Schulen und Asbest

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Gibt es ein Risiko?

Achtung, Asbest!
Achtung Asbest

Wenn das Thema Asbest auf die Tagesordnung kommt, stellt sich eigentlich fast unweigerlich die Frage, welches Risiko für die Nutzer der baulichen Anlagen besteht. Im Normalfall, heißt es dann immer, sollte kein Risiko bestehen. Zumindest, solange die asbesthaltigen Baustoffe noch in gutem Zustand ihrer ursprünglichen Bestimmung dienen. Denn der Vorteil bei Asbest als Schadstoff ist, dass er nicht aus den Materialien heraus diffundieren kann.

Der Nachteil ist, dass er auch jahrelang, manchmal sogar Jahrzehnte, lauern kann, bevor er durch unsachgemäße Arbeiten oder manchmal auch schlichte Alterung freigesetzt wird. Und bevor man sich allzu sicher fühlt. Sollte man sich folgendes überlegen. Der Baubestand der Bundesrepublik ist, zumindest im überwiegenden Teil, deutlich vor dem Asbestverbot im Herbst 1993 erbaut worden. Und alle Gebäude, die vor 1993, teilweise sogar bis 1995, erbaut oder grundlegend umgebaut und renoviert wurden, stehen unter dem Verdacht, asbesthaltige Baumaterialien zu enthalten.

Neben allen Problemen, die dies für aktuelle Sanierungen, Renovierungen oder Rückbau bedeutet, stellt der Asbest, ich erwähnte es, eine zumindest latente Gesundheitsgefahr für alle Nutzer der Gebäude dar. Wie groß das Risiko nun aber konkret ist, darüber wird immer gerne gestritten. Es ist ja auch nicht einfach, einen Risikofaktor neben all den anderen Risiken zu betrachten, denen wir uns mehr oder weniger freiwillig in unserem Leben so aussetzen.

Vielleicht hilft hier mal ein Blick nach Großbritannien und auf eine Berufsgruppe, die man auf den ersten Blick vielleicht weniger mit Asbest in Verbindung bringt – Lehrer.

Schulen und Asbest in Großbritannien

Auch in Großbritannien wurden, ebenso wie n der Bundesrepublik, ein Großteil der Schulgebäude in den 1960er und 1970er, also deutlich vor dem Asbestverbot, erbaut. Folglich ist Asbest in sehr vielen Gebäuden vorhanden und stellt dementsprechend eine latente Gefahr für die Nutzer dieser Gebäude dar. Großbritannien hinkte vielen anderen europäischen Nationen in Sachen Asbestverbot ziemlich hinterher. Ein endgültiges Verbot fand hier erst 1999 statt, in der Bundesrepublik war es schon 1993 so weit.

Mittlerweile hat die HSE (Health and Safety Executive) ein ausgedehntes Untersuchungsprogramm für Asbest in den Schulen begonnen. Einer der möglichen Auslöser für diese landesweite Untersuchung der Schulen dürfte 2022 ebenfalls von der HSE in veröffentlichte Statistik gewesen sein, welche die Mesotheliom-Todesfälle im Land nach Berufen der Betreffenden aufschlüsselt [HSE 2022].

Hier zeigte sich, dass es für Lehrer statistisch signifikant ein höheres Risiko gibt, an einem Mesotheliom zu erkranken, als für viele andere Berufsgruppen wie etwa Verwaltungsangestellte. Mesotheliome sind eine relativ seltene Tumorerkrankungen des Mesothels. Kontakt mit Asbest gilt als eine der Hauptursachen für diese Tumorerkrankungen, besonders des Pleuralmesothelioms.

Wie weit Asbest in britischen Schulen verbreitet ist, zeigte eine Umfrage aus dem Jahr 2019, der zufolge zwischen 71,6 und 83,1 % aller Schulgebäude asbestbelastet sind [Department of Education 2019]. Einer der Hauptgründe könnte sein, dass gerade für den Bau von Schulgebäuden unter dem Consortium of Land Authorities Special Programme (CLASP) ab 1957 gerne günstige, vorgefertigte asbesthaltige Bauteile eingesetzt wurden. Nach dem Krieg begannen die Schülerzahlen deutlich anzusteigen, wodurch neue Schulgebäude notwendig wurden. Rund 3000 der dabei gebauten Schulen sind auch heute noch in Benutzung.

