Was noch zur sexuellen Orientierung gesagt werden muss

Gene oder Umwelt, Störung oder Normalität? Gedanken fürs 21. Jahrhundert

Am 30. August erschien eine neue Forschungsarbeit über die Genetik der sexuellen Orientierung sowie mein begleitender Kommentar (Science: Genetik kann Sexualverhalten nicht erklären). Kurz gesagt ergab die Untersuchung von rund einer halben Million Briten und US-Amerikanern, dass Gene nur einen moderaten Einfluss darauf haben, ob wir ausschließlich mit anders- oder auch mit gleichgeschlechtlichen Partnern Sex haben.

Das geht viel weiter als die Widerlegung der Idee eines spezifischen “Schwulen-” oder “Lesbengens”, die seit den 1990ern in unserer Kultur herumgeistert. Denn selbst wenn man die Effekte aller von den Forschern gefundenen Genabschnitte – es waren zwei für Frauen und Männer, zwei nur für Männer und einer nur für Frauen – zusammennimmt, erklärt die Genetik nur einen kleinen Teil.

Der genetische Forschungsansatz

Wie zu erwarten war, sangen Verfechter des verhaltensgenetischen Ansatzes das alte Lied von der Gruppengröße: Man brauche eben die Daten von noch mehr Menschen, um das Phänomen genetisch zu erklären. Das setzt aber erstens voraus, dass eine starke genetische Erklärung wahrscheinlich ist. Dem widersprechen andere Daten, auf die ich noch eingehen werde. Und auch bei anderen Fragestellungen hat die Verhaltensgenetik nicht halten können, was vor und seit dem Humangenomprojekt versprochen wurde und wofür seit Jahrzehnten Milliardengelder fließen.

Zweitens werden noch größere Versuchsgruppen vor allem zum Fund immer kleinerer Effekte führen. Das ist schlicht Mathematik. Das heißt, die Liste der Genabschnitte, die man mit dem Sexualverhalten in Zusammenhang bringt, würde dann zwar immer länger. Diese neuen Funde würden aber für sich genommen immer weniger erklären. Dass die heute verbreiteten Verfahren zum Durchbruch führen, ist daher so gut wie ausgeschlossen. Deshalb bezeichnete ich diesen Forschungsansatz als widerlegt.

Fragen von Leserinnen und Lesern

Ich war dann aber doch über manche Fragen überrascht, die in der Diskussion des Artikels aufkamen: Ist Homosexualität nun angeboren oder nicht? Ist die gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung vielleicht doch eine Störung? Bedeuten die Forschungsdaten nicht, dass Homosexualität therapierbar ist? Und was besagen biologische Erklärungen im Vergleich zur Pädophilie?

Diese Fragen sind wichtig, weil auch im 21. Jahrhundert die Diskussion über Toleranz und Regulierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen (Stichwort: “Homo-Ehe”) noch nicht vom Tisch ist. Die gute Nachricht: Auf die meisten genannten Fragen gibt es zwar keine genetischen, wohl aber philosophische, psychologische oder soziologische Antworten – oder zumindest vielversprechende Ansätze zur Beantwortung. Eigens für diesen Artikel habe ich mir die neuesten Forschungsarbeiten der letzten zehn Jahre noch einmal näher angeschaut.

Warum Homosexualität keine psychische Störung ist

Am einfachsten lässt sich begründen, dass Homosexualität keine psychische Störung ist. Bis in die 1970er Jahre dachte man in Psychologie und Psychiatrie darüber noch anders. Zusammen mit der Einführung der Begriffe Hetero- und Homosexualität pathologisierten überhaupt erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts Mediziner die gleichgeschlechtliche Liebe. Entkriminalisiert wurde sie darum aber nicht.

Aus Gründen, deren Erklärung hier zu weit führen würde, halte ich selbst nicht so viel von der Unterteilung der Menschen in die Kategorien homo-, bi- oder heterosexuell (Vom Nachteil, “Homosexuell” zu sein). Dem Verständnis halber will ich sie hier aber verwenden. Außerdem passt es zu unserem Zeitgeist, allem einen Stempel aufzudrücken. (Zu nennen wären dann noch: a-, metro-, pan-, sapio- oder wasauchimmersexuell.)

Wer will nicht in einer toleranten und freien Gesellschaft leben? Foto: SharonMcCutcheon auf Pixabay.

Unter dem Druck von Aktivisten überdachten führende Psychiater in den 1970ern ihre Ansichten. Eine neue Definition von “psychische Störung” sah in den USA zunächst – und bis heute – vor, dass subjektives Leiden oder ein eingeschränktes Funktionieren hierfür wesentlich sind (Die “amtliche” Fassung). Im nächsten Schritt musste man dann einräumen, dass dort, wo Homo- oder Bisexuelle leiden oder eingeschränkt sind, das an der Ausgrenzung durch die Gesellschaft lag.

So entschied die Führungsriege der American Psychiatric Association im November/Dezember 1973, Homosexualität nicht länger als psychische Störung anzusehen. Ein Mitgliederentscheid im Mai des Folgejahres bestätigte dies mehrheitlich. Es gab jedoch auch inneren Widerstand, zumal einige Psychiater mit Therapieversuchen viel Geld verdienten.

Menschengemachte Kategorien

Allgemeiner muss man sagen, dass sich naturwissenschaftlich überhaupt keine Grenze zwischen “gesund” und “krank” oder “normal” und “abnormal” ziehen lässt. Diese Unterscheidung treffen nur Menschen. Selbst wenn man die Frage rein statistisch beantworten will, muss man erst Normen setzen.

Dementsprechend weiß man, dass Steuergelder verschwendet werden, wenn es in einer Wissenschaftsmeldung heißt: “DFG fördert Neuroforschung im UKE: Was ist ‘krank’, was ‘gesund’?” Die Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, die hier 1,9 Millionen bekommen haben, können im Gehirn gar keine Antwort auf diese Frage finden.

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn man schon weiß, was “krank” ist, dann kann man im Körper nach entsprechenden Merkmalen suchen. Bei psychischen Störungen seit über 170 Jahren übrigens ohne durchschlagenden Erfolg (ADHS und die Suche nach dem Heiligen Gral).

Doch ich schweife ab. Wichtig ist noch die Feststellung, dass für die Frage, ob Hetero-, Homo- oder Wasauchimmersexualität eine Krankheit oder eine psychische Störung ist, der genetische Befund irrelevant ist. Das heißt: Ob es nun “Schwulengene” gibt oder nicht, ändert nichts an der Antwort auf die Frage.

Oder schauen Sie einmal in den Spiegel. Was für eine Augenfarbe sehen Sie da? Die ist wahrscheinlich stark genetisch determiniert. Trotzdem sind blaue, braune oder wasauchimmer Augen keine Krankheit.

Kann man Homosexualität nun therapieren?

Auf den Befund, dass es keine “Schwulengene” gibt, reagieren manche mit der Frage: Heißt das nicht, dass man Homosexualität nun doch therapieren kann?

Zunächst sei noch einmal daran erinnert, dass die neue Studie gar nicht spezifisch Homosexualität untersucht hat. Es ging schlicht darum, ob die Teilnehmer mindestens einmal im Leben gleichgeschlechtlichen Sex gehabt hatten. Diese Personen nannten die Forscher dann etwas umständlich “nicht-heterosexuell”.

Man kann Laien dieses Missverständnis aber kaum verübeln, wenn gar Nature News titelte “Kein ‘Schwulengen’: Mega-Studie nähert sich der genetischen Basis menschlicher Sexualität“. Oder Forbes: “Das ‘Schwulengen’ ist ein Mythos, aber schwul sein ist ‘natürlich’, berichten Forscher“. Oder BBC News, immerhin etwas weniger peinlich: “Kein Gen für sich hängt damit zusammen, schwul zu sein“.

Aus einer Studie, die nicht einmal Homosexualität untersucht hat, lässt sich prinzipiell nichts über “Homosexualitätsgene” herausfinden. Lang lebe der Wissenschaftsjournalismus! Dass ein einzelnes Gen keinen Effekt hat, stimmt so auch nicht. Für den Abschnitt rs34730029-11q12.1 errechneten die Forscher beispielsweise, dass eine von zwei Ausprägungen die Wahrscheinlichkeit für gleichgeschlechtliche Kontakte (allerdings nur bei den Männern) von 3,6% auf 4,0% erhöhte.

Das “Hetero-Gen”

Zudem übersehen viele, dass die Redeweise vom “Schwulengen” genauso ein “Hetero-Gen” impliziert. Bleiben wir beim Beispiel rs347… Bei der Ausprägung Guanin/Thymin an diesem Ort waren gleichgeschlechtliche Kontakte etwas wahrscheinlicher. Komplementär dazu waren aber bei der alternativen Ausprägung Thymin/Thymin ausschließlich andersgeschlechtliche Kontakte wahrscheinlicher.

Dass man nur Pressemitteilungen über angebliche Schwulen- aber keine Hetero-Gene las, hängt wohl damit zusammen, dass wir Homosexualität immer noch als das Andere ansehen. Damit transportieren aber die dem Anschein nach so toleranten Berichte auch die Botschaft, Homosexualität sei nicht normal. Dazu später mehr.

Stattdessen zurück zur Frage, ob man Homosexualität therapieren kann, wenn es dafür keine (starke) genetische Basis gibt. Gegenfrage: Warum sollte man sie therapieren? Warum therapieren wir nicht Heterosexualität? Weil es keine Störung ist? Richtig! Und Homosexualität ist auch keine. Also warum über Therapie reden?

Dem therapeutischen Fehlschluss liegt wohl die Überzeugung zugrunde, dass ein Phänomen, für das es keine (starke) genetische Basis gibt, veränderlicher ist. Das kann man so aber nicht sagen. Wir gehen heute doch von einer großen Plastizität des Gehirns aus und wissen ebenfalls um die Regulierung von Genaktivität durch Umwelteinflüsse, etwa über epigenetische Mechanismen. Oder mit anderen Worten: Wenn prinzipiell alles veränderlich ist, warum dann nicht die sexuelle Orientierung?

Der liberale Rechtsstaat

Das richtige Gegenargument gegen intolerante Kräfte, die einen nicht so akzeptieren, wie man ist, besteht meiner Meinung nach nicht darin, sich ein falsches Argument über genetische Determination aus den Fingern zu saugen. Die richtige Erwiderung kann und muss meiner Meinung nach nur sein:

Wir leben in einem liberalen Rechtsstaat, in dem erlaubt ist, was nicht verboten ist, und man zudem frei ist, das zu tun, was man will, sofern man nicht die Freiheit eines Anderen einschränkt. Ergänzend könnte man noch hinzufügen, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit ein Grundrecht und die Sexualität ein wesentlicher Teil davon ist. Insofern darf der Staat Bi-, Hetero- oder Homosexualität nicht nur nicht verbieten, sondern muss er sogar ermöglichen, dass Menschen diesen Neigungen nachgehen können.

Man hat das Argument von der biologischen oder genetischen Determination der Sexualität mitunter verwendet, um Konservative zur Zustimmung etwa zur “Homo-Ehe” zu bewegen. Der sensibelste Punkt ist dabei das Adoptionsrecht. Gemäß Befragungen scheinen manche Konservative zu denken, dass Homosexualität weniger “ansteckend” ist, wenn sie von Geburt an festgelegt ist.

Dass diese biologische Rhetorik nach hinten losgehen kann, sehen wir jetzt, wo eine Studie die Vorstellung von “Schwulengenen” unterminiert. Man sollte ehrlich rechtsstaatlich und rechtsphilosophisch diskutieren anstatt zu versuchen, seinen Diskussionsgegner mit konstruierten biologischen Argumenten zu überzeugen.

Ich bin jedoch optimistischer, dass sich der Gedanke, Homosexualität müsse man therapieren, therapieren lässt. Mitunter reicht das Verständnis eines guten Artikels zum Thema.

Ist Homosexualität nun angeboren?

Wir haben gesehen, dass der genetische Einfluss auf die sexuelle Orientierung beim heutigen Wissen moderat ist und es unwahrscheinlich ist, dass zukünftige Forschung der Verhaltensgenetik an dieser Einsicht rüttelt. Lässt sich damit die Frage beantworten, ob die geschlechtliche Auswahl unserer Sexpartner angeboren ist oder nicht?

“Genetisch” ist nicht dasselbe wie “angeboren”. Letzteres bezieht sich auf das, was bei der Geburt feststeht. Und dafür können eben auch biopsychosoziale Einflüsse während der Schwangerschaft eine Rolle spielen: Denken wir etwa an ein Umweltgift, Stress oder Armut der Eltern.

Die meines Wissens bisher beste Untersuchung dieser Frage stammt von Niklas Långström vom schwedischen Karolinska Institut und Kollegen. Diese verwendeten die Daten von fast 4.000 schwedischen Zwillingspaaren, die zwischen 1959 und 1985 geboren waren, und in einen Online-Fragebogen Angaben über ihr Sexualleben machten. Die 2010 veröffentlichte Studie ist eine der wenigen, die auf repräsentativen Daten beruht und Teilnehmer nicht etwa über Kontaktanzeigen warb, was die Ergebnisse oft verzerrt.

Umwelt hat größeren Einfluss

Auch für diese Untersuchung wurde kein komplexer Begriff von Homosexualität verwendet, sondern schlicht nach gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten gefragt. Diese bejahten 5,6% der Männer und 7,8% der Frauen. Allerdings hatten diese Männer im Mittel 12,9 und die Frauen 3,5 gleichgeschlechtliche Partner gehabt. Damit lässt sich vermuten, dass viele dieser Befragten nicht nur einmal mit jemandem vom gleichen Geschlecht experimentierten, sondern sich davon wirklich angezogen fühlten.

Von den 807 eineiigen männlichen Zwillingspaaren hatte bei 71 mindestens ein Zwilling schon einmal gleichgeschlechtlichen Sex gehabt. Nur bei sieben Paaren hatten jedoch beide Zwillinge dies bejaht. Bei den Frauen waren es 26 von 214. Mit anderen Worten: Nur 10% (Männer) beziehungsweise 12% (Frauen) der eineiigen Zwillingspaare mit gleichgeschlechtlichem Kontakt stimmten trotz der großen genetischen Ähnlichkeit in ihrem Sexualverhalten überein.

Zusammen mit den Daten für die zweieiigen Paare errechneten die Forscher schließlich, dass sich für die Männer 39% der Unterschiede im Sexualverhalten durch die Gene, doch 61% durch die Umwelt erklären ließen. Für die Frauen waren es 19% und 81%. Als die Forscher noch die Anzahl der gleichgeschlechtlichen Kontakte miteinbezogen, sank der geschätzte genetische Beitrag noch einmal etwas.

Wie Erblichkeitsschätzungen insgesamt sind auch diese Berechnungen von der konkreten Umwelt abhängig, in der die Personen – hier: die schwedischen Zwillinge – aufwuchsen. Passend zu der eingangs zitierten neuen Studie zeigen aber auch diese Daten, dass die Gene keinen so starken Einfluss auf das Sexualverhalten haben, wie einige (einschließlich einiger Homosexueller) denken.

Der Geburtsfolgeeffekt

Damit ist die Frage, ob Homosexualität (und damit auch Heterosexualität) angeboren ist, aber noch nicht beantwortet. Der meinen Recherchen nach stärkste Effekt auf die sexuelle Orientierung, jedenfalls bei Männern, den die Wissenschaft bisher identifizieren konnte, ist die Geburtsfolge von Brüdern. Das heißt, Schwule haben mit höherer Wahrscheinlichkeit mindestens einen älteren Bruder. Hierzu hat insbesondere der Psychiater Ray Blanchard von der Universität Toronto in Kanada seit mehr als 25 Jahren geforscht.

Für die erst 2018 erschienene Meta-Analyse wertete er die Daten von fast 50.000 Hetero- und Homosexuellen aus 30 Einzelstudien aus. Mit nur einer Ausnahme stützten alle Einzelstudien die von ihm erwartete Hypothese. Im Mittelwert hatten die homosexuellen Männer 31% mehr ältere Brüder als die heterosexuellen.

Das kann freilich nicht die sexuelle Orientierung aller Schwulen erklären, schlicht schon aufgrund der Tatsache, dass manche gar keinen älteren Bruder haben. Blanchard schätzt, dass insgesamt rund 15-29% der homosexuellen Männer ihre Vorliebe für andere Männer auf diesen Effekt zurückführen können. Überraschend ist zudem das Ergebnis des Forschers, dass besonders feminine schwule Männer mehr ältere Brüder als andere Homosexuelle haben. In seinen eigenen Worten:

“Die brüderliche Geburtsfolge ist mit Abstand der am besten belegte Faktor, der die sexuelle Orientierung von Männern beeinflusst. Die Personen, die zu dieser Meta-Analyse beitrugen, stammten von Kanada im Norden bis Brasilien im Süden, vom Iran im Osten bis Samoa im Westen. Sie sind in einer beinahe 150-jährigen Periode geboren, die 1861 begann.”

Blanchard, 2018, S. 11; dt. Übers. S. Schleim

Der Forscher vermutet einen biologischen Mechanismus hinter dem Effekt: Zellen des männlichen Fötus drängen während der Schwangerschaft in den Körper der Mutter ein und würden dort vom eigenen Immunsystem bekämpft. So entstünden Antikörper gegen die männlichen Zellen.

Diese würden wiederum in den Körper folgender männlicher Föten derselben Mutter gelangen und dort zu Veränderungen des Nervensystems des heranwachsenden Jungen führen. Das wäre ein angeborener, jedoch nicht genetischer Effekt.

