Sprache und Sprachwissenschaft im Koalitionsvertrag

Der 2013 abgeschlossene Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD wurde bis 2017 von der Bundesregierung gewissenhaft abgearbeitet. Dies ist für mich der Anlass, den heute unterzeichneten Koalitionsvertrag der neuen Regierung daraufhin zu lesen, was darin zu Sprache, Sprachwissenschaft und dem Deutschen gesagt wird – oder was andere Versprechungen in diesem Vertrag für dieses Themengebiet bedeuten.

Der zwischen Union und SPD abgeschlossene Koalitionsvertrag, der nach dem zustimmenden Mitgliedervotum der SPD nun tatsächlich für die kommenden dreieinhalb Jahre Grundlage der Arbeit der Bundesregierung darstellen wird, ist ein umfangreiches Werk. Auf 177 Seiten geht es um fast jedes denkbare Politikfeld, wobei hinsichtlich der Länge der einzelnen Kapitel nach der Wirtschaft (36 Seiten) schon an zweiter Stelle mit 22 Seiten die “Offensive für Bildung, Forschung und Digitalisierung” folgt. Der Begriff “Sprache” kommt zwar im ganzen Dokument immer wieder vor, tritt aber ausgerechnet in diesem Teil nicht in Erscheinung.

Zuvor geht es im Abschnitt “Familien” um “Sprachkitas” (Zeile 750) – ein Programm, das bereits vom Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend aufgelegt wurde –, in der Jugendpolitik um die Vermittlung von Sprachkenntnissen durch “internationale Austausche” (Z. 922f) zur Förderung von interkultureller Kompetenz und zur Befähigung, “sich in einer globalisierten Welt zu orientieren”. Der Abschnitt “Teilhabe von Menschen mit Behinderungen” greift Leichte Sprache als Beispiel für Barrierefreiheit auf (Z. 4376), ohne das Ausmaß der beabsichtigten Verwendung zu erwähnen. Das achte Kapitel des Vertrags befasst sich ausführlich mit dem Politikfeld Zuwanderung. Unter dem Stichwort “Erwerbsmigration” wird hier neben dem volkswirtschaftlichen Bedarf, Qualifikation, Alter und Arbeitsplatz die (deutsche) Sprache als ein maßgebliches Kriterium genannt (Z. 4919), allerdings ohne eine Erläuterung, ob dabei Kenntnisse, vollständige Beherrschung oder ein bestimmtes Niveau nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen gemeint ist.

Sprachliche Integration

Ausführlicher wird auf die sprachlichen Voraussetzungen gelingender Integration eingegangen: “Wir bekennen uns zur Integration für diejenigen mit dauerhafter Bleibeperspektive. Dazu gehört Sprache und Arbeit.” (Z. 4967f) Was auch immer mit diesen beiden leicht verunglückten Sätzen genau gemeint ist: Im folgenden wird die “Mitwirkung beim Spracherwerb” eingefordert, wofür “zusätzliche Anreize” gesetzt werden sollen (Z. 4972f). Die Gruppe der Geduldeten, bei denen “die Ausreise kurzfristig nicht zu erwarten ist”, soll “Angebote [für den Spracherwerb] nach dem Grundsatz des Forderns und Förderns […] bekommen.” (Z. 4982ff). Der Zugang zu den Sprachkursen soll dabei für diese Gruppe so ausgestaltet werden, dass es nicht zu einer “Verfestigung von Aufenthaltsrechten” und einer Gleichstellung zu denen mit einer “rechtlichen Bleibeperspektive” kommt. Das klingt nach einer nicht ganz leicht zu lösenden Aufgabe. Das Fachgebiet Deutsch als Fremdsprache wird aufgrund dieser Ankündigungen zweifellos weiterhin eine Konjunktur erleben können. Aber auch die Förderung institutioneller Mehrsprachigkeit wird im Zusammenhang mit älteren Migranten im Koalitionsvertrag bedacht, wenn es um “mehrsprachige gesundheitsfördernde Angebote” (Z. 4957) geht, “die die Betroffenen auch wirklich erreichen”.

Abschließend behandelt auch der außenpolitische Teil des Vertrags das Thema Sprache: Im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik soll der internationale Austausch neben den Bereichen Wissenschaft, Kultur, Bildung und Sport auch im Bereich der Sprache ausgebaut werden (Z. 7326ff). Explizit wird danach u.a. das Goethe-Institut und der Deutsche Akademische Austauschdienst genannt. Den Schlusspunkt setzt im Unterkapitel “Kulturelle Infrastruktur und Kulturförderung” im Kapitel “Zusammenhalt und Erneuerung – Demokratie beleben” die Ankündigung einer Initiative, mit der “Literatur und deutsche Sprache und deren Bedeutung für unsere Gesellschaft” unterstrichen werden sollen (Z. 7917f). Ich bin gespannt darauf, wie diese Initiative einmal umgesetzt wird. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat darin offenbar schon die staatliche Förderung von Literaturverlagen erkannt.

