Asbest als Auslöser von Autoimmunerkrankungen
Die Lehre aus dem Libby-Desaster
Libby ist eine kleine Stadt im US-Bundesstaat Montana mit knapp 2600 Einwohnern (Stand 2000). Vor gut 30 Jahren war sie Schauplatz eines handfesten Umweltskandals, dessen Auswirkungen auch heute noch spürbar sind. In diesem Text soll die Geschichte der Stadt erzählt werden. Welche Lehren und Erkenntnisse lassen sich nach so langer Zeit ziehen?
Eine sterbende Stadt
Vor gut 20 Jahren war Libby eine Stadt im Sterben, die immer noch unter der Asbestbelastung durch eine der größten Vermiculitminen der Welt litt. Die Mine, die in ihren besten Zeiten bis zu 80 % der Weltproduktion an Vermiculit förderte und zumindest den amerikanischen Markt dominierte, wurde 1990 geschlossen. Die Libby Mine liegt in einer alterierten, ultramafisch-alkalischen ringförmigen Intrusion, bei der die Biotite hydrothermal in Vermiculit und die Pyroxene zu Amphibolen umgewandelt wurden. Und hier haben wir bereits das Problem: Vermiculit steht nicht im Verdacht, beim Menschen Lungenprobleme zu verursachen.
Die Bewohner von Libby waren über Jahrzehnte dem Staub der Mine ausgesetzt. Vermiculit selbst ist nicht als gesundheitsschädlich bekannt. Dieser war jedoch stark mit Tremolit sowie anderen faserförmigen Amphibolen wie Richterit und Winchit kontaminiert. Die Fasern befanden sich auch im Staub.
In der Literatur wird oft auf Tremolit verwiesen. Möglicherweise handelt es sich jedoch um die faserförmigen Vertreter der Amphibole Richterit und Winchit, die ähnlich wie Asbest wirken und eng mit den Amphibolasbesten verwandt sind.
Allerdings sind sie nicht als Asbest reguliert. Es ist wichtig zu beachten, dass nur weil sie nicht als Asbest reguliert werden, sie dennoch nicht ungefährlich sind. Beispielsweise stellt Richterit aufgrund seiner Oberflächenaktivität und der Bildung von Hydroxylradikalen vermutlich eine größere Gefahr dar als Tremolit [2]. Wenn ich im Verlauf auf Asbest hinweise, sind diese Amphibole mitgemeint.
Die Bewohner von Libby waren seit Beginn des Abbaus bis zu seinem Ende um 1990 einer stetigen, wenn auch vielleicht nicht übermäßig hohen Exposition von Asbest oder zumindest asbestiformen Amphibol ausgesetzt. Die Folgen waren verheerend. Es traten nicht nur die ohnehin bei Asbest zu erwartenden Lungenkrankheiten und Lungenkrebs auf, sondern auch eine ganze Reihe von Autoimmunkrankheiten wie zum Beispiel rheumatoide Arthritis oder Lupus [3].
Libby konnte jedoch als Stadt überleben, was sicher auch den Hilfen des US-Bundesstaats Montana, der Environmental Protection Agency und anderen Organisationen zu verdanken ist. Die über die letzten 20 Jahre gewonnenen Daten können unser Verständnis über die Wirkung von asbestiformen Partikeln deutlich verbessern. Dies ist nicht zuletzt auf die Gründung einer auf Asbesterkrankungen spezialisierten Klinik, dem Center for Asbestos Related Diseases (CARD), zurückzuführen.
Asbest und Autoimmunkrankheiten
Es ist kein Geheimnis, dass Asbest Krankheiten verursacht. Der Zusammenhang zwischen Asbestexposition und Autoimmunkrankheiten war mir jedoch bisher nicht bekannt.
Die Daten stammen von Dr. Jean C. Pfau, die im Jahr 2002 als Assistent Professor am Center for Environmental Health Sciences (CEHS) der Universität Montana tätig war. Es wurde eine Anfrage an sie gerichtet, ob die vergleichsweise hohe Zahl von Autoimmunerkrankungen in Libby etwas mit der Asbestexposition zu tun haben könnte.