In einem begleitenden Kommentar weisen der Evolutionsbiologe Sergey Gavrilets von der Universität Tennessee und Kollegen auf die Vorläufigkeit dieser Erklärung hin. Diese Autoren favorisieren selbst einen epigenetischen Mechanismus, der näher erforscht werden sollte. So oder so erklärt der Effekt der Geburtsfolge allenfalls bei einem Teil die sexuelle Orientierung.

Zudem relativiert die aus der schwedischen Studie zitierten geringe Übereinstimmung unter Zwillingen, seien sie ein- oder zweieiig, die sich ja die Umwelt im Mutterleib teilen, die Tragkraft dieser Erklärung. Ich wiederhole noch einmal: “Nur 10% (Männer) beziehungsweise 12% (Frauen) der eineiigen Zwillingspaare mit gleichgeschlechtlichem Kontakt stimmten trotz der großen genetischen Ähnlichkeit in ihrem Sexualverhalten überein.”

Soziale Erklärungsversuche

Der Sozialwissenschaftler Menelaos Apostolou von der Universität Nicosia auf Zypern diskutiert den Effekt im Kontext innerfamiliärer Konflikte. Er erinnert daran, dass in vorindustriellen Zeiten Ehen von den Eltern arrangiert worden seien. Dabei hätten die Eltern der Frau vor allem auf das Vermögen des möglichen Bräutigams geachtet.

Gemäß der typischen Erbfolge erhielt der älteste Sohn den größten Teil des familiären Vermögens. Dadurch hatten die jüngeren Brüder schlechtere Chancen, eine gute Ehefrau zu finden. Apostolou diskutiert nun, dass die Homosexualität jüngerer Brüder den innerfamiliären Konflikt aufgelöst und so zum Fortpflanzungserfolg des Erstgeborenen beigetragen haben könne.

Unabhängig von der Frage, inwiefern diese Erklärung für die Vergangenheit zutrifft, ergibt sich das Problem, inwieweit sie sich auf die heutige Zeit übertragen lässt: Ehen werden in der Regel nicht mehr arrangiert. Und eine sexuelle Präferenz äußert sich wahrscheinlich schon lange vor der Hochzeit des ältesten Bruders. Außerdem gilt auch hier: Was, wenn der erstgeborene oder einzige Sohn homosexuelle Neigungen hat?

Ich kann auf diese Fragen keine abschließenden Antworten geben. Klar sollte aber nun geworden sein, dass die Gene nur einen kleinen Teil unserer sexuellen Orientierung erklären und darüber hinaus unklar ist, ob diese angeboren oder erst im Laufe des Lebens erworben ist. Die Zwillingsdaten sprechen eher für eine Festlegung nach der Geburt. Eine weitere soziale Erklärung werde ich im folgenden Abschnitt vorstellen.

Ist Homosexualität natürlich?

Eine andere beliebte Frage ist die, ob Homosexualität natürlich ist. Oder in einer Variante: Wie kann die Vorliebe fürs eigene Geschlecht im evolutionären Wettkampf um die meisten Nachkommen bestehen bleiben?

Zuerst einmal ein paar allgemeine Dinge: Sie sitzen aller Wahrscheinlichkeit nach gerade vor einem Computerbildschirm und starren auf dunkle Buchstaben auf einem hellen Hintergrund. Wie natürlich ist das?

Und wenn Fortpflanzungserfolg etwas über Natürlichkeit aussagt, dann wären also Länder wie Niger, Mali und Burundi mit durchschnittlich 6,6, 6,4 und 6,0 Kindern pro Frau die natürlichsten. Deutschland, Schweden oder die Niederlande mit nur 1,4, 1,9 oder 1,7 Kindern pro Frau wären hingegen eher unnatürlich.

Wenn man nun noch Natürlichkeit mit einem positiven Wert verbindet, dann würden die afrikanischen Länder ganz Europa in den Schatten stellen. Entweder schluckt man diese Kröte – und was ist dann eigentlich mit Sex, der nur zum Spaß dient? –, um Homosexualität als “unnatürlich” zu geißeln. Lasst uns also wie die Afrikaner leben! Oder man gibt zu, dass vieles in unserem “hochentwickelten” Leben nicht natürlich ist, dass das aber normal ist und man daher Homosexuellen auch keine Unnatürlichkeit vorwerfen kann.

Homosexualität in der Evolution

Zur Frage, wie Homosexualität in der Evolution entstehen kann, sei erst einmal angemerkt, dass man sich das bei Radios, Fernsehern, Computern und Mondraketen auch nicht unbedingt vorstellen könnte, es all diese Dinge aber trotzdem gibt. Der Mensch ist eben nicht nur ein Natur-, sondern auch ein Kulturwesen.

Für biologisch denkende Leser seien aber kurz zwei Hypothesen erwähnt: Die eine geht davon aus, dass Homosexuelle für ihre Neffen und Nichten sorgen, so deren Überlebenschancen erhöhen und damit auf familiärem Niveau zur Selektion geteilter Gene beitragen.

Der zweiten zufolge gibt es ein Gen auf dem X-Chromosom, das gleichzeitig Frauen fruchtbarer macht und Männer, die ja auch ein X-Chromosom haben, homosexuell werden lässt. Dann wäre der Fortpflanzungsnachteil der Schwulen im Mittel durch den Vorteil ihrer überdurchschnittlich fruchtbaren Schwestern kompensiert. Wenn es so ein Gen gäbe, dann hätte es aber wohl schon längst gefunden werden müssen, siehe oben.

Gleichgeschlechtlicher Sex im Tierreich

Eine Variante der Frage nach der Natürlichkeit von Homosexualität zielt nicht so sehr auf die Evolution, sondern vielmehr auf die Frage, ob es sie schon immer geben hat oder auch Tiere gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehr haben. Letztere lässt sich eindeutig bejahen:

Der Evolutionsbiologe Julien Barthes von der Universität Montpellier in Frankreich und Kollegen führen an, dass in fast 450 Spezies gleichgeschlechtlicher Sex belegt ist. Die Forscher betonen allerdings, dass das keine sexuelle Vorliebe in einem bedeutungsvolleren Sinn von “Homosexualität” beweist. Diese sei bisher nur beim Menschen beobachtet worden.

Homosexualität in der Geschichte

Die französischen Biologen haben auch angeblichen prähistorischen Belegen dafür, dass es menschliche Homosexualität schon immer gegeben habe, auf den Zahn gefühlt. Dabei ziehen sie das Fazit, dass die häufig angeführten Beispiele, meistens geht es um Höhlenmalereien, nicht schlüssig seien:

Oftmals sei das Geschlecht der abgebildeten Figuren nicht einmal eindeutig zuzuordnen. Ohne begleitenden Text sei zudem nicht entscheidbar, ob es schlicht um gleichgeschlechtlichen Sex oder wirklich eine homosexuelle Vorliebe ging. Für letztere stammten die ältesten Belege aus Ägypten (ca. 2400 v. Chr.).

Zudem habe es im antiken Griechenland, Rom und auch im alten China gleichgeschlechtliche Vorlieben in einem reicheren Sinne gegeben. Das nannte man aber noch nicht “Homosexualität”, eine Bezeichnung, die, wie gesagt, erst im 19. Jahrhundert von Medizinern verbreitet wurde.

Auch im Interview mit dem Islamwissenschaftler Ali Ghandour wurde erst kürzlich besprochen, dass in islamischen Kulturen Liebe unter Männern durchaus als schicklich galt, auch wenn Analverkehr mitunter verpönt gewesen sei (Erotik im Islam: “Wir brauchen mehr Differenzierung”). Die Homophobie, wie wir sie heute kennen, hätten vielmehr erst westliche Kolonialmächte in diese Länder exportiert.

Hierarchische Gesellschaften

Die französischen Evolutionsbiologen haben nun eine eigene, für den Laien vielleicht erst einmal ziemlich schräg klingende Erklärung dafür, wie Homosexualität in menschlichen Kulturen entstehen konnte: Sie vermuten, dass in Gesellschaften, die stärker in wohlhabende Ober- und ärmere Unterschichten unterteilt (“stratifiziert”) seien, fruchtbare Frauen aus den unteren Schichten in die oberen heiraten und dort die Nachkommenzahl erhöhen würden. Das wiege den reproduktiven Nachteil Homosexueller auf.

Zur Überprüfung ihrer These untersuchten sie anthropologische Berichte über 107 Gesellschaften weltweit, die auf das Vorhandensein oder die Abwesenheit homosexueller Vorlieben schließen ließen. Das erste interessante Ergebnis ist, dass Homosexualität aller Wahrscheinlichkeit nach zwar über alle Regionen der Welt verbreitet ist, es aber auch Gesellschaften gibt, die das Phänomen gar nicht zu kennen scheinen.

Julien Barthes und Kollegen haben anthropologische Berichte über 107 Gesellschaften ausgewertet. Homosexualität gibt es höchstwahrscheinlich rund um den Globus (gefüllte Kreise). Es gibt allerdings auch Gesellschaften, in denen das Phänomen aller Wahrscheinlichkeit nach unbekannt ist (leere Kreise). Quelle: Barthes et al., 2015, PLoS1. Lizenz: CC BY 4.0

Ein aktuelles Beispiel stammt von den Aka, Jägern und Sammlern aus der Zentralafrikanischen Republik. Über diese heißt es:

“Die Aka … hatten Schwierigkeiten damit, das Konzept und das Vorgehen gleichgeschlechtlicher sexueller Beziehungen zu verstehen. Sie hatten dafür kein Wort und es war notwendig, den sexuellen Akt wiederholt zu beschreiben. Einige erwähnten, dass Kinder des gleichen Geschlechts (zwei Jungen oder zwei Mädchen) manchmal den Geschlechtsakt ihrer Eltern imitierten, während sie im Zeltlager spielten, und auch wir konnten diese spielerischen Interaktionen beobachten.”

Hewlett & Hewlett, 2010, zit. n. Barthes et al., 2015; dt. Übers. S. Schleim

Gemäß der Analyse der Forscher ist Homosexualität in geschichteten Gesellschaften tatsächlich viel häufiger als in anderen Gesellschaften. Das legt nahe, dass die Vorliebe für das eigene Geschlecht auch von sozialen Faktoren abhängig ist.

Es sei auch noch einmal daran erinnert, dass gemäß der genetischen Studie mit der halben Million Teilnehmer die um 1970 geborenen rund vier- (Männer) bis zwölfmal (Frauen) so häufig gleichgeschlechtliche sexuelle Erfahrungen angegeben hatten als die um 1940 geborenen. Das ist ein immenser Anstieg in nur 30 Jahren, der sicher nicht genetisch zu erklären ist.

Fazit

Der Genetiker Khytam Dawood von der Pennsylvania State University und Kollegen kamen in einem Artikel über genetische und Umwelteinflüsse auf die sexuelle Orientierung aus dem Jahr 2009 zu folgendem Ergebnis:

“Während der letzten beiden Jahrzehnte wurden zunehmend Evidenzen gesammelt, dass sowohl familiäre als auch genetische Faktoren die sexuelle Orientierung von Männern und Frauen beeinflussen. … Zum jetzigen Zeitpunkt können über die genetischen oder umweltbedingten Determinanten der sexuellen Orientierung wenige Schlussfolgerungen mit Sicherheit gezogen werden.”

Dawood et al., 2009, S. 277; dt. Übers. S. Schleim

Zu den “wenigen sicheren Schlussfolgerungen” würde ich aber diejenigen zählen, dass es, erstens, keine starke genetische Basis für die sexuelle Orientierung gibt (siehe die neue Studie mit der halben Million Teilnehmer), und sie, zweitens, auch nur eingeschränkt angeboren ist (siehe die große Studie mit den schwedischen Zwillingen). Zudem ist gleichgeschlechtlicher Sex in dem Sinne natürlich, dass er auch im Tierreich verbreitet ist, und sind homosexuelle Vorlieben in dem Sinne normal, dass es sie seit langer Zeit und in vielen verschiedenen Gesellschaften rund um die ganze Welt gibt.

Der in der Diskussion manchmal gezogene Vergleich mit der Pädophilie, die in diesem Sinne auch natürlich und normal sei, ist deplatziert: Wer seinen pädophilen Neigungen nachgeht oder Kinder schlicht sexuell missbraucht, um das Machtgefälle auszunutzen, schadet der Entwicklung dieser Menschen. Darum sind sexuelle Kontakte von Erwachsenen mit Kindern nachvollziehbarerweise verboten.

Einvernehmliche gleichgeschlechtliche Kontakte oder Beziehungen unter Erwachsenen schaden aber niemanden und sind im Gegenteil für viele Menschen normaler wie wichtiger Bestandteil der Persönlichkeitsentfaltung. Als solche verdienen sie ebenso staatlichen Schutz, wie andere Formen menschlichen Zusammenseins. Die Frage nach der Therapie stellt sich erst gar nicht, da Homosexualität weder eine Krankheit noch eine psychische Störung ist.

Freie und tolerante Gesellschaft

Abschließend möchte ich erwähnen, dass ich an dem Thema kein anderes Interesse habe, als in einer toleranten, inklusiven, friedlichen und zivilen Gesellschaft zu leben. Wären die besten mir zur Verfügung stehenden Daten anders, dann wäre auch mein Artikel anders. Versuche, Opponenten aus dem konservativen Lager mit konstruierten biologischen Argumenten zu überzeugen, lehne ich nicht nur als unredlich ab, sondern auch, weil diese über kurz oder lang auf einen selbst zurückfallen.

Das Wissen, das die Medien und das Bildungswesen über das Thema sexuelle Orientierung verbreiten, finde ich enttäuschend. Was ich hier zusammengetragen habe, steht jedem Studenten über seine Universitätsbibliothek zur Verfügung. Für alle Internetnutzer auf der ganzen Welt sind zumindest die Zusammenfassungen (Abstracts) mit den wesentlichen Fakten zugänglich. Diesen Artikel konnte ich an einem Tag recherchieren und schreiben.

In den Schulen haben wir Projekt- und Orientierungswochen für das Berufsleben. Warum gibt es nichts Vergleichbares zur sexuellen Orientierung, wenn man bedenkt, welch ein wesentlicher Teil der Persönlichkeitsentfaltung dies im Laufe eines Menschenlebens ist? Ist es etwa besser, Jugendliche den Pornofilmchen im Internet zu überlassen?

Die rechtlichen und medizinischen Veränderungen, die mit dem Thema “Homosexualität” zusammenhängen, sind gerade einmal ein bis zwei Generationen alt. In manchen Bereichen setzen sie sich noch heute fort (Beispiel “Homo-Ehe”), ganz zu schweigen von Ländern, in denen heute noch Verbote oder überholte medizinische Sichtweisen bestehen.

Ich behaupte, dass wir noch so manche Überraschung erleben werden, wenn die Gesellschaft freier und toleranter wird. Und wieso sollten wir uns eine andere Gesellschaft wünschen?

Hinweis: Dieser Beitrag erscheint auch auf Telepolis – Magazin für Netzkultur. Titelfoto: SharonMcCutcheon auf Pixabay.

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75 Kommentare

  1. Dieser Beitrag vermittelt vor allem ein Bild der Gesellschaftsvorstellungen des Autors, wird doch durchwegs angenommen die Entwicklung gehe in Richtung mehr Freiheit und Toleranz was Lebensweisen, sexuelle Vorlieben etc. angeht.

    Damit ist der Autor allerdings nicht allein. Mehr Freiheit und gesellschaftliche Toleranz erwarten viele allein schon durch den weltweit steigenden Wohlstand. Ich bin mir aber nicht sicher, ob steigender Wohlstand Zwangsehen in islamischen Gesellschaften oder die dort weitverbreitete Geschlechtertrennung beseitigt – ausser mehr Wohlstand bedeute auch weniger Religiosität.

    Wenn wir die Entwicklung im Westen als Masstab nehmen, dann beobachten wir in der Tat eine Parallelentwicklung von Wohlstand und Liberalität. Mehr Wohlstand bedeutet im Westen eben auch mehr Individualismus und weniger finanzielle Abhägngigkeiten zwischen Mann und Frau (früher kam das Geld vom Mann) und sogar mehr Freiheiten für Kinder.
    Hier im Westen ist das Gefühl verbreitet, wer genügend Geld besitze und finanziell unabhängig sei, der sei auch in jeder anderen Hinsicht frei – solange er nicht gerade geltendes Gesetz verletze.

    Ob diese Einstellung auch in allen anderen Weltgegenden früher oder später Einzug hält, scheint mir aber nicht von vornherein sicher.

  2. @Holzherr: Wissenschaft, Philosophie und Politik

    Nun ja – im Wesentlichen geht es mir um die Klärung einiger wissenschaftlicher (Genetik, Erblichkeit) und philosophischer (Ist Homosexualität eine Störung?) Punkte.

    Eine Aussage darüber, ob unsere Gesellschaft liberaler wird oder nicht, habe ich nicht getroffen. Ich habe nur (rhetorisch) gefragt, wer nicht in einer freien Gesellschaft leben will. Sehr wahrscheinlich gibt es solche Menschen, doch sind das nicht gerade die Stammleser von Spektrum.

    Tatsächlich gibt es auch bei uns – in Deutschland oder den Niederlanden; ich weiß nicht, wie das bei Ihnen in der Schweiz ist – gegenläufige Trends, etwa Nacktheit oder Sexualität wieder stärker als Problem zu sehen beziehungsweise sogar zu kriminalisieren. Das ist aber ein Thema für sich.

  3. Wenn man Homosexualität als Phänomen sieht, also wertfrei, dann ist sie weder Störung noch Krankheit.
    Wenn man den griechischen Kunstwerken glauben darf, war die HS verbreiteter als heute. Die Loveparades täuschen darüber hinweg, dass es keinen Gruppenzwang auf Homosexuelle gäbe. In vielen Firmen scheuen sich die Betroffenen sich zu outen, aus Angst vor Nachteilen.

