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50 Shades of Green – Wie Sprache die Wahrnehmung von Farbe beeinflusst

Während ich diesen Artikel schreibe liege ich im Gras, das genauso grün ist wie der Caipirinha, den ich unter strahlend blauem Himmel trinke. Das klingt doch großartig, oder? Aber um ehrlich zu sein: Ich sitze nur an meinem Schreibtisch – ohne Caipirinha, aber wenigstens mit einem braunen Kaffee. Doch durch die farbenfrohen Beschreibungen siehst du die Szene in deinem Kopf. Farben sind für alle Lebewesen von großer Bedeutung. Wir Menschen nutzen verschiedene Farben als Attribute, um Dinge lebhafter beschreiben zu können. Vor allem aber assoziieren wir verschiedene Emotionen damit. Wir scheinen uns also bei der Definition von Farben einig zu sein, da wir Objekte ähnlicher Farbe auf dieselbe Weise beschreiben würden. Blau wirkt beruhigend, rot hingegen eher dynamisch und impulsiv. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass wir Farben komplett unterschiedlich wahrnehmen: mein Grün, könnte dein Rot sein. Es klingt zunächst wie eine philosophische Fragestellung, im Kern ist es jedoch pure Neurowissenschaft!

Farbwahrnehmung

Um bei der wissenschaftlichen Sichtweise zu bleiben: Was, wenn ich dir nun sage, dass das grüne Gras überhaupt nicht wirklich grün ist? Jedoch enthält es Chlorophyll als Pigment , welches einen Teil des Lichts einer bestimmten Wellenlänge reflektiert, um licht-sensitive Zellen (Photorezeptoren) in deinem Auge zu aktivieren. Insofern keine Farbenblindheit besteht, verfügen wir Menschen alle über die gleichen drei Farbrezeptoren. Sie werden S-, M- und L-Zapfen genannt und sind jeweils sensitiv für kurze, mittlere oder lange Wellenlängen des Lichts. Was wir als grün bezeichnen ist letztlich nur ein Teil des Lichtspektrums mit einer Wellenlänge von etwa 540 nm, welcher hauptsächlich M-Zapfen in der Retina aktiviert. Die weitere Verarbeitung und finale Wahrnehmung der Farbe Grün findet allerdings im visuellen Cortex, im Gehirn, statt. Farben haben also eine objektive, externe Komponente – die Wellenlänge, und eine subjektive, interne Komponente – die Wahrnehmung im Gehirn. Letztere ist für Forschende noch immer ein Mysterium.

Aktivitätsmuster korrelieren mit Wahrnehmung

Aber ist es wirklich so mysteriös? Ist es möglich zu messen, ob wir Farben auf ähnliche oder völlig unterschiedliche Weise wahrnehmen? Eine Studie von Rosenthal et al. konnte zeigen, dass verschiedene Farben ein unterschiedliches neuronales Aktivitätsmuster hervorrufen. Dies deutet auf eine topografische Repräsentation von Farben im Gehirn hin. In diesem Experiment wurde die Hirnaktivität der Testpersonen mittels Magnetenzephalographie gemessen – eine Methode, welche die elektrische Aktivität der Nervenzellen durch Magnetsensoren detektiert. Während der Messung wurden den Testpersonen Karten mit verschiedenfarbigen Spiralen gezeigt, wobei die wahrgenommene Farbe benannt werden musste. Ein solches Dekodierungsexperiment produziert Unmengen von Daten, die jedoch nötigt sind, um neuronale Aktivitätsmuster zu erkennen. Auf diese Weise lässt sich feststellen, ob ein bestimmtes Aktivitätsmuster mit der Wahrnehmung einer bestimmten Farbe korreliert. Und tatsächlich konnte die Studie nachweisen, dass unser Gehirn Farben mit einem spezifischen räumlichen Aktivitätsmuster kodiert. Umso beeindruckender ist jedoch der Fakt, dass die Aktivitätsmuster bei Farben desselben Farbtons, aber unterschiedlicher Helligkeit (z.B. dunkelblau und hellblau), ähnlicher waren als bei unterschiedlichen Farbtönen (z.B. blau und grün). Folglich weisen Farben, die wir als ähnlicher beschreiben würden, tatsächlich ein vergleichbares Aktivitätsmuster im Gehirn auf. Ein weiterer Beleg dafür ist die Tatsache, dass die Aktivitätsmuster zwischen hell- und dunkelblau ebenfalls ähnlicher waren als zwischen hell- und dunkelgelb. Die Forschenden vermuten, dass hierbei die Sprache eine wichtige Rolle spielt. Die Testpersonen wählten häufiger eine andere Farbkategorie für die verschiedenen Gelbtöne, z.B. “braun” für dunkelgelb, während hell- und dunkelblau durchweg mit dem Begriff “blau” beschrieben wurden.

Sprache beeinflusst Wahrnehmung

Farbkategorien

Sprache scheint also unsere Wahrnehmung zu beeinflussen. Aber bedeutet das auch, dass unsere Muttersprache unsere Farbwahrnehmung beeinflusst? Sehen Russen den blauen Himmel in einer anderen Farbe als Deutsche oder Engländer? Natürlich sehen sie ihn nicht wirklich in einer völlig anderen Farbe, aber zumindest können sie verschiedene Blautöne schneller unterscheiden. Die russische Sprache unterteilt hell- und dunkelblau in zwei verschiedene Farbkategorien und beschreibt sie somit mit zwei unterschiedlichen Begriffen, nämlich “goluboy“ für helles und “siniy“ für dunkles blau. Dieser Unterschied in den semantischen Kategorien führt dazu, dass ein russischsprachiger Mensch die verschiedenen Blautöne besser erkennt als ein englischsprachiger.

