Graue Zellen in buntem Licht

Für ihre Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2022 in der Kategorie Physik veranschaulichte Jana Heysel, was sie in ihrer Promotion erforscht hat.


Im Gehirn sind Milliarden Nervenzellen miteinander vernetzt. Um deren komplexe Verknüpfungen besser zu verstehen, müssen wir die einzelnen Nerven voneinander unterscheiden können. Dafür haben wir eine Methodik entwickelt, um die grauen Zellen anzufärben und anhand ihrer Farbtöne freizustellen.

Noch etwas außer Atem stehe ich nach dem Anstieg auf den Kreuzberg in Bonn neben einer Freundin. Von dort oben können wir über die Rheinebene bis nach Köln sehen, davor erblicken wir einen Wald und eine Autobahn. „Der Anblick erinnert mich an meine Doktorarbeit.“ Vor ein paar Monaten habe ich meine Promotion an der Universität Bonn abgeschlossen. „Warum denkst du bei Autos und Wäldern an deine Arbeit? Du bist doch Physikerin. Was hast du denn gemacht?“, fragt die Freundin.

Meine Ergebnisse tragen zum langfristigen Forschungsziel bei, Gehirnstrukturen besser zu verstehen. Wir wollten herausfinden, wie die Nervenzellen, auch Neuronen genannt, miteinander vernetzt sind. Dazu habe ich in meiner Doktorarbeit eine Methodik entwickelt, mit der ich sowohl weitreichende Verästelungen als auch kleinste Verknüpfungen sichtbar machen kann. Untersucht habe ich damit kleine Bereiche von Maushirnen.

„Wie hast du die Neuronen denn gesehen?“, fragt mich die Freundin. „Im Gehirn ist doch alles dunkel.“ Beim Blick vom Kreuzberg über Bonn sehen wir die Autos auf der Autobahn. Es dämmert bereits und sie haben ihre Scheinwerfer eingeschaltet. „Achte einmal auf die Fahrzeuge da unten.“, sage ich zu der Freundin. „Das, was du von ihnen am besten erkennen kannst, sind ihre Lichter. Sie heben sich deutlich vom Rest ab.“ Das menschliche Auge kann leuchtende Strukturen gut von unbeleuchtetem Hintergrund unterscheiden. Das habe ich mir in meiner Promotion zunutze gemacht: Um die Nervenzellen in den Hirnregionen zum Leuchten anzuregen, habe ich ein spezielles Lichtscheibenmikroskop gebaut. Anstelle einer Lampe benutzt es einen Laserstrahl, der von der Seite auf die Probe scheint und sich zehnmal pro Sekunde in einer Ebene hin und her bewegt. Durch die schnelle Bewegung des Lasers gleicht das einem dünnen Lichtblatt von wenigen Mikrometern Dicke, zehnmal dünner als ein menschliches Haar. Innerhalb des Lichtblattes leuchten bestimmte Moleküle in den Neuronen auf. Das Licht dieser Moleküle fange ich mit dem Mikroskop ein. Da immer nur die Moleküle leuchten, die sich auf Höhe des Lichtblatts befinden, ist der Kontrast der Bilder sehr hoch. Moleküle ober- und unterhalb des Lichtblatts bleiben dunkel und stören das Bild nicht. Die Probe mit den Neuronen bewege ich schrittweise durch das Lichtblatt und nehme im Abstand von wenigen hundert Nanometern, also Millionstel Millimetern, jeweils ein Bild auf. Diese Bilder füge ich zu einer dreidimensionalen Abbildung zusammen.

