Ketamin gegen Depression

Weltweit leben etwa 350 Millionen Menschen mit Depressionen, 20% der Deutschen erkranken irgendwann in ihrem Leben an dieser Volkskrankheit. Tendenz steigend. Doch laut der WHO wird nur jeder vierte Betroffene adäquat behandelt. Seit Jahrzehnten gibt es keine wirklichen Innovationen bei der Entwicklung von Antidepressiva. Die meisten Psychopharmaka gehen mit schweren Nebenwirkungen einher, wirken erst nach mehreren Wochen und funktionieren bei mindestens einem Drittel der Patienten gar nicht.

Der neueste Hoffnungsträger: Ketamin. Ein Pferdenarkotikum, das sich zur Partydroge hochgearbeitet hat, soll nun die Depressionspandemie aufhalten? Vermutlich schon. Ketamin wirkt schon als Einzeldosis nach 40 Minuten und schlägt bei 40-70% der sonst therapieresistenten Patienten an. Wie kann das sein?

Wirkung

Ketamin blockiert im Gehirn eigentlich die Bindung von Glutamat an NMDA-Rezeptoren. Dieser Mechanismus wird auch zur Behandlung von Alzheimer, Parkinson, zur Schmerzbekämpfung oder zur Anästhesie eingesetzt, eine antidepressive Wirkung war bislang nicht bekannt. Andere NMDA- Rezeptorblocker helfen nicht gegen Depressionen.

Einen Teil des Wirkmechanismus konnten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts und des Weizman Institute of Science vor einigen Monaten entschlüsseln. Ketamin, bzw. dessen auf molekularer Ebene gespiegelte Form Esketamin, ist in der Lage, die Kaliumkanäle „Kcnq2“ einer bestimmten Neuronenart im Hippocampus hochzuregulieren, also zu vervielfältigen. Diese Kanäle stabilisieren die Neuronen und verringern ihre übermäßige Aktivität, die für einen Teil der depressiven Aktivität verantwortlich ist. Nach dieser Entdeckung wurde Esketamin mit Retigabin kombiniert, einem wenig wirksamen Antiepileptikum, das die Kcnq2-Kanäle aktiviert. Das Ergebnis war eine gesteigerte antidepressive Wirkung und eine längere Wirkdauer.

Aussicht

Bislang ist isoliertes Esketamin in Form von Infusionen oder Nasenspray nur für besonders schwer depressive oder therapieresistente Patienten zugelassen. Einige „Nebenwirkungen“ wie Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz, Halluzinationen und Schwindel, die den Missbrauch so attraktiv machen, konnten bislang noch nicht unterdrückt werden. Somit wird es vorerst nur unter medizinischer Aufsicht angewendet.

Die Kombination mit Retigabin könnte alles ändern. Sie reduziert die erforderliche Ketamin Dosis, somit auch die Nebenwirkungen und eignet sich in der Theorie für den Hausgebrauch. Bis zur Zulassung ist es zwar noch ein weiter Weg, da alle bisherigen Experimente bei Mäusen durchgeführt wurden, doch die Forscher sind zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren eine Ketamin-Revolution erleben dürfen.

Literatur

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Veröffentlicht von

Mein Name ist Louisa Sohmen und ich bin Medizinstudentin in Hamburg. Da ich erst am Anfang meines Studiums stehe, konnte ich noch keine eigenen Erfahrungen in der wissenschaftlichen Forschung sammeln, allerdings kann ich mir gut vorstellen, später in einem solchen Bereich tätig zu werden. Die Komplexität des menschlichen Gehirns faszinierte mich schon immer, weswegen ich mich sehr freue, mich hier regelmäßig mit spannenden Fakten auseinandersetzen zu können.

3 Kommentare

  1. Gemäss Ketamine: 50 Years of Modulating the Mind hat Ketamin folgende psychiatrischen Anwendungen:
    Depression, Reduktion von Selbstmordgedanken und Post-Traumatic Stress Disorder (PTSD).
    PTSD-Patienten sind aber nicht selten zusätzlich depressiv, womit es unklar bleibt ob die positive Wirkung bei PTSD vor allem der antidepressiven Wirkung von Ketamin zu verdanken ist.

