Newton-Verfahren: die Ästhetik des Scheiterns

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Im letzten Beitrag hatte ich Ihnen vom Newton-Verfahren erzählt, jener klassischen Methode, die eine Lösung einer Gleichung mit unnachahmlicher Geschwindigkeit und Präzision findet. Das gilt für gewöhnliche Gleichungen mit einer einzigen Unbekannten ebenso wie für Gleichungssysteme, in der mehrere Unbekannte zugleich die richtigen Werte haben müssen, damit alle Gleichungen erfüllt werden.

Wie jedes empfindsame Wesen neigt auch das Newton-Verfahren gelegentlich zu heftigen Reaktionen, die es gewaltig in die Irre führen. An dieser Stelle hilft es, die Formel anzusehen, die das Verfahren beschreibt. Gesucht ist eine Nullstelle der differenzierbaren Funktion f, also ein x, für das die Gleichung f(x)=0 erfüllt ist. Wir haben vielleicht eine ungefähre Vorstellung von der Lösung und geben sie dem Verfahren als Anfangswert vor, nennen wir diese Zahl x0. Dann schlägt das Verfahren der Reihe nach Zahlen x1, x2, x3 … vor; die sollen der richtigen Lösung immer näher kommen. Und zwar macht es aus einem Vorschlag xn einen verbesserten Vorschlag xn+1 nach der Formel \[x_{n+1}=x_n-{f(x_n) \over f’(x_n)} \;.\] Wie kommt man zu der Formel? Man berechnet die Nullstelle der Tangente an der Stelle \(x_n\), die Steigung dieser Tangente ist \(f’(x_n)\), und der Rest ist eine einfache Umrechnung.

An dieser Stelle zeigt sich die Achillesferse des Verfahrens. Die Steigung der Tangente steht im Nenner; wenn der klein wird, dann wird der Sprung von xn nach xn+1 groß, das heißt, der nächste Vorschlag landet weit draußen, und wenn der Nenner gleich null ist, geht gar nichts mehr. Dann bricht das Verfahren zusammen.

Bei mehreren Unbekannten sieht die Formel im Wesentlichen genau so aus, nur ist dann die Ableitung eine ganze Matrix, und der Zusammenbruch findet statt, wenn die Matrix kein Inverses hat – wofür es noch ein viel größeres Sortiment an Möglichkeiten gibt.

Das mögen die Praktiker, die sich nur für eine Lösung interessieren, natürlich überhaupt nicht und suchen es nach Kräften zu vermeiden, zum Beispiel indem sie dem Verfahren Zügel anlegen. Hier allerdings möchte ich ganz im Gegenteil das Verfahren geradezu lustvoll scheitern lassen. Am Ende bilden die Punkte des Scheiterns eine Struktur, die in ganz anderem Kontext große Aufmerksamkeit erregt hat: ein Fraktal.

Man kann die Gleichung, um die es geht, als zwei (reelle) Gleichungen mit zwei (reellen) Unbekannten auffassen. Aber das würde die Sache eher verschleiern als klären. Besser ist es, man geht zu den komplexen Zahlen über. Wie war das? Eine komplexe Zahl sind zwei reelle. Anstelle des Zahlenpaars (a, b) schreibt man a+bi; dabei ist die „imaginäre Einheit“ i jene merkwürdige Zahl, deren Quadrat gleich –1 ist. Und wundersamerweise sind mit dieser Festlegung die komplexen Zahlen ein „Körper“, also eine Menge, in der man hemmungslos addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren kann, mit der einzigen Einschränkung, dass die Division durch null nicht geht.

Komplexe Zahlen kann man als Punkte in der Ebene darstellen – kein Wunder, es sind ja Paare reeller Zahlen – und sich damit ein Bild vom Verhalten komplexer Funktionen machen. Ich hatte in einem früheren Beitrag eine spezielle Sorte komplexer Funktionen besprochen, die holomorphen Funktionen, und dabei deren farbenfrohe und überaus instruktive Darstellungen durch Elias Wegert gepriesen. Umso erfreulicher ist es, dass Wegerts Kalender „Complex Beauties“, deren Internet-Heimat einem Hackerangriff zum Opfer gefallen war, mittlerweile wieder zugänglich sind.

