Die ersten Waffen der Menschheit – ein Besuch im Paläon

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Das Paläon in Schöningen, in der tiefsten niedersächsischen Provinz, beherbergt einen ganz besonderen Schatz. Insgesamt 8 hölzerne Speere, die als die ersten Distanzwaffen der Menschheit gelten. Hergestellt vor rund 300 000 Jahren, in einer Zeit, da unsere eigene Spezies, Homo sapiens, noch nicht auf der Erde weilte. Angefertigt hat sie der Homo heidelbergensis, der vor 600 000 und 200 000 Jahren in Europa lebte.

Paläon
Das Paläon, gezeichnet von Holzer Kobler Architekturen und eröffnet 2013. Eigenes Foto
Angriff aus der Distanz

Vor rund 300 000 Jahren befand man sich hier am Rande eines Sees. Das Klima damals, im ausgehenden Holstein-Interglazials war dem unseren heute nicht so unähnlich. Vielleicht machte sich auch schon die Kühle der nahen Saale-Eiszeit bemerkbar. Der Ort, wo heute das Paläon steht, lag damals in der Nähe eines Sees. Große Herden von Pferden und Rindern fanden gute Weidemöglichkeiten in der Nähe. Sie suchten, ebenso wie Hirsche, Nashörner und sogar Elefanten, den See auf, um ihren Durst zu löschen. Darauf hatte eine Gruppe von Menschen der Spezies Homo heidelbergensis nur gewartet. Leise und Vorsichtig schlichen sie an eine Gruppe von Pferden heran…

Der Mensch ist eine erfindungsreiche Spezies. Er ist in der Lage, Werkzeuge herzustellen und zu benutzen. Obwohl er, der von kleinen Primaten abstammt, von der Natur vergleichsweise schlecht bewaffnet wurde, hat er es zum Top-Raubtier auf diesem Planeten gebracht. Kaum ein anderes Lebewesen ist vor ihm sicher, nicht einmal seine eigenen Artgenossen. Vermutlich hat eine Erfindung daran einen ganz besonders großen Anteil: Die Distanzwaffe.

Die Mehrzahl der Raubtiere auf unserem Planeten muss immer auf direkte Tuchfühlung mit ihrer Beute gehen, was sicher ein nicht zu unterschätzendes Verletzungsrisiko auch für den Angreifer darstellt. Eine Distanzwaffe hat hier einen entscheidenden Vorteil. Man kann auf die Beute einwirken, während man selber sicher außerhalb ihrer Reichweite bleibt.

Die Schöninger Speere

Die Speere, welche hier bei der Jagd vor gut 300 000 Jahren verwendet wurden, waren bereits ausgefeilte Waffen. Aus schlanken, geraden Fichtenstämmen hergestellt und sorgfältig bearbeitet lag ihr Schwerpunkt im vorderen Drittel. Unsere heutigen Sportspeere sind recht ähnlich aufgebaut. Die Spitzen der Speere sind symmetrisch aus der Basis der Stämme gearbeitet, wobei der Markkanal, also der schwächste Teil des Stammes vermieden wurde. Mit Nachbauten der Schöninger Speere gelangen Sportlern Wurfweiten von bis zu 70 Metern. Vermutlich haben aber die Menschen ihre Speere damals nicht über diese Distanzen verwendet. Es ging ja nicht um maximale Weite, sondern um Treffsicherheit und Schadwirkung im Ziel.

Schöningen Speer VII im Sediment 1997 © P. Pfarr NLD
Schöninger Speer VII in Fundlage. P. Pfarr NLD (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Schöningen_Speer_VII_im_Sediment_1997_©_P._Pfarr_NLD.jpg), „Schöningen Speer VII im Sediment 1997 © P. Pfarr NLD“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode

Die Speere selbst unterscheiden sich in ihrer Größe. Sie sind zwischen 1,80 und 2,50 m lang. Vermutlich deutet dies auch auf unterschiedliche Körpergrößen der Benutzer hin. Sie sind aus Fichtenholz gefertigt, bis auf Speer IV, der aus Kiefernholz besteht. Diese Baumarten waren damals im kühlen Klima des ausgehenden Holstein-Interglazials in der Gegend um den See.

