Buckelwale – von „Recovery“ zu „Climate Response“

Seit dem Ende des kommerziellen Walfangs haben sich die Buckelwalbestände auch im Nordpazifik erholt. Die ikonischen Großwale mit den langen weißen Flippern gehören zu den besterforschten Meeressäugern, die Entdeckung ihrer Gesänge hat maßgeblich mit zum Ende des kommerziellen Walfangs 1976 und Beginn des Walschutzes beigetragen. Diese Massaker hatten nur etwa 1200–1600 Buckelwale (Megaptera novaeangliae) überlebt, mittlerweile hatten sie sich erholt.
Jetzt zeigt eine neue Studie, dass die Meereserwärmung in Folge der Klimakrise die Bestände wieder dezimiert: Zwischen 2012 und 2021 sind 7000 Buckelwale im Nordpazifik verschwunden – vermutlich sind sie verhungert. Der Titel der Publikation verrät den Inhalt: Vorreiter von Veränderungen, von „Erholung“ zu „Klima-Reaktion“ – „Bellwethers of change: population modelling of North Pacific humpback whales from 2002 through 2021 reveals shift from recovery to climate response“ (s. u.).

„Happywhale“ – Facebook für Buckelwale

Buckelwale halten sich oft in Küstennähe auf, ihre Kapriolen an der Meeresoberfläche sind weithin sichtbar: Sie schlagen mit den langen weißen Flippern und zeigen die Fluke. Ein besonderes Showelement ist ihr häufiges Breaching, dabei hieven die Giganten ihre 14 bis 17 Meter langen und 40 Tonnen schweren Körper ganz aus dem Meer fallen nach einem Luftsprung mit einem lauten Platschen wieder zurück in den Ozean. Das macht sie zu Traumwalen des Whale Watchings. Ihre komplexen Gesänge sind im Reich der Meeressäuger einzigartig, die Männchen singen jährlich wechselnde Lieder, um die Aufmerksamkeit der Weibchen zu erhalten, und werden von Forschern als Sprache eingestuft.

Buckelwal (Wikipedia: Whale, Megaptera novaeangliae. Modified from public domain source (https://www.flickr.com/photos/51647007@N08/5077889241/) by en:User:Jdforrester and en:User:Ed g2s)

Gerade das Oberflächenverhalten ermöglicht ihre häufige und einfache individuelle Identifizierung: Bei Buckelwalen ist die Unterseite der gewaltigen Schwanzflosse (Fluke) in Umriss und Färbung einzigartig wie ein menschlicher Fingerabdruck. Bei jedem Abtauchen erheben sie die Fluke weit und gut sichtbar aus dem Wasser, so kann sie leicht fotografiert und wiedererkannt werden (Foto-Identifikation).

“How it works: We identify your whales by their unique markings” (https://happywhale.com/home)

Die nordpazifischen Buckelwale fressen sich in flachen Küsten- und Schelfgewässern vor Russland, der Beringsee, Alaska, British Columbia, Washington, Oregon und Kalifornien fett. Die kalten sauerstoff- und nährstoffreichen Gewässer sind hoch produktiv, auf dem Speiseplan der wenig wählerischen Meeresriesen stehen 1,5 Tonnen Plankton wie Krill oder auch kleine Schwarmfische täglich. Die untersetzten Wale mit dem buckligen Rücken und dem knolligen Profil tauchen meist ab und stoßen dann von unten mit weit geöffnetem Maul nach oben, dabei schöpfen sie mit dem Maul die kleinen Meereswesen tonnenweise ab (Leider auch Mikroplastik, aber das ist eine andere Geschichte). Je nach Beute ist ihr Fressverhalten unterschiedlich, oft fressen sie in Gruppen mit perfekten synchronisierten Bewegungen. Gerade für Schwarmfische wie Heringe legen sie auch gern „Bubble Nets“ – Netze aus Luftblasen. Vom Nordpazifik aus ziehen sie dann, fett gefressen, nach Süden in ihre Kinderstuben und Paarungsgebiete in den Gewässern vor Japan, den Philippinen, den Marianen, Hawai´i, Mexiko und Mittelamerika.

Wie alle Meeressäugerarten gelten für sie hohe Schutzkategorien, so dass die Naturschutz- und Fischereibehörden einen staatlichen Auftrag zum Walmanagement haben. Darum werden diese Wale gerade in US-Gewässern schon sehr lange und intensiv beobachtet und erforscht, mit erheblichem personellen und finanziellen Aufwand. Neben den Forschern haben auch andere Walbeobachtungsteams, Kajakfahrer und viele weitere Menschen insgesamt Hunderttausende Fotos der leicht zu beobachtenden und zu identifizierenden Buckelwale ihre Fotos auf happywhale.com hochgeladen, einer Citizen-Science-Website.
Ted Cheeseman hatte gemeinsam mit Ken Southerland 2015 happywhale.com mitbegründet hat und leitet das Projekt. Diese ständig wachsende Datenbank nutzt künstliche Intelligenz, um die individuellen Formen und Muster auf der Unterseite der Fluken abzugleichen. happywhale.com verfolgt die Wale rund um den Globus, bisher haben Nutzer mehr als 782.000 Fotos von 285.000 Buckelwal-Begegnungen eingereicht, was zur Identifizierung von mehr als 109.000 einzelnen Walen weltweit geführt hat. Besonders wichtig sind Fotos aus Gebieten, die durch Forschungsprojekte nicht abgedeckt werden.

