Euromoon 2000 – die chancenlose Mondmission

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Vergangenen Sonntag verlor der erste niederländische Raumfahrer Wubbo Ockels im Alter von 68 Jahren seinen Kampf gegen den Krebs. Ockels war 1985 zusammen mit den Deutschen Reinhard Furrer und Ernst Messerschmid Teilnehmer der Spacelab-Mission D-1 auf STS-61-A, dem letzten erfolgreichen Flug des Orbiters Challenger, der am 28.1.1986 verunglückte.

Wubbo Ockels demonstriert einen Astronautenschlafsack, Quelle: ESA
Wubbo Ockels demonstriert einen Astronautenschlafsack, Quelle: ESA

Ockels hatte nach seinem ersten und einzigen Raumflug weitere Aufgaben in der ESA, zuletzt als Leiter der ESA-Abteilung für “Education and Public Outreach”. 2003 verließ er die ESA und wurde zum Professor an der bekannten TU Delft berufen, wo er mit der technischen Anwendung alternativer Energien zu tun hatte. Er ist für eine ganze Menge Dinge bekannt. Zunächst einmal natürlich wegen seiner Raumfahrerkarriere, die ihm in den Niederlanden zu einem hohen Bekanntheitsgrad und einem erheblichen Status verhalf. Dann natürlich für den mit Abstand coolsten Schnurrbart im ganzen Orionarm. Den Bart rasierte er sich allerdings später aus mir unerfindlichen Gründen ab.

In Luftfahrtkreisen kennt man ihn als Beteiligten an einem Flugunfall im Jahre 1989, als er bei Nebel mit seinem Kleinflugzeug auf die Startbahn rollte, auf der gerade ein Airbus A320 aufsetzen wollte. Der Airbus-Pilot versuchte noch, die Kollision zu verhindern, streifte aber das Kleinflugzeug, wobei es schwer beschädigt wurde. Ockels sowie alle Insassen des Verkehrsflugzeugs kamen mit dem Schrecken davon, was aber wohl kaum als Ockels’ Verdienst bezeichnet werden kann.

Als Student habe ich die Mission D-1 verfolgt. Dabei kam mir sein Name zum ersten Mal unter, aber außer seinem Schnurrbart blieb mir nichts im Gedächtnis haften. Das änderte sich 1998. Da war Ockels die treibende Kraft hinter einer ziemlich fieberhaften Aktivität namens “Euromoon 2000”, die in der gesamten ESA eine Zeitlang sehr viel Aktivität und noch mehr Aktionismus entfachte.

Ich arbeitete damals für eine externe Firma als Rechenknecht beim ESOC und hatte nicht viel zu melden. Von einem Tag auf den anderen wurde ich von meiner bisherigen Arbeit abgezogen (was mir ganz gut passte, denn der Job stank mir) und man drückte mir eine ganze Menge dringende Softwareentwicklung im Bereich der Flugdynamik für einen Mond-Orbiter und Lander aufs Auge. Die Anforderungen wurden immer umfangreicher und der Zeitplan immer dringender. Aber mir war es recht. Es ging schließlich um den Mond! Aber dann, nach einigen Monaten, war ganz plötzlich alles vorbei und ich musste feststellen, dass mein vorheriger Job auf mich gewartet hatte und mir immer noch genau so stank.

Was zum Teufel war nun dieses “Euromoon 2000“?

Es handelte sich um eine Mission, die unter maßgeblicher Beteiligung von Studenten entwickelt werden sollte. Eine Raumsonde sollte auf einer polaren Bahn den Mond umkreisen und dabei einen bei der Landung 1000 kg schweren Lander absetzen, der auf 100 Meter genau auf einem Kraterrand am Südpol des Mondes (einem sogenannten PEL: “Peak of Eternal Light”) landen und eine wissenschaftliche Nutzmasse von 250 kg (Ein Nutzlastfaktor von 25% bei einer Mondlandesonde ist schon als eine ….. hochgradig nichttriviale Anforderung zu verstehen) mit sich führen sollte, und zwar noch vor Ende des Jahres 2000.

