Wie kommt HERA zu Didymos?

Pork-Chop Plots für ballistische Transfers von der Erde zu 65803/Didymos von 2024 bis 2026

Von der Mission HERA haben Sie vielleicht noch nie gehört, selbst wenn Sie an Asteroidenforschung interessiert sind. Von der Mission AIM dann schon eher – die sollte Ende 2020 starten, im Frühjahr 2022 am binären Asteroiden 65803/Didymos ankommen und das System aus rund 800 Meter großem Hauptkörper und 160 m kleinem Mond etwa 10 Monate lang erkunden und dabei auch den gezielten Hochgeschwindigkeitseinschlag der US-Sonde DART aus nächster Nähe verfolgen.

Mehr zu HERA hier im Webauftritt der ESA.

Schon auf Go For Launch …

AIM sollte integraler Bestandteil der Doppelmission AIDA sein, und dies gilt auch noch für HERA, obwohl der wichtige Missionsvorteil, den Hochgeschwindigkeitsimpakt direkt beobachten zu können, verloren gegangen ist. Worum es bei AIDA geht und warum Didymos ein wissenschaftlich besonders interessanter Asteroid ist, steht in diesem Artikel vom  Mai 2014. Damals dachte man noch, AIM würde im Jahr 2020 starten.

Am 1. Dezember 2016 wärmte ich die wissenschaftlichen Argumente für eine Beobachtungsmission zum Didymos wieder auf. Das war am Vorabend der Konferenz auf ministerieller Ebene, bei der unter anderem über die Zukunft von AIM entscheiden wurde. Das gute Zureden hat aber dann auch nichts mehr genützt.

Und nun zu HERA

Nach dem Ende von AIM wurde das Missionskonzept gründlich überarbeitet und verschlankt, mit dem Ziel, die Kosten zu senken. Natürlich musste dabei auch der Name geändert werden. Aus AIM (Asteroid Investigation Mission) wurde – warum auch immer – HERA, benannt nach der griechischen Göttin und Gattin des Zeus. HERA wurde bei der nächsten ministeriellen Konferenz in Jahr 2019 vorgelegt – und kam durch. 

AIM hätte im Jahr 2020 gestartet werden sollen. Da gab es ein Startfenster für den direkten Transfer zu 65803/Didymos. Startfenster bedeutet: Die Kombination aus hyperbolischer Fluchtgeschwindigkeit und dem unterwegs und bei der Ankunft aufzubringenden Geschwindigkeitsinkrement ist da gerade besser als zu den meisten anderen Zeiten.

Die hyperbolische Fluchtgeschwindigkeit bestimmt, wie viel Nutzmasse eine gegebene Rakete mitführen kann (Voraussetzung: Die Rakete muss sich für Starts in den interplanetaren Transfer eignen).

Direkter Transfer bedeutet, dass zwischen Start von der Erde und Ankunft am Asteroiden keine Begegnung an einem Planeten stattfindet. Es gibt also auch keine Möglichkeit zu einem Swingby. Bei einem direkten Transfer zu Didymos muss die hyperbolische Geschwindigkeit bei der Erdflucht mehr als 5 km/s betragen. Das ist viel Holz und für jede Rakete eine Herausforderung.

Die hohe Fluchtgeschwindigkeit liegt daran, dass Didymos auf einer hochexzentrischen Bahn mit einem Aphelradius von 2.276 AU fliegt. Ein direkter Transfer muss die Form einer Ellipse haben, die fast dieselbe Form wie die Bahn von Didymos hat. Um ein so hohes Aphel zu erreichen, braucht man bei 1 AU aber eine Geschwindigkeit von 35.1 km/s. Dieser Wert liegt nämlich um besagte “mehr als 5 km/s” über der Bahngeschwindigkeit der Erde.

Wenn man dann erst einmal auf dieser Bahn ist und das Startdatum so gewählt ist, dass die Transfer die Asteroidenbahn streift, dann braucht man Triebwerksmanöver nur noch dazu, zwischendurch die Bahnneigung anzupassen – die Bahn von Didymos is um 3.4 Grad gegenüber der Ekliptik geneigt – und bei der Ankunft die Geschwindigkeit von Raumsonde und Asteroid anzugleichen.

