Neandertaler und Aliens

Könnte man die Neandertaler wiederbeleben, ähnlich wie es beim Mammut geplant ist? Ihr Genom ist weitgehend bekannt, es wäre also vielleicht bald möglich, eine Neandertaler-DNA in eine menschliche Eizelle einzubringen. Bei den schnellen Fortschritten der Gentechnologie sind solche Versuche jedenfalls bereits heute durchaus denkbar. Ob sie ethisch vertretbar wären, ist eine andere Frage.

Noch ist das aber Stoff für Science Fiction, wie zum Beispiel meine aktuelle Kurzgeschichte „Brandzeichen“ (Exodus Nr. 46, 18.5.2023[1]). Man sollte sie nicht ernster nehmen, als sie gemeint ist, trotzdem hat sie einen soliden wissenschaftlichen Hintergrund.

Aus technischer Sicht ist übrigens DNA auch ein exzellenter Langzeitspeicher für alle Arten von Informationen. Erste Versuche legen nahe, dass sie bei geeigneter Verkapselung mehrere Jahrhunderte überdauern kann – länger als USB-Sticks oder DVDs. Beispielsweise haben Robert Grass und Wendelin Stark von der ETH Zürich die als Datenspeicher erzeugten DNA-Stränge mit einer dünnen Schutzhülle aus Glas überzogen und damit gegen Umwelteinflüsse geschützt.

Das Erbgut des Neandertalers

Das Genom des Neandertalers ist heute weitgehend entschlüsselt. Aber natürlich muss man einschränken: Die Gene einer Art, seien es Menschen, Hunde oder Oktopusse, sind nicht komplett gleich, sondern weisen sehr viele individuelle Variationen auf. Das Referenz-Genom des Menschen stammte lange Zeit von einzelnen Individuen und konnte die genetische Variationsbreite der Spezies Mensch nicht richtig erfassen. Eine aktuelle Arbeit vom Mai dieses Jahres verbreitert die Basis erheblich. Die Autoren haben 47 individuelle, (fast) komplett sequenzierte Genome von Menschen aus aller Welt ausgewertet und daraus eine Datenbank der Gemeinsamkeiten und Unterschiede erstellt, das erste Pangenom (= umfassendes Genom) der Spezies Mensch.

Für den Neandertaler existiert keine solche Sammlung, und die Chance, dass sie bald kommt, stehen nicht gut. Die bisherigen DNA-Proben sind wegen ihres Alters nicht ganz vollständig, stammen aus verschiedenen Gebieten und aus verschiedenen Zeiten. Aber selbst damit lässt sich nachweisen, dass moderne Menschen noch zwischen einem und vier Prozent ihres Genoms dem Neandertaler verdanken. Am meisten in Südostasien und der Pazifikregion (Ozeanien), am wenigsten in Afrika. Insgesamt haben es wohl 40 Prozent der Neandertaler-Gene zum modernen Menschen geschafft, aber immer nur maximal vier Prozent in einem Individuum.

Es wäre also denkbar, einen Hybriden aus Homo sapiens und Homo neanderthalensis zu schaffen, der zwei Drittel seiner Gene von uns und ein Drittel von unseren ausgestorbenen Vettern bezogen hat. Ob dieser Hybrid allerdings gesund und lebenskräftig wäre, ist nicht sicher. Die Abstammungslinien von Homo sapiens und Homo neanderthalensis haben sich vor rund 600 000 Jahren getrennt, ihre Gene müssen nicht optimal zusammenspielen.

Anzunehmen, dass die Gene des Neandertalers denen des modernen Menschen unterlegen sind, wäre allerdings ein Irrtum. Sicher, der Neandertaler ist vor 40 000 Jahren ausgestorben, und der Homo sapiens hat sich seitdem unmäßig vermehrt. Aber das muss nicht an den Genen liegen. Immerhin haben die Neandertaler und ihre Vorfahren gleich mehrere Eiszeiten überlebt, nur eben die letzte nicht mehr. Woran das lag, lässt sich nicht mehr sicher rekonstruieren. Vielleicht waren zu wenige Neandertaler über ein zu großes Gebiet verteilt oder der moderne Mensch war bei der Fortpflanzung oder der Nahrungsbeschaffung überlegen. Selbst ein sehr geringer Vorteil würde bereits ausreichen, wenn die Konkurrenz viele Jahrtausende andauert. Oder die Neandertaler haben einfach Pech gehabt. Wir wissen es nicht genau.

