2.000 demonstrierten in Den Haag für Hochschulbildung und Wissenschaft

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Weitere Aktionen sind geplant, um die neuen Millionenkürzungen zu verhindern

Die Lage an den niederländischen Universitäten ist gespannt: In den Krisenjahren wurden die Budgets ordentlich gekürzt. Seit Jahren klagt nun das Personal über den hohen Arbeitsdruck, die unzureichende Finanzierung der Lehre und die geringen Erfolgschancen beim Anfragen von Forschungsmitteln. Oft sind die nicht höher als 15%, dabei hängt für viele der Verbleib in der Wissenschaft von solchen Geldern ab.

In diesem Klima kündigte das seit rund einem Jahr regierende, inzwischen dritte Kabinett unter der Führung Marc Ruttes weitere Kürzungen für die Hochschulen und Universitäten an. Besonders enttäuscht hat dies viele, da die mitregierende Partei Democraten 66 zurzeit die Ministerin des Bildungs- und Wissenschaftsministerium stellt. Diese liberal-bürgerliche Partei betont im Wahlkampf gerne die Bedeutung von Bildung.

Auch die Studierenden sind zunehmend gereizt. Seit dem Abschaffen der Studienfinanzierung, einer Art BAFöG, vor ein paar Jahren starten einige nun mit 20.000 Euro Schulen oder mehr ins Berufsleben. Oder wer sich weniger Geld leihen will, muss mehr nebenbei arbeiten, was dann aber zu Lasten des Studiums gehen kann. Zudem klagen Studierende auch über ihre gestressten Dozierenden.

Im September gab es bereits einige Protestaktionen gegen die neue Kürzungsrunde. So veranstalteten Dozierende Seminare und Vorlesungen auf öffentlichen Plätzen, um auf die prekäre Lage in ihrem Arbeitsumfeld hinzuweisen. Vielerorts trugen Studierende sowie Dozierende rote Vierecke an ihrer Kleidung als Zeichen des Protests oder wurde das Symbol gar auf Universitätsgebäude gesprüht.

Jetzt veranstaltete das Aktionsbündnis WOinActie eine Demonstration in Den Haag. Am Freitag, den 14. Dezember, versammelten sich bei Temperaturen rund um den Gefrierpunkt laut Polizeiangaben rund 2.000 Teilnehmende für die zweistündigen Kundgebungen und Marsch durch die Innenstadt. Die vielen Studierenden prägten das Bild der Demo, doch auch wissenschaftliches Personal aller Altersgruppen sah man zuhauf.

Am Koekamp, in Laufweite des Den Haager Hauptbahnhofs, fanden die Kundgebungen statt. Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft befand sich in Sichtweite: Das spitze Hochhaus hinter der “Rabobank”. Bild: S. Schleim

“Weniger Zinsen, mehr Dozenten!”, “Bildung ist ein Recht! Kämpf, kämpf, kämpf!”, “Ohne Wenn und Aber: Keine Bildungskürzungen!” oder “Wie spät ist es? Solidarität!” skandierten die Demonstrierenden abwechselnd auf niederländisch und englisch. Bei dem geplanten Abstecher zum Wissenschaftsministerium blieb die Menge eine Weile vor dem Gebäude stehen und verursachte extra viel Lärm. Eine Reihe von Polizeibeamten schützte vorsorglich den Eingang. Von der Ministerin hieß es im Vorfeld der Demo, dass es keine Stellungnahme gebe.

Vor dem Ministerium stoppte der Demonstrationszug für eine Weile. Auf beiden Seiten der Gracht standen die Teilnehmenden und verursachten Lärm. Die Ministerin zeigte sich jedoch nicht. Bild: S. Schleim

Die Organisatoren zeigten sich jedoch mit der Teilnahme zufrieden und kündigten weitere Aktionen an. Zunächst soll im Januar auf die Demo ein landesweites Planungstreffen folgen. Für den März haben die Gewerkschaften FNV und VAWO für den öffentlichen Dienst beziehungsweise Bildung und Wissenschaft eine weitere Aktionswoche angekündigt.

WOinActie fordert konkret die Abschaffung der angekündigten weiteren Kürzungen in Höhe von 183 Millionen. Stattdessen soll die Finanzierung auf das Niveau des Jahres 2000 zurückgebracht werden. Eine ans Ministerium gerichtete Petition, um den Bildungsabbau zu stoppen, wurde inzwischen von über 5.000 Personen unterzeichnet.

Der studentische Rapper aus Amsterdam verbreitete revolutionäre Stimmung. Das Transparent im Hintergrund spielt auf die prekäre Situation der Geisteswissenschaften an vielen Orten an: “I see humans, but no humanities.” Bild: S. Schleim

An dem Aktionsbündnis fällt auf, dass es von den Leitungen aller großen niederländischen Universitäten unterstützt wurde. Daher brauchten Dozierende oder Studierende, die an der Demo teilnahmen, vielerorts keinen Urlaubstag zu nehmen beziehungsweise Fehlzeiten zu fürchten. So fielen teilweise Kurse oder gar Klausuren aus, sodass die Tageszeitung De Volkskrant gar vom ersten Universitätsstreik in der Geschichte der Niederlande sprach.