Verarbeitungsunterschiede

Eine weitere aufschlussreiche Studie zeigt, dass kategorische Farbbegriffe unsere Farbwahrnehmung vor allem in der linken Gehirnhälfte beeinflussen. Die Sichtfelder des Auges projizieren kontralateral in das Gehirn. Das bedeutet, dass das rechte Sichtfeld in der linken Hemisphäre, während das linke Feld in der rechten Hemisphäre verarbeitet wird. Die linke Hemisphäre ist jedoch vor allem für sprachliche Funktionen verantwortlich. Deshalb läuft die visuelle Verarbeitung des rechten Sichtfeldes durch eine Art Sprachfilter. Die Teilnehmenden der Studie mussten ein mittig angeordnetes Kreuz mit den Augen fixieren, um das ein Ring aus farbigen Quadraten angeordnet war. Alle Quadrate, außer eines, hatten die gleiche Farbe. Das andersfarbige Quadrat erschien entweder in der rechten oder linken Hälfte des Bildschirms. Die Aufgabe der Testpersonen bestand darin, zu erkennen, ob das andersfarbige Quadrat in der rechten oder linken Hälfte erscheint, wobei sie dies durch Drücken eines Knopfes mit der rechten beziehungsweise linken Hand signalisierten. Wurde das andersfarbige Quadrat einer anderen Farbkategorie zugeteilt (z.B. alle Quadrate sind grün und das andersfarbige Quadrat ist blau), konnten die Testpersonen das farblich abweichende Quadrat deutlich schneller identifizieren als bei gleichen Farbkategorien (z.B. hat das andersfarbige Quadrat nur einen anderen Grünton). Die schnellere Unterscheidung zwischen grün und blau ist nicht überraschend. Das spannende daran ist jedoch, dass diese schnellere Unterscheidung der unterschiedlichen Farbkategorien nur auf das rechte Sichtfeld zutrifft, das von der linken sprachdominanten Hemisphäre verarbeitet wird. Interessanterweise kann dieser sprachliche Filter auch ausgeschaltet werden. Stellte man den Teilnehmenden gleichzeitig eine Aufgabe, die sprachliche Fähigkeiten erforderte, verschwand der Effekt der schnelleren Unterscheidung von Farbkategorien des rechten Gesichtsfeldes.

Offene Fragen

All diese Experimente zeigen wie faszinierend unser Gehirn ist. Auch wenn nun geklärt ist, ob Sprache tatsächlich unsere Farbwahrnehmung beeinflusst, wissen wir jedoch noch immer nicht, ob wir Farben tatsächlich unterschiedlich wahrnehmen. Dass in unserem Gehirn verschiedene Farben mittels eines räumlichen Aktivitätsmusters codiert werden, ist definitiv eine wichtige Erkenntnis. Dennoch können wir aus dieser Studie nicht schlussfolgern, ob wir Farben auf dieselbe Weise wahrnehmen.

Individuelle Wahrnehmung

Vereinfacht gesagt: Wir Menschen haben uns lediglich darauf geeinigt, ein bestimmtes Aktivitätsmuster der Photorezeptoren des Auges mit einem kategorischen Begriff zu versehen, z. B. “grün”. Vermutlich würde unsere Farbwahrnehmung weniger von der Sprache beeinflusst werden, wenn wir uns dazu entschieden hätten, Farben nach ihren Wellenlängen zu benennen, statt Oberbegriffe für bestimmte Farbkategorien zu finden. Anstelle des grünen Grases und des blauen Himmels gäbe es dann Gras mit einer Wellenlänge von 540 nm und einen Himmel von 450 nm. Aber ist es nicht eine wunderbare Vorstellung, dass wir die Welt durch unseren ganz eigenen Filter sehen? Unser Gehirn und damit auch unsere Gedanken und unsere Wahrnehmung werden von unserer Umwelt und unseren Erfahrungen geprägt. Das macht die Farbwahrnehmung zu einem unglaublich spannenden, aber auch individuellen Thema. Denn jeder von uns hat seine ganz eigene Wahrnehmung der Welt.

Trinken wir also einen grünen Caipirinha (oder vielleicht bevorzugst du nun die Beschreibung eines Caipirinhas von 540 nm) darauf. Cheers on our brains, those colorful minds!

Link zum englischen original Artikel auf Knowing neurons: https://knowingneurons.com/blog/2021/08/02/how-language-shapes-our-color-perception/
Quelle Titelbild: Freepik

Autorin des Artikels ist Carolin Haag.

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Ab und zu gibt es auch Gastbeiträge im Blog, die neben dem Team der Hertie-Stiftung aktuell verfasst werden von Carolin Haag, M.Sc. in Molekularbiologie, Doktorandin am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen, Lale Carstensen, M.Sc. in Chemie, promoviert am Institut für Wasserchemie der Technischen Universität Dresden und Ronja Völk, M.Sc. in Molekulare Biotechnologie und ehemalige Autorin bei Hirn und Weg. HIRN UND WEG ist der Neuroblog der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung , der die Bandbreite und Facetten eines der faszinierendsten Organe zeigen, Erkenntnisse aus Wissenschaft einfach und gut erklären und geistreich und unterhaltsam begeistern möchte. Neben der Informationsvermittlung gehören die Förderung von Exzellenz und die Schaffung von Strukturen in den Neurowissenschaften zu den Zielen des Programmbereichs "Gehirn erforschen" der Stiftung.