Aber zurück zum Newton-Verfahren. Die Funktion, um deren Nullstellen es geht, lautet \(f(z)=z^3-1\). (Es ist üblich, die Variable z statt x zu nennen, wenn es um komplexe Zahlen geht.) Im Reellen wäre die Sache ausgesprochen langweilig. Man sieht sofort, dass z=1 eine Lösung ist, und mit etwas Nachdenken auch, dass es die einzige Lösung ist. Wenn man das Newton-Verfahren in z=0 startet (das ist die einzige Stelle, an der \(f’(z)=3z^2=0\) ist), versagt es; von allen anderen Stellen aus landet es über kurz oder lang bei der Eins – es steht ja keine andere Lösung zur Auswahl. Was wilde Bocksprünge unterwegs nicht ausschließt.

Im Komplexen gibt es dagegen drei Lösungen der Gleichung, außer der Eins noch zwei weitere, die ebenfalls auf dem Einheitskreis liegen (dem Kreis um den Nullpunkt mit Radius 1), und zwar so, dass alle drei ein gleichseitiges Dreieck bilden (die „dritten Einheitswurzeln“). Wenn man nun das Newton-Verfahren auf irgendeinen Punkt der komplexen Ebene setzt: Wo wird es wohl hinspringen?

Ich stelle mir tatsächlich gerne einen Floh vor, der über die komplexe Ebene hüpft, und zwar nach einer sehr strengen Vorschrift: An dem Punkt zn, auf dem er sitzt, findet er eine Anweisung vor, die ihm den Punkt zn+1 ansagt, zu dem er hinspringen soll; die Anweisung lautet wie im Reellen \(z_{n+1}=z_n-{f(z_n) \over f’(z_n)} \). Dort angekommen, findet er die entsprechende neue Anweisung vor, folgt ihr, und so weiter.

Wenn man den Floh in der Nähe einer dritten Einheitswurzel starten lässt, wird er dieser wohl zustreben. Sitzt er auf einer solchen Lösung, so bleibt er da in alle Ewigkeit: Jede Lösung ist ein „Fixpunkt“ der Iteration, die durch das Newton-Verfahren definiert wird. Auf kurze Entfernung übt ein Fixpunkt so etwas wie eine Anziehungskraft aus. Das darf man sich nicht allzu physikalisch vorstellen. Vor allem hat der Floh keine Massenträgheit und kann deshalb nicht übers Ziel hinausschießen. Aber wenn man es nicht zu wörtlich nimmt, trifft das Bild von dem Fixpunkt, der alles gierig in sich hineinsaugt, was in seine Umgebung gerät, und nichts mehr loslässt, die Sache durchaus.

Nun sind allerdings drei Fixpunkte im Spiel, und jeder hat seinen Machtbereich (der in der englischen Literatur „basin of attraction“ heißt). Was macht ein Floh, der irgendwo auf der Grenze zwischen zwei Machtbereichen sitzt? Und wie sieht diese Grenze überhaupt aus?
Wer sie noch nie gesehen hat, wird jetzt eine Überraschung erleben:

Die Einzugsbereiche (basins of attraction) der Fixpunkte der Newton-Iteration für die Gleichung x3–1=0 in der komplexen Ebene. Es handelt sich um die drei Einheitswurzeln 1 (rot), (–1+√3i)/2 (grün) und (–1–√3i)/2 (blau). Quelle, Autor: „Simpsons contributor”

Es besteht allerdings eine gute Chance, dass Sie dieses Bild so oder so ähnlich schon einmal gesehen haben. Es ist nämlich einerseits einfach zu programmieren: Für jedes Pixel des Bildes setzt man das Newton-Verfahren an dem entsprechenden Punkt der komplexen Ebene an und lässt es laufen, bis klar ist, zu welchem Fixpunkt es strebt. Dann färbt man das Pixel in der zugehörigen Farbe ein. Der Autor des vorliegenden Bildes hat darüber hinaus die Schattierung umso heller gewählt, je rascher das Verfahren sich dem jeweiligen Fixpunkt nähert.

