ERS-2 kommt bald runter +++ Updates am Ende des Texts +++
Der europäische Umweltsatellit ERS-2 (European Remote-Sensing Satellite) wurde im Jahr 1995 in eine knapp 800 km hohe sonnensynchrone Bahn gestartet. Er wurde 2011 nach 16 Jahren des erfolgreichen Betriebs abgeschaltet. Zuvor war das Perigäum seiner Bahn abgesenkt worden, um die verbleibende orbitale Lebensdauer zu verkürzen. Mittlerweile hat sich die Bahnhöhe infolge der Luftreibung auf etwas über 300 km verringert und der Wiedereintritt von ERS-2 wird für Februar 2024 erwartet.
ERS-2 ist mit einer Masse von auch mit leeren Tanks immer noch mehr als 2.1 Tonnen ziemlich groß. Er besitzt aber auch eine große Radarantenne. Da ein Radar ein leistungshungriges Instrument ist, brauchte der Satellit einen großen Solargenerator. Zusammengenommen kommt also viel Fläche zusammen, sodass ein erheblicher Luftwiderstand anfällt.
Aktuelle Bahndaten können im etwa täglichen Rhythmus beispielsweise bei heavens-above.com abgerufen werden ( Link ). heavens-above berechnet auch für Ihren Standort die Daten der sichtbaren Überflüge, d.h., solche, bei denen der Himmel schon dunkel ist, der Satellit aber noch angestrahlt wird. Dazu gleich mehr.
Wie man sieht, ist die Bahn aktuell in etwa über dem Terminator. Das bedeutet, dass der Satellit uns am frühen Abend und am Morgen überfliegt. Für viele Orte ergibt sich sehr gute Sichtbarkeit bei hoher Elevation. Es lohnt sich der Versuch der Beobachtung und fotografischen Erfassung. Vorausgesetzt, das Wetter spielt mit.
Ich habe die Bahn von ERS-2 ausgehend von den Bahndaten für heute, Freitag, 26.1.2024, numerisch propagiert und komme auf einen Wiedereintritt am Tag 50 des Jahres. Das wäre der 19. Februar, also in 24 Tagen. Allerdings ist eine Vorhersage über so einen langen Zeitraum noch sehr unsicher. Es kommt alles darauf an, wie sich die Sonnenaktivität entwickelt, denn die korreliert stark mit der Luftdichte in der Hochatmosphäre.
Die Sonne nähert sich dem Maximum ihres 11-Jahres Zyklus, und alles weist auf ein starkes Maximum hin. Wenn sie jetzt aber eine Verschnaufpause einlegt, könnten ERS-2 noch ein paar Tage mehr im Orbit vergönnt sein. Falls sie aber jetzt so richtig Gas gibt, wird der Satellit schon früher unten sein. Das lässt sich aber heute unmöglich exakt prognostizieren. Wir werden es abwarten müssen.
+++ Update 5.2.2024
Wie in meinem Kommentar vom 29.1. vermerkt, lag das vorausberechnete Absturzdatum drei Tage nach Erstellung des Artikels, also am 29.1., immer noch am 19. Februar 2024. Nochmals sechs Tage später, am 5.2.2024, habe ich eine neue Prognose erstellt. Diese liegt nun etwas später, und zwar um etwa 05:30 UTC am 20. Februar. Es gibt aber immer noch eine erhebliche Unsicherheit, vor allem aufgrund der Sonnenaktivität. Immerhin scheint mein Modell des Luftwiderstands auch noch über längere Zeitabstände hinweg noch hinreichend genau zu sein.
+++ Update 12.2.2024
Eine Woche später, mit den Bahndaten vom 12.2.2024, ergibt sich als vorausberechnetes Absturzdatum der 20.2.2024 um 19:12 UTC, also nochmals mehr als einen halben Tag später als zuvor berechnet. Dies spiegelt die aktuell etwas nachlassende Sonnenaktivität wieder. Daran kann sich allerdings im Laufe der Woche noch etwas änden. Die Unsicherheit dürfte mindestens im Bereich mehrerer Stunden liegen.