Ohne jemanden wie Ockels als Initiator hätte so ein Vorschlag keinerlei Chancen, auch nur Gehör zu finden und damit keinerlei Chancen auf Realisierung. Mit the Power of Wubbo fand die Idee zumindest Gehör, hatte aber immer noch keinerlei Chance auf Realisierung. Nicht allein, dass es einfach nicht durchsetzbar ist, wenn so eine Unternehmung voll von neuen, unerprobten und in Europa erst noch zu entwickelnden Technologien ist und dann von einer Abteilung geleitet wird, deren Aufgabengebiet “Education and Public Outreach” ist. Ein Hochtechnologieprojekt braucht einen soliden Rückhalt in einer technischen Abteilung und eine ebenso solide Unterstützung aus der wissenschaftlichen Gemeinde. Mit so etwas kann man nicht einfach quer einsteigen, sonst geht man damit gleich baden.

Hinzu kam, dass Zeitplan und Finanzierung einfach nicht passten. Das Budget sollte bei rund 250 Millionen ECU liegen. So richtig Gas gegeben wurde nicht vor 1997, und 2000 war eine ziemlich harte Deadline. Wissenschaft kann zur Not auch noch ein bisschen warten. PR nicht, insbesondere, wenn das Ganze als europäischer Beitrag zu den Milleniumsfeiern verkauft wird.

Schon im März 1998, nur wenige Wochen, nachdem man damit an die Öffentlichkeit gegangen war, machte der damalige ESA-Generaldirektor Antonio Rodotà der Sache ein Ende, kurz und schmerzlos. Es gab keine Alternative, denn realisierbar war dieses Projekt so nicht.

Die Chinesen zeigen uns jetzt, wie man das richtig macht: Nicht als PR-Strohfeuer, bei dem versucht wird, in unmöglich kurzer Zeit gleich unglaublich vollmundige Anforderungen zu erfüllen, sondern als überlegte Folge aufeinandergestimmter Einzelprojekte mit logisch aufeinander aufbauenden Meilensteinen. Wäre das damals in Europa angegangen worden, dann wären europäische Ingenieure und Wissenschaftler heute in der planetaren Forschung führend.

Aber leider kam es anders. Und wahrscheinlich werden uns schon sehr bald nicht nur die Chinesen zeigen, wo der Hammer hängt.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

8 Kommentare

  1. Danke, Michael, für diesen lesenswerten, weil informativen und mit spritziger Feder verfassten Artikel. Der Anlass ist ein trauriger, aber auch der Rückblick auf das Projekt Euromoon 2000 und die Hintergründe seines Scheiterns stimmen melancholisch. Und wo Europas Raumfahrt stehen könnte, wenn…

    Fähige Leute hat die ESA zweifellos, auch damals schon – gute Ideen zuhauf. Aber wie schaut’s auf der politischen Ebene aus, dort, wo man sich ja meist nur zum Fortschritt bekennt, um gleich darauf wieder abzutauchen? Es könnte ja jemand den brandgefährlichen Vorschlag machen, einfach mal mehr Geld in die Hand zu nehmen, um Europas Raumfahrt neue Impulse einzuhauchen.

    Wie engagiert ist eigentlich unser Minister für Raumfahrt? Und wie hieß der Vorhänger? Ach ja, es war ein überaus engagierter und kompetenter Herr R…..

