auch der Grund für die Entwicklung des Immunsystems.
Es gäbe natürlich viele Möglichkeiten, die genetische Vielfalt zu erhöhen, nicht nur über die Rekombination von Genen wie sie bei der sexuellen Fortpflanzung vorkommt. Hier bestimmt aber wieder die Überlebenswahrscheinlichkeit zusammen mit der Einfachheit die optimale Methode. Zufällige Mutationen als alleiniges Mittel um neue Varianten von Nachkommen zu schaffen, würden zwar auch die genetische Vielfalt erhöhen wären aber zu riskant. Die Rekombination von Genen aufgrund eines doppelten Gensatzes ist eine einfache und zugleich relativ sichere Methode um Vielfalt zu erreichen.
Interessant ist, dass die Flucht vor der Krankheit durch genetische Differenzierung zugleich die Evolution beschleunigt hat.
Letztlich sind es grundlegende Eigenschaften und Gesetzmässigkeiten von biologischen Systemen, die bestimmen, in welche grobe Richtung sich Organismen entwickeln. Trotz diesen Zwängen, die zur sexuellen Fortpflanzung und zur Entwicklung des Immunsystems geführt haben, gibt es aber immer noch fast unendlich viele Freiheitsgrade für die Weiterentwicklung von Organismen.
Die Vielfalt der Organismen und ihrer Lebensräume bedeutet auch, dass sich imme neue “Reiche” öffnen. Und es bedeutet, dass Lebensvakuen, also Räume ohne Leben, immer seltener werden.
Für die Biologie und das Leben gilt etwas ähnliches wie für Quantenobjekte: Alles was möglich ist, geschieht auch. Aber nicht alles geschieht mit gleicher Wahrscheinlichkeit. Das Leben erkundet also das Mögliche und zwar alles Mögliche, weshalb es auch Lebensformen gibt, die an der Grenze des Unmöglichen sind.
@Martin Holzherr & ole
Eigentlich wollte ich nur noch einen Nachtrag zu einer Anfrage @oles einfügen, sehe aber mit Freude den qualitativ hochwertigen Beitrag von @Martin Holzherr. Und in der Tat: Auch die Evolutionsforschung zum Tode gab es hier ja neulich einen Bericht – wobei (auch) dessen Befunde aufzeigen, dass es in Evolutionsprozessen eben gerade “nicht” primär um das Überleben von Individuen geht, sondern um relative Fortpflanzungserfolge über Generationen hinweg – und damit auch um Vielfalt. Das Sterben kann adaptiv sein!
https://scilogs.spektrum.de/…v-die-evolution-des-todes
Nun aber zum Nachtrag zu @ole: Ich wollte nur noch darauf hinweisen, dass ausgestorbene Linien für die Evolutionsforschung nicht weniger interessant sind als noch existierende. Nur im Vergleich lassen sich ja die Faktoren heraus arbeiten, die das Leben in der spezifischen, historischen Situation begünstigt haben. Ebenso sind z.B. in den Evolutionsforschungen zu Religionen erloschene oder erlöschende Traditionen ebenfalls von höchstem Interesse. So habe ich bewusst oben nicht nur eine Fallstudie zu den kinderreichen Old Order Amish verlinkt, sondern auch eine andere zu den kinderlosen – und derzeit als Tradition und Gemeinschaft erlöschenden – Shakern:
https://scilogs.spektrum.de/…ker-kurze-bl-te-kinderlos
Nicht nur was lebt, sondern auch was lebte zählt für die empirische Evolutionsforschung.
@ ole
Was genau bedeutet Fitness bei Darwin?
Fitness lässt sich in der Evolutionstheorie wahrscheinlich nur definieren als das bestmögliche Ausgestattetsein eines Individuums, um den Herausforderungen und Widrigkeiten seiner aktuellen Umweltsituation begegnen zu können. Sie ist also immer nur eine jeweilige. Und da zeigt sich schon die empirische Problematik: Weder gibt es Instrumente, die Umweltsituation umfassend aufzuzeichnen und Anforderungen zu bewerten, noch verfügen wir über Möglichkeiten, Unterschiede der Individuen a priori als fit oder weniger fit zu erkennen, zumal sich die meisten Merkmale ja gar nicht im sichtbaren Bereich befinden. Es ist lediglich möglich, das Prinzip der Selektion anhand plastischer Beispiele (Tarnung, Fluchtgeschwindigkeit, Nachtsehen etc.) plausibel zu machen. Dementsprechend hat ja auch noch keine tragfähige Beobachtung eines Selektionsprozesses in freier Natur stattgefunden: Es ist so gut wie unmöglich. Und weiter: Selbst wenn man es könnte, und würde so etwas wie einen Selektionsvorgang beobachten, hätte man doch noch lange nicht den Beweis geführt, dass sämtliche Erscheinungen der lebendigen Welt aufgrund der Wirkungsweise dieses Prozesses (natürlich im Zusammenspiel mit Mutationen) zustande gekommen sind.
Der Unterschied zu einer Tautologie „survival of the surviver“ ist in der Tat nicht besonders groß, und wiederum alles andere als empirisch. Er besteht einzig in der Behauptung, dass das Überleben/der bessere Reproduktionserfolg bestimmter Phänotypen seine Ursache hat in ihrem besseren Angepasstsein an die Erfordernisse der Umwelt.
Doch nicht einmal post hoc lässt sich aufweisen, worin die größere Fitness der surviver bestand.
“Darwins Problem ist, dass ich den fittesten nur daran erkenne, dass er unter bestimmten Bedingungen überlebt. Wenn das so ist, steckt in Darwins These kaum mehr als ein “survival of the surviving”.
Darwin wollte ja nicht erklären, warum nicht alle Lebewesen ausgestorben sind, sondern, wie sich die Formen des Lebendigen, ihre Organe, Funktionen etc. ausgebildet haben. Dabei beschreibt das Prinzip des survival of the fittest“ nur die eine Seite eines Prozesses. Die andere Seite ist das ständige Auftreten von neuen Varianten, welche der Selektion zur Verfügung stehen, und welche durch diverse genetische Mechanismen (Rekombination, Mutation etc.) erzeugt werden.
Ist Darwins These eigentlich prinzipiell falsifizierbar?
Popper, der von der Evolutionstheorie persönlich fest überzeugt war, hat dennoch große wissenschaftliche Redlichkeit an den Tag gelegt, indem er durchaus den problematischen Status des Theorie der Selektion erkannte. Er nannte die Selektionstheorie ein „metaphysisches Forschungsprogramm“, wobei „metaphysisch“ einen nicht mehr überprüfbaren weltanschaulichen Hintergrund bezeichnet. Da stimme ich Popper zu, denn allein das Bild der Natur als ganzer, das die Evolutionstheorie voraussetzt, ist hochgradig mit Annahmen befrachtet, welche sich der objektiven Überprüfung entziehen.
Dennoch hat Popper – soweit ich weiß – zugestanden, dass die Evolutionstheorie prinzipiell falsifizierbar ist – aber nicht durch aktive Forschungsanstrengungen, sondern nur durch paläontologische Zufallsfunde, welche der Stammbaumtheorie zuwiderlaufen.
Ich persönlich glaube auch, dass man die Selektionstheorie auch mathematisch überprüfen und damit prinzipiell widerlegen könnte. Leider hat das noch niemand unternommen, soweit ich weiß.
@ Martin Holzherr
Die Verursacher von Infektionskrankheiten sind ebenso Lebewesen wie die fleischfressenden Jäger einer bestimmten Spezies. Die Abwehr gegen die Feinde findet bloß auf verschiedenen Ebenen statt. Die Abwehr bakterieller und viraler Feinde nennt sich Immunsystem. Das hat also noch nichts mit Evolution zu tun, denn diese soll ja das Auftreten neuer Strukturen, Formen, Phänomenen erklären.
@ Michael Blume (@ole)
Die Evolutionstheorie ist zweiteilig: Sie besteht aus einem erzählenden Teil, welcher die Entwicklungsgeschichte des Lebendigen beschreibt, wie sie anhand der Funde der Paläontologie rekonstruiert werden kann. Dieser Bereich steht auf recht stabilen Füßen, solange er sich darauf beschränkt, die Abfolge bestimmter Lebensformen darzustellen.
Der andere Teil der Darwinschen Theorie besteht in einer Erklärung des Wandels der Lebensformen. Darin ist die Selektion das primäre Prinzip. Dieser Teil ist allerdings weitgehend hypothetisch, weil ohne empirische Belege.