DNA als Datenspeicher

Schon seit rund 50 Jahren können DNA-Stränge künstlich erzeugt werden (Stichwort: rekombinante DNA). Solche künstliche DNA lässt sich für viele Zwecke verwenden, nicht nur in der Biologie. Beispielsweise gibt es DNA-haltige Flüssigkeiten, mit denen man unsichtbar Gegenstände markieren kann, um sie gegen Diebstahl zu schützen. Die Deutsche Bahn AG markiert seit Jahren damit die Oberleitungsdrähte, um die grassierenden Metalldiebstähle einzudämmen.

Natürlich könnte man auch gentechnisch veränderte Organismen durch einen zusätzlichen DNA-Abdruck als Eigentum kennzeichnen. Nur zur Erinnerung: Patente auf gentechnisch veränderte Organismen sind grundsätzlich zulässig.

Das ließe sich – für den Zweck einer Science-Fiction-Geschichte – auch weiterdenken: Aliens, die vor Millionen Jahren die Erde besucht haben, könnten beispielsweise in diverse Organismen einen biologisch sinnlosen DNA-Strang einschleusen, der dann automatisch an alle Nachfahren weitergegeben wird. Vielleicht wäre das sogar die beste Methode, um eine Information für die Nachwelt zu hinterlassen. Alle Gebäude, Denkmäler oder sonstige künstliche Bauten zerfallen schon nach wenigen Tausend Jahren. Und selbst wenn nicht: Sie werden vielleicht zerstört oder sinken tief unter die Oberfläche.

Ein DNA-Strang, der keine biologische Funktion erfüllt, aber in vielen verschiedenen Organismen auftritt, wäre verdächtig. Aber selbst wenn Aliens ihn als Nachricht an künftige intelligente Bewohner des besuchten Planeten hinterlassen haben, können wir ihn nicht unbedingt lesen. Schließlich wissen wir nicht, in welcher Sprache die Aliens ihre Nachricht hinterlassen haben.

Welche Aliens?

Bisher gibt es allerdings keine Hinweise darauf, dass Aliens unseren Planeten in den letzten 100 Millionen Jahren besucht haben. Oder doch? Wenn man den Harvard-Astrophysiker Abraham (Avi) Loeb und seinen Postdoktoranden Shmuel Bialy glauben will, sind sie sogar gerade erst da gewesen. Die beiden Wissenschaftler halten es für möglich, dass der erste nachgewiesene interstellare Asteroid mit dem seltsamen Namen „1I/ʻOumuamua“ ein interstellares Raumschiff mit Sonnensegel ist. Der am 19. Oktober 2017 entdeckte Asteroid hat in der Tat seltsame Eigenschaften. Seine Helligkeitsschwankungen lassen vermuten, dass eine seiner Achsen mindestens fünf Mal so lang ist wie die andere. Detaillierte Berechnungen ergaben, dass der Asteroid bei einer Albedo (zurückgestrahltes Sonnenlicht, 1 = alles, 0 = nichts) von 0,04 einer Zigarre von 800 x 80 x 80 Meter gleichen könnte. Ein Albedo von 0,04 würde bedeuten, dass der Asteroid buchstäblich pechschwarz ist. Bei Asteroiden wäre das durchaus normal. ʻOumuamua könnte natürlich auch heller und kleiner sein. Leider hatte er seinen erdnächsten Punkt (ca. 24 Millionen km) bei der Entdeckung schon passiert und entfernte sich schnell. Die genaue Form ließ sich nicht mehr ermitteln, weil der Asteroid selbst mit den stärksten Teleskopen nur noch als Punkt abgebildet wurde. Die seltsame Gestalt ist aber nicht sein einziges erstaunliches Merkmal. Auch seine Bahn entspricht nicht der, die man eigentlich erwarten sollte, wenn sie nur vom Schwerefeld der Sonne bestimmt wird. Das ist bei Kometen, die viel Gas und Staub auswerfen, durchaus bekannt. Aber nichts davon konnte in der Umgebung von ʻOumuamua nachgewiesen werden. Außerdem würde der Masseverlust die Rotationsgeschwindigkeit beeinflussen. Sie blieb aber konstant. Hat ʻOumuamua also einen eigenen Antrieb? Oder ein großes Sonnensegel? Das spräche dann wirklich für ein interstellares Raumschiff. Weitere Untersuchungen sind schwierig, denn ʻOumuamua hatte ja bei seiner Entdeckung den sonnennächsten Punkt seiner Bahn[2] bereits hinter sich, und war bereits auf dem Rückweg. Inzwischen hat er die Neptunbahn passiert und ist selbst für stärkste Teleskope kaum noch sichtbar. Die Spekulationen halten also an. Die meisten Astronomen tippen eher auf natürliche Ursachen für ʻOumuamuas Verhalten und halten es für möglich, dass Avi Loeb mehr an dem Presseecho auf seine steile These als an der wissenschaftlichen Diskussion interessiert war (mehr dazu in diesem Spektrum.de-Artikel).