Lehrer und Mesotheliome

Mesotheliome, besonders die Pleuralmesotheliome, gelten als eine der durch Asbestkontakt ausgelösten Krankheiten. Wobei hier eine sehr lange Zeit zwischen der Asbestexposition und der Erkrankung liegen kann. Sehr lange Zeiträume, wir reden hier von 20, 30 oder sogar 40 Jahren, was die Suche nach den Ursachen oftmals ziemlich schwierig macht.

Laut dem Office for National Statistics (ONS) sind in den Jahren zwischen 2001 und 2016 gut 305 Lehrer an Mesotheliomen verstorben. Bei einer Inkubationszeit von mehr als 20 Jahren kann man sich problemlos vorstellen, wann eine ursächliche Asbestexposition vorgelegen haben könnte. Das bedeutet, dass die angegebene Zahl mit großer Wahrscheinlichkeit zu niedrig ist. In diese Richtung deutet auch eine Untersuchung des Mesotheliome UK Research Centre [Taylor 2022].

Demzufolge wurde bei der ONS Statistik nur die letzte Tätigkeit der Verstorbenen gelistet. Dadurch wurden alle Menschen, die ihre Tätigkeit als Lehrer aufgaben und anschließend in einem anderen Beruf arbeiteten, nicht erfasst.

Das Gleiche gilt für alle Personen, die zwar im Schulbereich tätig sind, aber eben nicht als Lehrer. So fallen das Reinigungspersonal, Hausmeister und ähnliche Berufsgruppen durch das Raster. Nicht zu vergessen alle Schüler, die ja ebenfalls in den betroffenen Gebäuden zu finden sein dürften.

Welche Risiken bestehen für Schüler und Lehrer?

Da stellt sich natürlich auch die Frage, welchen Risiken die Betroffenen, seien es Lehrer und andere Angestellte an den Schulen oder die Schüler, eigentlich ausgesetzt sind. Dazu muss gesagt werden, dass Asbest wohl an vielen britischen Schulen vorhanden ist, aber alleine die Anwesenheit reicht meist noch nicht aus, um die Nutzer dem Risiko einer Asbestexposition auszusetzen.

Für die Schulen in Großbritannien gilt laut dem UK National Asbestos Register (UKNAR), dass rund 75 % aller Schulen asbestbelastet sind, davon immerhin 25 % in einer Form, die Anlass zur Sorge gibt. In weiteren 60 % sollten die Risiken mit umsichtigem Verhalten beherrschbar sein und der Rest gilt als weitgehend unproblematisch.

Auch für die am schlimmsten betroffenen Schulen gilt der Umstand, dass die Risiken sich größtenteils durch umsichtiges Verhalten deutlich minimieren lassen. Vielleicht ein Rat, der allen Nutzern asbestbelasteter Gebäude gegeben wird. Und ja, da ist etwas dran. Wenn man weiß, dass Asbest vorhanden ist und man auch ungefähr weiß, wo, dann lässt sich das Risiko schon durch relativ simple Vorsichtmaßnahmen deutlich verringern.

Eine davon ist, den asbestbelasteten Baustoff in Ruhe zu lassen. Asbest hat gegenüber vielen Schadstoffen den Vorteil, dass es nicht aus Baustoffen hinausdiffundiert. Solange der Baustoff also nicht bearbeitet wird, die entsprechenden Gebäudeteile gut überwacht werden, kann sich das Risiko begrenzen lassen. Denn wenn die Fasern nicht in die Raumluft gelangen, können sie auch nicht eingeatmet werden.

Das ist natürlich im Hinblick auf Schulen ein recht billiger Rat. Wenn wir alle uns an unsere Schulzeit erinnern, wissen wir: An Schulen kann es durchaus rau zugehen. Und damit meine ich nicht unbedingt den Umgang der Schüler untereinander, sondern den mit der Gebäudesubstanz. Zumindest während meiner Schulzeit wurde da manches einer höheren Belastung ausgesetzt, ohne dass wir nun eine ausgemacht „wilde“ Schulgemeinschaft gewesen wären.