    Interessant an Ketamin scheint mir, dass seine psychotrope, neuromodulierende Wirkung viel länger anhält als es überhaupt im Blut nachweisbar ist. Ketamin scheint unter anderem die Konnektivität verschiedener Hirnzentren zu ändern. Dazu liest man im verlinkten Artikel:

    Es wurde kürzlich gezeigt, dass die subanästhetische Ketaminverabreichung auch die funktionellen Konnektivitätsmuster verändert, mit möglichen mechanistischen Auswirkungen auf Depressionen. Wong et al. (2016) fanden heraus, dass die subanästhetische Ketaminverabreichung die funktionelle Konnektivität zwischen dem subgenuellen vorderen zingulären Kortex, der an der Modulation der Stimmung beteiligt ist (Davey et al., 2012), und einem Netzwerkcluster mit dem Thalamus, dem Hippocampus und dem retrosplenialen Kortex. Mit einer Ketamin-Infusionsdosis, die oft zur Behandlung von Depressionen verwendet wird, zeigten Muthukumaraswamy et al. (2015) eine reduzierte funktionelle Konnektivität in frontoparietalen Netzwerken, die mit einer Zunahme glückseliger Gefühle einhergehen.

    Ketamin scheint auch bei Zwangsstörungen wirksam zu sein. Allerdings nur für ein paar Tage bis maximal ein paar Wochen nach der Infusion.

    Wenn man oben im Artikel von Louisa Sohmen liest: Ketamin blockiert im Gehirn eigentlich die Bindung von Glutamat an NMDA-Rezeptoren. , so scheint dies vor allem für die anästhetische Wirkung verantwortlich zu sein. Daneben hat Ketamin sehr viele weitere Angriffspunkte wie etwa Blockade von hyperpolarisationsaktivierten zyklischen Nukleotidkanälen (HCN1),
    Blockade von nikotinischen Acetylcholin-Ionenkanälen,
    Delta-und Mu-Opioid-Agonismus und Opioid-Potenzierung,
    Cyclisches Guanosinmonophosphat-System (cGMP),
    AMPA-Rezeptoren,
    Metabotrope Glutamatrezeptoren (mGluR),
    Reduktion der cholinergen Neuromodulation,
    Erhöhte Freisetzung aminerger Neuromodulatoren (Dopamin und Noradrenalin), Neurosteroide, L-Typ-Ca2+-Kanäle

    Bis jetzt wird Ketamin nicht breit eingesetzt trotz klinischen Studien, die inzwischen schon 8 Jahre zurückliegen. Es gibt inzwischen aber auf die Behandlung mit Ketamin spezialisierte Kliniken.
    Ketamin wird bis jetzt auch nicht als Ersttherapeutikum eingesetzt. Es ist bis jetzt quasi für die schwereren, schwierigeren Fälle reserviert.

  2. Den Sound sozusagen derartiger Nachricht mag der Schreiber dieser Zeilen nicht :

    Bis zur Zulassung ist es zwar noch ein weiter Weg, da alle bisherigen Experimente bei Mäusen durchgeführt wurden, doch die Forscher sind zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren eine Ketamin-Revolution erleben dürfen. [Artikeltext]

    Sicherlich ist die Depression eine ernst zu nehmende psychische Erkrankung, es gibt auch andere psychische Störungen, die weniger ernst genommen werden könnten, vielleicht auch weniger ernst zu nehmen sind.
    Das Leben ist sozusagen hart.
    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer (der sich hier nur melden tat, weil er bei der hiesigen werten Inhaltegeberin Verständigkeit meint festgestellt zu haben, vielleicht auch besondere)

    • Danke für die Veröffentlichung (des Kommentars), die gerne auch zeitnah erfolgen darf.
      Sicherlich ist “Dr. Webbaer” u.a. auch ein wenig impertinent, will sich “nicht wirklich” anwanzen; mag es insgesamt, wenn auch im Bereich der wissenschaftsnahen Kommunikation die Zeitnähe gewahrt bleiben könnte.
      MFG
      WB

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