Wie passen aber Neandertaler, künstliche DNA, Aliens und der interstellare Asteroid in eine einzige Science-Fiction-Geschichte?

Das möchte ich hier jetzt nicht verraten. Ich schlage vor, Sie lesen es selbst nach. Und sollte Ihnen die Geschichte nicht gefallen – das Exodusmagazin ist auf jeden Fall einen Blick wert.

Anmerkungen

[1] EXODUS – Science-Fiction-Storys & Phantastische Grafik erscheint in der Regel ein- bis zweimal im Jahr im Format DIN A4 auf Hochglanzpapier. Es bringt aufwendig illustrierte deutschsprachige Science-Fiction-Kurzgeschichten als Erstveröffentlichung und stellt in einer Galerie in der Heftmitte Arbeiten von Grafikkünstlern vor. Herausgeber sind René Moreau, Heinz Wipperfürth und Hans Jürgen Kugler. Laut Wikipedia zählt EXODUS zu den wichtigsten deutschen SF-Magazinen.

[2] Den hatte ʻOumuamua bereits am 9. September 2017 passiert, rund 40 Tage vor seiner Entdeckung. Er war, von außen kommend, an allen Planeten vorbeigeflogen, zog innerhalb der Merkurbahn eine Haarnadelkurve um die Sonne und war bei seiner Entdeckung bereits wieder außerhalb der Erdbahn unterwegs.

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Veröffentlicht von

www.thomasgrueter.de

Thomas Grüter ist Arzt, Wissenschaftler und Wissenschaftsautor. Er lebt und arbeitet in Münster.

7 Kommentare

  1. DNA als Langzeitspeicher….
    Was wollen sie da speichern was in der Evolution keinen SINN ergibt ?
    Wenn Aliens das vor Jahrmillionen wirklich gemacht haben sollten, hätten sie wissen müssen das die Evolution ihre ganz eigene Art der Auslese trifft , sprich dass sie ,bedingt durch permanente Umweltveränderungen bestimmte Arten die resistent genug sind, überleben lässt und andere nicht. Was nützt da also der beste Langzeitspeicher wenn die Spezies die diesen Speicher bekommt, ausstirbt ? Und wer konnte damals ahnen das der Homo sapiens sowas wie die zeitweilige Krone der Schöpfung wird und nicht eine andere Primatenart etc…Der Neandertaler ist wahrscheinlich ausgestorben weil er zwar der Umwelt bestens angepasst war aber dem intellektuell überlegenen Homo nichts entgegenzusetzen hatte und der ist ja geistig überaus clever und rücksichtslos wenn es um die Befriedigung seines Egos geht.

  2. Es geht bei der Beschreibung von Datenträgern um die Anschaffung, Datendichte und Wiederverwendbarkeit, jeweils Kosten meinend, auch um so anzustrebende Redundanz : DNA ist insofern kein guter Datenträger, was die Auslesbarkeit und die Persistierung, das Scheiben von Data meint.
    Diese Datendichte sozusagen könnte extra-ordinär sein, fürwahr.
    MFG
    WB

  3. Informationsverlust:
    Jene DNA-Bereiche, die dem Organismus nicht nützlich
    sind, unterliegen starken Veränderungen, weil es
    keinen Selektionsdruck für ihre Stabilität gibt.
    Das kann zum Beispiel bei einem Gen für Hämoglobin
    nicht geschehen.
    —–
    Dieses Thema wurde auch hier behandelt:
    Star Trek: The Next Generation, Staffel 6,
    Episodennummer 20, Das fehlende Fragment.