    Wissenschaftlich betrachtet sollte man mal den Einfluss von Umweltgiften auf die Hormone untersuchen. Der Rückgang der Fertilität deutet auf einen Zusammenhang hin.

  4. @Stephan Schleim: Der Untertitel Freie und tolerante Gesellschaft (im obigen Beitrag) drückt für westliche Leser ein Ideal aus. Toleranz ist ein positiv besetzter Wert, auch wenn im täglichen Umgang die meisten Menschen Leute meiden, denen gegenüber sie tolerant sein müssen. Der erste Satz unter diesem Titel drückt das sehr dezidiert aus (Zitat): Abschließend möchte ich erwähnen, dass ich an dem Thema kein anderes Interesse habe, als in einer toleranten, inklusiven, friedlichen und zivilen Gesellschaft zu leben.

    In der gesellschaftlichen Praxis bedeutet Toleranz gelebter Pluralismus (Zitat Wikipedia): die Koexistenz von verschiedenen Interessen und Lebensstilen in einer Gesellschaft.

    Viele Gesellschaften sind aber gar nicht pluralistisch eingestellt, das heisst sie akzeptieren nicht das gleichberechtigte Nebeneinander etwa von Gläubigen verschiedener Religionen oder gar von Ungläubigen. Das gilt sogar dann, wenn faktisch gesehen eine Gesellschaft pluralistisch ist, sie also aus Gruppen unterschiedlicher Ethnien und Religionen besteht.
    Die eben geschriebenen Sätze gelten sicher für die meisten islamischen Gesellschaften, sie gelten aber auch für konservative/orthodoxe Christen oder Juden.

    Toleranz bedeutet in der Praxis vielleicht, den Anderen mehr zu achten als seine eigenen Glaubensüberzeugungen. Oder aber es bedeutet sich aus dem Weg gehen zu können, wenn man anderer Auffassung und anderen Glaubens ist. In wohlhabenderen Gesellschaften ist es wohl einfacher sich aus dem Weg zu gehen. Nur schon darum sind wohlhabendere Gesellschaften tendenziell toleranter.

  5. Stephan Schleim,
    genau, in einem Fußballverein wird es schwierig, wenn man sich als HS geoutet hat.
    Interessant dabei ist, dass bei Jugendlichen in der Schule wenig Ressentiments gegenüber HS bestehen.
    Den Mädchen ist das sowieso egal, weil die HS “ungefährlicher ” sind.

  6. @fliegenklatsche: Fußballer und so

    Ich kann mir vorstellen, dass in Umgebungen, die bestimmten Vorstellungen von “Männlichkeit” huldigen, Homophobie ausgeprägter ist. Dabei bedienen sich Fußballer nach meinem Eindruck interessanterweise männlichen Körpervorstellungen (nicht nur, was die Muskeln, sondern auch Frisuren, Tattoos oder Kleidung angeht), die mir früher eher in der Schwulenszene aufgefallen sind.

    Neben enstprechenden Entscheidungen von Institutionen müssten sich wohl einmal ein paar Top-Fußballer (und Fußballerinnen) öffentlich als homosexuell identifizieren. Und dann vor laufender Kamera und allen Augen im Stadion knutschen. Das würde in die Geschichte eingehen. Also, wer traut sich?

    Einem niederländischen Bericht zufolge, über den ich vielleicht einmal im Detail schreiben werde, entsteht die Homophobie übrigens vor allem bei den Jungen in der Pubertät. Dafür wurden Schulkindern wiederholt Fragen vorgelegt, wie eklig sie es finden, dass Mädchen Mädchen, Mädchen Jungen oder Jungen Jungen küssen. Bei der letzten Frage scheren die jungen Männer auffällig aus.

    So ist der Titel der Untersuchung (von 2015) dann auch das Fazit der Studie, selbst für die toleranten Niederlande: “Heiraten ja – aber bitte nicht küssen” (Wel trouwen, niet zoenen).

  7. Sie haben Recht, dass der Begriff natürlich hier unpassend ist.
    Wenn man sich aber unsere Gesellschaft anschaut, dann haben wir es schon mit einer nicht alzu gesunden Gesellschaft zu tun. Unabhängig von der Frage sexuellen Neigung/Orientierung. Die demographische Entwicklung zeigt dass unsere tolerante, liberale Gesellschaft nicht in der Lage ist sich aus sich selbst heraus zu erneuern und zu erhalten. Wir sind auf die Zuwanderung aus Gesellschaften angewiesen, die deutlich unfreier und intoleranter sind um so simple Arbeiten wie die Pflege alter Menschen zu bewältigen. Das funktioniert aber nur, weil offensichtlich diese Unfreiheit zu höheren Geburtenraten führt.
    Wären alle Gesellschaften auf unserer Erde so wie unsere, würden wir Kollabieren. Von dem Ressourcenverbrauch gar nicht zu reden.
    Zur Erinnerung: Ein durchschnittlicher Deutscher verbraucht so viele Ressourcen, dass wir eigentlich drei Erden bräuchten.
    Ressourcen übrigens die wir in Deutschland gar nicht haben. Wir “rauben” sie aus Ländern deren Herrscher sich selber bereichern und ihre Völker in genau der Unfreiheit halten, auf die wir angewiesen sind (für Human und andere Ressourcen) um uns zu bereichern.

    Natürlich lebe auch ich lieber in einer toleranten Gesellschaft. Das ist bequem, weil ich tun kann was ich will. Aber diese unreflektiert als guten Standard anzusehen geht dann doch etwas weit.
    Unsere Gesellschaft führt dazu dass wir zwar alle unsere Freiheiten lieben und verteidigen, aber sie befreit uns auch von Verantwortlichkeiten. Von der Verantwortung gegenüber unseren Mitmenschen, unserer Gesellschaft und anderen Völkern.

    Wenn also diese offensichtlich kranke Gesellschaft zur Bildung von paraphilien führt (Ein Hinweis darauf ist ja Ihr Abschnitt “Hierarchische Gesellschaften”), dann haben Sie insofern recht, dass nicht die Homosexuellen krank sind.
    Es macht also auch keinen Sinn ihnen irgendwelche Vorhaltungen zu machen. Sie sind dann aber möglicherweise ein Symptom dieser kranken Gesellschaft.
    Sozusagen ein Fieberthermometer.

  8. @Wolfgang: Vielschichtigkeit

    Danke erst einmal für Ihren vielschichtigen Kommentar.

    Ihr Ausweg, nicht die Homosexuellen, dafür aber die Homosexualität zu stigmatisieren (als System eines Übels), erscheint mir aber weder wünschenswert noch fair. Die Herausforderungen unserer Zeit kommen wohl nicht dadurch, dass ein Teil der Menschen am “eigenen Ufer” fischt.

    Das Kernproblem ist doch, dass in unserer Zeit alles der Ökonomie untergeordnet wird. Die Rede von der “marktkonformen Demokratie” unserer führenden Politiker sagt doch genug. So, wie ich das Grundgesetz verstehe, darf es bloß einen demokratiekonformen Markt geben, nicht umgekehrt.

    Und nein, wenn viele der Einheimischen ihren Wert mit Statussymbolen (“Mein Auto, mein Haus, mein Urlaub…”) ausdrücken, deren Ökobilanz fraglich bis schlecht ist, und manche dann Zuwanderern den Kinderreichtum verübeln (erinnern wir uns an die diffamierende Rede von den “Kopftuchmädchen”), dann geht das sicher nicht aufs Konto der gleichgeschlechtlichen Liebe.

    An den Errungenschaften der Emanzipation (u.a. die Pille) können wir nicht rütteln; dass Frauen keine Gebärmaschinen sein wollen, ist nachvollziehbar. (Nebenbei: In Westdeutschland hieß sie die Antibabypille; in Ostdeutschland aber die Wunschkindpille.) Aber wieso nehmen wir dann in Kauf, Karriere- oder zumindest Wirtschaftswachtstumsmaschinen zu sein?

    Was diese Welt braucht, das ist Wohlstands- statt in vielen Bereichen zerstörerisches Wirtschaftswachstum. Einen erhellenden Artikel fand ich hierfür Eckhard Höffners “Tragödie des Wohlstands der Nationen“. Leider impliziert das auch, dass diejenigen, die heute das Sagen haben, gleichzeitig das geringste Interesse an einem Wandel haben.

    Plakativ gesagt: Make love, not war! sollte man heute umformulieren in: Make love, not destruction! Und das gilt für mich für alle Farben und Formen der Liebe.

  9. Hallo Herr Schleim,
    Homo- oder Anders-Sexualität basieren auf Hirnaktivität und lassen sich irgendwann auch therapieren, wenn die Gesellschaft es denn befürwortet.
    Ich sehe hier aber im Wesentlichen die Pädophilie, Sadismus, Pyromanie …als mögliche zu therapierende Neigungen im Fokus, weil dadurch andere Menschen gefährdet sind. Homosexualtät gehört nicht dazu.
    Noch etwas zur Ursache: Ich wundere mich, dass wir bisher so wenig über den Zusammenhang von Gehirnstrukturen und Motivation wissen. Neben der Sexualität gibt es ja noch andere Vorlieben, die sich sogar bei eineiigen Zwillingen unterschiedlich ausprägen können.
    Amygdala und Inselrinde sind hier wesentliche Emotionszentren. Die Modifikation dieser Strukturen im Laufe des (frühen) Menschenlebens scheint hier eine Schlüsselrolle einzunehmen. Ob der Mechanismus dann evolutionär erklärt werden kann, wird sich zeigen.
    Dass offenbar auch der Zufall eine große Rolle spielt, würde ich hier gerne einmal postulieren. Synästhesien sind doch weiter verbreitet, als man denkt. Die Erforschung der Ursachen von Synästhesie könnte hierzu viel beitragen.

  10. @Grund: Hirnaktivierung

    Alles von unserer Persönlichkeit basiert irgendwie auch auf Hirnaktivierung; eine trivialere Feststellung könnte man sich kaum ausdenken. (Interessanterweise lässt sich aber so gut wie nichts von unserer Persönlichkeit neurowissenschaftlich beschreiben. Willkommen beim Leib-Seele-Problem, über das wir hier sonst regelmäßig streiten.)

    Was die Rede von der Therapie von Homosexualität soll, wo wir doch wieder und wieder festgestellt haben, dass es sich um keine Störung handelt, erschließt sich mir nicht.

    Warum therapieren wir nicht Sie? Weil es, erstens, dafür keinen guten Grund gibt und, zweitens, der liberale Rechtsstaat das verbietet.

    Ihre These zur Pädophilie halte ich ferner für gewagt. Ich kann mir aber vorstellen, dass bestimmte Trainings Betroffenen dabei helfen können, ihren für Kinder gefährlichen Neigungen nicht nachzugehen: nicht Täter(in) werden.

  11. Zu Andreas Grund:
    Die Amygdala besetzt meiner Ansicht nach bereits bewertete Reize mit Emotionen. Demzufolge schafft sie nicht das “Problem”, sondern schafft die subjektiver Bewertung von diesem. Sexualität wird meiner Ansicht nach auch über die Amygdala bewertet in dem Sinne, dass die damit verbundene Erregung Assoziationen(Bilder) schafft, die von der Amygdala nach “Wichtigkeit” emotional eingefärbt werden. Die LUST bekommt also einen emotionalen Hintergrund in Form von erlebten Befriedigungsstrategien. Triebbefriedigung = starke Erregung der Amygdala= starke Gefühle

  12. @Stephan Schleim
    Vor ab: Auch wenn ich Teile Ihres Artikel kritisiere, halte ich ihn doch für einen sehr informativen und lesenswerten Artikel. Danke dafür. Und auch für den interessanten Artikel von Herrn Höffner.

    Natürlich ist es nachvollziehbar, dass niemand die freiheitlichen Errungenschaften unserer Gesellschaft die ihm/ihr zu Gute kommen, aufgeben möchte. Warum sollten Frauen das bei ihren Freiheiten also tun?
    Allerdings wird es uns schwer fallen überhaupt einen Bereich zu finden in dem wir an irgendwelchen Freiheiten, die zu den beschriebenen Problemen führen rütteln wollen. In sofern sehe ich uns alle in der Verantwortung. Nicht nur, aber auch Frauen.

    Sollte es so sein, dass durch bestimmte Strukturen unserer Gesellschaft Paraphilien begünstigt werden, kann man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass man diese Strukturen nicht als negativ ansehen darf um einzelne dieser Paraphilien nicht zu Stigmatisieren. Das halte ich aber für Ideologie und wenig wissenschaftlich.

    Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass alle Paraphilien über die gleichen Systeme entstehen. Wenn das so ist und wie oben beschrieben unsere Gesellschaft die Entstehung begünstigt, dann begünstigt sie auch die Entstehung von Pädophilie. Einer seelischen Zustandsform, die die Individuen dazu verdammt keine partnerschaftliche und oder sexuelle Erfüllung finden zu können und nicht selten bei der Suche danach mit dem Gesetz und der Gesellschaft zu kollidieren. Was sehr häufig zu Depressionen und Suiziden führt. Sicher werden Sie mir zustimmen wenn ich feststelle, dass keine Bevölkerungsgruppe mehr verabscheut wird.

    Daher denke ich, haben wir als Gesellschaft schon die moralische Verantwortung die Entstehung dieser Paraphilien verstehen zu lernen. Auch kritisch und auch wenn einzelne Denkrichtungen als intollerant angesehen werden könnten.
    Vielleicht gelingt es uns dann irgendwann zumindest diese eine Paraphilie in der Entstehung zu verhindern.

  13. @Wolfgang: Ursachen & “Paraphilie”

    Danke für die freundliche Bemerkung; Sie dürfen hier alles kritisieren, sofern Sie es inhaltlich begründen.

    Ich bin generell für die Behebung von Ursachen von Problemen, anstatt an Symptomen herumzudoktern.

    Ich könnte mir vorstellen, dass bestimmte, durch gesellschaftliche Stressfaktoren hervorgerufene Zustände unter anderem über sexuelle Kanäle kompensiert werden (andere verlieren sich in Computerspielen, trinken Alkohol oder konsumieren andere Drogen, machen sehr viel Sport, gehen shoppen und so weiter). Mir ist nicht klar, inwiefern dies aber mit Bi-/Hetero/Homosexualität in einem reicheren Sinne (wie Verliebtheit, Beziehungen) zu tun hat. Warum ich diese Vorlieben für normal und natürlich halte, habe ich im Text gerade begründet.

    Zur “Paraphilie”: Ihr Bezug zur Homosexualität hier ist schon formal falsch, denn weder im international verwendeten ICD-10 noch im nordamerikanischen DSM (mindestens seit der Auflage von 1980) fällt diese Vorliebe darunter. Stattdessen: Fetischismus, fetischistischer Transvestismus, Exhibitionismus, Voyeurismus, Pädophilie, Sadomasochismus, Frotteurismus, Zoophilie, Nekrophilie… (dies sind die F65-Kategorien aus dem ICD).

    Mediziner haben um 1900 herum angefangen, verschiedenste sexuelle Vorlieben, die sie für untypisch hielten, als Störungen zu beschreiben. In dieser Zeit wurde der Begriff “Paraphilie” eingeführt.

    Mir fällt jedoch die Definition eines Sexologen ein, der in einem Interview einmal meinte, nichts sei unnormal, wofür man mindestens noch einen “Spieltpartner” finden könne (alles unter der Voraussetzung der Einwilligungsfähigkeit und Einwilligung). Oder um es anders zu sagen: Was erwachsene oder beinahe erwachsene Menschen im Privaten machen, das geht die Öffentlichkeit nichts an und ist daher auch nicht Gegenstand meines Blogs.

    Aber in diesem Punkt stimme ich Ihnen zu: Wenn es etwas gäbe, das in Menschen pädophile Neigungen erzeugt, dann wäre ich auch dafür, dieses Etwas zu beseitigen (siehe meinen zweiten Satz). Das ist aber auch nicht Thema meines Beitrags.

  14. @WolfgangL 11.09. 11:41

    „Die demographische Entwicklung zeigt dass unsere tolerante, liberale Gesellschaft nicht in der Lage ist sich aus sich selbst heraus zu erneuern und zu erhalten.“

    „Zur Erinnerung: Ein durchschnittlicher Deutscher verbraucht so viele Ressourcen, dass wir eigentlich drei Erden bräuchten.“

    Ja, nehmen wir das doch einfach mal zusammen: Solange wir mehr Ressourcen verbrauchen, als unser Anteil an den Weltressourcen hergibt, macht doch eine Reduktion der Bevölkerung durch wenig Geburten richtig Sinn. Ob wir dies mit Zuwanderung ausgleichen, ist Geschmacksache, das muss man nicht gut finden. Auf jeden Fall erhöhen die Zuwanderer ja nicht die Weltbevölkerung.

    Wenn wir mal entsprechend geschrumpft sind, denke ich, dass es dann aber Zeit wird, wieder mehr Kinder in die Welt zu setzen. Einfach mehr Vereinbarkeit von Karriere von Frauen und Kindern durch richtig gute und jederzeit verfügbare Kinderbetreuung, und mehr Geld für die Kinder von geringverdienenden Alleinerziehenden würde das Problem wohl schnell lösen. Dann vielleicht noch nicht ganz so viel arbeiten, und nicht die ganze Welt mit Luxuskarossen versorgen, spätestens dann passt das.

    Weder unfreie Verhältnisse noch kirchlichen Glauben werden wir dafür brauchen. Auch wird das ja wohl kein Problem sein, wenn hier 4 % oder 7 % Homosexuelle nicht mitmachen. Und die können ja Kinder adoptieren, und so bei der Aufzucht fleißig helfen. Ich glaube, wir schaffen das.