Andererseits ist die unendlich zerknitterte Grenze zwischen den Machtbereichen ein klassisches Beispiel für ein Fraktal. Und Fraktale sind ein umfangreiches Thema für sich. Nachdem Benoît Mandelbrot (1924–2010) den Begriff populär gemacht und mit allerlei faszinierenden Bildern angereichert hatte, eroberte die „fraktale Geometrie der Natur“ (so der Titel eines einflussreichen Buchs von Mandelbrot) die wissenschaftlichen ebenso wie die allgemeinen Medien.

Einige Eigenschaften fraktaler Gebilde sieht man dem Bild unmittelbar an. Die „Grenze“, das heißt die Menge aller Punkte, die unter der Newton-Iteration nicht gegen einen der Fixpunkte streben, sondern irgendwann auf die tödliche Null geraten oder auf ewig im Kreis hüpfen, ist selbstähnlich: Man nehme einen beliebigen Ausschnitt, vergrößere ihn geeignet und verzerre ihn vielleicht ein bisschen, dann kommt er mit der ursprünglichen Menge zur Deckung! Man sieht zum Beispiel, dass die charakteristischen „Tropfen“ – das spitze Ende zum Nullpunkt gerichtet, das stumpfe nach außen – aus kleinen Tropfen bestehen, die ihrerseits aus noch kleineren Tröpfchen bestehen, und so weiter bis ins unendlich Kleine.

Wie bei Fraktalen üblich, verfügt auch diese Grenze über Eigenschaften, die man zunächst für unmöglich halten würde: Jeder ihrer Punkte ist ein Dreiländereck! Das heißt, in nächster Umgebung der Grenze finden sich stets rote, grüne und blaue Punkte. Und jedes der drei Reiche besteht aus einem „Mutterland“ und unendlich vielen Exklaven. Das kann man nachvollziehen, bis die Einzelheiten in der begrenzten Bildauflösung verschwinden. Und die Selbstähnlichkeit sorgt dafür, dass das bis ins unendlich Kleine so weitergeht.

Damit hat das Newton-Verfahren die in ihm steckende Wildheit eindrucksvoll demonstriert. Praktiker arbeiten lieber mit gedämpften Versionen. Zum Schluss noch, mehr zum Vergnügen als zur Vermittlung mathematischen Tiefsinns, ein paar Beispiele dafür, was passiert, wenn das Verfahren nicht nur nicht gedämpft, sondern im Gegenteil „enthemmt“ wird. Auf das Finden eines Fixpunkts kommt es dabei nicht mehr an; aber die selbstähnliche Struktur tritt noch deutlich eindrucksvoller zu Tage.

Dieses überschießende Newton-Verfahren sucht nach denselben Nullstellen wie das gewöhnliche im Bild oben, springt aber in jedem Schritt doppelt so weit wie eigentlich angesagt. Durch das übermäßig wilde Verhalten gelangt man von gewissen Startpunkten (blau) niemals zu einem der Fixpunkte. Autor: Josep Maria Batlle i Ferrer, Quelle, CC BY-SA 4.0

Einen besonderen Dreh bekommt die Sache, wenn das Verfahren nicht einfach überschießt, sondern nach dem Ende eines Schritts um 90 Grad nach links abbiegt und dieselbe Entfernung nochmals zurücklegt. Da erzeugt selbst die einfachere Gleichung z2–1=0 fraktale Tannenbäumchen.

Einzugsgebiete der beiden Lösungen 1 und –1 der Gleichung z2–1=0 mit dem überschießenden Newton-Verfahren, das jeden Schritt mit dem Faktor 1+i multipliziert. Wieder kommt man aus gewissen Gebieten (blau und gelb) nicht zu einem der Fixpunkte. Quelle, Autor „Asymp“.


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Christoph Pöppe (Jahrgang 1953) hat Mathematik und Physik studiert und über allerlei partielle Differenzialgleichungen geforscht, bis er 1989 ziemlich plötzlich Redakteur bei „Spektrum der Wissenschaft“ wurde. Fast 30 Jahre lang hat er für diese Zeitschrift Texte bearbeitet und selbst geschrieben, vornehmlich über Mathematik und verwandte Gebiete. Nach wie vor schreibt er gelegentlich Beiträge für die Rubrik „Mathematische Unterhaltungen“. Seine Liebe zum Fach lebt er auch in allerlei geometrischen Objekten aus, die gelegentlich – in Großveranstaltungen mit vielen Beteiligten – ziemlich monumental geraten. Nebenher bietet er in einem Internet-Laden Bastelbögen für allerlei geometrische Körper an.

