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Neue Wirkstoffe in der Alzheimer-Therapie

Auf der Suche nach einem Medikament gegen Alzheimer mussten Forschungsteams jahrzehntelang Rückschläge einstecken. Doch nun versetzen zwei neue Wirkstoffe die Fachwelt in Aufregung: Die gentechnisch hergestellten Antikörper Lecanemab und Donanemab können laut Studien das Fortschreiten von Alzheimer im Frühstadium der Erkrankung deutlich verlangsamen. Für beide Wirkstoffe wurde nun die Zulassung in der EU beantragt. Ist das jetzt der große Durchbruch? Prof. Dr. Mathias Jucker ist Direktor am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen und Leiter der Abteilung Zellbiologie Neurologischer Erkrankungen. In unserem Interview beantwortet der Neurobiologe die wichtigsten Fragen zu den neuen Wirkstoffen, und wieso Bluttests, die frühzeitig Alzheimer erkennen, bald so wichtig werden.

Foto Prof. Dr. Mathias Jucker, Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
Foto: Ingo Rappers / HIH

Der Wirkstoff Lecanemab kann den geistigen Abbau bei Alzheimer-Erkrankten im Schnitt um 30 Prozent verlangsamen, Donanemab sogar um 35 Prozent. Ist das jetzt der Durchbruch für Forschung und Betroffene?

Es ist momentan schwer einzuschätzen, wie groß der Durchbruch ist. Die Studien wurden über 18 Monate gemacht, und wir sind alle wirklich sehr aufgeregt und finden es extrem toll, dass man so einen guten Effekt in so kurzer Zeit sieht. Nur ist es so, dass es den Patientinnen und Patienten nach 18 Monaten zwar um 35 Prozent weniger schlecht geht, aber die Erkrankung schreitet ja weiterhin rapide fort. Jetzt fragt man sich natürlich, ob es bei den 35 Prozent bleibt, wenn man das Medikament länger als 18 Monate gibt. Bleibt es bei den 35 Prozent oder wird der Effekt bei längerer Behandlung immer grösser? Kann man den Krankheitsverlauf gar stoppen? Kurzum: Wir wissen nicht, was nach 18 Monaten passiert. Dazu laufen jetzt Studien, und dann wird sich entscheiden, ob diese Antikörper für einen Durchbruch sorgen. Dennoch sind die aktuellen Studienergebnisse für uns herausragend, nachdem wir über Jahrzehnte keine großen Erfolge in der Behandlung von Alzheimer erreichen konnten.

Was ist das Besondere an den neuen Antikörpern?

Die Antikörper greifen direkt in die grundlegenden Mechanismen der Krankheitsentstehung ein, das ist etwas ganz Neues in der Behandlung von Alzheimer. Sie verhindern beziehungsweise beseitigen die für Alzheimer typischen Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn und können dadurch den kognitiven Abbau verzögern. Die bisherigen Alzheimer-Medikamente greifen nicht in den Krankheitsprozess ein, sie stimulieren lediglich die Hirnleistung oder richten sich gegen Begleitsymptome der Erkrankung, verlangsamen aber den eigentlichen Krankheitsverlauf nicht. Die neuen Antikörper sind ein ganz anderer Ansatz.

Wie sieht es mit den Nebenwirkungen aus? Bei einer kleinen Gruppe von Studien-Teilnehmenden kam es zu Hirnschwellungen oder -blutungen, es gab Todesfälle. Wie gefährlich sind die neuen Antikörper?

Tatsächlich wurden in einigen Fällen nach Gabe der Antikörper Abnormalitäten in der Bildgebung mittels MRT festgestellt. Man vermutet, dass es sich um Flüssigkeitsansammlungen um die Gefäße handelt. Auch Mikroblutungen um die Gefäße wurden gefunden. Diese Flüssigkeitsansammlungen gehen aber in den allermeisten Fällen zurück, sobald man mit der Antikörpergabe aufhört, sodass man die Therapie danach weiterführen oder die Dosis reduzieren kann. Wichtig dabei ist eine regelmäßige Bildgebung, um zu kontrollieren, wie sich diese Nebeneffekte entwickeln. Das ist finanziell und logistisch natürlich ein riesiger Aufwand, wenn künftig alle diese Menschen auf regelmäßige Bildgebung angewiesen sind. Da kommt also noch einiges auf uns zu.