Man kann dem erzählenden Teil zustimmen, ohne den erklärenden Teil zu akzeptieren.
Es ist nun eine beliebte Strategie von Vertretern der gesamten Theorie, Kritik an ihrem problematischen erklärenden Teil damit abzuwehren, dass man auf die Plausibilität des erzählenden Teils verweist. Das funktioniert oft, da dieser Unterschied für Viele meist nicht auf der Hand liegt.
Auch Sie: In Ihrer Antwort an ole argumentieren Sie für die Plausibilität des erzählenden Teils, währende dieser Fragen an den begründenden Teil stellt, der davon weitgehend unabhängig ist.
Dabei ist das Fundament des erklärenden Teils hoch problematisch:
Es gibt 3 Ansätze, die Theorie der Selektion als Erklärung für die Entstehung der lebendigen Formen zu verifizieren. Alle scheitern.
1. Beobachtung in der Natur: Ist nicht durchführbar aufgrund der Tatsache, dass es sich um ein statistisches Geschehen handelt, dessen Kriterien weder aufseiten der Umwelt noch des Individuums bestimmbar oder gar messbar sind.
2. Selektionsversuche im Labor: Beweisen nur, dass es möglich ist, Lebensbedingungen für Versuchstiere (z.B: Fliegen) so einzurichten, dass die Anwesenheit oder Abwesenheit eines Merkmals über Leben oder Tod entscheidet. Für die Übertragbarkeit auf die Natur gibt es keine Anhaltspunkte.
3. Mathematische Modelle. Diese müssen immer einen empirischen Faktor beinhalten, welcher das Maß für einen Selektionsdruck angibt. Da es keine empirische Ermittlung des Selektionsdrucks gibt, sind derartige Modelle weitgehend wertlos.
@Michael Blume
Hm, also ich fasse meinen Beitrag als Ausführung der beiden Aspekte Selektionsebenen (1)und Selektionsbedingungen (2) auf. Dabei wäre der Vorschlag, die kulturellen Leistungen des Menschen als Selektionsbedingungen in die Evolutionstheorie zu integrieren.
Eine “rein biologische” Fitness lässt sich für den Menschen gar nicht mehr definieren, weil der Mensch sich nicht auf Gene reduzieren lässt, sondern sich seine Umwelt aktiv anpasst. Sicher sind auch an den Gehirnaktivitäten, die dies ermöglichen Gene beteiligt, aber die Gehirnaktivitäten spiegeln sich nicht vollständig in den Genen wider und lassen sich auch nicht vollständig aus den Genen herleiten. Daher ist eine auf die Gene reduzierte Betrachtung der Fitness der Menschen ungenügend.
Und ja, ich glaube nicht, dass natur-, geistes- und kulturwissenschaftliche Perspektiven letztendlich äquivalent sind und sich daher auf einen gemeinsamen Begriffsapparat einigen könnten. Jede Perspektive beleuchtet einen Teil des Menschen und seiner Welt, aber keine erfasst alles.
@fegalo
Die Evolutionstheorie war und ist in erster Linie historisch und erklärt, wie Sie ja auch einräumen, so überzeugend wie keine andere, die Geschichte des Lebens. Mathematische Modelle und Experimente kamen später noch zusätzlich (!) bestärkend hinzu.
Ansonsten darf ich noch einmal darauf hinweisen: Als empirische Theorie muss die Evolutionstheorie falsifizierbar bleiben. Es ist also zirkulär, dies von ihr zu verlangen und dann zu triumphieren, sie sei “nicht bewiesen”.
Auch “fertig” ist die Evolutionstheorie nicht und wird es nach menschlichem Ermessen auch niemals sein. Vielmehr nähern wir uns Befund für Befund, Hypothese um Hypothese und (Arbeits-)Definition um Definition der fast unendlich komplexen Wirklichkeit “nur” immer mehr an – übrigens auch wieder zunehmend interdisziplinär.
Natürlich kann man die Evolutionsforschung immer attackieren, gerade in den USA und der islamischen Welt ist der Kreationismus ja außerordentlich lebendig. (Und Kreationisten haben halt auch einfach durchschnittlich mehr Kinder… 😉 ) Aber zur Ehrlichkeit gehört doch auch die Anerkenntnis, dass weit und breit keine seriöse, wissenschaftliche Alternative zur Evolutionstheorie in Sicht ist.
@Sebastian Voß: Emergenzen
Die Argumentation überzeugt mich. Zumal dies ja auch ein Befund der Emergenzdebatten ist: Biologische Prozesse lassen sich zum Beispiel nicht in nur physikalischen Begriffen fassen – selbst dann nicht, wenn die physikalischen Grundlagen aller (empirisch beobachtbaren) Lebewesen zugestanden werden. Entsprechend kann zu Kultur und Bewußtsein befähigtes Leben biologische Grundlagen haben, aber auch von der Begrifflichkeit her nicht darauf zu reduzieren sein. Es treten halt neue Systemeigenschaften hinzu, die dann in die Wechselwirkung mit den Grundlagen treten. Und entsprechend nur interdisziplinär zu erforschen sind.
Eigentlich nur eine Begrifflichkeit
@Michael Blume: Fegalo hat meinen ersten Eindruck schon artikuliert. Beim Lesen Ihres Beitrages ist mir sofort aufgefallen, dass Sie mir ausweichen. Es ging mir keinesfalls um Darwins Theorie im Ganzen. Was ein Hase im Kambrium beitragen kann, um den dunklen Fitnessbegriff zu erhellen, ist mir nicht klar. Empirische Belange helfen uns an dieser Stelle nicht. Meine Frage war eigentlich eine ganz einfache und ich hoffte auf eine befriedigende Antwort. Wenn es diese gibt, können wir uns im nächsten Schritt überlegen, was sie für Darwins Theoriegebäude bedeutet. An dieser Stelle war ich aber gar nicht. Daher möchte ich meine Frage noch mal etwas zugespitzt wiederholen: Warum ist die Formel vom “survival of the fittest” keine Tautologie?
@Fegalo: Danke für Ihre wichtigen Beiträge. Ich denke an vielen Stellen würde ich Ihnen zustimmen. Ich habe die Tragweite meiner Kritik jedoch zunächst bewusst auf diesen einen Aspekt beschränkt, weil ich selber einfach nicht schlau daraus werde. Mit dem Hinweis auf die Zweiteilung haben Sie mir etwas geholfen.
Ich bin nicht sicher, was sie mit mathematischer Widerlegbarkeit Darwins meinen. Mir sind aber eine Reihe von statistischen Berechnungen bekannt, die die Evolutionstheorie in Schwierigkeiten bringen. Die bekannteste dürfte wohl vom Diplom Physiker und Mathematiker Klaus Wittlich sein. Nachlesen kann man seine Rechnung zum Beispiel hier: http://www.weloennig.de/NeoD.html
Außerdem liest man in diesem Zusammenhang auch ab und an vom Miller-Experiment. Auch hier bringen Statistiker immer wieder das Argument an, dass die Entstehung von Lebendigem in diesem äußerst kurzen Zeitraum statistisch ein Ding der Unmöglichkeit ist. Im Lichte der Tatsache, dass das Ursuppenexperiment jedoch äußerst umstritten ist, bleibt die Frage, wie überzeugend ein statistischer Einwand an dieser Stelle sein kann.
@Michael Blume: Sie schrieben davon, dass die Evolutionstheorie mathematisch belegt worden sei. Das was ich bisher von Mathematikern zum Thema gelesen habe, bestätigt diese Aussage leider nicht. Vielleicht habe ich aber auch die falschen Quellen bemüht. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will weder mäkeln noch bin ich ein Kreationist. Fragen sind im wissenschaftlichen Betrieb jedoch erlaubt. Ich hoffe da sind wir uns einig.
@ole: Begriffs-Strohmänner
Erlauben Sie mir bitte den Hinweis, dass es unter Evolutionsleugnern ebenso gängig wie wissenschaftlich unsinnig ist, Strohmänner aufzubauen, diese dann umzuhauen und sodann zu behaupten, man habe “die” Evolutionstheorie widerlegt. Das möchte ich Ihnen und @fegalo noch nicht unterstellen und antworte ja gerne und auch mal wiederholend, aber würde mir dann schon wünschen, dass Aussagen nicht verzerrt werden. Wenn Sie die Evolutionstheorie innerlich ablehnen wollen, werde ich es ohnehin nicht ändern können.