10 comments

  1. Phantastisch, die Idee ein mathematisches Verfahren grafisch darzustellen.
    Dass aus einem Grenzwert bzw. Schnittpunkt von zwei Funktionen ein Fraktal wird, dass ist nicht nur ästhetisch sondern genial.

    Bei der Zetafunktion gibt es ja auch Nullstellen, weiß man den Abstand von denen ?
    Und wie sähe ein Fraktal zu den Primzahlen aus ? So weit ich weiß, gibt es da schon ein Verfahren.

    • Das mit den Nullstellen der Zetafunktion ist Gegenstand der berühmten Riemann-Vermutung. Man kann noch nicht einmal beweisen, dass alle nichttrivialen Nullstellen auf der Geraden Re z = 1/2 liegen (das ist die Aussage der Riemann-Vermutung); und über ihren Abstand gibt es keine allgemeinen Sätze. (Natürlich kann man die Abstände zwischen speziellen Nullstellen numerisch berechnen, aber das bringt keine allgemeinen Aussagen.) Ja, man kann Nullstellen der Zetafunktion mit dem Newton-Verfahren suchen. Das haben einige Leute sogar getan, allerdings für eine kontinuierliche Version des Newton-Verfahrens. Und das macht anscheinend nicht so schnuckelige Bilder.

  2. Phantastisch, die Idee ein mathematisches Verfahren grafisch darzustellen.
    Dass aus einem Grenzwert bzw. Schnittpunkt von zwei Funktionen ein Fraktal wird, dass ist nicht nur ästhetisch sondern genial.

    Die hier vorgestellten Fraktale gehören zu den bekannten Julia-Mengen, die schon seit gut 100 Jahren untersucht werden, und die eng mit der Mandelbrotmenge verwandt sind. Benannt wurden sie nach Gaston Julia (1893-1978), der neben dem bekannteren B. Mandelbrot gern mal vergessen wird:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Gaston_Maurice_Julia

    Die Newton-Fraktale als Unterabteilung der Julia-Mengen haben eigene Wikipedia-Artikel. Im englischen findet man die hier vorgestellten Bilder, und viele weitere (der deutsche Artikel ist deutlich dünner geraten):

    https://en.wikipedia.org/wiki/Newton_fractal

    Wenn man sowas auch mal auf gutem Papier gedruckt sehen will: Immer noch empfehlenswert ist “The Beauty of Fractals” von Heinz-Otto Peitgen und Peter H. Richter, wenn man es denn noch zu einem vernünftigen Preis bekommt.

    Wer schöne mathematische Bilder abseits der Fraktale im engeren Sinn (aber mit ihnen verwandt) sehen will, kann auch mal einen Blick auf Ljapunow-Diagramme werfen. Hier eine kleine willkürliche Auswahl von mir:

    https://c.gmx.net/@327714123460641369/VLOIy-m7RD65kLRpEjdm6g/ROOT/665199894885043177
    https://c.gmx.net/@327714123460641369/VLOIy-m7RD65kLRpEjdm6g/ROOT/750387495270619491
    https://c.gmx.net/@327714123460641369/VLOIy-m7RD65kLRpEjdm6g/ROOT/691759282781166442
    https://c.gmx.net/@327714123460641369/VLOIy-m7RD65kLRpEjdm6g/ROOT/1080248101689628225
    https://c.gmx.net/@327714123460641369/VLOIy-m7RD65kLRpEjdm6g/ROOT/665209964431677989
    https://c.gmx.net/@327714123460641369/VLOIy-m7RD65kLRpEjdm6g/ROOT/711882807181318668
    https://c.gmx.net/@327714123460641369/VLOIy-m7RD65kLRpEjdm6g/ROOT/665202688903873087

  3. Hallo Herr Polak,
    Das Buch von Herrn Peitgen besitze ich , der deutsche Titel, Bausteine des Chaos.
    Gaston Julia ist auch bekannt, dem wurde im 1. Weltkrieg die Nase weggeschossen.
    für Mathematikeinsteiger sind die Fractale wie Phantasiedünger.
    An dieser Stelle muss man Herrn Pöppe ein Lob aussprechen.