    Ok, genug gewehklagt. Freuen wir uns über die schönen ESA-Erfolge und drücken Rosetta die Daumen. Und den Chinesen. Und…

  2. Die Europäer nehmen immer mehr die Rolle der antiken Griechen ein, nachdem Griechenland vom römischen Reich erobert wurde. Die Römer bewunderten einerseits die griechische Kultur und spannten griechische Sklaven gerne als Hauslehrer ein. Sie hatten aber auch ein mildes Lächeln übrig für die in ihren Augen weltfremden Griechen, die versponnen Ideen nachhängten während sie ihr Imperium auf handfesten Fähigkeiten wie dem Ingenieurwesen, dem steuerfinanzierten Staat und einer grossen Söldnerarmee aufbauten.
    Dabei hat Europa insgesamt die gleiche Wirtschaftskraft wie die USA, bringt aber in Bereichen wie der Raumfahrt ausser hochfliegenden Ideen nicht viel auf die Reihe. Ich erinnere mich noch an meine frühere Arbeitsstelle, wo ein Mitarbeiter, der in seiner Freizeit GPS-Software schrieb, von den Möglichkeiten des Galileo-Satellitennavigationssystem schwärmte, das schon 2008 zur Verfügung stehen werde, so dass er sich sputen müsse, dessen Fähigkeiten in seiner Software zu unterstützen. Jetzt sind wir im Jahr 2014 und das Galileo-System steht noch immer nicht.

  3. March 29, 1998:
    At a meeting of ESA member nations March 26, the Euromoon 2000 program was dropped. ESA director-general Antonio Rodota said the “financial risks inherent in the mission” were too great for the member nations to shoulder.
    Euromoon 2000 wurde einige Wochen nachdem es angekündigt wurde, bereits wieder versenkt. Nach obiger Verlautbarung vor allem wegen finanziellen Risken. Wenn für die ESA, also für die EU-Länder welche die ESA finanzieren, 250 Millionen ECU für eine Mondlandung zuviel sind – das ist ja die Begründung für den Stopp des Programms -, dann zeigt das überdeutlich, was man von der ESA überhaupt erwarten kann. Scheinbar nichts grosses, ja nicht einmal etwas mittelgrosses. Die Umstände der Verlautbarung – Absage nach Ankündigung einige Wochen zuvor – zeigen zudem, dass es mit der Zusammenarbeit der in der ESA versammelten Nationen haperte – und wohl immer noch hapert. Die ESA ist halt alles andere als eine zweite NASA. Auch die NASA muss immer wieder finanzielle Kürzungen hinnehmen, dass aber etwas von der NASA angekündigt wurde um es dann ein paar Wochen später wieder abzusagen, ist mir nicht bekannt. Nach aussen sieht das nach ungeplantem, chaotischem Vorgehen aus, genau das, was man erwartet, wenn eine lose Gruppe von Nationen ganz unterschiedlicher Interessen sich eine gemeinsame Orgranisation leistet, letztlich aber die Interessen der einzelnen Mitgliedsländer über das Gesamtinteresse obsiegen.
    Die Geschichte von Exomoon 2000 ist also auch eine Geschichte der EU: Die Geschichte einer Vereinigung deren Gestaltungskraft kleiner ist als es ihre Ambitionen sind.

    • Euromoon 2000 wurde einige Wochen nachdem es angekündigt wurde, bereits wieder versenkt. Nach obiger Verlautbarung vor allem wegen finanziellen Risken. Wenn für die ESA, also für die EU-Länder welche die ESA finanzieren, 250 Millionen ECU für eine Mondlandung zuviel sind – das ist ja die Begründung für den Stopp des Programms -, dann zeigt das überdeutlich, was man von der ESA überhaupt erwarten kann.

      Da haben Sie etwas falsch verstanden. Dass das Programm 250 Millionen kosten sollte, ist nicht die Begründung für den Stopp des Programms, sondern die Begründung ist das hohe finanzielle Risiko.

      Würde es wirklich 250 Millionen kosten, wäre es kein Risiko, denn das wäre ja nur der budgetierte Preis gewesen. Das finanzielle Risiko lag vielmehr darin, dass das Programm unabsehbar mehr kostet (was wahrscheinlich wäre), aber dennoch nicht durchführbar ist (was auch wahrscheinlich wäre, zumindest unter Einhaltung der vorher propagierten Rahmenbedingungen – 3 Jahre Realisierungsdauer und 25% Nutzmassenanteil! Unfug.).