1. Strohmann A: “Survival of the fittest” ist nicht die Grundlage der Evolutionstheorie, sondern ein Ausdruck von Charles Darwin, der – wie jeder Begriff und jede Hypothese – kritisch hinterfragt wurde und wird und auch in der modernen Evolutionsforschung als in vielfacher Hinsicht problematisch gilt. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. So wusste Darwin noch gar nichts von Genen, die heute als Grundlage von – stets historischen! – Fitness-Bestimmungen gelten. Und auch dieser ganze Blogbeitrag handelt doch davon, dass der gängige Fitnessbegriff in seiner Reichweite begrenzt ist.
Wenn Sie den Begriff problematisch und ungenügend finden, befinden Sie sich also in breitester Gesellschaft gerade auch von heutigen Evolutionsforschern. Auch ich verwende diesen Begriff sehr ungerne, weil er grob, missverständlich und tautologisch aufgefasst werden kann. Das widerlegt aber doch die Evolutionstheorie an sich nicht!
Strohmann B: Sie schreiben, ich hätte behauptet, “dass die Evolutionstheorie mathematisch belegt worden sei”. Wie käme ich denn dazu!? Noch einmal: Empirische Theorien können nie abschließend belegt werden! Ich schrieb: “Mathematische Modelle und Experimente kamen später noch zusätzlich (!) bestärkend hinzu.” Sprich: Es sind “nur” weitere Arbeitswerkzeuge, mit denen Annahmen (Begriffe, Hypothesen etc.) modelliert und überprüft werden können, zu den klassischen Werkzeugen der Evolutionsforschung hinzu gekommen. Und es gibt innerhalb der Evolutionsforschung engagierte Debatten darüber, wie weit deren Anwendbarkeit reicht. Der Biomathematiker Martin Nowak ist beispielsweise begeistert davon, der klassische Biologe und Bad Religion-Sänger Greg Graffin sehr skeptisch. Zu beiden finden Sie Blogposts auf Natur des Glaubens.
Die Evolutionstheorie postuliert eine durchgängige historische Entwicklung allen Lebens und nähert sich mit empirisch an Daten überprüfbaren Begriffen, Hypothesen und Werkzeugen diesem historischen Geschehen immer weiter an. Dass dabei im Einzelnen immer Präzsionen möglich sind und auch eine generelle Widerlegung denkbar bleibt, spricht gerade nicht gegen diese, sondern weist sie als derzeit einzige seriöse Perspektive der empirischen Forschung zur Geschichte des Lebens aus.
Ich hoffe, einiges konnte etwas verständlicher werden?
Belege
Die Argumentation wäre zutreffend, wenn man die Religiosität als genetisch bedingtes Merkmal ansieht, denn Selektion – welche auch immer – wirkt nur über eine Veränderung des Genpools.
@Georg Litsche
Und genau so ist es. Abgesehen davon, dass schon Darwin erkannte, dass ein solcherart unter Menschen verbreitetes Merkmal auch biologisch vererbte Grundlagen (!) haben musste und dass die moderne Hirnforschung darauf ganz neue Perspektiven ermöglicht unterstreichen inzwischen vielfache Zwillingsstudien verschiedenster Forscherinnen und Forscher: Wie Musikalität, Sprachfähigkeit, Intelligenz (usw.) auch weist auch Religiosität eine messbare genetische Komponente auf, vgl. hier, mit Links:
http://www.scilogs.eu/…med-by-another-twin-study
Was ja übrigens eine weitere von abertausenden Befunden ist, die die Evolutionstheorie stärken.
Danke.
Ich habe an keiner Stelle behauptet, dass es meine Absicht sei, die Evolutionstheorie zu widerlegen. Sie forderten mit Recht von mir Genauigkeit ein, als ich sagte, sie hätten von einem mathematischen Beweis gesprochen. Ich gebe zu, dass ich mich an dieser Stelle in der Forumlierung vergriffen habe. Allerdings scheint die These der Bestärkung durch mathematische Modelle wenigstens ebenso strittig.
Wie dem auch sei, meine Absicht ist keinesfalls die Evolutionstheorie zu widerlegen, daher möge mir das nicht länger unterstellt werden. Zumindest lässt sich wohl festhalten, dass der Fitnessbegriff durchaus schwierig ist. Ich werde wohl allein über das Problem nachdenken müssen.
@ole: Gerne!
Und danke, dass Sie trotz Ihrer Zweifel sachlich geblieben sind. Online-Kommunikation ist ja immer schwierig, denn wir Menschen sind nun einmal nicht darauf hin evolviert. 😉
Und wenn Sie einen Forschungsbereich suchen, in dem ‘jeder’ Begriff umstritten ist und sich immer wieder überprüfen lassen muss, ist die Evolutionsforschung für Sie perfekt! 🙂
Tautologie /@Ole
“Fitness” ist in der Tat ein etwas schillernder Begriff, der je nach Kontext unterschiedlich definiert wird (Formal etwa: Fitness = Überleben x Reproduktion).
So kann dem bestmöglichen Genotyp der Fitnesswert 1 zugewiesen werden, wobei Abweichungen davon durch den Selektionskoeffizienten (s) angegeben werden (Fitness = 1 – s). Aber das bezieht sich auf Genotypen und Prozesse der natürlichen Selektion. Inwieweit Religiosität mit einem bestimmten Genotyp assoziiert ist und der natürlichen Selektion unterliegt, wäre noch zu klären.
Es gibt da einen kleinen Aufsatz von Maria E. Kronfeldner (2005, Uni Regensburg). In dem schreibt sie:
Vielleicht hilft’s ein bisschen bei Ihren Überlegungen… 🙂
Darwin, Evolution – Gott/Götter
Darwin und Evolution gehören zusammen. Prof. Dawkins schrieb das Buch
„Die Schöpfungslüge“. Im Video http://www.science-shop.de/artikel/1037030 zum und im Buch setzt man dafür über eine Million Jahre an – es kam 2010 heraus. In meiner Leserbewertung schreibe ich: „Das ist prinzipiell richtig – aber alle Forschungen seit 2005 zur Existenz des Homo Sapiens verweisen auf eine Zeit von vor gut 200.000 Jahren! Neue Aussagen gehen sogar auf 300.000 Jahre zurück.
Im Max-Planck-Institut Leipzig wurde unter Prof. Pääbo festgestellt http://www.mpg.de/286644/Neandertaler?page=5 : Es geht um „Die Alleinstellungsmerkmale der Spezies Homo sapiens, all die genetischen Einzigartigkeiten, die sich in den vergangenen 300.000 Jahren in unserem Genom fixiert haben.“
Wir sehen also, dass sich wissenschaftliche Ergebnisse schnell weiterentwickeln können – und sie stimmen mit früheren Überlieferungen überein.
Der Homo sapiens entstand also mehr als weniger plötzlich – die Evolution des Menschen hat einen Sprung vorwärts von über 700.000 Jahren!
Michael Blume schrieb: „Erkenntnisfortschritte sind nur möglich, wenn sich alle Beteiligten wirklich konstruktiv um gemeinsame Lösungen bemühen.“ Und hier bringe ich eine Uni ins Spiel mit http://www.uni-due.de/…urse-stuff/meso-enuma.htm .
G. Smith hatte knapp 10 Jahre vor dem Tod Darwins den „Schlüssel gefunden“, um die sumerischen Keilschriften zu übersetzen – und er ist bestimmt kein Strohmann. Das sind entscheidende Kreuzungspunkt zu 1 Mo 1,26 und zum Buch von Prof. Dawkins. Seit diesem Zeitpunkt gewann das Wort “Überleben des Bestangepasstesten” eine vielseitigere und neue Qualität.
Prof. Maul schreibt im Kommentar zu seiner Ausgabe des Gilgamesch Epos (7. Tafel) von 2005 – C. H. Beck: „In Mesopotamien waren die Tempel im wahrsten Sinn des Wortes Gottes-Häuser, die über Küchen, Brauereien, Speicher und Kleiderkammern verfügten. Wie in einem Wohnhaus hatten die Götter dort ihre Empfangs- und Aufenthaltsräume sowie Schlafgemächer.“
@Balanus: Natürliche Selektion
Lieben Dank – und Zustimmung. Wobei ich anmerken möchte, dass der Begriff der “natürlichen Selektion” nicht weniger “schillert” als jener der Fitness. Schon Darwin hatte da im Hinblick auf den späteren Menschen ja erhebliche – und wie sich inzwischen ja abzeichnet, berechtigte – Zweifel…
Eine facettenreiche Diskussion, aber …
… bei sooo vielen Bäumen ist Wald wirklich nicht mehr zu sehen. Ein Problem ist, dass selbst klare Formulierungen überlesen, bzw. nicht richtig verstanden werden (natürlich NICHT von allen, (… muss man das dazu schreiben?)).