Wir hatten übrigens schon noch eine Menge Alternativen gefunden, bei denen die Erdfluchtgeschwindigkeit deutlich gesenkt werden konnte. Allerdings brauchten alle diese Transfers immer mehrere Swingbys an der Erde und ein deutlich höheres Delta-v, und sie dauerten dann auch noch 6-8 Jahre. 

Die Aufgabe für den Missionsanalytiker

Wie bereits erwähnt: 2020, das ursprünglich geplante Startjahr für AIM, war besonders günstig. Die Raumsonde hätte die Erdflucht mit etwas über 5 km/s absolvieren müssen, dann aber nur noch ein Delta-v von 1250 m/s gebraucht. AIM ist nun leider Geschichte, aber eben auch nicht ganz. HERA soll im Prinzip dasselbe machen wie AIM, soll aber weitgehend auf der bereits entwickelten Hardware aufsetzen, allerdings mit einem vier Jahre späteren Start, also außerhalb der besonders günstigen Situation von 2020. Idealerweise soll HERA sogar mit mit weniger Geschwindigkeitsinkrement und damit einem geringeren Treibstoffanteil auskommen.

Ach so, und viel länger als die etwa anderthalb Jahre wie bei der AIM-Mission darf es bei HERA auch nicht dauern. Da braucht man dann schon ein mittelgroßes Wunder, oder?

Baseline 2024: Das Wunder

Pork-Chop Plots für ballistische Transfers von der Erde zu 65803/Didymos von 2024 bis 2026
Pork-Chop Plots für ballistische Transfers von der Erde zu 65803/Didymos von 2024 bis 2026

Schauen wir uns mal die Pork Chop Plots am. Günstige Transfergelegenheiten für HERA haben wir genau dann, wenn die Ankunftsgeschwindigkeit möglichst lila und die dazugehörige Abfluggeschwindigkeit maximal gelb-orange ist.

Da haben wir ja schon eine Möglichkeit für die nominale Mission (“Baseline”)  in der zweiten Jahreshäfte 2024 und mit einer Transferdauer von rund 18 Monaten. Nur das mit den Manöverkosten kommt noch nicht so ganz hin, denn die sind immer noch mehr blau als lila, als näher an 2 km/s als an 1 km/s.

Tja, und nun kommt das Wunder. Meistens kommt ja grad keins vorbei, wenn man mal eins braucht. Manchmal – ganz selten – aber schon.
Der Missionsanalytiker guckte nämlich nach, ob nicht vielleicht der Mars helfen könnte. Dessen Bahn liegt doch genau auf dem Weg.

Bahn von Hera für das Startfenster 2024 mit einem Swingby am Mars
Bahn von HERA für das Startfenster 2024 mit einem Swingby am Mars

Und siehe da: Mars kann helfen. Dass dessen Bahn günstig liegt, sagt erst mal noch gar nichts. Dann muss der Planet auch noch zur richtigen Zeit am richtigen Punkt auf seiner Bahn sein. So unglaublich das erscheinen mag – es ist genau so. Besser geht’s kaum noch. Zumindest nicht mit diesem Missionsanalytiker. 

Start im Oktober 2024 mit niedrigerer Erdfluchtgeschwindigkeit als AIM, Mars-Swingby einige Monate später, Ankunft Ende 2026, und das Ganze mit einem Delta-v von knapp 800 m/s.

Alter!

Und was sagt die Projektleitung?

“Gut gemacht. Jetzt finde uns noch eine genau so gute Backup-Mission. Ein, zwei Jahre später.”

In etwa dasselbe wie “OK, das war ein schönes Wunder. Jetzt möchten wir aber bitte ein größeres Wunder.”