  4. Kulturelle Daten werden bereits jetzt so ähnlich gespeichert: Prachtbeispiel sind die Amish. Sie sind ein Datenträger, der sich immer wieder selbst auffrischt und repariert, und dabei als Backup für einen Lebensstil fungiert, den die Menschheit sonst leicht vergessen würde – solche Datenträger erzeugen konservierenden Selektionsdruck, indem sie einen Stock im Hintern tragen und damit jeden vertreiben oder töten, der eine mutierte Meinung vertritt. Auch die ganze MAGA-Chose, der Nostalgie-Wahn, der gerade die ganze Welt durchschüttelt, ist im Grunde Abrufen von Backup-Information – da der dominante Lebensstil nicht mehr überlebensfähig ist, setzen wir auf Schwarmintelligenz, auch als aggressive Blödheit bekannt: Jeder experimentiert mit etwas, was in der Vergangenheit schon mal leidlich funktioniert hat, und knallt seine Petri-Schale mit aller Macht gegen die Petri-Schalen der Nachbarn, ohne sich um sein eigenes Überleben zu scheren, und erst recht nicht um das der Anderen, denn rohe Gewalt hat schon immer funktioniert, und alles andere kommt erst zum Einsatz, falls sie versagt. Die Jackass-Kamikaze-Methode stellt sicher, dass das, was am Ende überlebt, irgendwie aus (in der sich hier und heute nach der Jackass-Kamikaze-Methode neu formenden Umwelt) funktionierenden Bruchstücken vieler Jahrhunderte besteht. Und viele leckere Leichen zum Fressen hat, Trümmer zum Plündern und wenig Konkurrenz, denn klein Frankenstein wird mit sehr vielen Nähten und Blessuren geboren, und wird eine kuschelige Wiege und viel liebevolle Pflege von Mutter Natur brauchen. Im Grunde erledigt die Menschheit zwei Sachen in einem Abwasch: Wir bauen ihn und gleichzeitig verdauen wir uns schon mal für ihn vor.

    Erinnert an eine Kreuzung aus Mensch und Neandertaler, nicht? Genetik und Darwinismus gelten eben für alle Information, nicht nur für DNA. Und die DNA spricht zu uns über Ideale, Wünsche, Offenbarungen, paart sich mit kulturellen Daten und erzeugt Hybride: Cthulhu schläft in R’lyeh unserer Gene und formt unsere Träume, und wenn er erwacht und unseren Körper und Geist in Besitz nimmt, muss er sich der Umwelt anpassen: Dann heißt er manchmal Savonarola, manchmal Hitler, manchmal Trump, doch es ist immer wieder das gleiche Programm, die gleiche Hand in verschiedenen Handpuppen, die kaum etwas von ihr ahnen. Es wohnen Kreaturen in uns, die über Generationen höchstens laut schnarchen, um dann aufzuwachen, wenn die Sterne richtig stehen: Wenn eine Zeitschaltuhr oder sonst ein Auslöser sie ruft. Was macht es eigentlich für einen Unterschied, ob die Dämonen, die uns in Besitz nehmen, Aliens aus dem All oder der Vergangenheit sind? War doch beides ein fremder Planet.

    Wenn man genauer hinsieht, passiert solche Besessenheit sehr häufig. Nach Zeitschaltuhr, innerhalb eines Lebens, klassisches Beispiel ist die Pubertät, doch ich merke gerade, dass ich alt werde, und den Typen, zu dem ich geworden bin, weder kenne, noch kennen will. Und auch unser Hirn hat verschiedene Persönlichkeiten, Konfigurationen, für verschiedene Anlässe: Für Arbeit, Kinder, Freunde, Heim und Straße. Wir schalten so glatt hin und her, es ist für uns so selbstverständlich, dass wir es gar nicht merken – jeder Dämon, der uns in Besitz nimmt, nennt sich „ich“ – Identität ist ein Wanderpokal. Wir sind eine Dämonen-WG, die Biester kloppen sich um die Krone und um einen Platz in der Hierarchie. Ob sie der DNA entstammen, der Kultur, irgendwelchen zufälligen Neuronenkombinationen, Information ist Information.

    Könnte man natürlich für Sci-Fi weiterspinnen. Wenn man sich die Mutationen ansieht, die Hiroshima ausgelöst hat (Schuppen, Hörner), sind in der Gen-Bibliothek noch ganz viele Baupläne enthalten, die nicht mehr gebraucht werden. Was ist, wenn da ganze, fertige Lebewesen drin stecken, zu denen wir werden könnten? Mit Körper und Geist? Vampire, Werwölfe, Drachen, Kohlrabi, Otto Waalkes?