Also: Ich “glaube” an die Evolution, deswegen hatte ich ja ganz keck angemerkt: “… mehr als nur eine Theorie …”!
Dann: Die Ausgangsfrage war: Soll der Fitnessbegriff bzgl. der menschlichen Evolution erweitert werden?
Mein Beitrag: JA! Wenn er bisher auf rein biologischen Parametern beruhte (, was mich verwunderte). Denn die kulturelle “Evolution” überlagert die biologische massiv.
Weiter: Es sollte nicht um “Mäkeln”, sondern um Vorschläge gehen. Mein Vorschlag, um den nicht hinreichend präzise treffenden Satz: “Survival of the fittest”, den ich jetzt mal mit: “Überleben des Passensten” übersetze (wie das einer der Diskutanten passender Weise tat) los zu werden, war: “Das Überleben des hinreichend Passenden.” Das müsste dann auch ins Englische übersetzt werden. Entsprechend müsste man dann den Begriff: “Fitness” verändern, oder ersetzen.
Belege
Jetzt kommen wir der Sache schon näher.
Was heißt „genetische Grundlagen“?
Die Sprachfähigkeit des Menschen hat auch „genetische
Grundlagen“. Das heißt nicht, dass Sprache vererbt wird – im Sinne von
Chomsky und Pinker. Auch die Psyche hat „genetische Grundlagen“, aber die
Schlüsse der sog. evolutionären Psychologie sind wohl mehr als gewagt,
ebenso wie viele Schlüsse der „evolutionären Erkenntnistheorie“.
Ihr gemeinsamer Mangel ist, dass sie den Menschen nur
als individuelles, biotisches Wesen verstehen, d.h. den Menschen nicht
sozial und damit den Menschen nicht als Menschen begreifen
können. Das solipsistische Paradigma, in dem hier gedacht wird, ist zur
Abbildung des Menschen ungeeignet.
Dazu gibt es eine m. E. schlüssige Analyse von
Merlin Donald: (2008): Triumph des Bewusstseins * Die Evolution des
menschlichen Geistes, Klett – Cotta Verlagsgemeinschaft, Stuttgart, der
die Fehlinterpretationen der Neurologie und Kognitionswissenschaften
darlegt. Er kann das gut weil er selbst Kognitionswissenschaftler ist.
Die Beziehung zwischen Genen und menschlichem
Bewusstsein ist nicht biotisch begründet wie die Beziehung zwischen den
Genen und der Psyche der Tiere. Sie ist vielmehr kulturell determiniert.
Die Analyse dieses Zusammenhangs könnte wohl eine plausible theoretische
Grundlage für die Erklärung der von Ihnen genannten Korrelationen und
deren genetischen Grundlagen ergeben. Aber diese Analyse ist noch zu
leisten.
@Detlef Piepke
Ganz herzlichen Dank für die konstruktive Beteiligung! Ich nehme Ihren Vorschlag mit und werde auch mal mit ein paar Kolleginnen und Kollegen darüber beraten.
In Sachen kulturelle Evolution stimme ich Ihnen zu – Annahmen zu einer biokulturellen Evolution bzw. Gen-Kultur-Koevolution beginnen sich ja bereits breiter durchzusetzen.
Für noch unterschätzt halte ich freilich eine Frage, die bereits Wallace und Darwin – damals mit wenig Resonanz – aufgeworfen haben: Nämlich die Frage, inwiefern der Mensch als soziokulturelles Wesen sich selbst domestiziert hat. Ab wann hatten unsere Vorfahren kaum noch äußere Feinde – war aber das Sozialgefüge so stark, dass ein Ausschluss dem Todesurteil – oder doch Verzicht auf Fortpflanzung – gleich kam? Zu sozialen Netzwerken auch bei heutigen Jägern und Sammlern siehe:
https://scilogs.spektrum.de/…rvard-studie-zu-den-hadza
Einen zweiten Aspekt nenne ich die demografische Schwelle, sie taucht bereits bei Adam Smith auf und wurde dann von Thomas Robert Malthus folgenreich verdrängt: Ab wann vollzog der Mensch nicht nur einfach die Fortpflanzung, sondern entschied zunehmend bewusst über sie? Ab wann also wurde es – in wachsendem Maße, später auch durch Verhütungsmethoden weiter “verbilligt” – zu einer Wahl und damit Wertentscheidung ob und wieviele Kinder Menschen (noch) bekamen?
Ich glaube also, dass es wesentlich auch, aber nicht nur die Kulturfähigkeit ist, die Menschen auf ihren einzigartigen Evolutionsweg geschickt hat – auf dem wir uns ja auch heute noch befinden…
@Georg Litsche
Da kann ich Ihnen nur zustimmen! Bewusst habe ich daher von genetischen Grundlagen von Sprachfähigkeit und Religiosität und nicht einfach platt von Sprache und Religion geschrieben. Das Chomsky-Problem sehe ich auch. Mehr noch: Die Diskussionen im noch kleinen Feld der evolutionär forschenden Religionswissenschaft gehen genau in die von Ihnen vermutete Richtung. In naher Zukunft hoffe ich hier z.B. das Buch von Sebastian Schüler dazu rezensieren zu können.
@ Michael Blume (heute 07:49)
“ Die Evolutionstheorie war und ist in erster Linie historisch und erklärt, wie Sie ja auch einräumen, so überzeugend wie keine andere, die Geschichte des Lebens. Mathematische Modelle und Experimente kamen später noch zusätzlich (!) bestärkend hinzu.
Ansonsten darf ich noch einmal darauf hinweisen: Als empirische Theorie muss die Evolutionstheorie falsifizierbar bleiben. Es ist also zirkulär, dies von ihr zu verlangen und dann zu triumphieren, sie sei “nicht bewiesen”.“
Der letzte Satz ist schlicht ein Denkfehler.
„Nicht bewiesen“ bedeutet im Fall der Selektionstheorie erheblich mehr als der Hinweis auf den üblichen hypothetischen Status, den alle naturwissenschaftlichen Theorien stets behalten, insofern sie falsifizierbar sind. Doch es gibt Theorien, die so gesichert sind, dass wir höchstens eine Erweiterung oder Umformulierung erwarten dürfen, aber niemals ihr völliges Verwerfen. Das sind zum Beispiel solche physikalischen Theorien, wie sie im Flugzeugbau Anwendung finden.
Jedoch die Annahme, Selektion könnte eines der begründenden Prinzipien des Gestaltwandels und der Entwicklung neuer Strukturen sein, ist im Gegensatz dazu eine weitgehend empiriefreie Behauptung. Daher ist die Feststellung, sie sei nicht bewiesen, auch nicht zirkulär. Vielmehr fehlen schlicht empirischen Belege.
Das ist nicht die Schuld der Biologen, die etwa versagen würden (denn an Anstrengungen mangelt es nicht) sondern ist der Struktur der Theorie immanent. Interessanterweise argumentieren Sie ja damit, die Evolutionstheorie sei „überzeugend“, schon bevor Experimente und mathematische Modelle entwickelt wurden. Aber wie geht das zu? Wie kann die apriorische Überzeugungskraft einer empirischen Theorie Argument für ihre Wahrheit sein? Natürlich: gar nicht! Wir können ihre Plausibilität schon deswegen nicht einmal einschätzen, weil wir über gar keine vergleichbaren Erfahrungen verfügen. „Natürliche Selektion“ ist ein Erklärungsprinzip sui generis.
“ Aber zur Ehrlichkeit gehört doch auch die Anerkenntnis, dass weit und breit keine seriöse, wissenschaftliche Alternative zur Evolutionstheorie in Sicht ist.“
Da gebe ich Ihnen vollkommen recht, habe aber dazu zwei Anmerkungen:
Erstens: Naturwissenschaft ist per definitionem naturalistisch, untersagt sich also aus wohlverstandenen methodischen Gründen selbst, metaphysische Prinzipien einzuführen, die jenseits der experimentellen Nachweisbarkeit liegen. Dies ist allerdings eine Regel, die Naturwissenschaftler sich selbst für ihr Handwerk geben. Es ist andererseits keine Aussage über die Natur, und erst recht keine empirische! Wenn es nun so wäre, dass „Leben“ ein metaphysisches Prinzip jenseits der chemischen Aktivität von Proteinen ist, dann nützte uns die beste naturalistische Theorie des Lebens nichts: Weder über seine Entstehung, noch über die Ursachen seiner Entwicklung (im Unterschied zum nachvollziehbaren Verlauf der Entwicklungsgeschichte!), sie wäre nämlich zwangsläufig falsch. Und wenn viel dafür spräche, dass es so ist, dann müsste Naturwissenschaft diese Thematik als „mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht erklärbar“ einstufen.