Jede Mission ist nur so gut wie ihr Backup

Also gut. Das war jetzt unfair von mir. Natürlich muss es eine Backup-Mission geben, falls aus irgendwelchen Gründen das nominale Startdatum verpasst wird. Da die Raumsonde so gebaut werden muss, dass sie sowohl mit der Baseline als auch mit dem Backup kompatibel ist, wird man natürlich wollen, dass Baseline und Backup annähernd gleiche Kenndaten aufweisen: Ähnliche Anfangsmasse, damit auch ähnliche Fluchtgeschwindigkeit, ähnliche Transferdauer, ähnliches Geschwindigkeitsinkrement und damit eine ähnliche Treibstoffmenge. 

Wenn man jetzt noch mal ins Pork-Chop-Diagramm schaut, sieht man: 2025 sieht es ganz mau aus. Ende 2026 scheint es dagegen fast so zu sein wie 2024, aber erstens auch nur fast. Zudem wäre auch 2024 nicht mehr akzeptabel gewesen, wenn wir da nicht das Glück mit dem Mars-Swingby gehabt hätten. 2026 gibt es diese Möglichkeit aber nicht. 

Bahn von Hera für das Startfenster 2026 ohne Swingbys, aber mit fast zwei kompletten Umläufen um die Sonne
Bahn von HERA für das Startfenster 2026 ohne Swingbys, aber mit fast zwei kompletten Umläufen um die Sonne

Am Ende mussten wir in den sauren Apfel beißen und einen deutlich längeren Transfer (Start Oktober 2026, Ankunft Dezember 2030) mit einer nochmals deutlich höheren Erdfluchtgeschwindigkeit (6 km/s), aber einem gerade noch akzeptablen Delta-v von 1150 m/s hinnehmen. Das war schon bitter. 

Aber zumindest hatten wir jetzt auch ein Backup für 2025. Der war im Prinzip derselbe wie der Transfer von 2026, aber mit einem Start im Oktober 2025 in eine Bahn, die eine Periode von genau einem Jahr hat und der Erde im Oktober 2026 wieder begegnet. Dann genügt ein Erd-Swingby, um die Raumsonde auf den Weg zum Didymos zu schicken. Die Erdfluchtgeschwindigkeit für das Backup im Jahr 2025 ist genau so wie für 2026; die Transferdauer ist nochmals ein Jahr länger.

Bahn von Hera für das Startfenster 2025 mit einem Swingby an der Erde und fast zwei kompletten Umläufen um die Sonne
Bahn von HERA für das Startfenster 2025 mit einem Swingby an der Erde und fast zwei kompletten Umläufen um die Sonne

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

17 Kommentare

  1. Hera ist also quasi eine AIM – – (AIM-Minus-Minus) Mission, kann doch Hera den Beschuss von Dimorphos’ durch NASA DART – wie ursprünglich geplant – nicht mehr direkt beobachten. Hera kann aber den erzeugten Krater vermessen, die Restmasse von Didimoon abschätzen (auf 10% genau) und die Störung des Hauptkörpers Didymain durch den Impact bestimmen. Als Laie fragt man sich natürlich, warum AIM nicht startbereit war und als Laie denke ich, dass sich das gut ins Bild des allgemeinen ESA-Schlendrians einfügt in der Missionen immer wieder aus beispielsweise Kostengründen verzögert werden – mit dem Resultat, dass die Verzögerung entweder alles noch teurer macht oder dann den Wert der Mission schmälert.

    Interessant noch, wie viele Faktoren das Startfenster und die genaue Bahn und Flugdauer eines Raumschiffes bestimmen und dass es neben Swingbys auch sonst noch wesentliche gravitative Einflüsse von Mars/Venus etc. gibt. Da fällt mir als Metapher ein Billiard-Board ein: in diesem Bild ist der circumsolare Raum das Billiard-Board und das Raumschiff die Billiard- Kugel. Nur ist es kein statisches, sondern ein dynamisches Billiard-Board, denn die Konstellationen ändern sich dauernd.
    Diese Betrachtungsweise könnte sich ändern, wenn es irgendwann Raketenantriebe mit einem viel grösseren „Power-Budget“ gibt und man nicht mehr an allen Ecken und Enden sparen muss.