Es hat sich gezeigt, dass Bewohner der Stadt, die den Amphibolfasern ausgesetzt waren, eine erhöhte Anzahl an Markerproteinen für Autoimmunerkrankungen aufwiesen im Vergleich zu Gruppen, die den Fasern nicht ausgesetzt waren. Die Anzahl der antinukleären Antikörper zeigte einen möglichen Zusammenhang mit der Exposition [4][5]. Dieser Zusammenhang wurde auch in anderen Gruppen mit erhöhter Asbestexposition gefunden [6].
Weitere Untersuchungen legten nahe, dass eine Exposition mit Amphibolfasern einen deutlichen Zusammenhang mit Lupus aufweist [7]. Insgesamt trat die Häufigkeit von Autoimmunerkrankungen in Libby signifikant häufiger auf als in anderen Teilen der USA [8].
In Tierversuchen mit Mäusen konnte das gleiche Ergebnis reproduziert werden. Wenn die Mäuse Amphibolasbest, in diesem Fall Tremolit, ausgesetzt wurden, entwickelten sie vermehrt antinukleäre Antikörper und zeigten verstärkt Autoimmunerkrankungen wie Lupus[9]. Das Gleiche passierte auch, wenn die Mäuse faserige Amphibole aus der Libby Mine ausgesetzt wurden[10][11].
Interessanterweise hat Chrysotil hier offenbar keine vergleichbare Wirkung wie die faserigen Amphibole oder der Zeolith Erionit[11][12][13]. Vielleicht ist dieser Unterschied eine Quelle für die nicht auszurottende Behauptung, dass Chrysotil deutlich weniger gefährlich ist als Amphibolasbeste.
Libby steht nicht alleine
Libby ist ein prominentes Beispiel dafür, wie sich eine asbestbelastete Mine und die Exposition der Bevölkerung auswirken können. Allerdings ist die Stadt kein Einzelfall. Andere Städte wie zum Beispiel Wittenoom in Australien, das durch den Abbau von Blauasbest (Krokydolith) einst zur größten Stadt der Pilbara-Region in Australien aufstieg und heute eine Geisterstadt ist, zeigen ähnliche Auswirkungen. Ehemalige Bewohner dieser Stadt weisen ebenfalls auffällig hohe Konzentrationen an antinukleären Antikörpern auf [6]. Es müssen nicht immer nur alte Minenstädte sein, deren Bewohner unter den klassischen Asbesterkrankungen sowie unter vermehrten Autoimmunerkrankungen aufgrund der Exposition gegenüber faserigen Amphibolen leiden. In Italien wurde in einer Studie ebenfalls ein erhöhter Anteil an antinukleären Antikörpern bei Menschen festgestellt, die Fluoro-Edenit ausgesetzt waren. Fluoro-Edenit ist ein Amphibol, der nicht zu den klassischen sechs Asbestmineralen zählt. Hier waren Steinbruchmitarbeiter in einem Steinbruch nahe der Stadt Biancaville am Mt. Ätna betroffen. Das abgebaute Gestein enthält Fluoro-Edenit. Es wurden starke Häufungen von Mesotheliomen und erhöhte Raten an antinukleären Antikörpern festgestellt [14]. Es würde mich daher nicht überraschen, wenn auch andere Gebiete, die stark mit Asbest belastet sind, wie zum Beispiel andere Abbaugebiete von Amphibolasbest oder die Insel Neukaledonien, über deren Probleme mit tremolitbelasteten Wandfarben ich bereits gebloggt habe, betroffen sind.
Die gesundheitlichen Folgen einer Asbestbelastung sind schwerwiegend und unbestritten. Allerdings galten die Mineralfasern bislang nicht als Auslöser von Autoimmunerkrankungen. Möglicherweise sollten auch die faserigen Amphibole als eine mögliche Ursache in Betracht gezogen werden.
References
- [1] Pacella, A.; Ballirano, P. and others (2016). Chemical and structural characterization of fibrous richterite with high environmental and health relevance from Libby, Montana (USA), Periodico di Mineralogia 85 : 169-177.