Wenn man heute vor den Speeren steht, so erscheinen sie einem ziemlich krumm und unbrauchbar, zumindest auf den ersten Blick. Doch die krumme Form ist erst durch die sedimentäre Auflast über die lange zeit entstanden. Zur Zeit der Jäger hier am See waren sie gerade und in bestem Zustand.

Neben den Speeren wurden auch noch andere Artefakte gefunden, darunter mehr als 1000 Steinartefakte, ein Wurfholz und eine Stoßlanze. Es fanden sich auch die Knochen von 25 Wildpferden, einigen Rindern, Hirschen und sogar Nashörnern und Elefanten. An vielen Knochen finden sich auch Bearbeitungsspuren

Homo heidelbergensis

Man kann vielleicht sagen, dass der Fund der Waffen unser Bild von den frühen Menschen regelrecht revolutioniert hat. Galten sie früher doch gerne als tumbe Wesen, kaum der Sprache mächtig und wenig mehr als Affen (wobei man ja früher auch Affen gerne für tumb hielt, was heute so auch nicht mehr gilt). Die Speere zeugen nicht nur von hohem handwerklichen Können, sondern belegen auch komplexes Jagdverhalten, das vermutlich ohne eine ebenso komplexe Kommunikation kaum möglich wäre. H. heidelbergensis war daher vermutlich ein hochsoziales Wesen, das auch zu vorausschauender Planung fähig war. Etwas, das wir allzu gerne nur unserer eigenen Spezies zuschreiben möchten.

Warum wurden ausgerechnet die vollkommen funktionsfähigen Speere zurückgelassen? Sie haben für die Menschen damals sicher einen erheblichen Wert dargestellt, ohne Not haben sie sich sicher nicht von ihnen getrennt, zumal auch Spuren und Überreste großer Raubtiere am Fundort zugegen waren, wie z.B. Knochen und Zähne einer Säbelzahnkatze. Die Speere waren also vermutlich nicht nur Jagdwaffen, sie könnten auch der Verteidigung gedient haben. Einer der Ausgräber, Hartmut Thieme, vermutet als Grund für das Zurücklassen eine rituelle Handlung.

Braunkohletagebau
Der Tagebau Schöningen Süd, der das Kraftwerk Buschhaus (hier im Hintergrund) versorgte, wurde 2016 eingestellt und soll in Zukunft zumindest teilweise einem See weichen. Eigenes Foto

 

Im Jahre 2013 eröffnete das Paläon als Forschungs- und Besucherzentrum seine Pforten. Konstruiert wurde das Museum nach einem Entwurf des Schweizer Architekturbüros Holzer Kobler Architekturen. Herzstück sind natürlich die Speere, aber es wird auch die gesamte damalige Lebenswelt vorgestellt. Die Speere selber sind durch wasserlösliches Kunstharz stabilisiert, so dass sie sich ohne Probleme ausstellen lassen.

Der Ort liegt in unmittelbarer Nähe des Fundortes, vom Gebäude aus eröffnen sich immer wieder Blicke auf den großen Braunkohle-Tagebau. Auf dem rund 34 Hektar großen Außengelände sollen eine Weide mit Wildpferden sowie typische Pflanzengesellschaften die Welt vor rund 300 000 Jahren am Ende der Holstein Warmzeit darstellen. Es sollen noch Wisente und europäische Sumpfschildkröten folgen. Die Ähnlichkeit wird in der näheren Zukunft noch zunehmen. Lag damals doch ein großer See dort, wo heute das Tagebauloch liegt.

Jetzt, da der Abbau eingestellt ist, soll dort später ein See entstehen.

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

5 Kommentare

  1. Lieber Herr Ries,

    wir waren im vorigen Jahr im Paläon, das ist wirklich absolut sehenswert. Noch ein kleiner Tipp: etwa 30 km entfernt liegen die Quarzsand-Steinbrüche von Uhry. Ich war zwar noch nie in Carrara, kann mir aber vorstellen, dass diese Marmorbrüche auch so strahlend weiß sind. Am Ortseingang von Uhry ist ein schöner Aussichtspunkt!

    Lieben Gruß

    Bernhard Schröck

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