Neue Einsichten in Pyroklastische Ströme
Pyroklastische Ströme, Mischungen aus heißen Gasen und ebenso heißen Partikeln, stellen eine der größten Gefahren aktiver Vulkane dar. Diese speziellen Gemische sind oft mehrere hundert Kilometer pro Stunde schnell und können sehr weite Strecken zurücklegen, bevor ihnen die Kraft ausgeht. Auf ihrem Weg bleibt den Menschen meist keine Zeit zur Flucht. Diese Gefahren besser zu verstehen und die Betroffenen rechtzeitig vor der drohenden Gefahr zu warnen, ist nach wie vor ein großes Problem. Denn bis heute ist das Innenleben dieser Glutlawinen nicht wirklich verstanden. Dies erschwert die Risikoabschätzung.
Pyroklastische Ströme – eine der Hauptgefahren der Vulkane
Auch wenn wir Vulkane immer noch gerne mit glühenden Lavaströmen in Verbindung bringen und darin die Hauptgefahr sehen, sind sie es nicht. Die weitaus meisten Todesopfer fordern die als pyroklastische Ströme bezeichneten Gemische aus heißen vulkanischen Gasen und vulkanischer Asche (Brown, Jenkins, Sparks, Odbert and Auker [2017]).
Diese können teilweise enorme Geschwindigkeiten von mehreren 100 km/h erreichen (in einem Fall, der allerdings sehr umstritten ist, soll ein pyroklastischer Strom am Mt. St. Helens sogar die Schallmauer durchbrochen haben), sodass Menschen keine Möglichkeit bleibt, sich durch Flucht in Sicherheit zu bringen. Im Zusammenhang mit den Laharen hatte ich bereits darüber gebloggt.
Unter den pyroklastischen Strömen sind Block- und Ash-Flüsse die häufigsten und wohl auch die tödlichsten (Auker, Sparks, Siebert, Crosweller und Ewert [2013]; Brown et al. 2017). Sie entstehen in der Regel, wenn ein Lavadom, Lose heißer Tephra oder auch die Wand eines Lavasees einstürzt (Cole et al. [1998]; Alvarado and Soto [2002]; Risica,Rosi,Pistolesi,Speranza and Branney [2022]).
Bisher ist es den pyroklastischen Strömen noch weitgehend gelungen, ihren inneren Aufbau vor den Augen der Forscher zu verbergen. Das ist vielleicht gar nicht so verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die direkte Beobachtung für den Beobachter mit einigen Risiken verbunden ist und bisher noch niemand unversehrt aus dem Inneren berichten konnte. Von außen betrachtet bleibt das Innere durch die heißen Gase und Aschepartikel gut verborgen. So bleiben meist nur deren Ablagerungen, um daraus mühsam die entsprechenden Mechanismen zu rekonstruieren. Oder vielleicht Simulationen sei es im Computer oder im realen Experiment. Über eines dieser Experimente habe ich vor einiger Zeit schon einmal gebloggt.
Bisher ging man davon aus, dass sich die pyroklastischen Ströme in einen unteren Strom, eine konzentrierte Lawine aus heißen, groben Partikeln, die wenig turbulent ist, und einen turbulenteren oberen Strom mit einer Zwischenzone aufteilen (Breard et al. [2016]; Lube,Breard,Esposti-Ongaro,Dufek and Brand [2020]).
Doch bisher weigern sich die pyroklastischen Ströme vehement, ihre Geheimnisse preiszugeben. Dabei gibt es noch viele Fragen, auf die man gerne eine Antwort hätte. So erweisen sich die eingangs erwähnten Block and Ash Flows als besonders rätselhaft und scheinen unserem Verständnis der Dynamik solcher Ströme einen Strich durch die Rechnung zu machen, siehe Ogburn and Calder [2017]. Dies erschwert nach wie vor eine effektive Risikoabschätzung.
Beispielsweise sind ihre Laufzeiten extrem lang, insbesondere im Vergleich zu pyroklastischen Strömen, die durch den Kollaps einer Eruptionssäule entstehen, obwohl sie mit deutlich geringerer Energie gestartet sind, vgl. Breard, Dufek and Lube [2018].
Die genaue Kenntnis der Mechanismen, die diese Block- und Ascheströme so schnell und hochmobil machen, kann also sehr hilfreich sein, um die Bevölkerung in der Nähe von Vulkanen zu schützen. Genau hier scheint nun einer Arbeitsgruppe ein Durchbruch gelungen zu sein (Breard, Dufek, Charbonnier, Gueugneau,Giachetti und Walsh [2023]). Dazu wurden Ablagerungen von pyroklastischen Strömen untersucht, die sich 2006 und 2010 am Mt. Merapi in Indonesien gebildet hatten. Zusätzliche Laborexperimente und Simulationen halfen zu verstehen, was im Inneren eines pyroklastischen Stromes passiert.