    Die Erde ist ein von biologischen Waffen verseuchter Planet, für Aliens wohl tödlicher als der Mars. Und vermutlich hochgiftig – selbst wenn die grundlegenden Bausteine des Lebens übereinstimmen wollen, sie müssten die gesamte Biomasse der Erde verdauen, also in Suppe auflösen und an Lebensformen ihrer Heimat verfüttern, um eine lokal angepasste Variante ihrer Biosphäre zu erzeugen (würde sich vielleicht lohnen, weil der Sauerstoff bereits da ist, das Klima halbwegs temperiert, usw.). Oder sie müssten ihre Körper aus lokalen Proteinen nachbauen – also Wesen schaffen, die ihnen körperlich und geistig möglichst ähneln, aber biologisch Erdlinge sind. Im Wesentlichen nichts Anderes, als wenn sich Polarbären mit Braunbären paaren, um Eigenschaften zu bekommen, die ihre Nachkommen über die Warmzeit hinüber retten, nur in abgespaced. So haben ja auch die Neandertaler überlebt – und warten in uns auf die entsprechenden Umweltbedingungen, die natürliche Auslese, die uns zu ihnen macht. So weit das noch möglich wäre, denn die Wahrscheinlichkeit schwindet mit der Zeit. Auch die Amish werden nur so lange bleiben, wie Pferde und Pflüge und Felder und Holzaxt und Wald sinnvoll kombiniert werden können, und wenn wir lebende Traktoren züchten, sind Pferde ein für alle Mal out.

    Ein Datenspeicher ist eben nicht nur von seinen eigenen Mutationen betroffen, sondern auch von der Mutationen der Umwelt. Und mit der Zeit lebt man sich halt immer mehr auseinander.

    Aliens könnten sich mit Sonden über die Galaxis verbreiten, die auf jedem Planeten vielversprechende Spezies suchen (Delfine, Raben, Elefanten, Äffchen) und ein passend designtes Virus einschleusen, das eine intelligente Spezies nach ihrem Ebenbild formt. Der Neandertaler könnte dann daran gestorben sein, dass dieser Prototyp den Aliens in Körper, Geist, Charme und Liebenswürdigkeit überlegen war, denn besser ist auch anders, und damit Abweichung vom Ideal (Adolf-Prinzip: Wenn du der Beste sein willst, aber total scheiße bist, musst du alle ausrotten, die besser sind als du – kennen bestimmt auch die Klingonen). Wenn die Spezies technologisch so weit wären, würden sie sich ins kosmische Tachyonen-Internet einloggen, was sie über Nacht auf eine gemeinsame Kultur, Sprache und Wissensstand eichen und upgraden würde. Noch besser – die Spezies wäre als Avatar geeignet. Da leben Sie vor sich hin, ahnen nichts Böses, bis die Alien Family auf Ballermann Urlaub machen will, dann kriegen Sie und andere passende Körper plötzlich synchrone Wahnvorstellungen, haben zwei Wochen Spaß und können dann zwanzig Jahre Therapie machen. Die Original-Aliens würden auf ihrem Heimatplaneten in Matrix-Erbsenschoten pennen, ein Internet aus Servern und Transmittern über die Galaxis spinnen und nur ihr Bewusstsein projizieren – einfache Telepräsenz, gibt es auch heute, auch wenn Kameras, Mikrofone und Joystick Ihnen nur den vagen Vorgeschmack des Gefühls geben, Sie wären der Roboter, den Sie fernsteuern.

    Bei begrenzter Lichtgeschwindigkeit würde ich es bei einer Handvoll Matrix-Raumschiffe pro Sonnensystem belassen, die dann auf allen Planeten Leben säen, und dann nur in die Hirne „herunterbeamen“, falls sie da mal ein Weilchen rumhängen wollen. Eventuell würden sie keine Aliens tragen, sondern nur deren Hirnkopien aus Silikon, die ohne einen Avatar nicht funktionsfähig wären und ins Koma versetzt würden. Varianten der Story gibt’s viele. Mein hausbackener Klischee-Bösewicht, Dr. Akula, hat mit Biorobotern (also Lebewesen, die er von der Zelle auf selbst neu designt, mit künstlichen Bauteilen frei kombinierbar gemacht und auf die Aufgaben von Maschinen optimiert hat) die Tiefsee besiedelt. Da leben sie nun, bauen Städte, Fabriken, Farmen, nutzen Strom statt Sonnenlicht und Kraftwerke und Vulkane statt Sonne. Wenn Sie aus seiner Yacht an der Oberfläche eine fliegende Untertasse voller Aliens machen, haben Sie etwas, das an unsere Welt erinnert.