    • Als Laie fragt man sich natürlich, warum AIM nicht startbereit war […]

      Also, ich muss schon sagen, die wahrscheinlich absichtliche Behauptung eines unrichtigen Sachverhalts, und dann auch noch so, als würde ich damit zitiert, ist kein guter Stil.

      Auf der Konferenz auf ministerieller Ebene Ende 2016, also knapp 4 Jahre vor dem vorgesehenen Startdatum, wurde beschlossen, die Mission AIM nicht weiter zu finanzieren. Damit war sie effektiv tot. Kein Geld – keine Mission.

      Ich habe im Artikel ausdrücklich auf diese Konferenz verweisen und dann einen Link zu einem Blog-Artikel von mir angefügt, in dem ich über die auf der Konferenz gefällten Entscheidungen berichte.

      Ich habe kein Verständnis dafür, wenn dies nun so verdreht wird, wie Sie das tun und unterstelle durchaus bösen Willen. Was soll das?

      […] dass sich das gut ins Bild des allgemeinen ESA-Schlendrians einfügt in der Missionen immer wieder aus beispielsweise Kostengründen verzögert werden – mit dem Resultat, dass die Verzögerung entweder alles noch teurer macht oder dann den Wert der Mission schmälert.

      Was für ein “Bild des allgemeinen Schlendrians”? Mir ist kein solches Bild bekannt. Ich sehe hier auch keine Anzeichen für Schlendrian. Wo sollen die sein?

      Es ist allerdings richtig, dass Weltraummissionen in Europa, insbesondere robotische, planetare Missionen, unterfinanziert sind und es deswegen unmöglich ist, die gesetzten Missionsziele zu erreichen und dabei auch unrealistische Zeitvorgaben einzuhalten.

      Mit Schlendrian hat das nichts zu tun – wie kommen Sie eigentlich darauf?

    • Zum technischen und wissenschaftlichen Aspekt:

      Hauptziel ist nach wie vor die Charakterisierung insbesondere von “Didymoon”, bzw. Dimorphos, wie er jetzt heißt und das bessere Verständnis der Auswirkungen des Impakts von DART.

      Es wäre sicher besser gewesen, hätte man Dimorphos sowohl vor als auch nach dem Impakt beobachten und vermessen können, wie es mit der AIM-Mission möglich gewesen wäre.

      Die Beobachtung des Impakts an sich, zu dem sich AIM in sichere Entfernung hätte zurückziehen müssen, wäre etwas sehr cooles gewesen, also wahrscheinlich eher ein PR-Event als wissenschaftlich bedeutsam, aber daran ist ja nichts auszusetzen. Den wissenschaftlichen Ertrag hätte es nicht geschmälert, und das Medieninteresse wäre riesig gewesen.

      HERA mit seinen zwei Cubesats ist aber auch technisch wegweisend. Cubesat-Technik ist die Zukunft; Europa muss da am Ball bleiben.

  2. Zitat obiger Kommentar:

    Es wäre sicher besser gewesen, hätte man Dimorphos sowohl vor als auch nach dem Impakt beobachten und vermessen können, wie es mit der AIM-Mission möglich gewesen wäre.

    Ja, denn AIM/HERA sollten ja die Auswirkungen des Impacts bestimmen – und zwar mit den gleichen Instrumenten vor und nach dem Impact. Jetzt aber wird die Wirkung des Impacts mit erdbasierten Teleskopen und mit Radar bestimmt. Für mich ist fraglich, was HERA überhaupt noch dazu beiträgt, denn HERA kann jetzt nur den Zustand des Asteroidensystems nachher bestimmen. Um eine Beziehung zum Zustand vor dem Impact herzustellen muss sie die Daten der erdbasierten Instrumente benutzen und die sind sicherlich weniger genau als es selbst erhobene Daten wären.

    In der Wikipedia liest man dazu:
    Zitat Double Asteroid Redirection Test:

    AIM would have studied the asteroid’s strength, surface physical properties, and its internal structure, as well as measure the effect on the asteroid moon’s orbit around the larger asteroid. Since the AIM orbiter was cancelled, the full characterization of the asteroids will not be obtained, and the effects of the impact by DART will be monitored from ground-based telescopes and radar.