Fluidisierung durch Fragmentierung
Die Hauptfrage ist, wie diese Block- und Ascheströme es schaffen, trotz ihrer relativ geringen Anfangsenergie so große Entfernungen zurückzulegen. Wodurch wird die Reibung in diesen Strömungen so stark reduziert? Und an welcher Stelle im Inneren der Ströme geschieht das alles?
Der Mechanismus, den die Arbeitsgruppe um Eric Breard von der Universität Edinburgh für die enorme Mobilität solcher pyroklastischer Ströme verantwortlich macht, heißt Fluidisierung durch Fragmentierung. Dabei werden die größeren vulkanischen Blöcke in feine Partikel zerkleinert und komprimiert, während gleichzeitig der Druck im Luft-Staub-Gemisch stark ansteigt. Dadurch wird die innere Reibung stark verringert und das Gemisch aus heißen Gasen und feinen Partikeln beginnt sich wie eine Flüssigkeit zu verhalten.
Die Fluidisierung durch Fragmentation bestimmt das Geschehen auf den ersten etwa 2 km einer Strömung. Danach spielen andere Effekte, wie z.B. die Diffusion des Porendrucks, eine immer größere Rolle.
Bessere Vorhersagen
Die verringerte innere Reibung in Verbindung mit der enormen Masse des Stromes, meist mehrere Millionen Tonnen vulkanischer Gase und Materialien, führt zu der großen Reichweite der Ströme und der enormen Kraft, mit der sie alles zerstören, was sich ihnen in den Weg stellt.
Je besser man die Mechanismen versteht, die den jeweiligen pyroklastischen Strömen zugrunde liegen, desto einfacher und genauer lassen sich die Gefahren vorhersagen, die von ihnen an aktiven und zukünftig aktiven Vulkanen ausgehen.
References
- Alvarado, G. E. and Soto, G. J. (2002). Pyroclastic flow generated by crater-wall collapse and outpouring of the lava pool of Arenal Volcano, Costa Rica, Bulletin of Volcanology 63 : 557-568.
- Auker, M. R.; Sparks, R. S. J.; Siebert, L.; Crosweller, H. S. and Ewert, J. (2013). A statistical analysis of the global historical volcanic fatalities record, Journal of Applied Volcanology 2 : 2.
- Breard, E. C. P.; Dufek, J.; Charbonnier, S.; Gueugneau, V.; Giachetti, T. and Walsh, B. (2023). The fragmentation-induced fluidisation of pyroclastic density currents, Nature Communications 14 : 2079.
- Breard, E. C. P.; Dufek, J. and Lube, G. (2018). Enhanced Mobility in Concentrated Pyroclastic Density Currents: An Examination of a Self-Fluidization Mechanism, Geophysical Research Letters 45 : 654-664.
- Breard, E. C. P.; Lube, G.; Jones, J. R.; Dufek, J.; Cronin, S. J.; Valentine, G. A. and Moebis, A. (2016). Coupling of turbulent and non-turbulent flow regimes within pyroclastic density currents, Nature Geoscience 9 : 767-771.
- Brown, S. K.; Jenkins, S. F.; Sparks, R. S. J.; Odbert, H. and Auker, M. R. (2017). Volcanic fatalities database: analysis of volcanic threat with distance and victim classification, Journal of Applied Volcanology 6 : 15.
- Cole, P. D.; Calder, E. S.; Druitt, T. H.; Hoblitt, R.; Robertson, R.; Sparks, R. S. J. and Young, S. R. (1998). Pyroclastic flows generated by gravitational instability of the 1996–97 Lava Dome of Soufriere Hills Volcano, Montserrat, Geophysical Research Letters 25 : 3425-3428.
- Lube, G.; Breard, E. C. P.; Esposti-Ongaro, T.; Dufek, J. and Brand, B. (2020). Multiphase flow behaviour and hazard prediction of pyroclastic density currents, Nature Reviews Earth & Environment 1 : 348-365.
- Ogburn, S. E. and Calder, E. S. (2017). The Relative Effectiveness of Empirical and Physical Models for Simulating the Dense Undercurrent of Pyroclastic Flows under Different Emplacement Conditions, Frontiers in Earth Science 5.
- Risica, G.; Rosi, M.; Pistolesi, M.; Speranza, F. and Branney, M. J. (2022). Deposit-Derived Block-and-Ash Flows: The Hazard Posed by Perched Temporary Tephra Accumulations on Volcanoes; 2018 Fuego Disaster, Guatemala, Journal of Geophysical Research: Solid Earth 127 : e2021JB023699.
Gibt es eigentlich in Deutschland Stellen, wo man die Ablagerungen proklastischer Ströme sehen kann? In einem beliebten Urlaubsgebiet, dem Süden von Teneriffa, ist die ganze Landschaft davon geprägt.
@Physiker
Die Vulkaneifel ist voll davon.
Das ist sie. Ein sehr schönes Beispiel ist die Wingertsbergwand bei Merndig https://scilogs.spektrum.de/mente-et-malleo/tagebuch-eines-vulkanausbruchs-die-wingertsbergwand/