Es gibt nichts, was diese Möglichkeit auszuschließen geeignet wäre.
Zweitens: Vor Kopernikus galt Ptolemäus als alternativlos. Ein gewichtiger Grund dafür lag darin, dass im Mittelalter die Vorstellung tabuisiert war, die Erde könnte nicht Mittelpunkt der Welt sein. Deshalb konnte lange Zeit keine Alternative „in Sicht kommen“.
Mithin braucht man sich über die Abwesenheit alternativer Theorien nicht zu wundern, wenn Wissenschaft der Natur a priori „Vorschriften“ darüber macht wie sie beschaffen sein darf, oder darüber, was Leben sein darf und was nicht.
Dispositionelle Eigenschaften
@Balanus: Danke für den Hinweis auf das Essay von Frau Kronfelder. Ich habe es mir angesehen. Es war interessant, löst aber meiner Ansicht nach das Problem nicht.
Man kann Fitness als Disposition definieren, doch ist uns damit geholfen? Rudolf Carnap hat ein ähnliches Programm bereits durchführen wollen. Er hatte zum Ziel dispositionale Eigenschaften auf Beobachtungsbegriffe zurückzuführen. Er musste damals recht schnell einsehen, dass das nicht funktioniert. Mir scheint auch mit einem Dispositionsbegriff von Fitness nicht geholfen, da sein zutreffen für gewöhnlich nicht getestet werden kann. Offensichtlich ist man nicht in der Lage sich auf das unmittelbar Wahrnehmbare zu beschränken.
Propensität /@Ole
Es geht nicht um Dispositionen, sondern um Propensitäten (der Begriff ist mir auch nicht sonderlich geläufig, deshalb Wiki: “Propensitäten sind für Popper verallgemeinerte Kräfte und somit reale Eigenschaften von physikalischen Systemen. Sie sind relational und liegen nicht, wie etwa bei den Potentialitäten von Aristoteles, in den Dingen selbst…”)
Noch einmal Kronfeldner:
Ich finde, Kronfeldner erklärt das recht gut. Es gibt aber auch noch andere philosophische Arbeiten, in denen dargelegt wird, dass der Tautologie-Vorwurf nicht zu halten ist.
@fegalo
Tja, in einigem liegen wir nicht weit auseinander. Aber die Warnung vor den Strohmännern muss ich doch wohl auch loswerden: Ich schrieb von “Evolutionstheorie”, Sie antworteten mit “Selektionstheorie”. Eine solche vertrete ich nicht, sondern habe in diesem Blogpost den Fitness-Begriff problematisiert sowie im Dialog mit den Kommentatoren auch ausdrücklich die Schwierigkeiten des Konzeptes von “natürlicher Selektion” thematisiert.
Schauen Sie sich doch bitte beispielsweise meine empirischen Forschungsergebnisse an: Menschen schließen sich zu Glaubensgemeinschaften zusammen, von denen einige Ehe und Kinder als Auftrag und Segen lehren sowie gemeinschaftliche Einrichtungen wie Kindergärten, Schule, Hospize etc. betreiben – und prompt durchschnittlich höhere Geburtenraten und also auch genetischen Reproduktionserfolg aufweisen. Wie sollte das in eine klassische “Selektionstheorie” passen, wer sollte denn hier der “Selektierende” sein? Ebenso erkunden doch viele der genannten mathematischen Modelle gerade nicht mehr selektive Szenarien, sondern fragen z.B. mit Mitteln der Spieltheorie nach dem Entstehen und Erfolg von Kooperation. Die Evolutionsforschung ist schon lange weit mehr als “Selektionstheorie”!
Sie fragten: Interessanterweise argumentieren Sie ja damit, die Evolutionstheorie sei „überzeugend“, schon bevor Experimente und mathematische Modelle entwickelt wurden. Aber wie geht das zu? Wie kann die apriorische Überzeugungskraft einer empirischen Theorie Argument für ihre Wahrheit sein?
Die Evolutionstheorie – aussagend, dass alles Leben in einem Zeitverlauf auseinander entstanden ist – vermochte auf einen Schlag so unterschiedliche und bislang unerklärliche Phänomene zu erklären wie die weltweite Verteilung verschiedenster Tierarten (von Galapagos-Finken mit verschiedenen Schnäbeln bis hin zu australischen Beuteltieren), die anatomische Ähnlichkeit von Menschen und anderen Primaten, die Funde von immer mehr Fossilien früherer Tiere und Menschen (wie des Homo neanderthalensis), Schwächen im “Design” auch menschlicher Anatomie – wie z.B. der blinde Fleck in den Augen, die Weisheitszähne, der enge Geburtskanal u.v.m. – und die bislang unerklärte Passung von großen, geologischen Zeitspannen im Kontrast zu einem wörtlich verstandenen Schöpfungsbericht. Schon Darwin, Wallace und ihren Zeitgenossen war klar, dass hier Großes entdeckt war – und dass es Generationen brauchen würde, um die Evolutionstheorie immer wieder empirisch zu überprüfen, zu verfeinern und zu vertiefen. Und dies geschieht seitdem, da bleibt kein Begriff und keine Hypothese unverändert, wogegen sich die Gesamttheorie als beeindruckend erfolgreich erwiesen hat. Keine alternative Theorie war oder ist in der Lage, die so unterschiedlichen Befunde verschiedenster Disziplinen zu integrieren – auch das Forschungsthema dieses Blogs ist ja ein winziger Stein in diesem Mosaik.
Wenn es nun so wäre, dass „Leben“ ein metaphysisches Prinzip jenseits der chemischen Aktivität von Proteinen ist, dann nützte uns die beste naturalistische Theorie des Lebens nichts: Weder über seine Entstehung, noch über die Ursachen seiner Entwicklung (im Unterschied zum nachvollziehbaren Verlauf der Entwicklungsgeschichte!), sie wäre nämlich zwangsläufig falsch. Und wenn viel dafür spräche, dass es so ist, dann müsste Naturwissenschaft diese Thematik als „mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht erklärbar“ einstufen.
Ganz genau! Und es gibt genau einen Weg, dahin zu kommen: Es nämlich immer wieder neu zu erforschen und zu reflektieren. Dann und nur dann werden wir etwas über die Natur und vielleicht auch deren Grenzen lernen. Und niemand verbietet Alternativen: Wallace hat sich zeitweise in spiritistischen Theorien und Experimenten versucht, US-amerikanische Kreationisten wenden Millionen für “Alternativen” zur Evolutionstheorie auf. Nur: Bislang ist nichts wissenschaftlich Haltbares daraus geworden.
Wir können problemlos z.B. ein Szenario entwerfen, nach dem die Welt mit allen Phänomenen samt unseren Erinnerungen erst vor 20 Sekunden von einem zu Streichen aufgelegten Gott erschaffen wurde. Diese “Theorie” wäre in sich geschlossen, würde alles “erklären” und wäre nicht widerleg- und also auch nicht überprüfbar. Genau deswegen wäre sie aber eben auch nicht wissenschaftlich und lieferte uns keine originären Erkenntnisse. Die Evolutionstheorie tut das.
Vor Kopernikus galt Ptolemäus als alternativlos. Ein gewichtiger Grund dafür lag darin, dass im Mittelalter die Vorstellung tabuisiert war, die Erde könnte nicht Mittelpunkt der Welt sein. Deshalb konnte lange Zeit keine Alternative „in Sicht kommen“.
Moooment – wie genau hat Kopernikus reüssiert? Genau – nicht, indem er über Ptolemäus nur metaphysisch gemeckert hat, sondern indem er empirisch forschte und auf Basis von starken Belegen eine bessere Theorie entwickelte. Gerade das Beispiel von Kopernikus ist damit ein hervorragendes Beispiel FÜR Erkenntnisfortschritt durch empirisches Forschen!