Lecanemab (Handelsname Leqembi) ist in den USA bereits auf dem Markt, Donanemab wird folgen. Wann werden die Medikamente in Deutschland erhältlich sein?

Für Lecanemab wird die Europäische Arzneimittel-Agentur vermutlich im Frühjahr 2024 entscheiden, ob das Medikament in Europa zugelassen wird. Viele Stimmen gehen davon aus, dass das Medikament die Zulassung bekommen wird, und es dann auch in Deutschland zu haben sein wird. Für Donanemab wird es länger dauern bis entschieden wird. Beide Antikörper stammen von unterschiedlichen Herstellern, aber ihr Wirkprinzip ist sehr ähnlich. Die Unterschiede sind auf den ersten Blick relativ gering, allerdings wurden die beiden Wirkstoffe noch nicht in Studien gegeneinander getestet, so dass wir nicht wirklich sagen können, welcher der Antikörper am Ende wirksamer ist. Beide sollten in einem möglichst frühen Stadium der Erkrankung gegeben werden, damit sie noch rechtzeitig in das Krankheitsgeschehen eingreifen können.

Warum ist es so schwierig, Alzheimer zu stoppen oder sogar zu heilen?

Weil wir die Entstehung der Erkrankung noch immer nicht vollständig verstanden haben. Wir wissen inzwischen, dass sich das Gehirn bereits 20 Jahre, bevor die ersten Symptome für eine Alzheimer-Erkrankung auftreten, verändert, indem sich die ersten fehlgefalteten Eiweiße im Gehirn ablagern. Wenn erste Symptome wie zum Beispiel Gedächtnislücken oder Merkschwierigkeiten auftreten, dann sind die Nervenzellen schon geschädigt. Es scheint also, dass man bei Alzheimer am besten sehr früh eingreift, bevor erste Symptome da sind. Hinzu kommt: Wir wissen immer noch nicht, wie die Eiweiße es schaffen, die Nervenzellen zu zerstören. Daher ist unsere Strategie, die fehlgefalteten Eiweiße so früh wie möglich zu entfernen, damit sie keine anderen Eiweiße „anstecken“. Denn wir wissen heute, dass fehlgefaltete Eiweiße schablonenartig andere Eiweiße zur gleichen Fehlfaltung bringen können. Wir nennen das das „Prion-Prinzip“, ein Mechanismus, den wir von Prionen-Erkrankungen kennen.

Wie finden Sie Menschen, die in 15 oder 20 Jahren an Alzheimer erkranken werden?

Wir koordinieren hier in Tübingen die DIAN-Studie für Deutschland. Die DIAN-Studie ist ein weltweites Projekt, das den Verlauf der dominant vererbten Form der Alzheimer-Erkrankung untersucht. Von den Studienteilnehmenden die zu uns nach Tübingen kommen, wissen wir, dass in ihren Familien Alzheimer vererbt wird. Typischerweise erkranken diese Menschen zwischen 40 und 50. Wir wissen also zum Beispiel von einem 25-jährigen, dass er jetzt genau 20 Jahre vor dem Ausbruchsalter bei uns ist, weil seine Eltern mit 45 Jahren Alzheimer bekommen haben.

Wie viele Familien nehmen an der Studie teil?

Die Studie ist so angelegt, dass auch die gesunden Geschwister der Mutationsträger kommen. Sie sind dann sozusagen die Kontrollpersonen für diejenigen, die das Alzheimer auslösende Gen in sich tragen. Insgesamt nehmen in Deutschland rund 80 Personen aus rund 50 Familien an der Studie teil. Es gibt in Deutschland sicher noch viel mehr betroffene Familien, weltweit nehmen schon über 500 Familien teil. Es ist toll zu sehen, wie alle Länder zusammenarbeiten an dieser internationalen Studie, damit man auf die hohen Zahlen kommt, die nötig sind für eine solche Beobachtungsstudie, die das Ziel hat, den Verlauf der Erkrankung zu dokumentieren und mit Medikamenten einzugreifen, bevor Symptome da sind.  

Viele Menschen befürchten, an Alzheimer zu erkranken, weil ein Elternteil dement ist. Woher weiß ich, ob ich die Krankheit vielleicht geerbt habe?