An manchen Unis ging die Unterstützung so weit, dass von offizieller Seite Busse für die An- und Abreise bereitgestellt wurden. Dem restlichen Personal wurde von den Gewerkschaften die Erstattung der Reisekosten angeboten. Sogar eher elitäre Kreise wie die Junge Akademie der Niederländischen Königlichen Akademie der Wissenschaften oder das Lobbynetzwerk der Universitäten VSNU stellte sich hinter WOinActie.

Die Demonstration verlief friedlich. Doch hing ein Hauch von Spannung in der Luft. So schloss der Initiativnehmer Rens Bod, Professor an der Universität von Amsterdam, die Veranstaltung kampfesmutig ab: “Wir sind noch nicht fertig. Erwartet noch nicht zu viel aus Den Haag. Aber wir wachsen. Wenn wir das wollen, dann können wir jetzt schon die Universitäten blockieren!”

Man denkt dabei an die Hausbesetzungen an der Universität von Amsterdam im Jahr 2015 in Reaktion auf die Unzufriedenheit mit der Universitätsleitung und angekündigte Schließungen von Studienfächern (Erste Erfolge für studentische Proteste in Amsterdam). Letztlich musste die Uni-Präsidentin ihren Hut nehmen, da sie das Vertrauen ihrer Studierenden und ihres Personals verloren hatte.

An vielen Universitäten wird seitdem mit mehr Nachdruck Mitspracherecht für die Betroffenen eingefordert. An der Universität Groningen führte das dieses Jahr beispielsweise dazu, dass die langjährigen und millionenschweren Pläne, zusammen mit der chinesischen Universität von Yantai einen neuen Campus aufzubauen, vom Universitätsrat gekippt wurden. Dabei hatte auch die Geheimniskrämerei der Universitätsleitung eine Rolle gespielt.

Ein aus Amsterdam angereister Rapper schloss die Veranstaltung musikalisch ab, was vor allem den Studierenden gefiel. Mit seinem letzten Lied erinnerte er an einen spontanen Marsch für Bildung und Wissenschaft vom September in der Hauptstadt, an dem fünfhundert Menschen teilgenommen hätten, bis dieser von der Polizei mit Gewalt aufgelöst worden sei.

Deutlich ist, dass WOinActie und seine Unterstützer noch nicht das letzte Wort gesprochen haben. Durch das Ignorieren der Aktionen und Proteste seitens der Politik dürften in den kommenden Monaten wohl immer größere Aktionen provoziert werden. Insbesondere den Democraten 66 droht ein Ansehensverlust, wenn sich jetzt sogar die Bildungselite gegen ihre Politik der Kürzungen stellt.

Hinweis: Dieser Beitrag erscheint parallel auf Telepolis – Magazin für Netzkultur. Der Autor ist Dozent an der Universität Groningen und Mitglied der Gewerkschaft VAWO.

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9 Kommentare

  1. Bildung und Wissenschaft sind abstrakte Begriffe,
    unter denen man sich viel vorstellen kann. Das kann auch Forschung für ABC Waffen beinhalten. Der Bürger, Wähler und Steuerzahler hat ein Recht zu erfahren, wofür und woran konkret geforscht wird. Ein praktisches Beispiel würde doch reichen. Die Studierenden sollten sich mal von einer Werbeagentur beraten lassen.
    Das sollte jetzt keine Kritik am Demonstrieren werden, Kürzungen im Bildungsbereich sind kurzsichtig, aber von der zukünftigen Elite eines Landes erwartet man mehr.
    Ich erinnere an die Friedensmärsche in den sozialistischen Ländern der 70iger Jahre. Das war reines Kalkül der damals Regierenden. Damit die Demonstrationen der Studierenden nicht nur als Besitzstandswahrung verstanden werden sollen, sondern als echte Sorge um die Zukunft, da verlange ich mehr als nur Schlagworte.

  2. @christ: PR

    Nun ja, den Studierenden geht es ja erst einmal nur um eine anständige Bildung, nicht um ein konkretes Forschungsvorhaben. Und die Wissenschaftler kommen eben aus vielen Bereichen.

    Vielleicht haben Sie missverstanden, dass hier nicht nur eine bestimmte Forschergruppe demonstrierte, sondern Akademiker schlechthin.

  3. “Der Bürger, Wähler und Steuerzahler hat ein Recht zu erfahren, wofür und woran konkret geforscht wird.”

    Das klingt so, als wäre das ein gut gehütetes Geheimnis der Eliten. Es ist doch eher umgekehrt. Der Bürger, Wähler und Steuerzahler hat in der Regel kein Interesse daran, sich darüber zu informieren, er wäre überfordert, die gesamte Förderung zu überblicken und könnte es im Einzelfall auch nicht beurteilen, ob es Sinn macht “wofür und woran konkret geforscht wird.”