Könnten sich Evolutionstheorie und Naturalismus einmal als überholt erweisen? Aber sicher! Und zwar genau dann, wenn die empirischen Befunde über sie hinweg gegangen wären. Persönlich würde ich zwar davon ausgehen, dass sich die Evolutionstheorie insgesamt weiter bewährt – aber dass sie auch in Zukunft neue Begriffe und Formen finden wird, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. (Wie auch Darwin nichts von Genen, Spieltheorie o.ä. wissen konnte.) Aber durch Nicht-Forschen, lieber @fegalo, ist meines Wissens noch keine empirisch gestützte Theorie durch eine bessere überwunden worden…
@Michael Blume
Ich habe die Diskussion bis hierin verfolgt und treffe mit obigen Zitat auf das, was ich “schon immer sagen wollte” ;-):
“gemeinschaftliche Einrichtungen” sind doch wohl mal von der Glaubensgemeinschaft unabhängig, mögen sie auch dorten vermehrt auftreten, weil entsprechende “Traditionen” herangezogen werden (können).
Von diesem “vermehrten Auftreten” nun auf genetische Codierung (meint: biologische Evolution) zu schließen halte ich eben für äußerst gewagt. Denn -vorausgesetzt es gäbe genügend Vernunft in diesem Universum 🙂 – gute Voraussetzungen zu schaffen für eine gesicherte Nachkommenschaft (und damit die Reproduktionsrate erhöhen zu können) ist eine Vernunftfrage, keine religiöse, m.E. zumindest.
Womit ich allerdings in keiner Weise sagen möchte, dass “Religiösität” und “Vernunft” nun Synonyme wären, wie die gefunden Korrelationen zu Geburten/Glaubensgemeinschaft ja vor diesem Hintergrund analysiert werden könnten.
Eines möchte ich noch anmerken: Inwieweit eine Begründung für eine hohe Geburtenrate mit dem Wunsch des eigenen Wohlergehens der Elterngeneration erklärt werden kann. Entsprechende günstige Bedingungen zu schaffen für zahlreiche Kinder könnte dann doch auch aus purem Egoismus heraus erklärt werden, meint: die Sicherung des eigenen Überlebens im Alter, denn auch wenn ich alt bin brauche ich etwas zu essen, kann aber nicht mehr auf dem Acker rumtanzen.
Es kann durchaus sein, dass Glaubensgemeinschaften und ihre Traditionen mit einem solchen “Generationsvertrag” begründet werden können. Doch der Grund für “viele Kinder” liegt nicht in der Religion begründet, sie ist nur Mittel zum Zweck des eigenen Wohlergehens.
Und das, das eigene Wohlergehen, das kann ich mir gut vorstellen, dass das genetisch gesetzt ist. Die Umsetzung in Form von Glaubensgemeinschaften ist nur eine Form, dem “genetischen Programm” zu folgen. Könnte man “Religiösität” als ein “Epiphänomen” verstehen? Was ja dann auch die Korrelationen erklären könnte.
Evolutionsbegriff und Evolutionstheorie
@ M. Blume
Ist Evolution nur ein zeitliches Nacheinander und Auseinander oder umfasst der Begriff der Evolution als Abbildung des realen Prozesses mehr, beispielsweise ein „Höher“?
Ist der religiöse Mensch nur nach einem Menschenaffen und aus ihm hervorgegangen?
Hier liegen die Grenzen des Darwinismus als Theorie dieses Prozesses. Er kann nur das Nacheiander uns Auseinander darstellen, kein Höher. Reicht das aber als Erklärung für die Evolution von Religiosität?
@Volker Homann
Interessanterweise sprechen sie zwei Aspekte (Vernunft vs. Religiosität bzw. Egoismus vs. Religiosität) an, mit denen man (denke ich) den Reproduktionserfolg durch Religiosität sehr gut anschaulich machen kann.
Sicher haben Sie Recht, dass es nicht vollkommen gegen die Vernunft sein darf, Kinder zu haben. Und in Gesellschaften, in denen Kinder eine Versicherung im Alter bedeuten, wird man auch aus rein egoistischen Gründen Kinder haben wollen. Deshalb wird hier auch niemand behaupten, dass Religiosität der einzige Faktor für die Reproduktion des Menschen ist (und daher auch nicht allein für die Überbevölkerung verantwortlich sein kann).
Aber nehmen wir einmal eine Gesellschaft, in denen egoistische Motive für Kinder weitgehend wegfallen: Deutschland hat ein umfassendes gesetzliches Versicherungssystem, was die “Kinderversicherung” im Alter unnötig macht. Und was passiert? Sehr viele Menschen entscheiden sich dafür, ihr Leben anders zu leben als es bis dahin üblich war; sie konzentrieren sich auf Karriere und investieren ihr Geld lieber in Urlaube oder Statussymbole wie teure Autos oder Ähnliches. Wie man in den Kommentaren zu einem Blogpost von Herrn Blume zum Wert von Kindern sehr gut (und erschreckenderweise) gesehen hat, wird der Wert eines Kindes von vielen (vorgeblich) vernunftorientierten Menschen in einer materiellen Kosten/Nutzen-Rechnung kalkuliert – und dabei kommen Kinder heutzutage in Deutschland nicht mehr allzu gut weg. Bringen wir nun den Faktor Religiosität ins Spiel und damit Religionen, die dem Menschen mit göttlicher Autorität sagen, dass jeder Mensch eine Würde hat und Kinder in Gottes Sinne sind, dann bekommen Kinder nicht nur einen materiell abwägbaren Wert, sondern auch einen transzendent begründeten emotionalen Wert. Und, wie man an den empirischen Daten sieht, offenbar einen genügend großen Wert, um statistisch signifikant mehr Kinder zu bekommen als weniger religiöse Menschen.
So wird, denke ich, gerade in den modernen Industriegesellschaften der Faktor Religion sehr gut deutlich.
Dass Religion und erhöhte Geburtenrate korrelieren, sagt natürlich noch nichts über genetische Grundlagen von Religion aus. Dazu muss man andere Studien und Fallbeispiele (Zwillingsstudien) bemühen.
@all: Zwischenstand & Zwischenfrage
Es war ja ein bissel ein Wagnis, in einem Wissenschaftsblog statt einer mehr oder weniger geschlossenen Aussage einfach einmal eine offene Frage (hier zum Fitnessbegriff) zu stellen. Zunächst war ich von der Resonanz auch etwas gefrustet, da ich den Eindruck hatte, dass statt eines fachlich konzentrierten Gespräches nicht einmal der Eingangspost oder die Links genauer gelesen wurden, sondern völlig unterschiedliche Wissensstände, Anliegen und auch Emotionen eingeworfen wurden. Hinzu kommt ja das Problem, dass uns allen bei Kommentardiskussionen so viele Signale – Stimme, Gesicht, Augen, Haltung usw. – fehlen, so dass sich schnell Mißverständnisse und sicher auch Ärgernisse auftürmen.
Nun habe ich aber die Diskussion schon drei Mal in Gänze durchgeschaut und empfinde das “Begriffs-Chaos” nicht mehr als frustrierend, sondern als kreativ und anregend. Mir war z.B. nach vielen Jahren “in” diesem Forschunsgbereich gar nicht mehr richtig bewusst, was für völlig unterschiedliche Assoziationen zu Evolution bestehen – die ja auch oft ihre Berechtigungen haben und Beachtung verdienen.
Nun möchte ich in die Runde fragen: Soll ich Natur des Glaubens um eine Kategorie “Offene Begriffe” erweitern, in der über Grundbegriffe und damit -fragen z.B. zu “Evolution”, “Natürliche Selektion”, “Altruismus” usw. aus der Vielfalt der Perspektiven diskutiert wird? Oder ist das Blogformat dafür dann doch ungeeignet, weil man ungewollt zu leicht aneinander vorbei redet? Und falls hier Begriffe offen diskutiert werden: Sollte ich mich dann in diesen Debatten nach dem Einstiegsbeitrag erst einmal ein paar Tage zurück halten (Spielraum geben) oder gleich mit diskutieren?
Die Meinung von Ihnen – und insbesondere der bisherigen Diskutanten dieses Beitrages – würde mich interessieren bzw. wäre da für mich maßgeblich.