    Alternativ, wenn wir unseren ökologischen Fußabdruck mal normalisieren würden, könnten wir entsprechend früher damit anfangen, uns wieder fleißiger zu vermehren.

  15. Im Vorgängerblog vermutete „Querdenker“, dass sich selbst aufschaukelnde Lerneffekte grundsätzlich für die Entwicklung der sexuellen Ausrichtung maßgeblich sind.

    Meine vage Vermutung ist, dass diese Entwicklung durch die (auch nur schwache) Einwirkung z.B. von Pheromonen initiiert werden könnte.

    Ich befürchte, dass es ein grundsätzliche Problem für Neurologen ist, dass sie nur schlecht akzeptieren können, dass absolut „intakte Hardware“ nur deswegen „falsch reagieren“ kann, weil eine vorerst sehr geringe Zahl, z.B. beim Lernprozess falsch programmierter synaptischer Verknüpfungen, „fehlerhafte“ Prozesse bewirken können.

    Auf die von „Querdenker“ vermuteten Art könnte sich die Fehlprogrammierung (z.B. in der Amygdala) ergeben.
    In der Folge die 3 Beiträge:

    @ Querdenker 11.09.2019, 15:10 Uhr
    Zitat: „Zu Andreas Grund:
    Die Amygdala besetzt meiner Ansicht nach bereits bewertete Reize mit Emotionen. Demzufolge schafft sie nicht das “Problem”, sondern schafft die subjektiver Bewertung von diesem. Sexualität wird meiner Ansicht nach auch über die Amygdala bewertet in dem Sinne, dass die damit verbundene Erregung Assoziationen(Bilder) schafft, die von der Amygdala nach “Wichtigkeit” emotional eingefärbt werden. Die LUST bekommt also einen emotionalen Hintergrund in Form von erlebten Befriedigungsstrategien. Triebbefriedigung = starke Erregung der Amygdala= starke Gefühle”

    @ Querdenker 07.09.2019, 16:05 Uhr

    Zitat: „Genetisch gesehen ist der Trieb (Das ES) ein evolutionär gewollter hochgradiger Erregungszustand der zum allgemeinen und nicht zum spezifischen Erbgut gehört. Ein Reiz (das andere Geschlecht) wird hinsichtlich der Triebbefriedigung zum Muster/Trigger. Die Art dieser Befriedigung scheint mir ein ERLERNEN zu sein, da wahrscheinlich die Form, die die größte Lust bereitet, konditioniert wird in dem zum Beispiel über den Ausstoß von Dopamin , gleich dem Drogenrausch, Befriedigungsstrategien(Suchtverhalten) angelegt werden. Letzteres wird konditioniert und sobald ein Reiz dieser Konditionierung angetriggert wird, wird dieses Programm aktiv . Ein Automatismus, der im Dopaminrausch nach immer mehr Befriedigungsvarianten verlangt.“

    Elektroniker 10.09.2019, 11:39 Uhr
    Zitat Elektroniker: „Sehe es genau so wie Sie. Allerdings frage ich mich wie dieser Lernprozess initiiert wird?

    Sind es vom potentiellen Partner ausgesendete Pheromone die den sich immer mehr verstärkenden Rückkopplungsprozess auslösen?

    Es wäre sogar denkbar, dass Z. B. ein Mann zufällig den weiblichen Geruchsstoff überträgt und ein noch nicht “korrekt programmierter” Jugendlicher sozusagen “falsch programmiert” wird.

    Dies würde auch erklären, warum es auch in der Tierwelt gleichgeschlechtlichen Sex gibt.“

  16. Die „gängigen“ Ideologien ändern sich mit der Zeit. Es scheint doch klar, dass ein 1940 geborener Mensch sich eher die Zunge abbeißen würde, als homosexuelle Kontakte einzuräumen.

    Heute ist es umgekehrt, man würde als “hinterwäldlerisch” gelten, würde man derartige Kontakte in Abrede stellen. Selbst Menschen denen dabei ekelt, würden gleichgeschlechtliche Kontakte bestätigen.

    Es ist auch klar warum der soziale Druck groß war, Gesellschaften wären bei sinkenden Geburtenraten schnell “untergegangen”.

    Es gab gesellschaftlichen Druck und, weil salopp und übertrieben formuliert, 10 mal eine „kleine Glückseligkeit“ 10 aufzuziehende bzw. zu alimentierende Kinder bedeutete.
    Es scheint klar dass der blanke Neid und Hass auf „Gleichgeschlechtliche“ groß war, weil bei denen selbst 1000 fache Lust ohne Folgen blieb.

    Angesichts der A – Bomben (der Angreifer bekommt selbst Radioaktivität ab) fallen Kriege zur „Geburtenregelung“ zukünftig eher weg.

    Es gibt nur eine Selbstbeschränkung um zu vermeiden dass wir nicht von z.B. 10 Milliarden Menschen auf 100 oder 1000 Milliarden Menschen Weltbevölkerung anwachsen.

    Heutzutage werden gelegentlich gleichgeschlechtliche Paare bei Jobs bevorzugt, weil sie kostengünstiger leben können, aber keine Aufwendungen wegen der Kinderbetreuung entstehen.

    Womöglich wird Gleichgeschlechtlichkeit künftig sogar aus Gründen der weltweit zu hohen Geburtenrate gefördert und Heteros zusätzlich besteuert.

    Alles ist möglich.

  17. Sehr gut recherchiert, Herr Schleim! Ich könnte das binen eines Tages nicht. Danke und gerne mehr solcher Recherchetage zum Themenkomplex.

    Ich will mich in meinem Kommentar nur auf ein Rand-Thema fokusieren: Pädophile bzw.Stigma.

    Andreas Grund schrieb

    Ich sehe hier aber im Wesentlichen die Pädophilie, Sadismus, Pyromanie …als mögliche zu therapierende Neigungen im Fokus, weil dadurch andere Menschen gefährdet sind.

    Ageplay, BDSM und Grillen sind Arten mit diesen Orientierungen umzugehen. Ich sehe nicht, dass jemand dadurch direkt gefährdet ist. Bei 200.000 pädophilen Männern allein in Deutschland sehe ich keine besondere Gefahr, die eine Therapie zur Abwehr von Gefahren rechtfertigen würde. Auch hetero- homosexuelle begehen Straftaten. Jedoch nicht aufgrund der Neigung! Die zwingt man auch nicht zu einer Therapie, weil es so viele Vergewaltigungen gibt…

    WolfgangL. schreibt

    Pädophilie. Einer seelischen Zustandsform, die die Individuen dazu verdammt keine partnerschaftliche und oder sexuelle Erfüllung finden zu können und nicht selten bei der Suche danach mit dem Gesetz und der Gesellschaft zu kollidieren. Was sehr häufig zu Depressionen und Suiziden führt. Sicher werden Sie mir zustimmen wenn ich feststelle, dass keine Bevölkerungsgruppe mehr verabscheut wird.

    Einige pädophile Menschen sind in der Lage auch mit Menschen nach der Pubertät tragfähige Liebesbeziehungen einzugehen. Der Partner wird geliebt und das Kind vergöttert…

    Das führt unterm Strich nicht nur zu Depressionen und Suiziden sondern auch zu Suizidversuchen, welche die Gesellschaft nicht mit bekommt.

    Die Entstehung von Pädophilie zu hemmen würde sich aus Sicht der Hirnforschung vielleicht auf den Brutpflegeimpuls auslagern und für schlechtere Väter sorgen. Ich denke nicht, dass man eine Paraphilie in der Entstehung wie eine Krankheit unterdrücken kann und sollte.

    Im ICD-11 ist Pädophilie soweit ich weiß keine Störung mehr, es sei denn es besteht Leidensdruck oder eine Straftat. Kann man eine Parallele zur Homosexualität ziehen?

    S. Schleim schrieb

    Unter dem Druck von Aktivisten überdachten führende Psychiater in den 1970ern ihre Ansichten. Eine neue Definition von “psychische Störung” sah in den USA zunächst – und bis heute – vor, dass subjektives Leiden oder ein eingeschränktes Funktionieren hierfür wesentlich sind (Die “amtliche” Fassung). Im nächsten Schritt musste man dann einräumen, dass dort, wo Homo- oder Bisexuelle leiden oder eingeschränkt sind, das an der Ausgrenzung durch die Gesellschaft lag.

    Den Druck gibt es nicht aber die Pädophilen die keine Straftaten begehen und ihr “Triebschicksal” akzeptieren und eigentlich gern in der Gesellschaft leben, die sie so verstößt.

    Aber in diesem Punkt stimme ich Ihnen zu: Wenn es etwas gäbe, das in Menschen pädophile Neigungen erzeugt, dann wäre ich auch dafür, dieses Etwas zu beseitigen (siehe meinen zweiten Satz).

    Wenn es etwas gäbe was Krieg erzeugt, würde ich das auch gern so wie sie ausrotten, es sei denn es verändert die Persönlichkeit von Menschen.
    Homophobie ist klar definiert. Pädophobe Äußerungen wie die oberhalb sollte man ebenso ächten!

  18. @Jeckenburger: Idee Europa

    Da hänge ich doch zu sehr an der Geistesgeschichte Europas, um die Zukunft der Menschheit einfach so den anderen Kulturen zu überlassen.

    Aber wenn man sich anschaut, wie die Bevölkerungen anderer Länder zunehmen, während Europa sich aus dem Inneren heraus selbst beschädigt, dann kann man schon ins Grübeln geraten.

    Wie dem auch sei: An Homo-Ehen wird’s jedenfalls nicht liegen.

  19. @Elektroniker: Zahlen

    Die um 1940 Geborenen wurden aber doch heute befragt – und zudem anonym! – und nicht vor Jahrzehnten. Wieso sollten sie dann noch gleichgeschlechtliche Kontakte verheimlichen? Zudem hatten sie viel mehr Zeit, es einmal “auszuprobieren”, als die um 1970 oder später Geborenen.

    Eine größere Rolle als die Bevölkerungszahl scheint mir für die Zukunft der Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen zu spielen. Da brauchen wir uns noch nicht einmal um Kriege zu sorgen.

  20. @Peter: Pädophilie und das ICD-11

    Ich bin über die Diskussion dieses Themas hier nicht glücklich.

    Aber wie dem auch sei: Nicht jeder Pädophile begeht so eine Straftat und nicht jeder, der sie begeht, ist pädophil (im Sinne von: fühlt die sexuelle Vorliebe für Kinder).

    Trotzdem bleibe ich bei meiner Aussage, wenn man soziale Ursachen hierfür vermeiden könnte, dass das eine gute Sache wäre.

    Zum ICD-11 stimmt Ihre Stellungnahme nicht ganz. Die Betroffenen müssen zur Diagnose unter der Vorliebe leiden und/oder bereits sexuelle Kontakte mit Kindern gehabt haben, siehe 6D32:

    Pedophilic disorder is characterized by a sustained, focused, and intense pattern of sexual arousal—as manifested by persistent sexual thoughts, fantasies, urges, or behaviours—involving pre-pubertal children. In addition, in order for Pedophilic Disorder to be diagnosed, the individual must have acted on these thoughts, fantasies or urges or be markedly distressed by them. (ICD-11, 6D32)

    Hier sieht man, dass im englischsprachigen Bereich die unter deutschen Fachleuten etablierte Unterscheidung von Pädophilie (der Vorliebe) und Pädosexualität (der Handlung) nicht verwendet wird.

    Ich würde mich aber freuen, wenn wir beim Thema des Beitrags bleiben.

  21. @Schleim Zukunft der Menschheit

    Die Zukunft der Menschheit braucht wohl nicht möglichst viele Europäer. Vernünftige Menschen, vernünftige Kultur und auch vernünftige Wissenschaft schon. Auf keinen Fall nimmt das ein gutes Ende, wenn wir mit den anderen Kulturkreisen in ein Bevölkerungswachstumsrennen eintreten.

    Ich meine ja auch: Alternativ, wenn wir unseren ökologischen Fußabdruck mal normalisieren würden, könnten wir entsprechend früher damit anfangen, uns wieder fleißiger zu vermehren. Rohstoffe wie Öl, Gas und Kohle sollen ja sowieso durch erneuerbare Energien ersetzt werden, und bei anderen mineralischen Rohstoffen kann man mit einer Kombination von maximalem Recycling und gemäßigtem Konsum wohl doch auf so wenig runterkommen, dass der ökologische Fußabdruck auch wieder normale Geburtenraten ermöglicht, ohne dass wir über unsere ökologischen Verhältnisse leben.

    Die Agrarflächen sind eine Sache für sich. Wenn ich von einer gerechten Welt, in vielleicht 30 oder 60 Jahren, ausgehe, wo die überwiegende Mehrheit der Menschen genug Geld hat, sich Fleisch zu leisten, hätten wir eine neue Situation. Ich würde dann darauf achten, das wir in Europa bzw. sicherheitshalber auch in Deutschland genug Feldfrüchte anbauen können, um uns und unsere Nutztiere selber zu ernähren. Importieren wird dann schwierig werden, höchstens Äpfel gegen Bananen tauschen geht dann noch. Wir brauchen dann genug Ertrag, und das im Bioanbau und wirklich langfristig nachhaltig, und so dass auch noch reichlich Platz für wilde Natur dazwischen da ist. Man will ja auch irgendwo ohne Flieger schön Urlaub machen können.

    Ich bin kein Agrarexperte, vermute aber, dass wir beim derzeitigen Bevölkerungsstand nicht weit davon entfernt sind, zumindest, wenn nicht so viele Nahrungsmittel im Müll landen. Also erstmal die Energiewende gut auf den Weg bringen, und dann mal gucken, vielleicht wieder mehr Kinder produzieren und groß ziehen. Brauchen wir noch mehr Migranten? Nicht dass hier Fleisch noch zur Luxusware wird, da wäre ich als Geringverdiener und Nichtvegetarier entschieden dagegen.

    Interessant, das das Thema Sexualität auch was mit Bevölkerungsentwicklung zu tun hat, so am Rande.

  22. Stephan Schleim

    Die 80 Jährigen haben nicht mehr viel zu verlieren. Werden sich aber kaum outen, zumal auch andere Zeiten kommen können und Homos Gefahr laufen aufgeknüpft zu werden…

    Das Ressourcenproblem für 100 oder 1000 Millionen Menschen ist auch nicht gelöst.

    Die Welt hat tausende Jahre gebraucht um die Energie zu speichern.

    Es ist die Frage, ob in Echtzeit überhaupt genügend Energie bereitsteht.

    Unter einem Sonnenkollektor wächst kein Gras mehr. Wird zuviel Wind “eingefangen” fragt sich, wie die Wolken zu uns geblasen werden, besonders in Zeiten einer Flaute.

    Wegen der vielen Verrückten können Atomkraftwerke nur unterirdisch oder im Berg gebaut werden, wie einst Edward Teller meinte.

    Bleibt nur ein Verzicht auf eine immerzu wachsende Bevölkerung. Bei uns ist es praktisch schon so weit.

    Fragt sich nur ob die Moslems mitmachen.

  23. @Elektroniker: Fragebogen

    Wenn die Teilnehmer den Fragebogen nicht ehrlich ausgefüllt haben, dann ist die ganze Studie im Eimer, denn dann sind in der “heterosexuellen” Gruppe viele eigentlich “Nicht-Heterosexuelle”. Diese Anregung sollten Sie vielleicht an die Science-Redaktion schicken.

    Und zur Bevölkerungsfrage sehe ich jetzt nicht, was das spezifisch mit Moslems zu tun haben soll, wo doch auch die katholische Kirche gegen Verhütung beim Geschlechtsverkehr ist. Doch sei’s drum: Diese Frage ist sowieso nicht Thema dieses Beitrags.

  24. Stephan Schleim 12.09.2019, 17:22 Uhr

    Ich möchte die Vorgangsweise der Wissenschaftler nicht wirklich kritisieren. Wäre im Nachhinein auch zu einfach. Man hat eben mit einer großen Menge leicht zu erhebender Daten versucht Ergebnisse zu erzielen. Der ganz große Erfolg blieb jedenfalls aus.

    Ich meine halt, von Relevanz für die z.B. sexuelle Orientierung, dürfte auf jedem Fall ein rückkoppelnd sich verstärkender „Lernprozess“ sein, wie „Querdenker“ meint. Und der „Impuls“ dazu könnte vielleicht von den Pheromonen kommen.
    Wenn weibliche Pheromone, womöglich z.B. von einem Mann „verschleppt“ werden und ein Junge darauf reagieren könnte.
    Könnte aber auch direkt von einer chemischen Fehlsteuerung kommen.

    Es scheint irgendwie so wie bei der Konditionierung von Tieren mittels „Leckerlis“ abzulaufen, nur sind die Effekte noch stärker ausgeprägt, wenn es um sexuelle Stimulierungen geht.

    Ich vermute, die katholische Kirche hat letztlich ihre heutzutage als übertrieben geltende „Sexual Doktrin“ heruntergefahren, worauf auch der „Karnickel Sager“ des Papstes hindeutet.

    Die Moslems scheinen jedenfalls (noch) nicht so weit zu sein. Andererseits könnten, nicht ganz zu Unrecht, „Chefideologen“ befürchten, dass eine künstliche Einflussnahme scheitern könnte, was unser „Aussterben“ bedeuten könnte.