    DART wird zudem einen italienischen Cubesat angekoppelt haben, der den Impact beobachtet. Zitat:

    The Italian Space Agency (ASI) will contribute a secondary spacecraft called LICIACube (Light Italian CubeSat for Imaging of Asteroids), a small 6-unit CubeSat that will piggyback with DART and will separate shortly before impact to acquire images of the impact and ejecta as it drifts past the asteroid.[19][26][27][28] LICIACube will communicate directly with Earth, sending back images of the ejecta after the Dimorphos (Didymos B) flyby.

    HERA könnte seine Daten also mit denen von LICIACube abgleichen und eventuell ein noch detailliertes Bild liefern.
    Aber nötig scheint mir die HERA-Mission nicht zu sein, denn die Kombination DART und LICIACube liefert schon den grössten Teil der Information.

    • Aha. Erst soll die böse ESA unser gutes Geld mit ihrem Schlendrian verprasst haben. Jetzt soll sie es auch noch mit wissenschaftlich sinnlosen Missionen verprassen. Na sowas.

      DART (und damit auch der begleitende Cubesat) wird mit mehr als 6 km/s (in Worten: sechs Kilometer pro Sekunde) relativ zum Didymos-System unterwegs sein.

      Ja, die werden ein paar Bilder machen können. Allerdings ist die Formulierung etwas irreführend. LICIA Cube “driftet” nicht, sondern rast mit mehr als 21,600 km/h am Ziel vorbei. Es werden da ein paar pretty pictures geschossen werden. Aber deren wissenschaftlicher Wert wird allein schon durch die Umstände limitiert sein.

      Der PR-Wert ist sicher nicht unerheblich – zumal LICIA Cube da ja nun ein Alleinstellungsmerkmal aufweist. Mit dem Bildmaterial, dass AIM hätte machen können, aus der optimalen Position in fester Entfernung, über Stunden hinweg, mit Null Relativgeschwindigkeit, kann das aber nicht annähernd mithalteen.

      Nun habe ich auch schon gesagt, dass selbst das Bildmaterial, das AIM vom Impakt geliefert hätte, wohl keinen besonderen wissenschaftlichn Wert aufgewiesen hätte, aber ein großartiges PR-Event gewesen wäre … und das ist ja auch eine gute Sache.

      Was sagt das aber über den wissenschaftlichen Ertrag von LICIA Cube aus?

      Was dagegen DART und LICIA Cube nicht liefern (und auch gar nicht liefern können), ist die detaillierte Untersuchung des durch DART erzeugten Einschlagskraters und auch des ausgeworfenen, noch frischen Materials von unterhalb der Oberfläche, und die Untersuchung der Substruktur von Dimorphos mit langwelligem Radar, was erstmals die innere Struktur eines Asteroiden aufzeigen würde und Hinweise darauf liefeern, wie sich diese infolge des Hochgeschwindigkeitsimpakts verändert hat.

      Des weiteren könnte man die Zusammensetzung des Materials von Dimorphos mit dem von Didymos abgleichen, insbesondere an dessen Äquatorregion, um zu verstehen, wie der Austausch von Material von einem schnell rotierenden Asteroiden zu seinem Mond erfolgt.

      Das ist durchaus auch in Bezug auf den Schutz der Erde nicht ohne Belang, denn neben der Veränderung der Bahn durch gezielte Hochgeschwindigkeitsimpakte kann das gezielte Erhöhen der Rotationsgeschwindigkeit über den kritischen Wert hinaus eine Methode der Wahl sein.

      Aber selbst ohne diesen Aspekt ist die Langzeituntersuchung eines solchen unglaublich interessanten Systems wie 65803/Didymos wissenschaftlich sehr wertvoll.

    • Klare Antwort: der gegenwärtige Wissensstand zur Machbarkeit ist NULL. Mein Fokus lag und liegt darauf, meinen Beitrag dazu zu leisten, dass die Haupt-Mission zum Didymos gelingt. Um den großen deutschen österreichischen Denker Hans Krankl zu zitieren: “Alles andere ist primär”.