In den Fällen, die Sie ansprechen, geht es in der Regel um Erkrankte, bei denen Risikofaktoren die Entstehung von Alzheimer begünstigt haben, wie zum Beispiel das Rauchen, Gefäßerkrankungen oder Bluthochdruck. Auch eine Depression oder Schlafabnormalitäten können Alzheimer begünstigen. Bei diesen Personen kommt es etwa ab 70 Jahren zu ersten Symptomen, dennoch können sie dabei 100 Jahre alt werden, weil sie eben nur ein Risiko tragen zu erkranken. Menschen, die eine dominant vererbt Form der Erkrankung aufweisen, erkranken typischerweise zwischen 40 und 50 Jahren und dies mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit. Diese Menschen versterben dann auch sehr früh. Das ist oft sehr dramatisch, und wir müssen diesen Patientinnen und Patienten enorm dankbar sein, dass sie sich untersuchen lassen über die vielen Jahre, bevor es zum Ausbruch der Erkrankung kommt. Fast all unser Wissen, das wir dieser Tage über den langen Verlauf der Alzheimer-Erkrankung haben, kommt von diesen Familien.

Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit diesen Familien, die so ein schlimmes Schicksal aushalten müssen?

Es macht mich demütig. Man kennt sich und ruft sich auch am Wochenende an, wenn es Probleme gibt. Das macht diese Studie auch so einmalig. Seit zehn Jahren veranstalten wir jährliche Familientreffen. Da geht es nicht nur um die Forschung, sondern um alles, was den Familien auf dem Herzen liegt. Wir möchten ihnen ja auch dafür etwas zurückgeben, dass sie an der Studie teilnehmen. Zum Beispiel, dass sie immer Zugang zu Ärzten haben, die ihre Erkrankungen kennen. Der „normale“ Hausarzt kann doch in der Regel nichts damit anfangen, wenn jemand kommt und sagt, er ist 40 Jahre alt und hat Alzheimer.

Sie haben unlängst einen Bluttest mitentwickelt, der bereits 10 oder mehr Jahre vor Ausbruch erster Alzheimer-Symptome auf die Erkrankung hinweist. Ist er inzwischen anwendungsreif?

Der Test zeigt schon frühzeitig die Schädigung der Nervenzellen an. Er wird nun in fast allen klinischen Studien eingesetzt, wo Medikamente gegen Alzheimer getestet werden. Bei solchen Studien werden aber immer Gruppen von Menschen miteinander verglichen. Den Test für einzelne Personen anzuwenden und dann Werte dafür zu definieren, was noch normal und was zu hoch ist, ist viel schwieriger. Solche Referenzwerte sind dann aber entscheidend für die weitere Behandlung. Ich schätze, in den nächsten zwei Jahren wird so ein Test auf den Markt kommen.  

Aber was nützt einem frühzeitig zu wissen, dass man an Alzheimer erkranken wird, wenn es keine Therapie gibt?

Es laufen jetzt neue klinischen Studien, die testen, ob Lecanemab oder Donanemab noch besser wirken, wenn man sie früher gibt. Wenn dem so ist – und wir gehen alle davon aus – ist der Bluttest natürlich entscheidend, um eine Antikörper-Therapie zu beginnen, lange bevor man Symptome hat.  

Haben Sie sich selbst auch schon auf Alzheimer getestet?

Nein, ich mache das, sobald diese Antikörper in Deutschland zugelassen werden. Jetzt sage ich mir: was bringt es?

INFO  Das Interview führte Rena Beeg für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung

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Ab und zu gibt es auch Gastbeiträge im Blog, die neben dem Team der Hertie-Stiftung aktuell verfasst werden von Carolin Haag, M.Sc. in Molekularbiologie, Doktorandin am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen, Lale Carstensen, M.Sc. in Chemie, promoviert am Institut für Wasserchemie der Technischen Universität Dresden und Ronja Völk, M.Sc. in Molekulare Biotechnologie und ehemalige Autorin bei Hirn und Weg. HIRN UND WEG ist der Neuroblog der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung , der die Bandbreite und Facetten eines der faszinierendsten Organe zeigen, Erkenntnisse aus Wissenschaft einfach und gut erklären und geistreich und unterhaltsam begeistern möchte. Neben der Informationsvermittlung gehören die Förderung von Exzellenz und die Schaffung von Strukturen in den Neurowissenschaften zu den Zielen des Programmbereichs "Gehirn erforschen" der Stiftung.