  25. @Elektroniker: P.S. Fragebogen

    In einem Buch des belgischen Professors für Psychoalayse Paul Verhaeghe (Universität Ghent) lese ich gerade:

    Wissenschaftliche Forschung in diesem Zusammenhang ist selten und, sofern mit Fragebögen gearbeitet wird, meistens wenig vertrauenswürdig – die zwei Dinge, über die bei Befragungen am meisten gelogen wird, sind Sex und Geld. (P. Verhaeghe, Liefde in tijden van eenzaamheid)

    In diesem Sinne Unterstützung für Ihre Vermutung aus unerwarteter Ecke.

  26. zu T. Jeckenburger:
    “Vernünftige Menschen…”
    Pardon, aber diese Spezies kenne ich nicht mehr. Zu DDR-Zeiten nannte man so etwas “Einsicht in die Notwendigkeit” , was heißt, dass die betreffende Person ihr EGO im Interesse der Allgemeinheit zurücknimmt. Suchen sie heute mal solche Charaktere : Eher haben sie einen Sechser im Lotto. Diese Demokratie erzieht die Menschen zu Egomanen, die nur ihre persönliche Freiheit -auch auf Kosten anderer- ausleben. Die Werte des Kapitalismus bestimmen das Denken und Handeln: Mitmenschen sind potentielle Gegner im Kampf um Karriere, Geld, Besitz etc…Der Mensch hat meiner Ansicht nach nicht nur Menschenrechte sondern auch Menschenpflichten. Ansonsten landen wir in einer selbstzerstörerischen Dekadenz wie einst das Römische Reich oder heute diese Republik

  27. Ich bin zwar nicht mit allen Antworten einverstanden, vor allem ist es doch recht simpel durch eine Definition von sexuellen Abweichungen eine mehr oder weniger willkürliche Grenze zu ziehen, aber zurück zum Thema:

    Es wurde ja schon von dem ein oder anderen hier in Frage gestellt. Ich denke auch ob jemand schon mal homosexuelle Kontakte hatte ist echt keine sinnvolle Grundlage für eine Kategorisierung.
    Viel Entscheidender ist doch die Frage ob jemand schonmal homosexuelle oder heterosexuelle Fantasien hatte.
    Alles andere ist doch davon abhängig ob die sozialen Rahmenbedingungen das Ausleben dieser Fantasien zulassen.
    Sonst wäre ja ein single Mann der nie Sex hatte aber ständig Gay Pornos schaut trotzdem als heterosexuell einzustufen. Was ja offensichtlich absurd wäre.

    Wenn man dann auf einer vernünftigen Datenbasis nochmal eine GWAS durchführt bekommt man evtl. auch wirklich brauchbare Ergebnisse. Allerdings vermute ich, dass man die Antworten eher im Epigenom als im Genom finden wird.

    Sicher ist homosexualität eher ein biologisch vorgesehener Steuerungsmechanismus um den Frieden in dem Stamm und damit die Fortpflanzungschancen von anderen Angehörigen zu verbessern.

  28. @Wolfgang: Methodenkritik

    Da argumentieren wir in ähnlicher Weise… Die Forscher dieser GWAS-Studie ziehen hingegen die gegenteilige Schlussfolgerung, dass ein Maß wie etwa die weitverbreitete Kinsey-Skala, die eben genau so etwas misst (wie erotische Fantasien) nicht zuverlässig sei. Das Argument müsste man aber noch einmal detailliert aufdröseln.

    Wenn man dann auf einer vernünftigen Datenbasis nochmal eine GWAS durchführt bekommt man evtl. auch wirklich brauchbare Ergebnisse.

    Na ja, die vorliegende Studie ist ja nicht in irgendeinem drittklassigen Blatt veröffentlicht, sondern in Science. Es handelt sich um die große Kunst dieses Handwerks.

    Aber dass die Leute ihre genetische Methode und die Versuchspersonen (halbe Million) derart fetischisieren, dass ihnen nicht bewusst ist oder sie zumindest verdrängen, dass ihr Studiendesign nicht sehr gut ist, zeigt uns, wie diese biomedizinische Massenforschung funktioniert.

    Trotzdem will ich ergänzen, dass Ihre Erwartung reine Spekulation ist. Die genannten Zwillingsdaten lassen unabhängig von der GWAS-Studie erwarten, dass es hier keine stärkeren genetischen Effekte gibt. Man sucht ja nicht erst seit vorgestern nach biologischen Erklärungen sexueller Orientierung.

  29. Ich vermute die Datenbasis wäre nur dann halbwegs realistisch wenn man nur verheiratete Homopaare berücksichtigt und möglichst nur den Partner der hauptsächlich für den Lebensunterhalt aufkommt.

    Bedeutet Verdienst und Vermögen könten relevant sein weil ein nicht schwuler Partner einfach versorgt sein will ohne zu arbeiten.

  30. Na Hauptsache die Studien der Wissenschaftler werden bezahlt… Wer weiss ob die Frauen nicht schon neue Nachkommen anlegen ….bei denen ist doch schon das Hormonsystem unterminimiert….? Was dann rein wissenschaftlich zu Verschiebungen in den evidenten Messergebnisse bringt…gang zu Schweigen vom Transhumanismus und der Gengeragenda ….”Alter Wein in neuen Schläuchen…”

  31. WolfgangL. // 13.09.2019, 15:36 Uhr

    »Allerdings vermute ich, dass man die Antworten [auf Einfluss der Gene] eher im Epigenom als im Genom finden wird.«

    Epigenetische Faktoren bestimmen, kurz gesagt, welche Gene (wann) zum Zuge kommen. Dann hätten wir es also mit einem viel stärkeren genetischen Einfluss zu tun, als aufgrund der GWAS-Studie von manchen angenommen wird.

    Es ist ohnehin die Frage, ob solche Untersuchungen (von DNA-Sequenzen) etwas darüber aussagen können, in welchem Maße ein bestimmtes Verhaltensmuster oder eine komplexe Eigenschaft genetisch verankert ist.

    Der Greifreflex der Neugeborenen beispielsweise ist mit Sicherheit allein genetisch bedingt und nicht durch Einflüsse aus der Umwelt zu erklären. Aber was weiß man über die hierfür relevanten Gene? Meines Wissens so gut wie nichts. Und eine entsprechende GWAS-Studie würde wohl auch viel zutage fördern können (kleine „Effektstärken“ halt). Was manche sicherlich zu dem Schluss verleiten würde: „Umwelt hat größeren Einfluss“.

    Daraus ersieht man, dass eine errechnete „Effektstärke“ bestimmter Gene von sagen wir 5% nicht zwangsläufig bedeutet, dass 95% des Merkmals oder Phänomens durch einen Einfluss der Umwelt zu erklären wären.

    Um es klar zu sagen: Auch die hier besprochene GWAS-Studie hat eben nicht den Einfluss der Umwelt auf das Sexualverhalten untersucht (sondern nach genetischen Faktoren gefahndet). Qualitative Aussagen zum Einfluss der Umwelt auf die sexuelle Orientierung („größer“, „kleiner“) sind somit völlig aus der Luft gegriffen bzw. hochspekulativ und im Grunde verfehlt, weil nicht wissenschaftlich fundiert.

  32. @Balanus: War das GWAS?

    Du schreibst meines Erachtens viel Richtiges…

    …aber erstens war meine Stoßrichtung des ersten Beitrags ja zu zeigen, dass das Paradigma der Verhaltensgenetik nicht taugt, wofür du jetzt weitere Gründe lieferst…

    …und zweitens führe ich hier auch z.B. die große, repräsentative Zwillingsstudie der Schweden an, die meiner Meinung nach sehr deutlich zeigt, dass die Auswahl der Sexualpartner nicht angeboren sein kann (zur Erinnerung: von den eineiigen Zwillingspaaren, in denen mindestens einer gleichgeschlechtliche Kontakte angab, stimmten gerade mal 10% der männlichen Zwillinge in ihrem Verhalten überein).

    P.S. Und der Effekt der Geburtsreihenfolge ist immerhin größer als alles, was die Verhaltensgenetik bisher zum Thema gefunden hat. Ob das nun eher sozial oder biologisch zu erklären ist, bleibt vorerst offen.

  33. Stephan Schleim / / 18.09.2019, 17:34 Uhr

    Stoßrichtung“…

    (…finde ich gelungen im Zusammenhang mit dem aktuellen Thema …)

    … aber ich meine, dass ich keine weiteren Gründe dafür liefere, „dass das Paradigma der Verhaltensgenetik nicht taugt“. Eigentlich ganz im Gegenteil.

    Ich hatte ja bereits ausgeführt, dass zwischen Genexpression und Verhaltensmustern bzw. Eigenschaften, Neigungen, Fähigkeiten und Begabungen ein riesiger Abstand liegt. Schon allein das macht die verhaltensgenetische Forschung zumeist ziemlich schwierig. Hinzu kommt (rein theoretisch): Wenn 100 Gene an einem bestimmten Merkmal beteiligt sind, dann entfällt auf ein identifiziertes Gen im Schnitt 1% Effektstärke. Das ist jetzt zwar nur eine vereinfachte Milchmädchenrechnung, aber ich denke, die Stoßrichtung meines Arguments wird deutlich.

    Im Beitrag schreibst Du von „biopsychosozialen“ Einflüssen (die im Mutterleib wirksam werden) und „epigenetischen Mechanismen“, die die Genaktivität regulieren. Das hängt ja beides eng zusammen, wie Du weißt (und auch schreibst): epigenetischen Mechanismen sind eine Möglichkeit, wie bestimmte Umwelteinflüsse via Gene das Verhalten oder die psychische Verfasstheit beeinflussen können.

    Womit die Frage im Raum steht: schreiben wir ein bestimmtes Verhalten jetzt mehr der Umwelt oder mehr dem Genom zu?

    Was direkt zu der angeführten Zwillingsstudie führt, in der gleichgeschlechtliche Sexualkontakte abgefragt wurden und wo man fand, dass diese vor allem durch die „Umwelt“ zu erklären wären. Was im Klartext bedeutet: Wir haben keine wirkliche Erklärung. Denn „Umwelt“ steht für all das, was bei dieser Art von Erhebungen notwendigerweise offen bleibt und nicht direkt durch die identische genetische Information erklärt werden kann.

    Das heißt, solche Zwillingsstudien helfen auch nicht wirklich weiter bei der Klärung der Frage, ob die sexuelle Orientierung (denn nur das ist letztlich von Interesse), ob diese Orientierung, wenn sie denn vor allem durch Einflüsse aus der „Umwelt“ zustande gekommen ist, durch entsprechende weitere, andere Umwelteinflüsse gezielt verändert werden kann. Denn dazu müsste man ja erst mal wissen, welcher Art die Einflüsse waren, die zur sexuellen Orientierung beigetragen haben.

    Letzter Punkt, die Geburtsreihenfolge: Wenn die biologische These zutrifft, dann fällt das m.E. ins Gebiet der Verhaltensgenetik. Wenn es sich hingegen vor allem um ein rein soziokulturelles Phänomen handelt, also alles allein auf der „geistig-psychischen“ Ebene abläuft (i.e., ohne epigenetische Effekte), dann dürften Verhaltens- oder Psychotherapeuten gute Karten haben, sofern ein Klient eine sexuelle „Umorientierung“ wünscht.

  34. @Balanus: angeboren

    Mit Bezug auf die Zwillingsstudie ging es doch erst einmal darum, dass die Eigenschaft nicht angeboren sein kann, wenn es so große Unterschiede zwischen eineiigen Zwillingen gibt.

    Dass “Umwelt” sowohl psychosoziale als biologische Umwelt ist, ist geschenkt; das ist dann aber eine andere Frage. Dass das Sexualverhalten zumindest zum Teil kulturell geprägt ist, kann aber niemand mehr ernsthaft bestreiten.

    Was ist eigentlich so schwer an der Vorstellung, dass der Körper ein bestimmtes Grundgerüst zur Verfügung stellt, das anschließend kulturell “programmiert” wird. Darum haben wir heute auch Leute, die stundenlang im Büro sitzen und E-Mails schreiben oder im Büro an Proben herumdoktern können, was es alles vor ein paar Generationen noch gar nicht gab, also auch nicht genetisch erklärt werden kann.

    P.S. Stoßrichtung… Na na, wir wollen wir doch ernst bleiben. 😉

  35. @Stephan / angeborene Eigenschaften / 19.09.2019, 14:05 Uhr

    »Mit Bezug auf die Zwillingsstudie ging es doch erst einmal darum, dass die Eigenschaft nicht angeboren sein kann, wenn es so große Unterschiede zwischen eineiigen Zwillingen gibt. «

    Es ging in der Studie aber doch gar nicht um angeborene Eigenschaften, sondern um bestimmte Handlungen (Verhalten). Diese mögen zwar in einem gewissen Zusammenhang mit den vorhandenen Eigenschaften stehen, aber zwingend ist das nicht. Wäre das Studienergebnis genau anders herum gewesen, hättest Du auf dieses methodische Problem sicherlich kritisch hingewiesen.

    ‚Angeboren‘ bedeutet doch, dass es sich um Eigenschaften handelt, die nicht durch Lernen erworben werden können. Die Sprachfähigkeit (das Sprechvermögen) zum Beispiel ist angeboren, die Sprache hingegen erworben. Angeboren ist die Fähigkeit, sitzen zu können, erworben ist sozusagen die Fähigkeit, dies in einem Büro tun zu dürfen.

    Analog könnte man sagen, dass die sexuelle Orientierung (im Wesentlichen) angeboren ist, bestimmte Techniken des Sexualverkehrs hingegen erworben oder einfach ausprobiert werden (je weiter man im Tierreich herabsteigt, desto weniger müssen Kopulationstechniken erlernt werden).

    Möglich wäre wohl auch dies: Angeboren ist das Streben, einen Sexual- bzw. Lebenspartner zu finden (egal, welchen Geschlechts), erworben hingegen ist (im Wesentlichen) die Neigung zu einem bestimmten Geschlecht.

    (An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in der Biologie ‚Variation‘ ein Schlüsselwort ist. Das oben Gesagte bezieht sich einfach nur auf die Varianten, die am häufigsten vorkommen.)

    Ich halte die zweite Möglichkeit für sehr unwahrscheinlich. Das Streben nach einem Partner wird, sofern überhaupt vorhanden, in der Mehrzahl der Fälle auf ein bestimmtes Geschlecht zielen.

    Du siehst, an der „Vorstellung, dass der Körper ein bestimmtes Grundgerüst zur Verfügung stellt“, wie Du schreibst, ist überhaupt nichts schwer. Der Dissens geht ja nur darüber, was alles bereits zum (angeborenen) Grundgerüst gehört.

  36. @Balanus: Eigenschaften, Dispositionen et cetera

    Das ist doch gehupft wie gesprungen: Das Verhalten, mit Menschen vom Geschlecht Z ins Bett zu gehen, kann ich auch als Eigenschaft formulieren, mit Menschen vom Geschlecht Z ins Bett zu gehen.

    In Zeiten, in denen man noch an die Aussagekraft der Verhaltensgenetik glaubte, sprach man gerne von Verhaltensdispositionen (also auf deutsch: Veranlagung für/zu einem bestimmten Verhalten; das ist doch eine Eigenschaft eines bestimmten Organismus).

    ‘Angeboren’ bedeutet doch, dass es sich um Eigenschaften handelt, die nicht durch Lernen erworben werden können.

    Hmm, das würde ich nicht so definieren. Als angeboren würde ich das bezeichnen, was zum Zeitpunkt der Geburt vorhanden beziehungsweise festgelegt ist. Dazu der Duden:

    von Geburt an vorhanden, bestehend

    Balanus: Analog könnte man sagen, dass die sexuelle Orientierung (im Wesentlichen) angeboren ist…

    Das könnte man so sagen, ja, wenn man dann idealerweise noch hinzufügt, dass es sich um eine Hypothese handelt.

    Möglich wäre wohl auch dies: Angeboren ist das Streben, einen Sexual- bzw. Lebenspartner zu finden (egal, welchen Geschlechts), erworben hingegen ist (im Wesentlichen) die Neigung zu einem bestimmten Geschlecht.

    Das wäre in der Tat auch möglich.

    Vielleicht sind auch schlicht die Geschlechtsorgane angeworben und im Wesentlichen erlernt, was wir damit anstellen: Manche pflanzen sich damit im Wesentlichen fort; andere haben halt Spaß.

  37. Mir persönlich „gefällt“ zwar auch die „Antikörperthese“, die im Zusammenhang mit dem Immunsystem steht, wobei die Reihenfolge bei der Geburt eine Rolle spielt.

    Andererseits spielen bei tierischen Paarungsprozessen offensichtlich die Pheromone und die Geruchssensorik eine wichtige Rolle.

    Zitat: „Konkret sei rs283… in früheren Studien mit typisch-männlichem Haarausfall in Zusammenhang gebracht worden und befinde es sich in der Nähe des Gens TCF12, das bei der Geschlechtsentwicklung eine Rolle spiele. Womöglich beeinflusst dieser Genabschnitt also irgendetwas bei den Sexualhormonen. Der andere Kandidat, rs347…, hat vielleicht etwas mit dem Riechen zu tun. Harte Erklärungen hören sich anders an.“

    Besonders beim Menschen, könnte sich die sexuelle Orientierung über einen rückkoppelnd sich verstärkenden „Lernprozess“ relevant entwickeln.

    Ursache könnten, womöglich nur temporär auftretende, „fehlerhafte“ Steuerungsprozesse in der von Sexualhormonen gesteuerten Verarbeitungskette Pheromonabgabe – Geruchssensorik – neuronale Verarbeitung sein.

    Womöglich werden weibliche Pheromone, z.B. von einem Mann „verschleppt“ und führen zur „Fehlprogrammierung“ z.B. eines Jungen.

    Es könnte sich irgendwie so wie bei der heutzutage üblichen Konditionierung von Tieren mittels „Leckerlis“ verhalten, nur sind die Effekte noch stärker ausgeprägt, wenn es um sexuelle Stimulation geht.