    Ich bin jetzt kein Mathematiker, der sich mit Körper und Ringen beschäftigt, ich bin nur Anwender, der vor den Möglichkeiten der Mathematik erschaudert.
    Mal sehen , wer noch was Geniales zu sagen hat.

  4. Christoph Pöppe schrieb (17. Apr 2024):
    > […] Die Funktion, um deren Nullstellen es geht, lautet \(f[ ~ z ~] = z^3 – 1\),
    > […] Im Komplexen gibt es dagegen drei Lösungen der Gleichung, außer der Eins noch zwei weitere, die ebenfalls auf dem Einheitskreis liegen (dem Kreis um den Nullpunkt mit Radius 1) und zwar so, dass alle drei ein gleichseitiges Dreieck bilden (die „dritten Einheitswurzeln“).

    In der Unterschrift zum ersten Bild des obigen SciLog-Beitrages sollten entsprechende drei ungleiche Werte wohl ausdrücklich angegeben sein (“Es handelt sich um […]”), aber deren z.Z. (immer noch) vorliegende Schreibung wirkt für zwei davon auffallend unterkomplex.

    > […] Jede Lösung ist ein „Fixpunkt“ der Iteration, die durch das Newton-Verfahren definiert wird. […] jeder hat seinen Machtbereich (der in der englischen Literatur „basin of attraction“ heißt). Und jedes der drei Reiche [Machtbereiche] besteht aus einem „Mutterland“

    … das den entsprechenden Fixpunkt(-Wert) enthält …

    > und unendlich vielen Exklaven.

    > [… Deren] „Grenze“, das heißt die Menge aller Punkte, die unter der Newton-Iteration nicht gegen einen der [drei o.g.] Fixpunkte streben, sondern irgendwann auf die tödliche Null geraten oder auf ewig im Kreis hüpfen, ist selbstähnlich […] ein klassisches Beispiel für ein Fraktal.

    > Wie bei Fraktalen üblich, verfügt auch diese Grenze über Eigenschaften, die man zunächst für unmöglich halten würde: Jeder ihrer Punkte ist ein Dreiländereck! Das heißt, in nächster Umgebung der Grenze finden sich stets rote, grüne und blaue Punkte.

    All das zusammen legt die Frage nahe, ob es sich dabei jeweils um abzählbar unendlich oder “überabzählbar unendlich viele” Exklaven handelt (die, jeweils zusammen mit dem entsprechenden “Mutterland”, das “basin of attraction” eines der drei Fixpunkte bilden). …

    Nun erinnert die obige Formulierung “in nächster Umgebung der Grenze finden sich stets” ja an den Begriff der Umgebungen von Punkten topologischer Räume — naheliegender Weise hinsichtlich der “natürlichen Topologie der komplexen Ebene” (bzw., so weit ich verstehe äquivalent, der Menge \(\mathbb R^2\) geordneter Paare reeller Zahlen).

    Wobei im Zusammenhang mit Betrachtungen zur Topologie wohl eher die Formulierung “in jeder Umgebung (eines bestimmten Punktes)” gebraucht würde; konkret z.B.
    “Punkt \(P\) gehört zum Rand einer offenen Menge \(\mathcal O\), falls \(P\) nicht selbst in \(\mathcal O\) enthalten ist, aber in jeder Umgebung von \(P\) — und insbesondere in jeder offene Umgebung von \(P\) — sich stets Punkte finden, die auch in \(\mathcal O\) enthalten sind.”

    Hinsichtlich der o.g. drei “Machtbereiche” und deren “Grenze”, wie im ersten Bild des obigen SciLog-Beitrages skizziert, würde ich deswegen gern erfahren:

    (1) Ob jede der Exklaven (und auch jedes der drei Mutterländer) hinsichtlich der natürlichen Topologie eine offene Menge ist ?,

    (2) Ob irgendeine Exklave hinsichtlich irgendeiner anderen Exklave (oder hinsichtlich irgendeines Mutterlandes) (mindestens) einen Randpunkt beinhaltet ?,

    (3) Ob der Rand jeder Exklave (als auch der Rand jedes der drei Mutterländer), sofern vorhanden, dann jedenfalls vollständig zur o.g. Grenze gehört ?,