Vergleicht man die Behandlung des Themas “Sprache” in diesem Vertrag mit der im Koalitionsvertrag von 2013, so fällt einem vor allem auf, dass eine ganze Reihe von sprachbezogenen Themen entfallen sind. 2018 ist nicht mehr die Rede von “Sprachstandsdiagnostik” (2013, S. 75), dem Sorbischen (S. 80), der Verwendung des Deutschen in den EU-Institutionen (S. 109), fremdsprachlicher Bildung zur Förderung eines gemeinsamen europäischen Arbeitsmarktes (S. 114), ganz konkret der Spracharbeit des Goethe-Instituts oder der Förderung des Interesses an der deutschen Sprache im Ausland (S. 121). Man bekommt den Eindruck, dass die mit den politischen Herausforderungen der Migration verbundenen sprachbezogenen Zielsetzungen diese anderen Themen so weit in den Hintergrund haben treten lassen, dass sie überhaupt keine Erwähnung mehr gefunden haben. Vielleicht liegt es aber auch ganz einfach an der Beteiligung bestimmter Politikerinnen und Politiker an den Koalitionsverhandlungen, die ihre jeweiligen Themen in den Vertrag eingebracht haben – oder eben nicht. So gehörte der Sorbe Stanislaw Tillich als sächsischer Ministerpräsident 2013 noch zur Verhandlungsgruppe der CDU, 2018 war er bereits zurückgetreten und konnte seine Spur im Vertrag deshalb nicht mehr hinterlassen. Auch beim Blick in die Koalitionsverträge von 2009 und 2005, in denen immer wieder Themen erscheinen, die anschließend wieder entfallen, drängt sich der Zufall als Deutungsansatz auf.

Sprachwissenschaftliche Forschung

Es wäre wohl in Fachkreisen als Sensation zu vermelden, wenn die Wörter “Germanistik”, “Sprachwissenschaft” oder “Linguistik” im Koalitionsvertrag explizit aufgeführt würden – sie werden es nicht. Trotzdem werden an mehreren Stellen Themen adressiert, die von unmittelbarer Bedeutung für die sprachwissenschaftliche Forschung sind.

Der übergeordnete Begriff der Geisteswissenschaft kommt an zwei Stellen im Vertrag vor. Im Unterabschnitt “Forschung und Innovation” werden Mikroelektronik, moderne Kommunikationstechnik, künstliche Intelligenz, Robotik, Datenwissenschaften, IT-Sicherheit und Quantentechnologien als “technologische Basis” und “Triebfeder” der Digitalisierung bezeichnet. Die Forschung zu diesen Schlüsseltechnologien soll intensiv gefördert werden, “inklusive sozialer und geisteswissenschaftlicher Begleitforschung” (Z. 1490ff). Ein paar Zeilen weiter ist im gleichen Abschnitt davon die Rede, dass die Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften für wissenschaftsgetriebene und grundlagenorientierte Forschungsprojekte auch direkt erweitert werden soll. “Im Fokus unserer Förderung wird die Forschung zu Migration, zu Integration und zu gesellschaftlichem Zusammenhalt, zu Demokratie und Frieden, zu Konfliktursachen und -bewältigungsstrategien und die Förderung der kleinen Fächer stehen.” (Z. 1558ff) Sprachwissenschaftliche Teildisziplinen dürften in entsprechenden Förderprogrammen für derartige Themen zumindest potentiell Chancen besitzen.

Auf eine wirklich überraschende Erwähnung hat kürzlich meine Kollegin Heike Zinsmeister bei der Tagung des Verbandes “Digital Humanities im deutschsprachigen Raum” hingewiesen. Ebenfalls im Forschungsabschnitt des Vertrags ist ein längerer Teil zum Thema Digitalisierung enthalten, der sich in einem Unterpunkt mit den “digitalen Kompetenzen für alle Bürgerinnen und Bürger in einer modernen Wissensgesellschaft” befasst (Z. 1715ff). An einer Stelle ist davon die Rede, dass “umfassende Technologieoffenheit in der Forschungsförderung” ein Grundprinzip der Forschungspolitik sein soll. Ausbildung und Forschung sollen in allen Digitalisierungsfeldern gestärkt werden, neben den bereits zuvor genannten Bereichen werden zusätzlich Blockchaintechnologie und Digital Humanities genannt (Z. 1775ff). Die digitalen Geisteswissenschaften werden offenbar als eine Spielart von “Data Science” verstanden, wie der nachfolgende Satz nahelegt. Werden also in der Projektförderung der DFG oder des BMBF zukünftig auch in den Geisteswissenschaften solche Vorhaben bevorzugt, die von digitalen Methoden Gebrauch machen? Die genaue politische Zielsetzung, die sich mit diesem Passus verbindet, bleibt für mich jedenfalls weitgehend im Dunkeln.