  38. @Stephan / Verhalten vs. Eigenschaft / 20.09.2019, 09:05 Uhr

    Vielleicht sollten wir uns mal auf einen einheitlichen Sprachgebrauch verständigen. Wir können uns gerne am Duden orientieren:

    Verhalten:
    Art und Weise, wie sich ein Lebewesen, etwas verhält

    Eigenschaft:
    zum Wesen einer Person oder Sache gehörendes Merkmal; charakteristische [Teil]beschaffenheit oder [persönliche, charakterliche] Eigentümlichkeit

    Ergo: Ein Geschlechtsakt fällt unter Verhalten, die sexuelle Orientierung (mutmaßlich) unter Eigenschaft, ebenso wie die Verhaltensdisposition.

    Wenn wir diese beiden Dinge nicht auseinanderhalten, kommen wir auf keinen grünen Zweig. Vielleicht rührt die befremdliche Vorstellung, die Verhaltensgenetik sei obsolet, ja von diesem begrifflichen Durcheinander her.

    »Vielleicht sind auch schlicht die Geschlechtsorgane angeworben [im Sinne von angeboren?] und im Wesentlichen erlernt, was wir damit anstellen: Manche pflanzen sich damit im Wesentlichen fort; andere haben halt Spaß. «

    So wird’s gewesen sein: Der HERR hat Adam und Eva mit Geschlechtsorganen ausgestattet und die beiden haben dann gelernt, damit umzugehen. Weshalb sie den Garten Eden verlassen mussten. Was auch erklärt, weshalb die Verhaltensgenetik völlig ergeblich nach erblichen Verhaltensprogrammen sucht. Es gibt sie nicht. Balzverhalten? Ist eine Erfindung der Ethologen.

    Man bedenke: Obwohl die erwähnte Zwillingsstudie nur bestimmte mehr oder weniger spontane Verhaltensäußerungen (Handlungen) abgefragt hat, hat man für den erblichen Anteil an der Varianz einen Betrag von über 30% errechnet. Wenn man nun noch die wenig verstandenen physiologischen Prozesse im Laufe der (sexuellen) Individualentwicklung hinzunimmt und alle weiteren (soziopsychologischen) Befunde, kommt man nicht umhin, die jeweilige sexuelle Orientierung als angeboren anzusehen. Alles andere wäre ignorant.

  39. @Balanus: Lücken in der Beweisführung

    Na ja… Fußballspieler hat die Eigenschaft, häufig Fußball zu spielen; ein Bierbrauer, Bier zu brauen und so weiter und so fort.

    Wieso soll es denn nicht zum “Wesen” (was ist das eigentlich? haben wir hier – Bin ich derselbe wie vor und in einem Jahr? – nicht gerade behandelt, dass das gar nicht trivial ist?) gehören, mit Menschen vom eigenen oder anderen Geschlecht ins Bett zu gehen und in diesem Sinne, nach deiner eigenen Definition, eine Eigenschaft sein?

    Wie gesagt, das lässt sich so hin und her formulieren, sozusagen übersetzen.

    Der HERR hat Adam und Eva…

    Wirst du auf deine alten Tage etwa noch gläubig? Wie dem auch sei, du darfst hier freilich weiter diskutieren.

    …hat man für den erblichen Anteil an der Varianz einen Betrag von über 30% errechnet…

    Stand das so in der Studie? Doch bitte nicht vergessen, dass das Maß der “heritability” selbst von der Umwelt abhängig ist, man so also keine Schlussfolgerungen auf genetische Determinierung und so ziehen kann.

    …kommt man nicht umhin, die jeweilige sexuelle Orientierung als angeboren anzusehen. Alles andere wäre ignorant.

    Von dieser Beweiskette wäre Sherlock Holmes beeindruckt gewesen. Oder nein: Er hätte wohl nur geschmunzelt. Du darfst die Lücken aber natürlich gerne in einem neuen Versuch füllen.

    P.S. Äußerungen wie “alles andere wäre ignorant” tätigen meistens doch diejenigen, die keine guten Argumente haben. Hat der Spaßphilosoph Dennett da nicht mal ein Buch drüber geschrieben?

  40. @Elektroniker: “falsch”?

    Also auch wenn Sie mutmaßlicherweise noch aus einer ganz anderen Generation(?) stammen, würde es mich im Sinne einer konstruktiven Diskussion doch freuen, gleichgeschlechtliche Akte nicht permanent als irgendwie falsch darzustellen, selbst wenn das in Anführungszeichen geschieht.

    Oder einmal anders: Wenn nur solche Akte “richtig” sind, die der Fortpflanzung dienen, als wie “falsch” wäre dann aus Sicht der Evolution die allgemeine Bildung, Emanzipation oder das Programmieren von Schaltkreisen anzusehen?

    Ich glaube, Sie verstehen, worauf ich hinaus will: Die biologische Evolution eignet sich nicht als ethischer Maßstab für unser Handeln.

  41. @Stephan Schleim
    Bei dieser Argumentation sträuben sich mir die Haare. Kann man dem Fußballspieler und dem Bierbrauer die “Eigenschaft” auch dann ansehen, wenn sie ihre Fähigkeit gerade nicht ausüben?

    Zu Eigenschaft und Verhalten gibt es übrigens noch ein Drittes: ein Zustand. Eine Eigenschaft ist etwas Persistentes und prinzipiell Wahrnehmbares, das Verhalten ist etwas Dynamisches und Aktives, ein Zustand ist etwas Passives zwischen zwei Zustandsübergängen. Man ist im Zustand des Bewusstseins, des Wachseins oder Schlafens, des Sitzens oder Liegens. Ein Reiz oder eine Information kann einen Zustandsübergang bewirken, sei es passiv oder aber aktiv als Verhalten.

    Das Genom eines einzelnen Menschen ist unveränderlich und in jeder Zelle identisch, abgesehen von wenigen Mutationen oder Replikationsfehlern. Es kann aber in unzählig vielen verschiedenen Zuständen sein, auf denen der Ablauf des individuellen Lebens beruht. Ein bestimmtes Gen bzw. Allel kann vorhanden sein, seine Expression kann aber zeitweise blockiert sein. Ein einzelnes Gen kann verschiedene Produkte hervorbringen, abhängig von verschiedenen Faktoren in seiner eigenen “Umwelt” (alternatives Spleißen u.a.).

    Die Behauptung, die Verhaltensgenetik wäre obsolet, entbehrt jeglicher Grundlage und widerspricht dem Stand der Wissenschaft.

  42. @Stephan / Nullhypothese vs. Beweisführung / 21.09.2019, 18:43 Uhr

    » Wieso soll es denn nicht zum “Wesen” […] gehören, mit Menschen vom eigenen oder anderen Geschlecht ins Bett zu gehen und in diesem Sinne, nach deiner eigenen Definition, eine Eigenschaft sein? «

    Verstehe ich das richtig, dass Du nunmehr doch der Meinung bist, dass man vom bloßen sexuellen Verhalten auf die im Wesen verankerte sexuelle Orientierung schließen kann?

    Das klang, wenn ich mich recht erinnere, weiter oben noch etwas anders. Da hast Du noch Wert darauf gelegt, dass in der GWAS-Studie nur das sexuelle Verhalten erfasst wurde und man deshalb wenig zur sexuellen Orientierung der Untersuchten sagen könne.

    Aber fein, dass Du das Credo der Verhaltensbiologen und –genetiker nun doch zu akzeptieren scheinst, denn man kann in der Tat in vielen Fällen vom beobachteten Verhalten auf zugrundeliegende, erbliche Verhaltensprogramme schließen. Solche Verhaltensprogramme sind Teil des „Wesens“ eines Lebewesens und definieren das zur Verfügung stehende Verhaltensrepertoire.

    »… Schlussfolgerungen auf genetische Determinierung…«

    Was heißt hier „Determinierung“? Die Schlussfolgerung aus der Gesamtheit der Beobachtungen ist, dass der Mensch sich seine sexuelle Orientierung genauswenig aussuchen kann wie sein „Wesen“ oder seine Begabungen. Und dass sie allem Anschein nach nicht das Ergebnis von Lernprozessen ist.

    »Von dieser Beweiskette wäre Sherlock Holmes beeindruckt gewesen.«

    Was für eine „Beweiskette“? Als Wissenschaftler stelle ich eine Nullhypothese auf und schaue, ob ich sie aufgrund der vorliegenden Befunde ablehnen kann oder muss. „Beweise“ gibt’s in der Mathematik und vor Gericht.

    » Wirst du auf deine alten Tage etwa noch gläubig? «

    Ich stand beim Schreiben zufälligerweise unter dem Eindruck eines christlichen Kalenderblattes zu der Frage, wer der Schöpfer ist.

    Die Vorstellung, die Geschlechtsorgane seien zwar angeboren, das dazugehörige sexuelle Verhalten aber erworben, könnte aus der Feder eines Kreationisten stammen (weil die Evolutionsgeschichte vernachlässigt wird). Solche Leute werden gemeinhin und mit Recht „ignorant“ genannt. Eben weil sie wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren und meinen, die notorische Unvollständigkeit des Wissens („Lücken in der Beweisführung“) tauge als Argument. Das musst Du nicht auf Dich beziehen…;-)

  43. @Reutlinger: Verhaltensgenetik

    Erstens ist mit Ihrem Zitat untermauert, dass die zurzeit beste Methode der Verhaltensgenetik praktisch irrelevantes Wissen hervorbringt.

    Zweitens ist mitnichten gezeigt, worin der angepriesene wissenschaftliche Wert bestehen soll. Ich vermute, im Publizieren in verhaltensgenetischen Zeitschriften und dem Aufbauen der Karriere.

    (Drittens, doch eher nebenbei, ist die älteste GWAS nun auch schon vor siebzehn Jahren erschienen (Nature Genetics), womit auch diese Tatsachenbehauptung Ihres Zitats widerlegt wäre.)

    (Viertens, auch das nur nebenbei, wundert mich bei Ihnen nicht, wobei sich Ihnen so die Haare sträuben. Vielleicht wäre es entspannter für Sie, sich zur Abwechslung nicht über so viel aufzuregen?)

  44. @Balanus: Wesen

    Du hast hier vom Wesen gesprochen; ich nur, antwortend auf dich, vom “Wesen”. Es ging um ein sprachliches Argument, wie man die Rede von Verhaltensweisen in die Rede von Eigenschaften übersetzen kann und zurück.

    (Ich hatte in dem verlinkten Artikel ja gerade Argumente dafür gesammelt, dass es kein Wesen des Menschen gibt.)

    Ich glaube, die weitere Diskussion über Sexualität erübrigt sich, wenn wir uns nicht einmal darauf einigen können, dass es bei menschlicher Sexualität wenigstens nicht ausschließlich um Fortpflanzung geht.

  45. @Stephan Schleim
    Mit Ihrem Argument können Sie jede Naturforschung aufgeben. Die Biologie ist nun mal deutlich komplizierter als die Physik, zumal die Möglichkeiten der Beobachtung am lebenden Objekt beschränkt sind. Die geringsten Erkenntnisse bringt die Psychologie, weil sie sich immer nur im Kreis dreht und nichts wirklich erklären kann. Ich kann verstehen, dass das frustrierend ist.

  46. @Reutlinger: Argumente

    Ich habe Ihnen doch nun schon mehrmals erklärt, dass hier nicht der Platz für Polemik und Invektiven, sondern für Argumente ist. Warum halten Sie sich nicht endlich einmal daran?

  47. [dieser Teilnehmer hält sich auch nach mehreren Aufforderungen nicht an die Diskussionsregeln; bitte besuchen Sie ein anderes Forum, wenn Ihnen die (minimalen) Diskussionsregeln von MENSCHEN-BILDER nicht zusagen; danke, S. Schleim]

  48. @Stephan / Fortpflanzung / 22.09.2019, 22:18 Uhr

    » Ich glaube, die weitere Diskussion über Sexualität erübrigt sich, wenn wir uns nicht einmal darauf einigen können, dass es bei menschlicher Sexualität wenigstens nicht ausschließlich um Fortpflanzung geht. «

    Du sprichst in Rätseln. Wo hätten wir denn darüber je einen Dissens gehabt? Der Begriff ‚Fortpflanzung‘ taucht in keinem meiner Beiträge auf, nicht ein einziges Mal, auch nicht andeutungsweise.

  49. @Balanus: Evolutionsgeschichte

    Ich las deinen Hinweis auf die Evolutionsgeschichte und den Kreationisten so, dass man davon ausgehen müsse, dass Geschlechtsverkehr vor allem der Fortpflanzung diene.

    Wie dem auch sei… Wenn du Evidenzen dafür hast, dass die Auswahl der Sexualpartner (beim Menschen!) in einem starken Sinne angeboren ist, dann schaue ich mir die natürlich gerne an.

  50. @Stephan / Evolutionsgeschichte / 23.09.2019, 17:08 Uhr

    So, war das nicht von mir gemeint (…”dass Geschlechtsverkehr vor allem der Fortpflanzung diene”).

    Deshalb nochmal etwas ausführlicher meine diesbezügliche Sicht der Dinge:

    Im Tierreich, also da, wo wir evolutionsgeschichtlich herkommen, dient der Gebrauch der Geschlechtsorgane primär der Fortpflanzung. Damit das funktioniert, gibt es für diesen „Gebrauch“ spezielle Verhaltensprogramme. Wenn lediglich die Organe „angeboren“ wären und nicht zugleich das dazugehörige Verhaltensrepertoire, stünden wir vor einem evolutionsbiologischen Rätsel.

    Beim Menschen ist schon einiges anders als beim Tier, gerade auch was das Sexualverhalten betrifft. Wir können praktisch immer, wenn wir wollen, haben sozusagen ganzjährig Brunstzeit. Zur Fortpflanzung stehen uns aber nur gewisse Zeitfenster zur Verfügung. Ich bin mir nicht sicher, aber ich meine mal gelesen zu haben, dass Frauen in der Zeit des Eisprungs besonders Spaß am Sex haben—das wäre, wenn es denn stimmt, ein klarer Hinweis auf die Reste eines angeborenen, geschlechtsspezifischen Verhaltensprogramms.

    Und was auch klar sein dürfte, ist, dass ausschließlich gleichgeschlechtlicher Sexualverkehr für die Erhaltung einer Population eher ungünstig ist. Es macht also evolutionsbiologisch durchaus Sinn, dass der Mensch sich ganz überwiegend zum jeweils anderen Geschlecht hingezogen fühlt. Dass also die heterosexuelle Verhaltensvariante in allen rezenten Populationen überwiegt und die homosexuelle Variante nur einen relativ geringen Prozentsatz ausmachen kann.

    Im Beitrag schreibst Du:

    »Und wenn Fortpflanzungserfolg etwas über Natürlichkeit aussagt, dann wären also Länder wie Niger, Mali und Burundi mit durchschnittlich 6,6, 6,4 und 6,0 Kindern pro Frau die natürlichsten.«

    Das „Natürliche“ besteht darin, dass in praktisch allen Menschenpopulationen beide Verhaltensvarianten (und die Zwischenformen) vorkommen. Das ist schlicht Natur, da haben wir keinen Einfluss drauf.

    Abschließend sei noch angemerkt, dass gemäß der Verhaltensgenetik generell Verhaltensnormen (biologisch wertfreier Begriff) genetisch variieren und oft eine Kopplung mit anderen Merkmalen vorliegt (Pleiotropie genannt). Das ist vor allem für die Tierzucht von praktischem Interesse.

    Vielleicht ist das ja beim Sexualverhalten ganz ähnlich.

    Die „Umwelt“ jedenfalls erscheint in Bezug auf die sexuelle Orientierung derzeit vor allem als Blackbox.

  51. @Balanus: Können und Wollen

    Aber gerade weil wir Menschen im Prinzip permanent Sex haben könnten, ist es doch interessant, was wir da für eine Kultur mit Moral und Verboten und Kategorien drum herum aufgebaut haben. Darum geht es mir.

    Und zum Fortpflanzungsargument: Biologisch hindert doch einen Mann, der vor allem Männer attraktiv findet, oder eine Frau, die vor allem Frauen attraktiv findet, nichts daran, mit einem Partner vom anderen Geschlecht verkehr zu haben, um Kinder zu zeugen, wenn er oder sie das denn will. Auch das gehört ins Gebiet von Psychologie, Soziologie und Moral.

    Und das ist sozusagen die Stoßrichtung des Artikels (und in einem allgemeineren Sinne des ganzen Blogs), dass man den Menschen, einschließlich seines Sexualverhaltens, eben nicht auf der Ebene der Gene, nicht einmal biologisch erklären kann. Dazu passt doch hervorragend, dass man trotz größter Bemühungen nach den Regeln der Kunst mit Massen-GWAS so gut wie nichts findet!

  52. @Genetische Grundlage versus Eigeninitiative

    Unsere Gene sind angeboren, und bleiben uns ein Leben lang erhalten, egal was die Umwelt jetzt mit uns macht, und auch egal wie wir uns selbst entwickeln und welche Vorlieben und Wünsche wir entwickeln und welche Pläne wir machen und welche Strategien wir entwickeln, diese umzusetzen.

    Das genetische Gerüst ist stets dabei unser ganzes Leben umzusetzen, dabei werden die Epigenetischen Methylierungen immer wieder umgebaut, je nachdem was wir so machen, bzw. was unsere Umwelt mit uns so macht. Wenn ich z.B. Langzeitarbeitslos werde, kann das im wesentlichen meine Schuld sein, dass ich einfach nicht gut genug bin, um im Wettbewerb zu bestehen, es kann auch daran liegen, dass wir eine schlimme Wirtschaftskrise haben, und kaum noch einer Arbeit bekommt. Egal wo es herkommt, wenn ich mit Aktivitätslosigkeit reagiere und mir keine alternative Beschäftigung jenseits von Erwerbsarbeit suche, passt sich mein ganzer Körper ans Faulenzen an, inclusive der epigenetischen Effekte auf mein Erbgut.