    (4) Ob es zutrifft, dass je zwei Punkte der Grenze, die gemeinsam zum Rand einer bestimmten Exklave gehören, keinesfalls gemeinsam zum Rand irgendeiner andern bestimmten Exklave gehören (noch gemeinsam zum Rand eines bestimmten Mutterlandes gehören) ?

    und schließlich

    (5) Ob es mindestens eine Exklave gibt, deren Rand “überabzählbar unendlich viele” verschiedene Punkte beinhaltet ?
    .

    p.s. — Zur Materialsammlung für meinen ggf. anzufordernden ersten SciLogs-Gastbeitrag:
    [ Link aus SciLog-Kommentar-taktischen Gründen ins Memo verlegt. – FW ]

    • Frank Wappler schrieb (18.04.2024, 12:42 o’clock):
      > […] (4) Ob es zutrifft, dass je zwei Punkte der Grenze, die gemeinsam zum Rand einer bestimmten Exklave gehören, keinesfalls gemeinsam zum Rand irgendeiner andern bestimmten Exklave gehören (noch gemeinsam zum Rand eines bestimmten Mutterlandes gehören) ? […]

      Genau das trifft allerdings nicht zu. …

      (Hier ein Link zum “Originalbild”, um dieses Urteil womöglich zu unterstützen. Dass auch die drei “Mutterländer” sowohl untereinander als auch jeweils mit etlichen “Exklaven” mehr als drei gemeinsame Randpunkte bzw. Grenzpunkte haben, dürfte ohnehin verständlich oder “leicht erkennbar” sein.)

      In der Formulierung dessen, was ich gerne wüsste bzw. ausdrücklich bestätigt hätte, hatte ich im Punkt (4) leider eine wesentliche Einschränkung ausgelassen; gemeint ist nämlich stattdessen:

      (4) Ob es zutrifft, dass je zwei Punkte der Grenze, die gemeinsam zum Rand einer bestimmten Exklave gehören, keinesfalls gemeinsam zum Rand irgendeiner andern bestimmten Exklave (oder des Mutterlandes) des selben “Machtbereiches” („basin’s of attraction“) gehören ) ?
      .

      Mit Blick auf das erste Bild des obigen SciLog-Beitrages (bzw. z.B. auf das verlinkte entsprechende “Originalbild”) also in anderen Worten:

      (4) Ob es zutrifft, dass je zwei (jeweils “in sich zusammenhängende”) Flächenstücke gleicher Farbe höchstens nur genau einen gemeinsamen Randpunkt haben ?

      .

      p.s.
      > […] zwei davon auffallend unterkomplex.

      Da an der Bild-Unterschrift zum ersten Bild des obigen SciLog-Beitrages noch immer keine Korrektur vorgenommen wurde, hier noch ein weniger dezenter Hinweis:

      ((–1 + √[ 3 ]) / 2)^3 = (-1 + √[ 27 ] - 9 + √[ 27 ]) / 8 =/= 1 .