Nationale Forschungsdaten-Infrastruktur

Ein drittes politisches Ziel, das sich potentiell auch auf die sprachwissenschaftliche Forschung auswirkt, verbirgt sich hinter dem Aufbau einer nationalen Forschungsdaten-Infrastruktur (NFDI). So heißt es im Vertrag: “Wir wollen mit einer nationalen Forschungsdaten-Infrastruktur wissenschaftliche Datenbestände systematisieren und einen nachhaltigen Zugang sicherstellen. So stärken wir unser Wissenschaftssystem auch für den internationalen Wettbewerb.” (Z. 1389ff) Dieses Thema befindet sich bereits seit geraumer Zeit auf der Agenda und wurde zuletzt durch den Rat für Informationsinfrastrukturen in einem Papier weitergehend beschrieben. Es wird allgemein damit gerechnet, dass in den nächsten Monaten eine gemeinsame Ausschreibung von Bund und Ländern ergeht, aufgrund derer eine kleine Anzahl von Konsortien in den verschiedenen Wissenschaftsbereichen ermittelt werden soll, die den Aufbau vernetzter Forschungsdaten-Infrastrukturen betreiben. Im Bereich der Sprachwissenschaft besteht mit dem CLARIN-Verbund bereits seit Jahren eine großangelegte Förderung durch das Bundesforschungsministerium; CLARIN ist sogar mit mehr als 20 Partnern auf europäischer Ebene vernetzt und bildet hier bereits eine offiziell anerkannte europäische Forschungsdaten-Infrastruktur (als sogenanntes European Research Infrastructure Consortium, kurz ERIC). Zusammen mit dem DARIAH-Verbund, zuständig für weitere Disziplinen im Bereich der Geisteswissenschaften und ebenfalls als ERIC anerkannt, bestehen hier Voraussetzungen, die naheliegenderweise als Basis für den Aufbau einer Nationalen Forschungsdaten-Infrastruktur im Bereich der Geisteswissenschaften herangezogen werden können. Erste Schritte zu einer Abstimmung der verschiedenen fachlichen Interessen wurden kürzlich bereits auf einem Workshop in Berlin vollzogen.

Meine kurze Betrachtung des neuen Koalitionsvertrags aus der Perspektive von Sprache und Sprachwissenschaft ergibt ein gemischtes Bild. Anders als in früheren Koalitionsverträgen dominieren Themen mit Bezug auf die sprachliche Integration von Migranten, eine Reihe sonst behandelter “klassischer” sprachlicher Themen entfallen. Sprachwissenschaft erscheint in Gestalt von geisteswissenschaftlicher Begleitforschung für die großen Themen der Technologieforschung oder als Stärkung der Digital Humanities in der Forschungsförderung. Die Initiative zum Aufbau einer Nationalen Forschungsdaten-Infrastruktur wird wohl auch die Sprachwissenschaft erreichen, besitzt diese doch aufgrund der langjährigen öffentlichen Förderung beste Voraussetzungen, um als Kristallisationspunkt für weitere sprachbezogene geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen zu fungieren.

Was fehlt?

Angesichts dessen, was seit wenigen Jahren unter den Stichwörtern “Fake News” und “Hasskommentar” diskutiert wird und sogar Anlass für das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) gewesen ist, hätte ich mir im Koalitionsvertrag auch einen Passus zu sprachlicher Reflexion und Bildung jenseits der Integrationsthematik gewünscht. Der öffentliche und politische Sprachgebrauch wird zunehmend zum Instrument identitätspolitischer Positionierungen, was man nur mit einem erhöhten Maß an Sprachbewusstsein bekämpfen kann. Dieser Zusammenhang hätte außerdem auch die explizite Erwähnung von Minderheitensprachen in Deutschland wie dem Niederdeutschen, dem Friesischen, Dänischen und Sorbischen sowie den hochdeutschen Dialekten gerechtfertigt.

Auch die rechtliche und technologische Seite der Erhebung und Nutzung von Sprachressourcen hätte Eingang in den Vertrag finden sollen. Von der Suche über natürlichsprachliche Dialogsysteme bis hin zum unterstützten Schreiben auf Smartphone-Tastaturen – Anwendungen der Sprach- und Texttechnologie befinden sich im Zentrum der konsumentenorientierten Informationstechnologie. Die Entwicklung von deutschsprachigen Produkten in diesem Bereich steht und fällt mit der Verfügbarkeit linguistisch aufbereiteter digitaler Korpora und Wörterbücher, die auch für Unternehmen nutzbar sind.