    Wenn ich jetzt Kinder zeuge, sind diese sogar etwas epigenetisch vorbelastet, hier vererbt sich sogar ein Teil meiner Lebensweise.

    Was die derzeitige Kultur angeht, hat diese einen Rieseneinfuß auf mein Leben, und der nächste entscheidende Faktor für mein Leben bin ich selbst. Ich muss mir Lösungen suchen, wie ich in dieser meinen konkreten Welt so leben kann, wie ich es mir wünsche. Darum dreht sich im Grunde alles. Klar habe ich meine genetische und teils auch ererbte epigenetische Grundlage, und ohne mein Genom kann ich überhaupt nicht Mensch sein. Wenn ich erbliche Krankheiten durch Gendefekte habe, macht das alles anders. Aber wenn nur eher viele kleinere spezielle genetische Varianten habe, werde ich davon in meinem konkreten Leben nicht viel merken. Hier dreht sich doch alles darum, wie ich mein aktuelles Leben gestalte, und welche gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen gerade vorhanden sind.

    Wenn ich meine Perspektive auf mein Leben und meine Umwelt richte, kann ich mir ein Leben erarbeiten, wie ich es mir wünsche. Nur wenn ich das versuche, kann das was werden. Klar muss ich auch mit meinen tatsächlichen Möglichkeiten arbeiten, die in der Summe auch irgendwie genetisch bedingt sein können. Wo die jetzt herkommen spielt aber im Lebenskampf selbst keine Rolle, ich muss mich selbst ja auch so nehmen wie ich bin. Nur so kann ich vorwärts kommen. Nützt mir das jetzt was, wenn ich mein Genom untersuchen lasse, z.B. ob ich zu mehr oder weniger Intelligenz neige? Da wäre doch der simple Intelligenztest einfacher und aussagekräftiger.

    Wenn ich an Schizophrenie erkrankt bin, helfen die gängigen Medikamente kurz und mittelfristig einiges, aber zum Leben gehört mehr als ein ausgeglichener Neurotransmitterspiegel. Ich kann lebenslang meine Gene bedauern, die diese Krankheit wahrscheinlicher gemacht haben, und mich in der Folge selber abschreiben und mich irgendwann aufhängen. Oder ich mach mich an die Arbeit, mir ein neues soziales Umfeld aufzubauen, und suche mir eine erfüllende Beschäftigung alternativ zum Arbeitsmarkt, auf dem ich nicht mehr konkurrieren kann.

  53. @Stephan / Fragen und Erklären / 24.09.2019, 11:57 Uhr

    Ok, Dir geht es also vor allem um die Sex-Kultur (Moral, Kategorisierungen, Verbote). Habe ich wohl übersehen.

    Ich hätte gedacht, es ginge primär um den Versuch einer Antwort auf die Frage einer bzw. eines 16-Jährigen: „Warum bin ich, anders als meine Eltern und Geschwister, lesbisch bzw. schwul (geworden)?“

    Meine kurzgefasste Antwort auf diese Frage wäre: Das verdankst du dem Zufall, so wie du dem Zufall deine Sonderbegabung verdankst.

    Für die Langfassung würde ich mich auf Erkenntnisse aus der Verhaltens-, Evolutions- und Entwicklungsbiologie stützen.

    Und Du?

    »… dass man den Menschen, einschließlich seines Sexualverhaltens, eben nicht auf der Ebene der Gene, nicht einmal biologisch erklären kann.«

    Hm, „den Menschen“ erklären? Kann das überhaupt irgendwer irgendwie?

  54. @ Schleim

    Ich habe eine völlig „nüchterne Sichtweise“ im Bezug auf gleichgeschlechtliche Beziehungen.

    Früher mussten die Menschen hart um ihre eigene Existenz und die Existenz ihrer Gruppe kämpfen. Die Weltbevölkerung spielte keine Rolle. Gleichgeschlechtlichkeit war verpönt…

    Heute wird die stark wachsende Weltbevölkerung zunehmend zum Problem (z.B. vielleicht der Klimawandel…).

    Um Probleme abzuwenden, könnte eine Förderung gleichgeschlechtlicher Beziehungen (Homoehe…) von Vorteil sein. Äußerst human könnte die zu hohe Geburtenrate gesenkt werden.

    Die Gesellschaft hätte aber auch ökonomische Vorteile. Wohnraum für 2 Personen statt Singlewohnungen, bessere „Ausbeutung“ am Arbeitsplatz weil die Kinderbetreuung entfällt, geringere Pflegekosten im Alter, weil sich die Partner gegenseitig helfen können.

    Nur noch die wirklich körperlich und psychisch gesunden Menschen, die zur Aufzucht von Kindern bestens geeignet sind, sollten Kinder bekommen. Auch davon würde die Gesellschaft profitieren.

    Ich nehme an, ähnliche Überlegungen waren bei der Installation der „Homoehe“ maßgeblich.

    Eine besondere Förderung, entweder der Ein- oder Zweigeschlechtlichkeit, wäre ein erstklassiger Regelungsmechanismus zur Geburtenregelung, man forciert je nach Bedarf eine Richtung.

    Ich denke eher modern, trotz meines fortgeschrittenen Alters (75).

  55. @ Schleim

    In diesem Blog trafen wieder einmal die 2 unterschiedlichen Denkrichtungen aufeinander. Einerseits die präzise Wortwahl und Argumentation der Philosophen, andererseits die eher „oberflächliche“ Denke der „mehr sachlich orientierten“ Menschen.

    Balanus der sachorientierte Biologe („inneres Erleben“ von Delfinen – Robotern) bemüht sich sozusagen, von den Philosophen „Absolution“ zu erhalten. Die Philosophen können sie im nicht erteilen.

    Reutlinger hält nicht viel, vorsichtig formuliert, von der „philosophischen Denke“.

    Darum bitte ich Sie Herr Schleim, als studierte Philosoph, nehme an „Schüler“ von Metzinger, mit Informatik im Nebenfach, um Ihre Sicht zur nachstehenden Frage.

    Vertritt die Philosophie noch immer die „harte“ Sicht, wie ich es hier nachstehend beschreibe, oder akzeptiert sie „Toleranzen“ (und Statistik) im technischen Sinne. Wie geht sie mit Wahrscheinlichkeiten um?

    Vor, sagen wir einmal 50 Jahren, ging es um die künftige Möglichkeit „künstlichen Denkens“, Gehirn….

    Ich möchte mich auf die Technik beschränken.

    Grundlegend in der Elektronik/Informatik für die Informationsverarbeitung sind Kippschaltungen. Wenn die nicht prinzipiell immer korrekt in die 2 Zustände „kippen“, wären Computer, zumindest aus technischen, Gründen „unmöglich“. Die Kippschaltungen dürfen keinesfalls in einem undefinierten Zwischenzustand „hängen bleiben“.

    Als Techniker muss ich allerdings einräumen, dass Kippschaltungen ausgerechnet dann, wenn die Baukomponenten (auch nur fast) gleich sind, tatsächlich nicht funktionieren. Dass sie aus „logischen Gründen“ nicht funktionieren können, entspricht genau der philosophischen Denke und teilweise der Realität.

    Die „tatsächliche Realität“ ist allerdings, dass diese Schaltungen „meistens“ funktionieren, weil in der Realität die Baukomponenten mit Toleranzen behaftet, also etwas unterschiedlich sind und der Kippprozess daher („meistens“) funktioniert.

    Wenn der Kippprozess nicht funktioniert, sagen die Elektroniker recht anschaulich: Die Schaltung hat sich „aufgehängt“.
    Dies geschieht bei Computern gelegentlich, obwohl die Techniker viele Tricks ausgeschöpft haben um derartiges zu verhindern. Bei sicherheitsrelevanten Anwendungen gibt es mehrere redundante Systeme und es gelten „Mehrheitsentscheidungen“.

    Es gibt nun einmal Computer, mit den (seltenen) Problemen muss man sich abfinden.

    Wie behandelt die moderne Philosophie die „statistischen Bedingtheiten“?

    Damit wären klassische „philosophische Probleme“ wie: „Ein Kreter behauptet, alle Kreter lügen ….“ Z. B. auf eine statistische Basis gestellt, damit statistisch lösbar…

  56. @ Balanus zum „Saugreflex bei Säugetieren“.

    Der Saugreflex gilt als nur genetisch bedingt, Lerneffekte spielen keine Rolle. Diese Sichtweise kann ich zwar nachvollziehen, allerdings dürfte sie nicht stimmen, was den Ausschluss des Lerneffekts betrifft.

    Lerneffekte, realisiert als Bildung von Synapsen im (entstehenden) neuronalen Netz, gibt es bereits im Mutterleib, noch vor der Geburt.

    Der Saugreflex wird neuronal – elektrisch gesteuert wie z.B. auch die Sprache. Die neuronale Strukturbildung erfolgt gemäß der Hebbschen Regel, E. Kandel hat die chemischen Reaktionsketten erklärt, wenn elektrische, von einer Sensorik oder anderen neuronalen Komponenten kommende Signale, die Synapsenbildung bewirken. Es sind Lernprozesse.

    Bemerkenswert bei Lernprozessen ist, dass auch „abstrakte Muster“ abgebildet werden können, was die Ausbildung von „Intelligenzeffekten“ ermöglicht.

    Ich vergleiche es damit, dass z.B. mathematische „Muster“ (Differentialgleichungen) eines mechanischen Schwingungsvorganges (z.B. einer Feder), auf elektrische Systeme (z.B. einem Schwingkreis aus Induktivität und Kapazität) übertragen werden können. Es ist eine Art von „Dualismus“.

    Anschaulicher formuliert, Techniker die untergegangene Schiffe durch das „Einblasen von Luft“ gehoben haben, sollen deswegen auf diese Idee gekommen sein, weil sie in ihrer Jugend in der Micky Maus gelesen haben, wie der Daniel Düsentrieb mit Tischtennisbällen ein Schiff gehoben hat….

    Bedeutet, auf die Neurologie übertragen: Sobald das neuronale Netz (auch nur in Teilen) existiert, werden sich, entsprechend der darauf z.B. von irgendeiner ebenfalls bereits vorhandenen Sensorik einlangenden Impulse, synaptische Verknüpfungen ergeben.

    Nehmen wir an, es werden Zyklen von Impulsen die beim Organwachstum im frühen Stadium entstehen, System gemäß „abgebildet“. Diese Strukturen können die Signale wechselweise auf andere Strukturen koppeln, die z.B. eine Suche nach der Nahrungsquelle und die Schluckprozesse steuern.

    Die Entstehung der möglichst genau „passenden Neuronen“ zum genau passenden Zeitpunkt ist offensichtlich genetisch (von der „nicht codierenden“ DNA) gesteuert.
    Diese Prozesse sind zunächst „ungenau“. Es kommt z.B. bei „Säuglingen“ vor, dass sie die Milchquelle nicht selbständig suchen. Kleinen Elefanten weisen z.B. „Tanten“ den Weg, oder die Hebamme bei Babys.

    Die Information abbildenden „neuronalen Bahnen“ sind zunächst nicht vollständig ausgeprägt, können aber sehr schnell „lernen“. Über rückkoppelnd sich verstärkende „Lernprozesse“, durch „Versuch und Irrtum“ kann sich dass neuronale System sehr schnell, die Handlungen steuernd entwickeln. Auch die Steuerungsprozesse für sexuelle Handlungen können sich in diesem Sinne entwickeln.

    Ist aus Gründen einer Entwicklungsstörung z.B. der Schluckreflex nicht möglich, weil z.B. die erforderlichen Neuronen einfach nicht vorhanden sind, so ist dies angeblich der Grund, dass z.B. Störche ihr Junges einfach aus dem Nest werfen.

    Mit meinen Texten versuche ich Erklärungen für Phänomene zu liefern, die in der Elektronik/Informatik aufgetreten sind, oder auftreten könnten und die leicht erklärt werden können.

    Es ist mir klar, dass dies für Biologen absurd erscheinen könnte, weil sie eben an die Sichtweisen der Elektroniker nicht gewöhnt sind.

  57. @Elektroniker / angeborener Saugreflex / 25.09.2019, 10:39 Uhr

    Der Punkt, um den es mir bei dieser Saugreflex-Geschichte in Wesentlichen ging, war, dass ab der befruchteten Eizelle die Individualentwicklung genetisch gesteuert wird. Dabei bildet sich ein Gehirn, das alle Voraussetzungen für ein Leben außerhalb des Mutterleibs mitbringt.

    Soweit, so trivial.

    Nach der Geburt beginnen die spezifischen Lernprozesse, um mit der gegebenen Umwelt zurechtzukommen. Das Kind lernt Gesichter zu unterscheiden, zu sprechen, zu laufen, usw.

    Die Frage, die zwischen Stephan und mir kontrovers diskutiert wird ist nun, was beim Lernen die treibenden Kräfte sind: Ist die Umwelt die treibende Kraft, wie Stephan offensichtlich meint, oder liegt sie im Individuum selbst.

    Oder anders formuliert: Welchen Beitrag leistet die Umwelt am Lernen und nachfolgend am adäquaten Verhalten, einen aktiven und/oder einen passiven? Was genau ist damit gemeint, wenn gesagt wird: „Die Umwelt hat größeren Einfluss“?

    Im Übrigen bemühe ich mich nicht, auch nicht sozusagen, „von den Philosophen ‚Absolution‘ zu erhalten“. Die Naturwissenschaften müssen sich ihre Erkenntnisse nicht von der Philosophie absegnen lassen.

  58. @Balanus

    „Welchen Beitrag leistet die Umwelt am Lernen und nachfolgend am adäquaten Verhalten, einen aktiven und/oder einen passiven? Was genau ist damit gemeint, wenn gesagt wird: „Die Umwelt hat größeren Einfluss“?“

    Neugier, Interesse und Ehrgeiz sind grundsätzlich nötig, dass ein Mensch die gegebene Umwelt auch zum Lernen nutzt. Aber was die Umwelt anbietet, ist ja nun auch nicht egal. Wenn ich auf einem Bauernhof aufwachse, mache ich andere Erfahrungen, als wenn ich im 8.Stock eines Hochhauses mitten in der Stadt aufwachse, und nur einmal am Tag aus der Wohnung herauskomme und für eine halbe Stunde mit Mama auf einen Spielplatz darf.

    Die Umwelt in Form von Erziehungsberechtigten, Lehrern, Chefs oder Zustizvollzugsbeamten kann auch sehr aktiv sein. Hier entwickelt sich Lernen manchmal so dynamisch wie im Krieg.

    Es kommt also ganz auf die konkrete Situation und die Ausstattung des Individuums an, was hier aufeinander trifft und wie sich hier welche Art Dynamik entwickelt. Wenn ich einen konkreten Menschen verstehen will, muss ich gucken was das für ein Typ ist, aber auch wo er herkommt und was er durchgemacht hat. Das wichtigste, was ich wissen muss, wenn ich mit jemand umgehe, ist aber, welche aktuellen Ziele der Mensch verfolgt. Wo die Ziele jetzt herkommen, ist erst mal nicht so wichtig. Ob jetzt Umwelt oder Eigeninitiative maßgeblicher sind, hängt oft vom Einzelfall ab, und brauchen tut es immer beides.

    Die Eigeninitiative ist darüber hinaus selbst schon das Ergebnis vom Zusammenspiel von Genen und Umwelt, und kann auch im Laufe des Lebens wieder verloren gehen. So kann eine Depression oder auch Einzelhaft die Eigeninitiative zum Erliegen bringen, und manchmal reicht schon Arbeitslosigkeit aus, dass ein Mensch nichts mehr lernt und nichts mehr macht.

  59. @Balanus: Kultur

    Sexuelle Orientierung ist beim Menschen meiner Meinung nach nicht ohne Kultur zu sehen. Darum geht es auch in diesem Artikel, ja.

    Und Zufall allein erklärt nichts… Genauso gut könnte man auch sagen: “Es war halt Gottes Wille. Und der ist für uns Menschen unergründlich.” Mich befriedigt das nicht.

    Aber immerhin sind wir uns darin einig, dass es wesentliche Unterschiede zwischen Menschen und Tieren gibt, was nicht selbstverständlich ist (man denke etwa an W. Singer oder G. Roth).

  60. @Elektroniker: Toleranz

    Ihre Offenheit freut mich. Mir ging es um bestimmte sprachliche Nuancen.

    Zu der philosophischen Frage muss ich erst einmal passen: Vielleicht ist das ein Andermal ein Thema. Und in der Informatik fand ich interessanterweise gerade die nicht-philosophischen Fächer interessant und belegte Kurse wie Programmieren, Datenbanken und so weiter.

  61. @ Balanus

    Die genetisch gesteuerte Individualentwicklung sehe ich wie Sie.

    Allerdings meine ich, dass Teile des neuronalen Netzes bereits früher, noch im Mutterleib, mit ihrer „Arbeit“ beginnen. So gesehen ist der „Bauch der Mutter“, eigentlich sogar der eigene Körper, vom neuronalen System aus gesehen, die „Umwelt“ des Embryos.

    Sie werden es wohl besser wissen, wie sich das neuronale System vorgeburtlich entwickelt. Jedenfalls dürften sich bei der „informellen Abbildung“ der Entstehungsprozesse, grundlegende Elemente der „Programmstrukturen“ entwickeln, z.B. zur Steuerung des Schluckreflex.