Die Anregung der leuchtenden Moleküle in der Probe erfolgt in einem dünnen Lichtblatt, das der Laserstrahl formt. © Jana Heysel

Die leuchtenden Moleküle haben meine Kollegen zuvor auf genetischem Wege in die Neuronen eingebracht. Es handelt sich dabei um drei verschiedene Molekülarten, von denen jede in einer anderen Farbe leuchtet: blau, grün oder rot. Wie viele von jeder Art in einem Neuron landen, ist zufällig, sodass sich auch die Farbmischung jedes einzelnen Neurons zufällig ergibt. Jede Farbe kann ich mit einem anderen Laser zum Leuchten anregen und das Licht separat aufnehmen, sodass ich drei Farbkanäle pro Bild habe. Diese lege ich anschließend übereinander. Die drei Farben ergeben in der Überlagerung je nach Mischverhältnis einen individuellen Farbton in jedem Neuron. Insgesamt können so an die hundert verschiedene Farbtöne in einem Hirnschnitt entstehen. „Schau dir noch einmal die Autos an: Die weißen Frontscheinwerfer kannst du gut von den roten Rücklichtern unterscheiden. Das blaue Licht stammt von einem Polizeiauto, die gelben Lichter von einem Baustellenfahrzeug.“ So, wie sich die Fahrzeuge aufgrund ihrer speziellen Lichtfarbe leicht voneinander unterscheiden lassen, lassen sich auch die Neuronen in den Bildern individuell verfolgen, da jede Zelle einen anderen Farbton gegenüber ihrer Nachbarzelle aufweist.

Ausschnitt aus einem Maushirnschnitt, bei dem die einzelnen Neuronen in verschiedenen Farben leuchten. Das Bild wurde von dem Lichtscheibenmikroskop aufgenommen, welches Jana Heysel in ihrer Promotion entwickelt hat. ©Jana Heysel

Die zigtausend Bilder, die ich von einem Hirnausschnitt aufgenommen habe, erzeugen Datenmengen, die dem Speicherplatz von 2600 CDs entsprächen. Diese Bilder zeigen mehrere hundert bis tausend Neuronen. Wir wollen wissen, wie die Zellen in den Bildern verknüpft sind und in welche Regionen sich ihre Ausläufer erstrecken. „Der Baum da unten: Jetzt im Winter sieht der so einer Nervenzelle ziemlich ähnlich.“ Ich deute auf eine hohe Buche, deren dicker Stamm gerade nach oben wächst und sich in unzähligen kahlen Ästen verzweigt. Ein Neuron besitzt neben einem ovalen Zellkörper einen Hauptstrang, ähnlich einem Baumstamm. An den Enden verzweigen sich kleinere Fortsätze, die sich über Kontaktstellen, sogenannte Synapsen, mit anderen Neuronen verbinden. Diese Vernetzungen in den Bildern manuell nachzuverfolgen, wäre bei den enorm großen Datenmengen kaum zu schaffen. Da brauchen wir Unterstützung von Computern. Im zweiten Teil meiner Promotion habe ich einen Algorithmus programmiert, welcher jede einzelne Zelle von ihren Nachbarzellen freistellt. „Am Ende möchte ich quasi jeden Baum im Wald einzeln betrachten können, ohne dass die Nachbarbäume das Bild stören. So kann ich jede noch so kleine Verästlung eines Neurons erkennen. Dazu nutze ich aus, dass die Neuronen in unterschiedlichen Farben leuchten.“

Jedes Neuron in meinen Bildern ist charakterisiert durch drei Parameter: Es besitzt einen runden Zellkern, von dem ausgehend sich seine Fortsätze verzweigen. Es hat einen individuellen Farbton, der es von seinen Nachbarzellen unterscheidet. Und seine Leuchtkraft kann von der Leuchtkraft der Nachbarschaft variieren. Diese Parameter nutze ich für mein Analyseprogramm. Dort lese ich am Anfang die aufgenommenen Bilder ein. Am Ende gibt es mir einen Bildstapel aus, in dem jede einzelne Zelle freigestellt und eindeutig von Hintergrund und Nachbarzellen unterscheidbar ist. „Das ist so, als würdest du in einem Wald jedem Baum eine eigene Farbe verpassen, sodass du bei jedem noch so kleinen Zweig eindeutig sagen kannst, zu welchem Baum er gehört.“

Das Programm findet zunächst die Zellkerne und bestimmt deren Farbton und Helligkeit. Davon ausgehend überprüft es in der nächsten Umgebung im Bild, ob Farbton und Helligkeit zum jeweiligen Zellkern passen, und markiert nach und nach alle Pixel dieser Nervenzelle. So „wächst“ das Bild der Nervenzelle vom Kern bis in ihre Verästlung hinein. Innerhalb weniger Stunden erkennt und rekonstruiert der Computer so das Netzwerk der Neuronen in der Probe.