Vor allem die Wände, bei denen nicht nur die Wände selber, sondern eventuell auch die Putze und Spachtelmassen asbestbelastet sein können. Kinderhände sind vermutlich ein recht starkes Erosionsagens, sodass hier immer auch die Gefahr einer Faserfreisetzung gegeben ist. Und Wände dienen ja auch gerne als Befestigung für diverse Unterrichtsmaterialien.

Risiken minimieren!

Die betroffenen Schulen sollen die Informationen, wo und in welcher Form asbesthaltige Materialien in ihren Gebäuden zu finden sind, in einem Asbestregister führen. Damit könne sichergestellt werden, dass alle Personen, die dort arbeiten, sich über das Vorhandensein von Asbest sowie den Zustand der betreffenden Baustoffe informieren können.

Diese Informationen helfen, die belasteten Materialien so weit es geht ungestört zu lassen, um eine Faserfreisetzung zu verhindern. Leider scheinen die entsprechenden Informationen oftmals so schwer verständlich zu sein, dass viele Betroffene diese überhaupt nicht mehr abfragen. Aus diesem Grund wurde von der UKNAR ab dem Jahr 2020 eine online Plattform geschaffen, welche den Zugang vereinfachen soll. Die Teilnahme ist allerdings kostenpflichtig. Sie kann den betroffenen Schulen aber auch eventuelle Kosten ersparen, wenn Handwerker z.B. vor Annahme von Aufträgen die Kosten für Asbest mit einkalkulieren können und so deutlich weniger Nachträge auflaufen.

Wie sieht es mit Asbestsanierung der britischen Schulen aus?

Bei all den Risiken stellt sich natürlich die Frage, warum die asbestbelasteten Materialien nicht schon längst aus den Schulgebäuden entfernt wurden, oder zumindest damit angefangen wurde, das zu tun. Und die Antwort ist, wie in diesen Fällen üblich, die Kosten. Für die Schulen in Großbritannien werden die Kosten, um alle Schulen komplett von Asbest zu befreien auf gute 100 Milliarden £ geschätzt. Diese Summe erscheint so lächerlich hoch, dass es vermutlich unmöglich sein dürfte, dies zu machen.

Als Ausweg bietet sich an, in den Schulen zumindest die extremsten Punkte zu sanieren, an denen eine Freisetzung am wahrscheinlichsten ist. Zum Beispiel die Heizung und Warmwasserversorgung, in denen wohl immer noch eine Menge Asbest in Dichtungen und Isolierungen verbaut ist. Aber auch dazu müssten wohl extra Mittel zur Verfügung gestellt werden, denn alleine aus ihrem Budget könnten die Schulen das wohl nicht stemmen. Aber ob in Zeiten der wirtschaftlichen Not hierfür genügend Mittel vorhanden sind, könnte fraglich sein. Der Brexit macht es auch hier sicher nicht leichter.

Seit 2015 wurden aus verschieden Quellen rund 13 Milliarden £ zur Modernisierung der Schulgebäude aufgebracht. Auch diese Mittel können dazu verwendet werden, bei laufenden umfassenden Sanierungsarbeiten zur Asbestbeseitigung verwendet werden.

Bereits 2010 wurde das Joint Union Asbestos Committee (JUAC) gegründet, dessen Ziel eine Staats-finanzierte schrittweise Asbestsanierung aus den Bildungseinrichtungen. Idealerweise sollte mit den gefährlichsten asbesthaltigen Materialien begonnen werden. Denn solange sich diese schadstoffhaltigen Materialien in den Gebäuden befinden, solange besteht auch immer eine Gefahr der Freisetzung. Also ein Risiko für die Nutzer seien es Lernende oder das Personal.

Zurzeit ist eine erweiterte Studie geplant, die das Risiko für Lehrer klären soll, die nach 1980 in den Lehrdienst getreten sind. Da ab 1980 die Verwendung von Asbest abnahm, sollten Lehrer, die nach diesem Zeitpunkt ihren Dienst anfingen, eigentlich kein höheres Risiko einer Asbestexposition haben als Vertreter vergleichbarer anderer Berufe.