    Aber man kann mit solchen Sprüchen natürlich Stimmung machen.

  4. Stephan Schleim
    …Akademiker schlechthin…. das ist schon klar.
    Was ich sagen wollte, dass es gut ist seinen Unmut kund zu tun, aber es wäre noch besser , wenn man ein konkretes Ziel angibt. Die Lokführer streiken und demonstrieren ja nicht nur , um auf sich aufmerksam zu machen, die stellen konkrete Forderungen.
    Als praktisches Beispiel meinerseits, wir liefen über den Marktplatz un da kamen Leute mit Arbeitskleidung und demonstrierten. Ich musste erst mal fragen, wofür demonstriert ihr ?
    Die Demonstranten vergessen zu leicht, dass die Zuschauer keine Gedanken lesen können.

  5. @christ: Forderungen

    Nun ja, auf der Demo hieß es vor allem, gegen die Kürzungen, den Arbeitsdruck und die Studienkredite zu sein.

    In der Petition ist das bis aufs Detail ausformuliert, u.a. Finanzierung der Hochschullehre zurück auf das Niveau von 2000.

    Wie konkret hätten Sie es denn gerne?

  6. Stephan Schleim,
    ich war nicht dabei, Sie wissen es besser. Dann waren meine Forderungen ja unbegründet.
    Zur Erinnerung, die Studentenunruhen 1968, bei denen war ich dabei, die gingen auch speziell gegen Professoren und den Dekan. Also neben der Sache gegen die Verusrsacher.
    Frohe Weihnachten.

  7. Hmja, wer auf der Straße gruppiert herum rennen will, darf dies tun, die derart verbreiteten Slogans will Dr. W gerne wie nach dem Zitat folgend interpretieren :

    “Weniger Zinsen, mehr Dozenten!”, “Bildung ist ein Recht! Kämpf, kämpf, kämpf!”, “Ohne Wenn und Aber: Keine Bildungskürzungen!” oder “Wie spät ist es? Solidarität!”

    Bildung ist ein Menschenrecht in der 48er-Deklaration, es wird heutzutage bereits, wie viele finden, über das Web abgedeckt, akademische Grade sind kein Menschenrecht, ‘Solidarität’ ist ein marxistischer Begriff, gemeint ist in etwa, dass eine Gruppe Menschen derart auftritt, dass sie als sozusagen Monolith erscheint, die Einzelnen nicht mehr erkennbar sind, und zudem gilt : Geld kommt hier vom Steuerzahler, dem demokratischen Souverän, der nicht unbedingt derart, wie gefordert, zu unterstützen bereit sein muss.
    Er könnte zumindest direkt gefragt werden wollen.

    Hier muss sich nichts vorgemacht werden, viele Studenten (“Studierende”, jeweils liegt ein substanziiertes PPA vor – ein sprachlicher Unterschied besteht nicht) “bringen” es nicht, sollten nicht in die Academia auf Steuerzahlerkosten beigefügt werden.

    Die ‘Democraten 66’ stehen in den Niederlanden politisch links, Dr. W bspw. ärgert sich seit jeher, wenn diese als liberal gekennzeichnet werden. (Dr. W hat lange Zeit, an der niederländischen Grenze gewohnt habend sich niederländischem Radio ausgesetzt.)
    ‘Links’ und ‘liberal’ sind Antonyme, es ist unmöglich im liberalen Sinne dem philosophischen Individualismus (wir erinnern uns, der Liberalismus hat gewonnen, die gesellschaftlich im Sinne der Aufklärung aufgestellten Systeme sind liberal, es wird korrekt von liberaler Demokratie geschrieben und gesprochen) anzuhängen und gleichzeitig dem (moderaten) internationalistischem Kollektivismus, der das politisch Linke meint.

    Wissen Sie ja auch alles, Herr Dr. Stephan Schleim; was der Schreiber an Ihnen mag und sehr, se-her schätzt, ist, dass Sie auch gegenredende und unbekömmlich erscheinen müssende Meinung zulassen, in Ihrem Kommentariat.
    Insofern liberal sein müssen.

    MFG
    Dr. Weihnachtswebbaer

  8. @Webbär: Was ist links oder liberal?

    Dem kann ich so nicht zustimmen. Es kann auch sein, dass D66 heute anders ist als zu der Zeit, in der Sie noch an der niederländischen Grenze gewohnt haben.

    Jedenfalls betont D66 die Selbstbestimmung, z.B. in Grenzfragen des Lebens, und ebenso die Eigenverwantwortlichkeit und gilt sie als Bildungsbürgerlich. Das sind für mich eher typisch liberale Positionen. Zudem habe ich schon mehrmals gehört, dass viele Richterinnen und Richter für die Partei stimmen.

    Das ist für mich etwas Anderes als die Partei der SP oder auch der – kaum noch nennenswert vertretenen – PvdA (die man in Deutschland mit der SPD vergleichen könnte).

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