- [2] Fantauzzi, M.; Pacella, A.; Fournier, J.; Gianfagna, A.; Andreozzi, G. B. and Rossi, A. (2012). Surface chemistry and surface reactivity of fibrous amphiboles that are not regulated as asbestos, Analytical and Bioanalytical Chemistry 404 : 821-833.
- [3] Larson, T. C.; Williamson, L. and Antao, V. C. (2020). Follow-Up of the Libby, Montana Screening Cohort: A 17-Year Mortality Study, Journal of Occupational and Environmental Medicine 62 : e1.
- [4] Pfau, J. C.; Sentissi, J. J.; Weller, G. and Putnam, E. A. (2005). Assessment of Autoimmune Responses Associated with Asbestos Exposure in Libby, Montana, USA, Environmental Health Perspectives 113 : 25-30.
- [5] Noonan, C. W.; Pfau, J. C.; Larson, T. C. and Spence, M. R. (2006). Nested Case–Control Study of Autoimmune Disease in an Asbestos-Exposed Population, Environmental Health Perspectives 114 : 1243-1247.
- [6] Carey, R. N.; Pfau, J. C.; Fritzler, M. J.; Creaney, J.; de Klerk, N.; Musk, A. W. (B.; Franklin, P.; Sodhi-Berry, N.; Brims, F. and Reid, A. (2021). Autoantibodies and cancer among asbestos-exposed cohorts in Western Australia, Journal of toxicology and environmental health. Part A 84 : 475-483.
- [7] Vogel, F. L.; Zimmermann, L. F.; Root-Bernstein, R.; Blake, D. J. and Brady, G. F., 2009. Autoimmunity: Role, Regulation and Disorders: Role, Regulation & Disorders. Nova Science Publishers Inc, New York.
- [8] Diegel, R.; Black, B.; Pfau, J. C.; McNew, T.; Noonan, C. and Flores, R. (2018). Case series: rheumatological manifestations attributed to exposure to Libby Asbestiform Amphiboles, Journal of Toxicology and Environmental Health, Part A 81 : 734-747.
- [9] Pfau, J. C.; Sentissi, J. J.; Li, S.; Calderon-Garcidueñas, L.; Brown, J. M. and Blake, D. J. (2008). Asbestos-Induced Autoimmunity in C57Bl/6 Mice, Journal of Immunotoxicology 5 : 129-137.
- [10] Ferro, A.; Zebedeo, C. N.; Davis, C.; Ng, K. W. and Pfau, J. C. (2014). Amphibole, but not chrysotile, asbestos induces anti-nuclear autoantibodies and IL-17 in C57BL/6 mice, Journal of Immunotoxicology 11 : 283-290.
- [11] Zebedeo, C. N.; Davis, C.; Peña, C.; Ng, K. W. and Pfau, J. C. (2014). Erionite induces production of autoantibodies and IL-17 in C57BL/6 mice, Toxicology and Applied Pharmacology 275 : 257-264.
- [12] Pfau, J. C.; Serve, K.; Woods, L. and Noonan, C. (2016). Asbestos Exposure and Autoimmunity. In: Otsuki, T.; Yoshioka, Y. & Holian, A. (Ed.), , Springer Japan.
- [13] Pfau, J. C.; Barbour, C.; Black, B.; Serve, K. M. and Fritzler, M. J. (2018). Analysis of autoantibody profiles in two asbestiform fiber exposure cohorts, Journal of Toxicology and Environmental Health, Part A 81 : 1015-1027.
- [14] Rapisarda, V.; Loreto, C.; Castorina, S.; Romano, G.; Garozzo, S. F.; Musumeci, A.; Migliore, M.; Avola, R.; Cinà, D.; Pomara, C. and Ledda, C. (2018). Occupational exposure to fluoro-edenite and prevalence of anti-nuclear autoantibodies, Future Oncology 14 : 59-62.
Sehr interessant! und äußerst informativ!! Aber diesen Satz muss ich noch langsam in mein Physiker-Gehirn dringen lassen…
“Die Libby Mine liegt in einer alterierten, ultramafisch-alkalischen ringförmigen Intrusion, bei der die Biotite hydrothermal in Vermiculit und die Pyroxene zu Amphibolen umgewandelt wurden.”