      Sie haben allerdings Recht damit, dass es lächerlich und unprofessionell wirkt, erst mit Pomp und Trara etwas anzukündigen und es dann gleich wieder in die Tonne zu treten. Das kann man nicht bestreiten.

      • Eigentlich fast noch schlimmer – oder tragischer -, wenn das Projekt nicht gut engineered war. Dann waren offensichtlich keine Wernher von Brauns an der Arbeit. Die Leute, die etwas verstanden von der Materie, waren also bei den Amerikanern. Es gibt ja das Gerücht, die Nasa habe zuerst versucht, nur das Wissen von Wernher von Braun in die USA zu transferieren und gehofft, schon bald auf die deutschen Ingenieure der V2 verzichten zu können . Das klappte aber nicht, weil die US-Ingenieure es nicht hinkriegten. Die USA konnte also auf von Braun nicht verzichten. Später scheinen die Europäer die gleiche Erfahrung gemacht zu haben – eine Raumfahrt aus dem Nichts kann man nur schwer aufbauen. Wobei das Nichts nicht bedeutet, dass es keine Technologien oder Ingenieure gibt, sondern dass es keine mit der Materie vertrauten Raketeningenieure gibt. Auch in der Sowjetunion schien nach dem Ausscheiden von Sergei Koroljow, ihrem damals führenden Raketeningenieur, nichts mehr zu gehen.

        • Ich kann Ihnen da jetzt langsam nicht mehr ganz folgen. Ich glaube, Sie konstruieren da insgesamt etwas zu weite Zusammenhänge.

          Es kommt halt immer wieder mal vor, dass es jemandem gelingt, irgendwelche halbgaren Ideen weiter durchzupeitschen, als sie es verdienen. Das Projekt wurde ja zum Glück noch rechtzeitig gestoppt, bevor wirklich viel Geld für diese Mission Impossible verbraten worden war. Dummerweise war das alles schon in der Öffentlichkeit herausgetrötet worden. Die Leute neigen halt dazu, bei Astronauten immer gleich davon auszugehen, dass die wissen, vovon sie reden.

          Inzwischen gibt es in der ESA (seit etwa 15 Jahren) eine sogenannte “Concurrent Design Facility”, wo Projektideen erst einmal einer Machbarkeitsstudie unterzogen werden. Ich will jetzt nicht behaupten, dass die CDF die Lösung aller Probleme ist. Aber zumindest besteht die Möglichkeit, dass dieser Projektvorschlag bereits in der CDF-Machbarkeitsstudie als vollkommen illusorisch identifiziert worden wäre.

          Es ist vielleicht kein reiner Zufall, dass das CDF bei der ESA kurz nach dem EuroMoon 2000-Debakel eingeführt worden ist. Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt.

  4. Wenn ich es mir recht überlege, scheinen Sie aber danach alles richtig gemacht zu haben, um an einen besseren Job zu kommen. Wobei wahrscheinlich auch noch etwas Glück dabei war, aber ich denke, sie haben da auch die richtigen Leute auf sich aufmerksam gemacht, so das die sich gedacht hat, dass Sie auch dauerhaft ganz gut zu gebrauchen sind…

    • Ich habe lange hin und her überlegt, wie es dazu kommen konnte, aber die einzige plausible Erklärung ist, dass damals meine Bewerbungsunterlagen versehentlich von einem Mitarbeiter der Personalabteilung von dem hohen “Gleich Ablehnen”-Stapel heruntergestoßen wurden und auf den viel kleineren “Zum Vorstellungsgespräch einladen”-Stapel fielen.

      Kurz darauf wurde dieser kleinere Stapel in die Hauspost gegeben und zum Personalchef geschickt. Der große Stapel, auf den meine Unterlagen eigentlich gehörten, ging dagegen zur Poststelle.

      So nahm das Unheil seinen Lauf.

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