    Würden die Aliens irgendwann vergessen, dass die Untertasse existiert? Wenn Sie in einer Konservendose schlafen, wenn alle Informationen, die Ihre Sinne bekommen, aus dem Internet kommen, woher wissen Sie dann, dass Sie nicht der Avatar sind? Wissen wir, wie viel von dem in unseren Köpfen aus den Genen kommt, und wie viel aus dem All? Würde es einen Unterschied machen? Ich meine, ich kann theoretisch meine Gene auf dem Mond parken, und jede meiner Zellen telefonieren lassen, um die Baupläne abzurufen – einen Unterschied würde ich nicht merken, es würde mich höchstens wundern, dass jede Zelle unabhängig voneinander identische Mutationen zeigt. Vermutlich würde ich was von Hologrammen und sich überlagernden potenziellen Zuständen faseln, die in jeder Zelle zu einem eigenen Paralleluniversum kollabieren.

    Ich habe nicht den Eindruck, als wäre der Mensch fähig, sich etwas einfallen zu lassen, was es nicht in irgendeiner Form schon gibt – auch ich nicht. Neuronen kombinieren Möglichkeiten, Wirklichkeit kombiniert Möglichkeiten, und die Wirklichkeit hat mehr Matsch zum Spielen als der Kopf.

    Ich kann mir verschiedenes vorstellen. Zum Beispiel, dass DNA kritische Masse erreichen muss, eine bestimmte Populationsdichte, um aktiviert zu werden, oder auch eine bestimmte Technologie, die jede intelligente Spezies irgendwann erfindet. Dass ich darin Baupläne für Maschinen und Werkzeuge aufbewahre, oder dass mir plötzlich ein Haustier aus der Hinterbacke wächst, das stinksauer ist, dass ich es im Tumor-Stadium mit Chemo drangsaliert habe. Ich könnte eine ganze Zivilisation in mir tragen, komplett mit den Bauplänen aller Lebewesen ihres Planeten. Vielleicht sogar das Gedächtnis aller, die es geschafft haben, ihre Memoiren aufzeichnen zu lassen – also eine stinknormale Bibliothek, nur haben die Lebensbeichten viel mehr Details, weil die Technologie klarere Abbilder speichern konnte, als so bloße Schatten des Geistes, wie Buchstaben und Filme, das Ganze ist auf einem Subquanten-Datenträger gespeichert, den unsere Physik nicht mal für möglich hält, oder im Innern der Erdkruste eingraviert, und ich hab nur den Receiver und Projektor in den Genen. Am Ende lande ich bei einem Schmuddelfilmchen mit Robo-Alf Adonis, der sämtliche Mädels der Nachbarschaft behoppelt, um in ihnen seine Freunde und Verwandten in quasi-menschlichen Körpern auszubrüten, plusminus der eine oder andere Tentakel. Ab dem siebten Monat kommen die Tentakel raus und schnappen nach Handys, wird ja langweilig da drinnen. Oder man spart sich die ganze Bauphase und der Embryo baut Mami von Innen zum Alien-Körper um, wobei in ihrem Kopf am Ende nur das Stammhirn funktioniert (zu Unterhaltungszwecken Zombie-Phase einbauen. Zombie-Neandertaler?).

    Ich muss jetzt aber mal kurz raus aus der Matrix. Bei Oumuamua ist das Sonnensegel verbogen, und ich hab Wartungsdienst. Kann ja nicht jeder die ganzen Jahrhunderte durch pennen und ein Leben nach dem anderen verbrauchen, wie die feinen Herrschaften. Ich heuere nie wieder bei einer Orgie von Masochisten an, die ziehen einen nur mit rein in ihren Spaß.

  5. Die Geschichte im Exodus ist wirklich ausgesprochen eindrucksvoll und gut! Interessant der wissenschaftliche stringente Hintergrund.
    Toll mal wieder eine echt richtig guten und spannenden SF auf dem Niveau zu lesen!!!
    Anscheinend haben alle andern Kommentatoren sich die Mühe nicht gemacht….echt – lohnenswert – auch andere Geschichten im Buch sind gut ausgewählt. Und die Grafiken sind ja eh ein Bonbon in den Büchern.

    DNA als Speicher ist faszinierend – und ich denke, dass der automatische Reparaturmechanismus die Modifikationen klein hält und wenn man aus verschiedenen Arten die Info später abgleicht, würde das Original durchaus noch lesbar sein und die spontanen Mutationen raus zurechnen sein.