Fluktuierende Bestände und Fortpflanzung

So lassen sich mit solch einem Datenschatz Veränderungen in Walpopulationen weltweit verfolgen. Cheesemann ist Doktorand an der Southern Cross University, Lismore, Australien, und Hauptautor der neuen Publikation – die 75 Co-Autoren zeigen, dass solche Grundlagenforschung weit wandernder Tierarten nur als Gemeinschaftsprojekt möglich ist. 2021 hatte Cheeseman bereits mit einer KI-gestützten automatisierten Foto-ID für Buckelwale einen wichtigen Schritt für das Bestandsmanagement publiziert. Die US-amerikanischen Forscher von NOAA und anderen Institutionen und walbegeisterte Citizen Science-TeilnehmerInnen haben mit dieser langfristigen umfassenden Bestandserfassung für die Buckelwale des Nordpazifiks die größte je existierende Photo-Datenbasis für eine Walart zusammengetragen – und damit jetzt statt einer Entwarnung für eine wachsende Walpopulation für eine Ernüchterung angesichts des Rückgangs seit 2012 gesorgt.
Bei zwei großen Buckelwal-Schätzungen kam 2002 ein Bestand von 16 875 (± 5955) heraus, der Trend der Post-Walfang-Ära setzte sich dann fort zu 33 488 (± 4455) Buckelwalen in 2012. Darum wurden einige Buckelwalbestände aus der höchsten US-Schutzkategorie, dem Endangered Species Act, herausgenommen.

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Dann brach der Bestand ein, von 2012 bis 2021 fiel die Zahl von 33 488 (± 4455) auf 26 662 (± 4192) – das sind 20%.  Damals wurde zunächst vermutet, dass die Population die ökologische Kapazität der Gewässer abrupt erreicht hatte und das Nahrungsangebot einen so großen Walbestand nicht tragen konnte. Dafür sprach, dass die Zahl der vor Hawai´i überwinternden Buckelwale 2021 gegenüber ihrem Höchststand 2013 um 34% zurückgegangen waren und ihre Fortpflanzungsrate schwankte. Für die Überwinterungsgründe vor Mexiko wurde allerdings kein Bestandsrückgang beobachtet.  

Hitzewellen im Ozean

Die stärkste bisher gemessene Hitzewelle im Nordpazifik (Marine Heatwave, MHW) von 2014–2016 hat offenbar den Erfolgskurs des Bestands gestoppt – eine Warmwasserblase, die „Blob“ genannt wurde, schob sich bis vor Alaska nach Norden.

Die rasante Meereserwärmung wird im Nordpazifik noch durch El Nino Events verstärkt und sorgt dafür, dass viele Fische und andere Meeresbewohner nach Norden abwandern und die durch hohe Temperaturen getriggerten toxischen Rotalgenblüten (Red Tide) für Massensterben sorgen. In der stärksten bisher gemessenen Meeres-Hitzewelle verhungerten 2013 Hunderte von Jungtieren Kalifornischer Seelöwen, weil deren Mütter auf der Suche nach Nahrung immer weiter aufs Meer hinaus schwimmen mussten. 2015 kam es zu einem Massensterben von Finn- und Buckelwalen Unusual Mortality Event, UME) vor Alaska. In beiden Fällen werden ökologische Faktoren als Auslöser genannt. Auch die westpazifischen Grauwale leiden unter der Meereserwärmung.

Die Korrelation des Buckelwal-Rückgangs fällt also genau in eine Zeit steigender Temperaturen und schwindender Nahrungsressourcen. Als Top-Prädatoren sind Buckel- und andere Meeressäuger Zeigerorganismen und Frühwarnsysteme für die sich ändernden marinen Ökosysteme in Zeiten der Klimakrise.

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Cheeseman bezweifelt, dass der Klimawandel die Buckelwale vom Aussterben bedroht, wie einst der Walfang. Allerdings leiden diese und andere Wale auch durch andere menschliche Aktivitäten – sie sterben durch Schiffskollisionen und verheddern sich in Fischereigeräten. Damit bleiben menschliche Aktivitäten für Wale die größte Bedrohung. Ihre Bestände werden sich in den immer weniger produktiven Ozeanen langfristig sicherlich auf einem niedrigeren Niveau einpendeln, so Cheesemann.

Seit 2023 ist die Meerestemperatur vor allem auf der Nordhemisphäre signifikant angestiegen, der Anstieg begann vor dem zusätzlich eingesetzten El Nino-Event. Das belegen umfassende Satellitendaten etwa des europäischen Copernicus-Systems und von NOAA und viele andere Messungen – für den Nordatlantik, den Nordpazifik und das Mittelmeer. Was das für die Meeresbewohner bedeutet, wird erst allmählich erkennbar – bislang sind extreme Algenblüten (Chlorophyll ist per Satellit gut erkennbar), ausgedehnte Korallenbleichen und nach Norden abwandernde Fischbestände bekannt. Meeresforscher gucken jedenfalls mit großer Sorge auf diese Entwicklung, die stetig neue Hitzerekorde bringt. Einiges zu den Zusammenhängen und Folgen der Meereserwärmung hatte ich in dieser Artikelserie schon einmal beschrieben.

Zum Weiterlesen:

Ted Cheeseman, Jay Barlow, Jo Marie Acebes et al: Bellwethers of change: population modelling of North Pacific humpback whales from 2002 through 2021 reveals shift from recovery to climate response(Feb 2024)In dieser open source-Publikation sind viele weitere Publikationen zum Weiterlesen aufgeführt, die sich detailliert mit der Marine Heatwave und ihren Wechselwirkungen mit Walen und anderen Meerestieren beschäftigen. Die zugrunde liegenden Messungen der Meerestemperaturen basieren auf den umfassenden Satellitendaten von NOAA und anderen Institutionen.

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https://meertext.eu/

Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

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