    • Was die explizite Darstellung der drei Fixpunkte angeht: Sorry, Schreibfehler meinerseits. Ist inzwischen korrigiert.
      Ob die Machtbereiche (“basins of attraction”) der Fixpunkte offene Mengen in der natürlichen Topologie sind? Ja.
      Beweis: Sei \(F\) einer der Fixpunkte und \(z\) ein Punkt aus seinem Machtbereich, das heißt \(f^n(z) \to F \) für \(n \to \infty\). Dabei ist \(f(z)=z-{z^3-1 \over 3 z^2 }\) die Iterationsabbildung zum Newton-Verfahren, und \(f^n\) ist die \(n\)-fache Iteration von \(f\). Wähle \(\zeta > 0\) beliebig, aber so klein, dass \(K_\zeta(F) \), der Kreis mit Radius \(\zeta\) um \(F\), noch vollständig im (unmittelbaren) Machtbereich von \(F\) enthalten ist. Aus der Konvergenz von \(f^n(z)\) folgt: Es gibt ein \(j\) mit der Eigenschaft, dass \(f^j(z) \in K_\zeta(F)\) ist. (Das gilt auch für alle \(n>j\), was wir hier aber gar nicht benötigen.) Wähle \(\epsilon > 0\) so, dass der ganze Kreis mit Radius \(\epsilon\) um \(f^j(z)\) in \(K_\zeta(F)\) liegt. \(f^n\) ist stetig als Komposition stetiger Funktionen. Die einzige Stelle, an der \(f\) nicht stetig ist, nämlich \(z=0\), kann in der ganzen Iterationskette nicht vorkommen, weil dann \(f^n\) nicht gegen den Fixpunkt konvergieren würde. Also gibt es zu dem gewählten \(\epsilon\) ein \(\delta\), so dass der gesamte Kreis mit Radius \(\delta\) um \(z\) von \(f^n\) in den Kreis mit Radius \(\epsilon\) um \(f^n(z)\) und damit auch in \(K_\zeta(F) \) abgebildet wird. Also gibt es eine ganze Umgebung von \(z\), deren Elemente sämtlich gegen \(F\) streben, was zu beweisen war.
      Ihre weiteren Fragen haben Sie ja in späteren Beiträgen bereits modifiziert und damit zum Teil erledigt. Ganz klar geworden sind mir die Fragen nicht. Ein paar Bemerkungen sind vielleicht hilfreich:
      Der gemeinsame Rand der drei Attraktionsbereiche enthält überabzählbar viele Punkte. Sonst wäre er irgendwie „löcherig“, so wie die rationalen Zahlen innerhalb der reellen Zahlen Löcher lassen. Dann wären aber die Attraktionsbereiche nicht „dicht verschlossen“, und es gäbe Wege vom blauen in den roten Bereich.
      Es gibt offensichtlich Punkte des Randes, die an zwei gleichfarbige Exklaven grenzen. Das gilt zum Beispiel für den Übergang von einem Tropfen zum nächsten in einer der drei Tropfenreihen.
      Ob zwei Exklaven in mehr als einem Punkt aneinander grenzen? Das sieht ganz so aus. Das rote Mutterland und der erste (an die Null grenzende) blaue Tropfen sind durch eine Kette von Tröpfchen mit grünem Zentrum getrennt. Diese Kette hat lauter „Einschnürungen“, in denen sie auf Dicke null zusammenschrumpft.
      Zur Symmetrie der Exklaven: Die Tröpfchenkette, die von der Null nach links ins reell Negative verläuft, ist offensichtlich achsensymmetrisch bezüglich der reellen Achse. Diese Achsensymmetrie vererbt sich vermöge der Multiplikation mit einer dritten Einheitswurzel auf die beiden anderen Tropfenketten. Bei allen anderen Exklaven ist es mit der Achsensymmetrie vorbei (und Punktsymmetrie sehe ich nirgends). Das ist wenig verwunderlich. Denn die Exklaven sind Bilder voneinander unter der Funktion \(f\) und deren Iterierten. Aber \(f\) ist nichtlinear und insbesondere keine Ähnlichkeitsabbildung. Da ist nicht zu vermeiden, dass die kleinen Tröpfchen alle mehr oder weniger krumm sind.

  5. Christoph Pöppe schrieb (17. Apr 2024):
    > […] Die Funktion, um deren Nullstellen es geht, lautet \(f[ ~ z ~] = z^3 – 1\),

    > […] Für jedes Pixel des Bildes setzt man das Newton-Verfahren an dem entsprechenden Punkt der komplexen Ebene an und lässt es laufen, bis klar ist, zu welchem Fixpunkt es strebt. [… Ungefärbt bleiben diejenigen] Punkte, die unter der Newton-Iteration nicht gegen einen der Fixpunkte streben, sondern irgendwann auf die tödliche Null geraten oder auf ewig im Kreis hüpfen

    > […] dass die charakteristischen „Tropfen“ – das spitze Ende zum Nullpunkt gerichtet, das stumpfe nach außen – aus kleinen Tropfen bestehen, die ihrerseits aus noch kleineren Tröpfchen bestehen, und so weiter bis ins unendlich Kleine.

    Genauer betrachtet besteht ja ein jeder dieser erkennbaren „Tropfen“ seinerseits nicht jeweils insgesamt wiederum aus noch kleineren Tröpfchen, sondern (“nur”) dessen zwei „Flanken“ (bestehen ihrerseits aus kleineren Tröpfchen, und so weiter).