+++ Update 19.2.2024
Auf Basis der Bahndaten vom 18.2.2024 berechne ich jetzt einen Wiedereintritt am kommenden Mittwoch, 21.2.2024, um 13:38 UTC. Im folgenden Diagramm ist, anders als in den bisherigen Abbildungen, nicht mehr die mittlere Peri- und Apogäumshöhe dargestellt, sondern die oskulierende Bahnhöhe über dem Geoid.
Das war jetzt das letzte Update von meiner Seite. Es hängt nun alles davon ab, wie sich die Sonnenaktivität entwickelt. Es gibt Anzeichen dafür, dass nach dem Durchhänger der letzten Wochen nun mit einer ansteigenden Aktivität zu rechnen ist. Allerdings fliegt ERS-2 mittlerweile schon so niedrig, dass die Variation der Luftdichte mit der Aktivität weniger stark ausgeprägt ist.
Daher verweise ich von jetzt an auf die Autorität in Sachen Wiedereintrittsprognose: Das Space Debris Office des ESOC. Die Kollegen haben in ihrem Blog einen schönen Artikel zum Ende von ERS-2 mit häufigen Updates. Unten ein Screenshot der aktuellen Prognose dort: 21.2.2024 11:14 UTC, also mehr als drei Stunden früher als meine Prognose, allerdings basierend auf neueren Bahndaten und noch mit einer Unsicherheit von 15 Stunden behaftet. Drei Stunden sind immerhin zwei Bahnumläufe, also schon wichtig, wenn man wissen will, wo genau der Wiedereintritt stattfinden wird.
Interessant ist, wie stark die Prognose dort noch innerhalb der letzten Woche variierte. Allein am 12.2.2024 sprang die vorausberechnete Wiedereintrittszeit vom 20.2.2024 14:01 auf den 19.2.2024 22:26.
+++ Update 20.2.2024
Seit meinem letzten Update hat das Space Debris Office zwei neue Berechnungen der Wiedereintrittszeit publiziert. Die erste, vom 19.2.2024 um 16:30, nennt als wahrscheinlichste Zeit den 21.2.2024 um 15:41 UTC. Die neueste, vom 20.2.2024 um 07:00, korrigiert die Zeit auf 21.2.2024 19:24 UTC, allerdings immer noch mit einer Unsicherheit von 10 Stunden. Trotz des Auftauchens neuer, großer Sonnenflecken nimmt die Emission der Sonne im 10.7cm-Band schon seit Tagen ab.
“kommt bald runter” bedeutet das, dass Teile auf die Erde stürzen, oder verglüht der Satellit ?
Bei einer Satellitenmasse von unter einer Tonne, wenn da nicht gerade besonders hochwarmfeste Teile verbaut sind wie keramische Spiegel, kommt in der Regel nichts unten an. Aber bei mehr als 2 Tonnen Eintrittsmasse kann man davon nicht ausgehen. Das meiste wird bestimmt verglühen, die Antennen, die Struktur. Aber kompakte, dickwandige Teile so wie besagte aus Keramik, aber auch aus Glas, Stahl oder Titan könnten zumindest in Bruchstücken den Boden erreichen.
Sind Sie da sicher?
Wer jemals gesehen hat, wie ( flüssig-heißes ) Titan mit Sauerstoff in einem “Titanfeuer” verbrennt, kann sich kaum vorstellen, wie Teile davon den Weg durch die Atmosphäre überstehen können.
Ja, da bin ich mir sicher, und sie werden in der Literatur auch diese Aussage finden. Entscheidend sind Bauteildicke und Schmelztemperatur, und auch, wie tief im Inneren des Satelliten das betreffende Bauteil vergraben ist. Wenn die flüssige Phase erst einmal erreicht wurde, wird das Material sowieso verstreut.
Die heiße Phase des Wiedereintritts ist relativ kurz. Da ist es eben entscheidend, welche Temperaturen erreicht wurden.
3 Tage später, 29.1.2024: Basierend auf den aktuellen Bahndaten komme ich immer noch auf einen Absturz am 19.2. Meine Annahmen zur Berechnung des Widerstands passen bis jetzt offenbar ganz gut
+++ SLIM hat die Mondnacht überlebt! +++
Nachricht auf Space Daily vom 26.2.2024