    Es ist eine uralte Streitfrage zwischen Neurologen und Psychologen welcher Einfluss größer oder überhaupt bedeutsam ist, die Genetik oder die Umwelt. Möglicherweise wurde eine Person in meiner Umgebung sogar als „Versuchskarnickel“ zur Klärung dieser Frage „benutzt“.

    Mein persönlicher, nicht ganz fachmännischer Eindruck ist, beides „schlägt“ durch.

    Eines scheint klar, der Mensch muss sich ganz entscheidend gegen die „Umwelt“ durchsetzen, abgesehen davon was man unter „Umwelt“ überhaupt versteht.

    Lernen baut eindeutig kumulativ auf die (hauptsächlich, aber nicht nur) von außen gesteuerten Synapsenbildung auf der jeweils bestehenden neuronalen Struktur auf.

    Ich würde ganz vage vermuten, dass der „Lernerfolg“ auch von der genetisch gesteuerten, mehr oder weniger „intensiven Ansammlung“ der verschiedenen Neuronentypen, aber auch von der „Gehirnchemie“, beides an bestimmten Orten im Gehirn abhängt. Die Chemie dürfte eher auf die „Triggereigenschaften“ der Neuronen einwirken, so ähnlich wie „empfindlich – weniger empfindlich“. Die Synapsenbildung ist bewiesen (E. Kandel), wie auch dass stärkere Ansammlung von Neuronenverbänden an bestimmten Orten, z.B. bei Geigern, relevant für deren größeren Erfolg stehen. Meine persönlichen „Vermutungen“ beziehe ich auch aus dem Verhalten elektronischer Schaltungen.

    Ein Problem dürfte sein, dass ein Psychologe die häufigen „Umwelteinflüsse“ schnell und leicht erkennen kann, andererseits genetische Ursachen höchstens nur vermutet, aber kaum bewiesen werden können, wenn nicht gerade eine offensichtliche Besonderheit (Trisomie 21, Klinefelter-Syndrom, ….) vorliegt.

    Vermutlich machen „Umwelteinflüsse“ häufiger Probleme. Es geht wohl auch um eine optimale Verteilung der Forschungsgelder.

  62. Tobias Jeckenburger / Umwelt “Einfluss”/ 25.09.2019, 18:40 Uhr

    »Aber was die Umwelt anbietet, ist ja nun auch nicht egal.«

    Ich würde es eher so formulieren: Was der Mensch in der Umwelt vorfindet, ist nicht egal. Denn davon hängt ab, was er lernen kann.

    »Die Umwelt in Form von Erziehungsberechtigten, Lehrern, Chefs oder Zustizvollzugsbeamten kann auch sehr aktiv sein. «

    Zweifellos. Aber auch diese Aktivitäten sind etwas, was der Mensch vorfindet oder eben erleiden muss, je nachdem.

    Aber wie auf solche Erfahrungen reagiert wird, wie sie verarbeitet werden, ist eben allein Sache des Individuums. Wenn z. B. ein kleines Kind extrem vernachlässigt wird, können epigenetische Marker gesetzt werden, die dann lebenslang den Neurotransmitterspiegel negativ beeinflussen (grob gesprochen, es geht mir nur ums Prinzip).

    Ich halte es für einen wichtigen Gedanken, dass Menschen nicht durch äußere Aktionen psychischer Art geprägt werden (im Wortsinne, so wie eine Münze durch Druck von außen geprägt wird), sondern dass es sich hierbei um eine Art Selbstprägung handelt, in Reaktion auf die erlebte Umwelt.

  63. @Elektroniker // 25.09.2019, 20:39 Uhr

    »Allerdings meine ich, dass Teile des neuronalen Netzes bereits früher, noch im Mutterleib, mit ihrer „Arbeit“ beginnen.«

    Sicher, aber uns interessiert hier ja insbesondere die Umwelt, die nach der Geburt erlebt wird.

    »Es ist eine uralte Streitfrage zwischen Neurologen und Psychologen welcher Einfluss größer oder überhaupt bedeutsam ist, die Genetik oder die Umwelt.«

    Ja, das ist seltsam. Wenn man sich vor Augen führt, wie ein biologischer Organismus (inklusive Mensch) funktioniert, dann stellt sich die Frage so eigentlich nicht.

    »Ein Problem dürfte sein, dass ein Psychologe die häufigen „Umwelteinflüsse“ schnell und leicht erkennen kann, …«

    Der Mensch muss auf Umweltereignisse situativ angemessen reagieren. Dazu benutzt er sein Gehirn (sozusagen). Wie er das im Einzelnen tut, hängt von seiner Konstitution bzw. Verfasstheit ab (was die sogenannte Psyche mit einschließt). Und die sind das Ergebnis von gengesteuerten Entwicklungsprozessen, welche selbstredend beeinflusst sind von den erlebten Erfahrungen und Lernprozessen.

    Leicht erkennen kann man „Umwelteinflüsse“ aber nicht immer. Siehe das aktuelle Blogthema. Man kann zwar leicht sagen, „die Umwelt hat größeren Einfluss“, aber man kann das nicht im Einzelnen benennen oder gar belegen. „Umwelt“ bleibt insofern ein leerer Begriff.

  64. @ Balanus

    Zitat: „Leicht erkennen kann man „Umwelteinflüsse“ aber nicht immer. Siehe das aktuelle Blogthema. Man kann zwar leicht sagen, „die Umwelt hat größeren Einfluss“, aber man kann das nicht im Einzelnen benennen oder gar belegen. „Umwelt“ bleibt insofern ein leerer Begriff“

    Beim Blogthema ist es sicherlich sehr schwer bis unmöglich den Einfluss der Umwelt zu erkennen.

    Ich meine aber, dass z.B. der Hausarzt sehr schnell einen „Umwelteinfluss“ erkennt. Es kann sehr häufig die Familie sein, der schlecht bezahlte Job, die Nachbarschaft, aber natürlich auch eine „tatsächliche“, allenfalls temporär auftretende psychische Erkrankung.

    Es dürfte auch starke Wechselwirkungen mit körperlichen Erkrankungen geben.

  65. @Kultur und Gene

    Man kann das letztlich so sehen, dass ohne die genetische Ausstattung die Umwelt nicht adaptiert werden kann. Dennoch macht es Sinn, die Umwelt als eigene Beschreibungsebene einzuziehen. Bei gegebener genetischer Ausstattung hat die konkret erlebte Umwelt Auswirkungen darauf, wie sich ein Mensch entwickelt.

    Ein Spezialfall von Umwelt ist hier die gegebene Kultur, die sich selbst wiederum im Miteinander über die Generationen entwickelt. Man ist selbst Teil der Kulturentwicklung, die Kultur entwickelt sich aus den Einzeleinsichten der Menschen, und daraus wie die Medien den Austausch ermöglichen und gestalten. Ein Teil der herrschenden Gesetze folgt dann wiederum auch dem jeweiligen Stand der Kulturentwicklung.

    So macht es dann für Homosexuelle einen riesengroßen Unterschied, ob homosexuelle Handlungen verboten oder erlaubt sind.

    Von mir aus kann man auch unsere Kultur auf unsere Gene zurückführen, weil unsere Konstitution letztlich auch am kulturellen Entwicklungsprozess beteiligt ist. Andererseits kann man die Auffassung, dass die Gene entscheidend für alle menschlichen Lernprozesse sind, auch wieder als kulturelles Faktum betrachten.

    So oder so, die Eigeninitiative des einzelnen Menschen hat großen Einfluss darauf, wie er mit seinen genetischen Möglichkeiten auf die gegebene Umwelt reagiert. Eigeninitiative ist nicht nur rein genetisch. Der Faktor Eigeninitiative hat auch was mit kulturellen Bedingungen zu tun. In einer offenen Gesellschaft kann man eher seine eigenen Wege gehen, und durch die neuen Medien wird wiederum der Einfluss des Einzelnen auf die Entwicklung der Kultur größer.

    Wir haben es aktuell mit einer Verstärkung des Pluralismus zu tun, durch die neuen Medien diversifiziert sich zunehmend der kulturelle Prozess. Ob das jetzt auf die Dauer gut oder schlecht ist, weis ich nicht so recht. Einerseits wird die Diskussion vielfältiger und authentischer, andererseits machen sich in anderen Bereichen Lügengeschichten breit. Der Rückgang der Kontrolle durch die alten Medien hat beides zur Folge.

  66. @Elektroniker // 26.09.2019, 00:03 Uhr

    »Ich meine aber, dass z.B. der Hausarzt sehr schnell einen „Umwelteinfluss“ erkennt. […]
    Es dürfte auch starke Wechselwirkungen mit körperlichen Erkrankungen geben.
    «

    Zu den „Wechselwirkungen“:

    Stellen Sie sich bitte ein autonomes Fahrzeug auf einer kurvenreichen Straße vor. Würde Sie als Elektroniker sagen, dass es da eine echte Wechselwirkung zwischen Straße und Fahrzeug gibt? Schließlich beeinflusst der Straßenverlauf die Lenkbewegungen Wagens. Verliefe die Straße anders, würde der Wagen anders reagieren. Also ist doch die Straße die beste Erklärung dafür, wie sich der Wagen verhält.

  67. @Balanus selbstfahrendes Auto

    Wenn jetzt das selbstfahrende Auto für Google-Maps unterwegs ist und die Umgebung fotografiert, um sie ins Kartenwerk aufzunehmen, geht es nicht um die Steuerung des Autos dabei. Das Kartenwerk ist hinterher das, was interessant ist.

    So ist es doch in unserem Leben auch. Erstmal muss man gucken, wie man überhaupt durchs Leben kommt, andererseits sammelt man in sich doch auch das Leben ein. Mein größter Lebensschatz sind doch die Eindrücke der Welt in mir, und die Verbindung der Welt mit mir, die dadurch realisierbar ist.

    Das wirkt sich dann hinterher wieder auf meine Vorstellungen, Ziele und Handlungen aus.

  68. @ Balanus

    Zitat: „Stellen Sie sich bitte ein autonomes Fahrzeug auf einer kurvenreichen Straße vor. Würde Sie als Elektroniker sagen, dass es da eine echte Wechselwirkung zwischen Straße und Fahrzeug gibt? Schließlich beeinflusst der Straßenverlauf die Lenkbewegungen Wagens. Verliefe die Straße anders, würde der Wagen anders reagieren. Also ist doch die Straße die beste Erklärung dafür, wie sich der Wagen verhält.“

    Ich verstehe allerdings nicht ganz, worauf Sie hinaus wollen? Das würde ja bedeuten, dass sich das Auto total anpasst und das System nur von den äußeren Umständen abhängig reagiert, was man allerdings vom Auto erwarten muss.

    Es ist die Frage, wie stark von den Wechselwirkungen, jeweils die Wirkung von einer Seite auf die andere Seite ist, es kann sich auch sehr unsymmetrisch verhalten.

    Denkt man sich das Auto Beispiel erweitert, so dass das Auto zusätzlich sehr oft über einen sehr steilen Berg fährt, hätte die Fahrt z.B. Auswirkungen auf die Abnützung der Bremsen.

    Bei Menschen verhält es sich eher komplex, es hängt offenbart auch sehr vom Typ ab. Ich habe von Medizinern gehört, dass Menschen die ihren Job verlieren plötzlich krank werden, obwohl die beruflichen Belastungen eigentlich wegfallen. Bei anderen scheinen die Belastungen der Grund für die Erkrankung.
    Manche Ärzte vermuten einen starken Einfluss der Psyche auf körperliche Erkrankungen und umgekehrt.

    Neurologen sehen eher „reale“, z.B. chemische Ursachen, für psychische Besonderheiten.

    Psychologen eher den Umweltbedingungen. Beides ist ganz nahe liegend.

    Habe einmal ein Interview gehört, ich glaube es war mit einer Psychologin, die hat gemeint dass die Auseinandersetzungen bei Kongresse zwischen den beiden Lagern wesentlich geringer geworden sind, seit man mehr über das Gehirn weiß, auch dass es sich ähnlich verhält wie bei Hardware/Software in der Informatik. Die Grenzen sind in der Biologie allerdings fließender als in der Technik.

    Es gibt jetzt sozusagen „abgrenzbare“ Zuständigkeiten, was eigentlich von Vorteil wäre.

    Ich bin kein Insider (der Medizin) und kann nur Einzelfälle beobachten. Habe aber den Eindruck, dass der Patient von den unterschiedlichen Sichtweisen der jeweiligen Fachgebiete nicht betroffen ist und eigentlich recht erfolgreich behandelt wird.

  69. Autonomes Fahren

    @Elektroniker

    »Ich verstehe allerdings nicht ganz, worauf Sie hinaus wollen?«

    Autonomes Auto und Straße stehen in einer ähnlichen Kausalbeziehung zueinander wie Mensch und Umwelt.

    Aufs Thema bezogen:

    Die Fahrzeuge werden zwar vollautomatisch produziert, aber die vom Band laufenden Wagen variieren etwas: Die meisten fahren auf der Straße nur rechts (Hetereos), einige nur links (Homos), und der Rest irgendwo dazwischen.

    Frage: Welche Relevanz hat die Straße (= Umwelt) auf das Fahrverhalten der Fahrzeuge? Außer dass eben der Straßenverlauf die Lenkbewegungen „bestimmt“? („Bestimmt“ in Tüttelchen, weil es keine Kausalbeziehung im physikalischen Sinne gibt).

    @Tobias Jeckenburger

    »Wenn jetzt das selbstfahrende Auto für Google-Maps unterwegs ist und die Umgebung fotografiert, um sie ins Kartenwerk aufzunehmen, geht es nicht um die Steuerung des Autos dabei. Das Kartenwerk ist hinterher das, was interessant ist.«

    Das wäre der nächste Schritt, aber noch sind wir (bin ich) bei der Wechselwirkungsfrage bezüglich Straße und Auto. Wenn das Fahrzeug die gefahrenen Strecken aufzeichnet und abspeichert, dann kommt noch ein „Gedächtnis“ hinzu. Dann braucht man nur ein Ziel einzugeben, und schon sucht und findet das Auto selbsttätig (autonom) den passenden Weg dorthin. Aber auch in diesem Szenario kommt der Umwelt Straße keine gestaltende Wirkkraft zu. Darauf kommt es (mir) an, darauf wollte ich hinaus.

  70. @Balanus Kausalbeziehungen

    Die Kompetenz von Selbstfahrsystemen ist der entscheidende Faktor, wenn es darum geht, ob diese Systeme funktionieren. Straßen braucht es aber auch.

    Noch ein Beispiel für Fahrzeuge: Wenn eine Abkürzung für den Hauptverkehr durch eine Wohnstraße geht, an der auch noch eine Schule liegt, nützen Schilder „Bitte nicht diese Straße als Abkürzung benutzen“ wenig. Die Autos wollen dadurch, Selbstfahrende sowieso und alle Navis lotsen auch die von Menschen gesteuerten Autos durch die Abkürzung. Wenn ich jetzt aber ein Schild „Durchfahrt Verboten Anlieger frei“ aufstelle, dann kann ich doch den Verkehrsfluss effektiv verändern. Die Autos machen immer noch was sie wollen, aber durch geschickte Eingriffe wie Verbotsschilder kann ich sie doch wirkungsvoll beeinflussen.

    Ein Ähnliches Beispiel ist die Kriminalitätsrate. Will ich die senken, muss ich irgendwie dafür sorgen, das männliche Jugendliche zwischen 12 und 20 Jahren möglichst selten ohne Ausbildung oder Arbeitsplatz da stehen. Denn genau in dem Milieu entwickelt sich eine zu Kriminalität neigende Persönlichkeit. Das heißt überhaupt nicht, das Kriminelle deswegen weniger schuldig sind, jeder Kriminelle hat sich selbst dazu entschlossen, kriminell zu werden. Hier kann man dann nur mit Strafe, Bootcamp oder Milieutherapie reagieren. Das ist aber alles sehr teuer. Wesentlich kostengünstiger wäre es meistens, wenn man dafür sorgt, dass eben die Jugendarbeitslosigkeit niedrig ist.

    Viele männliche Jugendliche haben die Anlage kriminell zu werden, aber ohne die Jugendarbeitslosigkeit als Auslöser werden sie es dann eben wesentlich seltener. Die Entscheidung für die kriminelle Karriere liebt ganz beim Jugendlichen selbst, aber durch Senkung der Jugendarbeitslosigkeit kann ich doch diese Entscheidung wesentlich unwahrscheinlicher machen und so Kriminalität ganz entschieden reduzieren.

    Die Philosophische Einordnung von der Ursache von Kriminalität spielt in der Praxis keine so große Rolle. Der Mensch macht immer was er will, aber durch veränderte Rahmenbedingungen kann ich in gewissen Grenzen tatsächlich beeinflussen, wie er sich verhält.

  71. @Tobias Jeckenburger // 27.09.2019, 13:27 Uhr

    »Die Autos machen immer noch was sie wollen, aber durch geschickte Eingriffe wie Verbotsschilder kann ich sie doch wirkungsvoll beeinflussen.«

    Nur dann, wenn ich ein entsprechendes Bilderkennungssystem einbaue. Es braucht Sensoren, die ein Helligkeits- und Farbmuster registrieren und entsprechend des Musters irgendwelche Schaltungen aktivieren. Es hängt also allein von der Beschaffenheit des Fahrzeugs ab, ob ein Verkehrsschild „Einfluss“ nehmen kann, das heißt: ob das Schild „erkannt“ wird.

    » Viele männliche Jugendliche haben die Anlage kriminell zu werden, …«

    So etwas habe ich vor vielen Jahren hier auf MENSCHEN-BILDER auch schon mal geäußert. Stephan „was not amused“.

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