      Als man mich gefragt hat, ob ich mal prüfen kann, ob die Transferbahn “chances for serendipitous science at other asteroids” bietet, habe ich einfach die Trajektorie für das erste Datum im Startfenster über die Datenbank der bekannten Asteroiden laufen lassen, mit einem Mindestabstand von 0.01 AU (später noch einmal 0.02 AU) als Auswahlkriterium. Da habe ich zwar eine Anzahl von Asteroiden erhalten, die dieses grobe Kriterium erfüllen.

      Aber um festzustellen, ob tatsächlich auch eine nahe Vorbeiflugmission an einem oder gar mehreren dieser Kandidaten möglich ist, müsste man die Transferoptimierung neu aufsetzen. Da habe ich aber nun gerade mal eine ganze Menge wichtigerer Dinge zu tun.

      So habe ich ans Projekt die Liste der Treffer zusammen mit der deutlichen Warnung geschickt, man könne nicht davon ausgehen, dass die hier gelisteten Objekte auch im Rahmen des Missionsbudgets erreichbar sind. Ich bin mir aber nicht sicher, dass meine Aussage auch komplett angekommen ist.

    • Interessante Präsentation vom EPSC2020 über die angedachten zusätzlichen Asteroidenvorbeiflugmöglichkeiten von Hera. Etwas verwundert hat mich dabei, dass die Asteroidenliste vom ursprünglichen Beobachtungsaufruf im November 2019 ja schon längst Vergangenheit ist, weil im Februar 2020 Hera auf die Ariane 6 wechselte (obwohl in der Novembermitteilung wurde schon Ariane 6 als Trägerrakete genannt!?) inklusive neuer Trajektorie (anscheinend die im obigen Blogpost beschriebene).

      • Wieso ist denn mein Name da drauf, ich meine, ich hätte denen gesagt, die sollen mich aus der Autorenliste streichen.

        Ariane 6 war offiziell schon immer das nominale Startvehikel, und zwar Ariane 62 mit der zusätzlichen Stufe, die gerade in der Entwicklung befindlich ist. Da es aber noch keine belastbaren Daten zu dieser Stufe gibt, kann auch die Erdfluchtsequenz nicht sinnvoll numerisch simuliert werden. Damit ist auch noch keine geschlossene Simulation des Transfers von Start bis Ankunft möglich. Also rechnen wir erst einmal mit einer stark approximierten Startsequenz. Aber nach dem Mars-Swingby sollte das keinen Unterschied mehr machen.

      • Ah, da stehts ja, Empfehlung nach System Requirements Review (SRR) Juli 2019: Ariane 62 + Kick-Stage oder Ariane 64 statt Soyuz. Dann wird Hera also wahrscheinlich der Jungfernflug der Kick-Stage. Und die Zielasteroiden im Novemberaufruf waren damals schon veraltet oder was? Ich würde mir wirklich wünschen die ESA könnte Projektverläufe besser kommunizieren!

        • Ich denke nicht, dass die Auswahl der Rakete in Bezug auf die Asteroidenvorbeiflüge so viel ausmacht. Das Startfenster ist immer dasselbe, es geht dann nur noch darum, um wieviel Uhr an jedem Tag des Fensters die Erdflucht erfolgt. Dann ist auch noch der Mars-Swingby dazwischen. Mir wäre es auch lieber gewesen, wenn wir nicht jetzt schon über solche nebensächlichen Dinge reden und damit auch noch an die Öffentlichkeit gehen. 2022 oder 23 wäre immer noch früh genug dafür gewesen.

          • So läufts dann wohl bei JUICE – 2 Jahre vor Start und kein Mensch redet von möglichen Asteroidvorbeiflügen (zumindest kann ich nichts finden). Aber so langsam glaube ich, da sucht auch keiner danach!