@Sebastian Voß
Hmmm. Möchte ich mit einem “Sättigungsargument” antworten? Ja, ich versuch’s mal: Ein Ausdruck (und Glaube, auch wenn dieser anfängt zu brökeln) wie “Die Renten sind sicher” könnte genau den Effekt hervorgerufen haben, den Sie als Argument ins Felde führen. Trägt dieses System wirklich nicht mehr, werden auch die nicht-Religiösen ihre statistische(!) Reproduktionsrate wieder erhöhen, denk ich mal… sofern nicht Argumente wie z.B. Überbevölkerung oder Erziehungserfolgsdruck dagegen sprechen… oder … andere “vernünftige” Argumente…
Mir geht’s vornehmlich darum, dass ich mich daran störe, Religiösität mit “evolutionäre Vorteilen” (was “Fitness” ja wohl ist) zu begründen und auf diese Art und Weise Religion als solches etwas “Naturhaftes” -und damit (meint: i.S.v.) außerhalb des freien Willens- anzuheften. Religion ist ein Kulturgut und wird m.E. über “kulturelle Meme” (ich glaube da gab’s schon mal einen Beitrag…) und nicht biologische Gene vererbt, besser vielleicht: tradiert. Und da diese Meme dem freien Willen unterliegen und aus eben diesem geboren sind, wehre ich mich dagegen, dass ein Begriff wie “Evolution” (der m.E. prima facie eine biologische, also “natürliche” Konnotation hat) hierfür zu verwenden. Vielleicht könnte man von “Kuvolution” sprechen?
Was vielleicht auch mal interessant wäre: Zu wieviel Prozent trägt denn die religiös motivierte Reproduktionsrate zur “Erhaltung der Menschheit” (ganz sallop formuliert) bei, bei derzeitigen Stand der Daten? Und: Wenn man zudem von einem “Vorteil” spricht, kann man das doch wohl nur machen, wenn man sich eines “Zieles” bewusst ist. Doch: Was, bitte, ist das Ziel der Evolution? Die ganze Frage des “Erfolges”, der “Fitness” könnte Sinn machen, wenn dieses Ziel im “religiösen Menschen” bestünde. Man sehe mir die polemische Bemerkung nach, aber soweit ich dieses Universum verstanden habe, ist das, was heute von Vorteil ist und morgen “fittet” nicht unbedingt das, was übermorgen “fittet”.
Offene Begriffe @M. Blume/Zwischenstand
Ich halte das für eine gute Idee (und: Sie haben sich dazwischengemogelt 😉 ). Ob da eine “Diskussion” stattfinden kann, weiß ich allerdings nicht. Zu vielfältig sind m.E. die Anschauungen bei “vagen Begriffen” und ein “Ergebnis” einer Diskussion mithin fraglich. Was mir in diesem Post hier gefällt ist, -und das haben sie bereits erwähnt- dass überhaupt erstmal deutlich wird, wie unterschiedlich die Interpretationen zu einem vermeintlich “gängigen”, “selbstverständlichen” Begriff ausfallen können. Das finde ich -völlig unabhängig vom einem Ergebnis- sehr interessant. Eine Moderation in Form hin und wieder zusammenfassender Worte wär’ auch nicht schlecht. Und eine Begrenzung des Umfangs eines einzelnen Beitrages vielleicht, so dass man “Spots” bekommt, über die man sich “ein Bild der Bedeutungslage” zu einem Begriff machen kann.
Ich möchte anregen, den Artikel von Herrn Kemmerling (im Blogpost “Über Begriffe und Begriffsbildung” im Blog “Die Natur der Naturwissenschaft”, ich weiß nicht wie das hier mit den Links funktioniert…) zur “Pflichtlektüre” (ein grausamens Wort, ich sage also besser: jedem Beitragendem ans Herz legen) zu erheben (Ohhhh, wie pathetisch..). Weiters: gibt es ein SciLogs-“Blog”, der ein solches “interdisziplinäres” Anliegen bearbeitet? Was, denk’ ich mehr darüber nach, wohl dann eine ziemlich unübersichtliche Sache werden würde…
@Volker Homann
Ich schätze, manchmal redet man wohl wirklich einigermaßen aneinander vorbei, denn ich gebe Ihnen fast vollständig Recht 😉
Religiosität und Religion vollkommen auf genetische Grundlagen reduzieren zu wollen und damit ins Gedankengebäude der biologischen Evolution pressen zu wollen, muss auf ganzer Linie scheitern. Das gilt vor allem für die Religion, die als kulturelles Produkt nicht über Gene vererbt wird und daher schlicht keiner biologischen Evolution unterliegt. Dafür kann man aber, wie Sie ja schon geschrieben haben, ein ähnliches Konzept, nämlich das der kulturellen Evolution entwerfen – oder wie Sie es nennen: Kuvolution.
Für die Religiosität, also jetzt mal grob definiert als Offenheit für Religionen und deren praktische Ausübung, wird das etwas anders liegen. Manche Menschen neigen wohl auch unabhängig von ihrer Erziehung mehr zu religiösen Traditionen oder gar zu spirituell-mystischen Erfahrungen als andere. Die Grundlage dafür kann man in den Genen suchen. Aber auch da sollte klar sein, dass die Gene nicht alles erklären können. Man hat es mit einer Wechselwirkung von biologischen Grundlagen und kulturellen Ausformungen zu tun: Mit biokultureller Evolution. Das Ganze soll ja nicht zu einfach werden 😉
Übrigens muss (genetisch vererbte) Religiosität an sich auch nicht adaptiv sein, also die Fitness erhöhen – darüber entscheidet erst die jeweilige Religion, für die sich der religiöse Mensch entscheidet, wie man am oben verlinkten Beispiel der Shaker sehen kann. Diese fordern von ihren Anhängern die strikte Kinderlosigkeit und sterben deshalb auf Dauer aus.
Ich hoffe, dass Sie mit dieser Betrachtung der Evolutionstheorie auf dem Gebiet der Religionen und Religiosität besser anfreunden können 🙂
@Michael Blume
Ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht ganz sicher, was ich von Blogposts zu offenen Begriffen halten soll…
Einerseits scheint mir das dann eher um langweilige Grundlagen zu gehen, die irgendwann mal geklärt werden müssen, bevor man sich an das eigentlich Spannende machen kann.
Andererseits ist aber vielleicht gerade diese Klärung der verschiedenen Auffassungsmöglichkeiten für alle Beteiligten hilfreich.
Von daher enthalte ich mich einfach mal. 😉
Offene Begriffe
Ich war immer der vielleicht naiven Meinung, dass es in der Wissenschaft eben um das geht, was man (noch) nicht weiß. Um das, was man weiß, geht es im Unterricht, in der Schule.
Was die „offenen Begriffe“ angeht: Wenn man Kuhn folgt, gibt es die „normale“ Wissenschaft, die sich mit der Ausarbeitung eines gegeben Erklärungsprinzips („Paradigmas“) befasst und die Weiterentwicklung eines gegebenen Paradigmas. Meinen Sie mit „offenen Begriffen“ das zweite?
@Georg Litsche
Wie im Blogpost zu Bürgerwissenschaft geschrieben halte ich es für ein Problem der deutschen Wissenslandschaft, dass wir Wissenschaft zu oft nur auf Forschung verengen und die Lehre zu gering schätzen. Gerade in der interdisziplinären Evolutionsforschung sind wir alle jedoch lebenslang Lernende: So wissen Biologen meist wenig über Religionen, Rituale etc. und umgekehrt Theologen und Religionswissenschaftler meist wenig über Evolution, Homo erectus etc. Und auf Blogs kommen sogar noch mehr lernende Perspektiven dazu. Warum sollten wir da nicht aus der Not eine Tugend und einen informierenden Austausch machen? Diese Fitness-Diskussion hat schon weit über tausend Zugriffe!
Forschen und Lernen
Ich wollte Sie nur in Ihrem Vorhaben bestärken, auch
offene Fragen zu erörtern, gerade auf einem Wissenschaftsblog, da gehören
Sie doch hin!
Und dass Forschen und Lernen
zwei Seiten der Erkenntnis sind, das war der Gegenstand meiner
Dissertation und beschäftigt mich mein Leben lang. Hier sind wir völlig
einer Meinung.
@Georg Litsche
Danke, spannend! Und dann sind wir also hier tatsächlich einer Meinung. 🙂 Bei der ‘Abstimmung’ steht es bisher bei zwei Ja und einer Enthaltung.
Offene Fragen
Vermutlich sind wir in noch mehr Fragen einer
Meinung, wir müssen nur tief genug graben und auf die
Konzepte hinter den Konzepten sehen!
@all: Offener Begriff Evolution
So, nun habe ich einmal eine “Offene Frage” samt einführender Videos online gestellt – zum schillernden Begriff der Evolution selbst.
https://scilogs.spektrum.de/…edeutet-evolution-f-r-sie
Evolution mit Sprung!