Ein Teil der vom Computerprogramm freigestellten Neuronen. Zu erkennen sind die runden Zellkörper, von denen die einzelnen Dendriten ausgehen und sich verzweigen. ©Jana Heysel

Im direkten und übertragenen Sinne ging es in meiner Doktorarbeit also um Verknüpfungen. Verknüpfungen von Hirnregionen, Verknüpfungen von Neuronen, aber auch um Verknüpfungen von Disziplinen. Die Neurowissenschaften lieferten die Fragestellung: Wie sind die Neuronen verbunden? Die Biologie steuerte die Untersuchungsobjekte bei: präparierte Maushirnschnitte. Mit Methoden aus der Physik konnte ich die Neuronen in den Hirnschnitten abbilden: Ich baute ein eigens für die Fragestellung konzipiertes Mikroskop. Die Chemie ermöglichte die Präparation der untersuchten Hirnregionen, sodass wir auch die Synapsen der Neuronen abbilden konnten. Und mithilfe der Informatik konnte ich die Daten aufbereiten und die Verknüpfungen identifizieren und quantifizieren.

„Es ist unglaublich, wie komplex selbst kleinste Hirnregionen sind. Viel komplexer als alle Straßennetze dieser Welt zusammen.“ Unter uns rauschen die Autos über die Autobahn wie elektrische Impulse durch das Nervensystem, neben uns wiegt sich die kahle Buche im Wind. Meine Promotion ist abgeschlossen – ich habe eine Methodik entwickelt, mit der ich aus komplexen neuronalen Verbindungen einzelne Elemente abbilden und herausstellen kann. Anwenden lässt sich diese Methodik auf jede beliebige Region im Gehirn. „Wir können große Regionen im Gehirn überblicken. Gleichzeitig können wir die kleinsten Details dort untersuchen. Die Bilder der ‚Bahnen‘ aufzunehmen ist ein erster Schritt, den ‚Verkehr‘ dort zu verstehen ein ganz anderer.“

Jana Heysel präsentierte ihre Forschungsergebnisse regelmäßig auf wissenschaftlichen Konferenzen, so wie hier im August 2018 auf der „Light-Sheet Fluorescence Microscopy Conference“ in Dresden. ©Jana Heysel

Jana Heysel studierte Musikwissenschaft, Musikpädagogik und Physik an den Universitäten Würzburg und Bonn. Während ihrer Promotion am Institut für Physikalische Chemie an der Universität Bonn arbeitete sie in einem interdisziplinären Team in Kooperation mit dem Uniklinikum Bonn. Sie erarbeitete eine Methodik, um kleinste Verknüpfungen und weitreichende Verbindungen von Nervenzellen im Gehirn sichtbar zu machen. Dazu entwickelte sie ein spezielles Lichtscheibenmikroskop und eine Software zur automatischen Bildauswertung. Neben ihrer Arbeit widmet Jana Heysel sich leidenschaftlich der Wissenschaftskommunikation, unter anderem als langjähriges Mitglied der Physikshow Bonn. Zuletzt hat sie dort ein physikalisches Musical mitentwickelt und aufgeführt.

1 Kommentar

  1. Phantastisch !
    “Die leuchtenden Moleküle haben meine Kollegen zuvor auf genetischem Wege in die Neuronen eingebracht. ”
    An der lebenden Maus , oder an dem Präparat ?

    Jetzt fehlt nur noch, dass man am lebenden Gehirn mit Mikrokameras Bilder schießt, wie sich die Nervenzellen verästeln.

    Hier sprüht wahrer Forschergeist, Frau Heysel.

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