    Dabei hat offenbar jeweils jede der zwei Flanken eines Tropfens ein „stumpfes Ende“ (beginnend mit — soweit erkennbar — einem größten Tröpfchen) und das andere „spitze Ende“ (zu dem hin die Tröpfchen immer kleiner werden, so dass gar kein “letztes Tröpfchen, am spitzen Ende der Flanke” erkennbar scheint).

    Wie oben erklärt und im ersten Bild des obigen SciLog-Beitrages erkennbar, hat jeder der somit berechneten und gezeigten Tropfen ein stumpfes Tropfen-Ende, an dem sich die beiden stumpfen Flanken-Enden seiner beiden Flanken treffen; und er hat ein spitzes Tropfen-Ende, an dem die beiden spitzen Flanken-Enden seiner beiden Flanken zusammenlaufen.

    Nun lässt sich aber ein einzelner Tropfen (und ebenso alle kleinere Tröpfchen usw.) stattdessen an sich auch so vorstellen (nämlich: “axial-symmetrisch”), dass an seinen beiden Enden gleichermaßen (und somit symmetrischer als oben) jeweils das stumpfe Ende seiner einen Flanke und das spitze Ende seiner anderen Flanke aufeinandertreffen.

    (Träfe dieses “Gestaltungsprinzip mit axial-symmetrischen Tropfen” auf die gesamte komplexe Ebene mit drei “Fixpunkt-Mutterländern” zu, die alle drei im Nullpunkt aneinander grenzen, dann würden dort — so wie im obigen Bild — auch die Enden dreier Tropfen aneineinander grenzen, aber außerdem auch drei erkennbare Tröpfchen, die sich an den entsprechenden stumpfen Flanken-Enden dieser drei Tropfen befinden. Der Nullpunkt wäre somit gemeinsamer Grenzpunkt der drei Mutterländer und von — erkennbar — insgesamt sechs weiteren Exklaven. Und Ähnliches für jeden Grenzpunkt.)

    Meine diesbezügliche Frage (zur beiläufigen Unterhaltung):

    Gibt es eine komplexe Funktion, mit (mindestens) drei Nullstellen (von denen genau drei die Fixpunkte von drei “attraktiven Machbereichen” darstellen), so, dass Anwendung der Newton-Iteration und entsprechende Färbung zu einem Fraktal (ziemlich ähnlich wie im ersten Bild des obigen SciLog-Beitrages, aber) ausschließlich mit den beschriebenen axial-symmetrischen Tropfen (und Tröpfchen usw.) führt ? Und wie lautet eine solche Funktion ggf. ?

    • Frank Wappler schrieb (24.04.2024, 11:50 o’clock):
      > […] dass an seinen beiden Enden gleichermaßen (und somit symmetrischer als oben) jeweils das stumpfe Ende seiner einen Flanke und das spitze Ende seiner anderen Flanke aufeinandertreffen.

      > […] (nämlich: “axial-symmetrisch”)

      Bei der vorgeschlagenen Symmetrie (der beiden Enden jeweils eines “Tropfens”) handelt es sich richtiger um eine Halbdrehungs-Symmetrie, und somit um eine Punktsymmetrie und jedenfalls nicht um eine Spiegelsymmetrie (Reflexion an einer Achse).

      Die in meinem vorausgehenden Kommentar gewählte Bezeichnung “axial-symmetrisch” passt deshalb leider schlecht zur vorgeschlagenen Symmetrie. …

  6. Frank Wappler schrieb (24.04.2024, 12:38 o’clock):
    > […] Bei der vorgeschlagenen Symmetrie (der beiden Enden jeweils eines “Tropfens”)

    … für die ich oben (24.04.2024, 11:50 o’clock) beiläufig nach der (einer) entsprechenden zugrundeliegenden (“erzeugenden”) komplexen Funktion gefragt habe …

    > handelt es sich richtiger um eine Halbdrehungs-Symmetrie, […]

    Hier noch eine Prinzip-Skizze der vorgeschlagenen Symmetrie, hinsichtlich der beiden “Flanken” (als auch der beiden “Enden”) eines so gut wie Kreis-runden “Tropfens”.

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