Georg Litsche fragt: „Ist der religiöse Mensch nur nach einem Menschenaffen und aus ihm hervorgegangen?“ Offiziell und auch hier wird die Entwicklung der Religionen von unten – aus der Masse heraus – gesehen. Da habe ich mich schon mehrfach gegen ausgesprochen.
Die Bibel zeigt die Entwicklung des Menschen und beginnt mit 1.Mo 1,26. In Folge werden die Menschen von Gott geführt. Dazu hat er auch Propheten, Priester…, die seinen Willen den Menschen übermitteln. Die „oberen“ Religionsführer bestimmen – mit Rückmeldungen – wie „der Hase zu laufen hat“. Das hat auch eindeutig die Diskussion um den Papstbesuche in Deutschland gezeigt – ich führte eine Diskussion im FS an.
Den Ausführungen von Prof. Dawkins – über 1 Million Jahre für die Entwicklung des Homo sapiens – habe ich die Arbeiten von Prof. Pääbo – 300.000 Jahre gibt es den Homo sapiens – gegenüber gestellt. Das ist ein Entwicklungssprung von über 700.000 Jahren – normal und ohne 1.Mo 1,26 hätte es uns noch nicht auf der Erde gegeben. Es ist schon erstaunlich, was dazu alles z. B. im Enuma Elisch und auch dem Gilgamesch Epos „überlesen“ wird!
Michael Blume schreibt von „…sprunghafte Merkmalsveränderungen…“ Hier und in sumerischen Epen haben wir aber so etwas! In der 11. Tafel ab Zeile 202 erzählt Utnapischtim (Noah) dem König Gilgamesch, wie er die Geschichte der Sintflut vor etwa 10.000 Jahren erlebt hat – er lebte noch! s. a.:
http://www.uni-heidelberg.de/…rschung/gilga.html
In seinem Kommentar zum Epos geht Prof. Maul auf S. 187 (Ausgabe 2005) darauf ein, dass der Sintflutheld schon vorher Keilschrifttafeln vergraben hat, „daß man bei Ausschachtungsarbeiten immer wieder auf uralte Keilschriftdokumente stieß, die von lange vergangenen Zeiten zeugten.“
Ein weiterer Zeuge dafür ist der König Assurbanipal der sagte, dass er auch die Keilschriften von vor der Sintflut lesen kann. Da müssen sich ja in seiner Bibliothek von Ninive einige befunden haben.
Darvin hat getan was er konnte – nun liegt es an uns, viele überlieferte Fakten in die Evolutionstheorie einzubauen, um sie standfester zu machen.
Hallo Michael Blume,
alle vier Punkte sind richtig, weil sie verschiedene Beschreibungen der selben Vorgänge sind.
Deshalb habe ich damals Ihren Darstellungen auch nicht widersprochen.
Ich neige oft dazu, die Gemeinsamkeiten eher als die Unterschiede zu sehen.
Zu Punkt 1:
Nach mindestens 100.000 Jahren oder rund 5.000 Generationen an Stammeskriegen hat sich natürlich die angeborene Hilfsbereitschaft zu den Stammesangehörigen, und auch die Fremdenfeindlichkeit entwickelt, sowie die mündliche und später die schriftliche Weitergabe nützlicher Informationen.
Zu Punkt 2:
Was als Glück empfunden wird, das ist die Erfüllung der genetischen Steuerbefehle des Gehirns.
Das kann zum Beispiel die Hilfe an den Stammesangehörigen sein, oder das Schädigen von Feinden des Stammes, oder das Verspeisen guter Nahrung, oder das Erwerben und Weitergeben von nützlichen Informationen.
Zu Punkt 3:
Was Dawkins als Meme bezeichnet, das sind die zahlreichen Aussagesätze, aus denen die kulturelle Evolution aufgebaut ist.
Ohne angeborene Eigenschaften wie zum Beispiel Lernfähigkeit, Erziehbarkeit, Nachahmungstrieb, Neugier und Mitteilungdrang würde die kulturelle Evolution nicht funktionieren.
Zu Punkt 4:
Neben der genetischen Evolution, und der auf ihr aufgebauten kulturellen Evolution, kam in den letzten Jahrhunderten noch die technologische Evolution dazu, die wiederum auf der kulturellen Evolution aufgebaut ist.
Kulturen mit hochentwickelter Technologie haben höhere Überlebenschancen.
Selbstverständlich handelt es sich immer um eine Koevolution aller evolutionären Eigenschaften, ganz gleich ob sie genetischer, kultureller, oder technologischer Herkunft sind.
Die Abgrenzung zwischen kultureller Evolution und technologischer Evolution liegt ungefähr dort, wo Maschinen wieder Maschinen bauen können, und wo Maschinen Informationen speichern und verarbeiten können, wo also Maschinen die Träger der kulturellen Information sind, und sie an Maschinen weitergeben können.
Die Gehirne dienen den Genen, die Gehirne sind aber viel schneller als die Gene.
Die Maschinen dienen den Gehirnen, die Maschinen sind aber viel schneller als die Gehirne.
Mit freundlichen Grüssen,
Karl Bednarik.
@Karl Bednarik
Ja, wir scheinen da durchaus viele Überzeugungen zu teilen. Freilich bin ich etwas skeptisch, was die Annahme eines linearen Fortschritts angeht.
So schreiben Sie: Kulturen mit hochentwickelter Technologie haben höhere Überlebenschancen.
Da bin ich mir nicht sicher: Derzeit befinden sich gerade auch die wohlhabendsten und am meisten technologisierten Gesellschaften trotz Rekord-Lebenserwartungen in einer mehr oder minder massiven Bevölkerungsschrumpfung. In Deutschland sterben seit über 40 Jahren mehr Menschen als noch geboren werden – ohne den Zustrom von Zuwanderern wäre es mit der “Überlebensfähigkeit” unserer Kultur längst nicht mehr weit her…
Manchmal frage ich mich, ob wir durch Kultur(en) und Technologie(n) nicht gerade auch wieder Welten schaffen, in denen wir uns erst evolutionär bewähren müssen. Demnach läge keine einfache Treppe von Natur – Kultur – Technologie vor, sondern eine komplexe, sich aufschaukelnde Wechselwirkung, in der keine frühere Stufe an Bedeutung verliert.
Was meinen Sie?
Hallo Michael Blume,
dass wir durch Kulturen und Technologien wieder Welten schaffen, in denen wir uns erst evolutionär bewähren müssen, das ist völlig richtig.
Das war auch schon beim Wettlauf zwischen Zähnen und Panzerungen der Fall.
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Dass keine einfache Treppe von Natur – Kultur – Technologie vorliegt, sondern eine komplexe, sich aufschaukelnde Wechselwirkung, in der keine frühere Stufe an Bedeutung verliert, das ist völlig richtig.
Die Pyramide aus diesen auf einander aufbauenden Fähigkeiten steht immer noch auf ihrer breiten Basisfläche.
Das sieht man auch an der Befehlshierarchie von Genen – Instinkten – Gehirnen – Programmen – Maschinen.
Oder am Aufbau des Gehirns Hirnstamm – Zwischenhirn – Grosshirn (und dem darüber implantierten Neurochip).
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Die am meisten technologisierten Gesellschaften haben trotz Bevölkerungsschrumpfung eine ständige Zunahme des Bruttosozialprodukts und des Lebensstandards.
Das liegt daran, dass die Maschinen den grössten Teil des Bruttosozialprodukts erzeugen.
Streng genommen sind daher die Maschinen Hauptträger der kulturellen oder der technologischen Evolution.
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Das gilt auch für die geistige Komponente der kulturellen oder der technologischen Evolution, denn kein Molekularbiologe kann sich drei Milliarden Basenpaare und 30.000 Proteinsequenzen merken, oder kann sie gar mit einander vergleichen.
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Die Fische benötigten einige genetische Verbesserungen, um an Land gehen zu können.
Die Menschen benötigten einige kulturell übermittelte Methoden, um die Eiszeit zu überleben.
Die Menschen benötigen einige verbesserte Maschinen, um in den Weltraum fliegen zu können.
Mit freundlichen Grüssen,
Karl Bednarik.
@Karl Bednarik
Sehr gut, vielen Dank.
Ich würde soweit zustimmen – und ergänzen, dass Menschen ggf. Mythen (als sinn- und gemeinschaftsstiftende, in Ritualen und heiligen Orten vergegenwärtigte Erzählungen) benötigen, um sich in ausreichender Zahl in dieser sich so komplex und immer schneller “aufschaukelnden” Welt zu behaupten.