Und wie sieht es an deutschen Schulen aus?

Klar könnte man sagen, dass dies alles Probleme der Briten sind. Aber auch in Deutschland wurde ein Großteil der Schulgebäude in den Jahren 1960 bis 1980 gebaut oder zumindest grundlegend renoviert. Man darf ja nicht vergessen, dass die meisten Schulgebäude durchaus Kriegsschäden erlitten haben. Durch den Schuleintritt der sogenannten Babyboomer bestand auch ein sehr hoher Bedarf an zusätzlichen Schulgebäuden. Und rein zufällig sind das auch die Jahre, in denen die Verwendung von asbesthaltigen Baustoffen in der Bundesrepublik ihren Höhepunkt hatte. Es mögen einige Unterschiede in den einzelnen Materialien zwischen den Ländern bestehen, aber das Prinzip dürfte überall dasselbe sein.

Dass dies nicht nur eine Annahme von mir ist, zeigt diese Zeitungsmeldung exemplarisch [Anonymus 2023]. In diesem Fall ging es um eine Schule in Gelsenkirchen, aber vergleichbare asbesthaltige Wandputze sind deutschlandweit verwendet worden. Auch hier gilt, dass die Fasern, solange sie fest im Putz gebunden sind und der Putz nicht beschädigt wird, keine Gefahr darstellen. Aber wenn man den Alltag an Schulen kennt, dann dürfte ein Wandputz hier sicher einigen Kräften ausgesetzt sein und nur in seltenen Fällen im Ganzen unbeschädigt bleiben. Daher wäre es sicher auch in Deutschland recht interessant, ob es hier statistisch signifikante Häufungen an asbestbezogenen Erkrankungen in den die Schule betreffenden Berufsgruppen gibt.

Literaturverzeichnis

Anonymus, Asbest in Grundschulen: Gelsenkirchen schließt Klassenzimmer, 2023, https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/asbest-in-grundschulen-gelsenkirchen-schliesst-klassenzimmer-id237778251.html

Department of Education (Hrsg), 2019,Asbestos Management Assurance Process (AMAP) report, 38 S

Health and Safety Executive (Hrsg), 2022,Mesothelioma mortality by occupation statistics in Great Britain, 2022, 28 S.

Taylor, B., Allmark, P & Tod, A., 2022,The Experiences of Presentation, Diagnosis, Treatment and Care for School-Based Education Workers with Mesothelioma: A Scoping Review, Int J Nurs Health Care Res, , 6 S.

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

3 Kommentare

  1. Der Palast der Republik musste unbedingt wegen der Asbest-Belastung abgerissen werden, um die Besucher, die sich dort in der Regel nur kurz aufhalten, zu schützen.
    Bei Schulen, in denen Kinder den halben Tag verbringen, ist Asbest allerdings kein Problem. Ob Asbest gefährlich ist oder nicht, ist eine politische Entscheidung.

  2. Ich war einige Jahre Sicherheitsbeauftragter unserer Schule, einem 60-er Jahre-Bau. Wir hatten einige Fälle von Krebs (verschiedene Arten) bei Lehrer/innen, welche länger an der Schule tätig waren. Es gibt ein Krebsreister in unserem Bundesland, da hätte man bei Interesse vielleicht etwas herausfinden können.
    Bei Umbaumaßnahmen (Raumänderungen, EDV-Verkabelung) wurde auch Asbestmaterial gefunden, meist in Decken zum Brandschutz. Wir hatten auch Schimmelbefall, vor allem in einer Turnhalle (Wasserschaden und wenig beheizt). Dagegen kann man noch ganz gut was tun.
    Vor der Schule stand und steht ein Turm für Radio, Fernsehen, Richtfunk und heute Mobiltelefonie. Genaue Daten waren nie zu bekommen.
    Hinzu kommen die privaten Expositionen des Lehrpersonals.
    Das ist alles nicht einfach. Bei den verantwortlichen Stellen schwankt man zwischen Fürsorge und Angst vor Regressforderungen. Deshalb wird einiges gemacht, anderes unterlassen. Und einiges abgewiegelt.

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