          • Bei JUICE wie bei HERA gibt es immer noch enorm viel für die eigentliche Hauptmission zu tun. Und auch für die Backups, die hochgradig nicht-trivial sind, weil wir da schon in die Jahre rutschen, in denen die Sonne nahe der Laplace-Ebene von Jupiter steht, das heißt: Die Möglichkeit von extrem langen Schattendurchgänge am Apozentrum der Tour, die man tunlichst vermeiden will.

            Zumindest für die Baseline-Mission von JUICE haben aber definitiv zwei Diplomanden, die jeweils ein halbes Jahr ihr Praktikum in der Missionsanalyse absolviert haben, Optionen für gezielte nahe Vorbeiflüge im Asteroidengürtel und auch bei den alleräußersten Jupitermonden (die großenteils eingefangene Zentauren oder Gesteinsasteroiden sein dürften) untersucht. Und zwar viel ausführlicher als meine lächerlich oberflächliche Analyse bei HERA. Die haben nicht nur Kandidaten gescannt, sondern auch die Manöverstrategie und das delta-v untersucht.

            Wenn ich mich recht erinnere, waren da aber zumindest bei den Asteroiden keine besonders interessanten interessanten Kandidaten dabei, also nichts von der Klasse von Rosetta an Lutetia. Andererseits hat sich ja bei Rosetta an 2867/Steins gezeigt, dass auch kleinere, weniger prominente Objekte, extrem interessant sein können.

            Ich weiß nicht, wann die Arbeiten der beiden publik gemacht werden, das müsste aber geschehen. Darauf habe ich aber keinen Einfluss. Auf jeden Fall hat sich da was getan.

            Die Frage ist allerdings, ob es Sinn macht, da jetzt schon allzu viel Arbeit hineinzustecken. Wenn das Startdatum festliegt, kann sich immer noch jemand darum kümmern. Sogar noch nach dem Start – dann hat man wenigstens eine feste Referenztrajektorie, weil dann immer noch genug Zeit übrig ist.

            Generell: Eine Auswahl an guten Vorbeiflugoptionen ohne zu große Zusatzkosten an Treibstoff hat man dann, wenn das Aphel der Bahn der Sonde mitten im Hauptgürtel liegt, weil die Sonde da in etwa parallel zu den Asteroiden fliegt und man durch minimale Änderungen der Periode und Aphelhöhe die Minimaldistanz zu Objekten massiv beeinflussen kann.

            JUICE aber rauscht auf dem letzten Bahnbogen praktisch im rechten Winkel zu den Bahnen der Asteroiden durch den Hauptgürtel. Zumindest auf dem Teil des Transfers ist es also sehr schwierig, nahe Vorbeiflüge zu erreichen.

          • Die Suche nach Kandidaten für den Vorbeiflug während des Transfers hat mindestens 5 mögliche Ziele zutage gefördert, bei denen:

            – die Größe (und damit Helligkeit) des Objekts nicht zu gering
            – die Vorbeifluggeschwindigkeit niedrig
            – der Phasenwwinkel bei der Annäherung nicht zu groß (sonst muss man im Anflug Richtung Sonne gucken und sieht das Objekt gar nicht)
            – das zusätzliche Manöver nicht zu teuer

            … ist und zudem kein Konflikt mit operationellen Anforderungen auftritt (genügend zeitlicher Abstand von kritischen Operationen) auftritt. Der Ball ist jetzt im Spielfeld der Wissenschaftler, die aus dieser Shortlist einen Kandidaten und ein Backup heraussuchen müssen. Ob das dann gemacht wird, ist eine andere Frage, denn wenn man Delta-v übrig hat, kann man damit auch noch andere wichtige Sachen machen, beispielsweise vielleicht die Mission an Didymos verlängern. Das sollte man sich ganz genau anschauen und abwägen.

            Die Präsentation von der EPSC2020 können Sie getrost vergessen, da wurden nur Vergleiche mit den Bahndaten aller Objekte in der ersten groben Liste angestellt. Damit kann man gar nichts anfangen. Der aktuelle Status ist dagegen durchaus aussagekräftig, aber eben auch immer noch nur ein Zwischenstand.

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