Und dass die Sprachverwendung in der EU in diesem Vertrag überhaupt nicht mehr erwähnt wird, ist verblüffend. Nach dem Brexit tritt eine völlig neue sprachliche Situation ein, wenn das Englische als Muttersprache in der EU zu einer kleinen Sprache wird – falls es überhaupt noch EU-Sprache bleibt, denn Irland und Malta haben Gälisch und Maltesisch als einzige Amtssprachen registriert, nicht das Englische. Man könnte das als Anlass für eine Stärkung der verbleibenden großen EU-Sprachen nehmen, oder, im Gegenteil, eine weitere Intensivierung des Englischen als neutrale lingua franca fordern, würde es doch kaum noch einen Muttersprachler-Vorteil in internen Verhandlungssituationen geben. Gar keine Aussage zu diesem Thema zu treffen, halte ich jedoch zum jetzigen Zeitpunkt für eindeutig zu wenig.

Beitragsbild: Bundeskanzleramt, Berlin. Wikipedia (Martin Falbisoner), CC BY-SA 4.0.

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Henning Lobin ist seit 2018 Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim (Mitglied der gemeinsam vom Bund und allen 16 Bundesländern finanzierten Leibniz-Gemeinschaft) und Professor für Germanistische Linguistik an der dortigen Universität. Zuvor war er ab 1999 Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Forschungsschwerpunkte bilden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Sprache, Texttechnologie, Grammatik, Wissenschaftskommunikation und Politolinguistik. Er ist Sprecher der Sektion "Geisteswissenschaften und Bildungsforschung" und Präsidiumsmitglied der Leibniz-Gemeinschaft, Mitglied germanistischer Fachbeiräte ua. von DAAD und Goethe-Institut, er war Mitglied des Forschungsbeirats der Stiftung Wissenschaft und Politik und des Fachkollegiums Sprachwissenschaft der DFG. Lobin ist Autor von neun Monografien und hat zahlreiche Sammelbände herausgegeben. Zuletzt erschienen sind Engelbarts Traum (Campus, 2014, polnische Übersetzung 2017, chinesische Übersetzung 2018), Digital und vernetzt. Das neue Bild der Sprache (Metzler, 2018) und Sprachkampf (Duden, 2021). Bei den SciLogs ist Henning Lobin seit 2014 Autor des Blogs "Die Engelbart-Galaxis", nachdem er dort bereits ab 2008 am Gruppenblog "Interactive Science" beteiligt war.

7 Kommentare

  1. 1.) Sehr nett diese Zusammenfassung und Analyse des sogenannten Koalitionsvertrags. (Wobei sich womöglich später dann doch “einer gehüstelt” wird, wenn sich daran daran gehalten werden wird, in der neuen Legislatur-Periode.)

    2.) Sehr nett auch dieser Hinweis – ‘Der öffentliche und politische Sprachgebrauch wird zunehmend zum Instrument identitätspolitischer Positionierungen, was man nur mit einem erhöhten Maß an Sprachbewusstsein bekämpfen kann.’ -, denn die Sprache dient nicht ‘identitätspolitischer Positionierungen’, auch wenn dies zunehmend versucht wird, sondern bleibt (nicht nur) linguistisch als vom Volk gepflegt zu betrachten, bottom-up statt top-down sozusagen.
    Es darf hier hier auch ein wenig ‘bekämpft’ werden.

    3.) Sehr nett auch die Idee, dass nach dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs in der Rest-EU, wie dieses Konstrukt einmal ein wenig despektierlich genannt werden soll, auch mehr deutsch gesprochen werden darf, auch deshalb, weil diese Sprache als EU-Amtssprache recht geläufig ist, EU-weit, vergleiche auch hiermit :
    -> https://de.wikipedia.org/wiki/Amtssprachen_der_Europäischen_Union


    Weniger nett natürlich die Idee, warum sich im Koalitionsvertrag so nicht bemüht worden ist, nämlich womöglich, um nichts im negativen Sinne hochkochen zu lassen, denn die BRD befindet sich womöglich in einer schweren Krise, die nicht durch Sprachliches, durch sprachliche Forderungen, belastet werden muss.

    MFG + vielen Dank für die Arbeit + schöne Wochenende,
    Dr. Webbaer

  2. Sehr geehrter Herr Lobin,

    ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen für die äußerst gelungene Zusammenfassung des Koalitionsvertrag hinsichtlich Sprache und Sprachwissenschaft. In meinen Augen ist es immer interessant Dokumente auf gewisse Elemente/Aspekte zu untersuchen. In allgemeinen Analysen fehlt mir oftmals die Zielführung, sodass viel angesprochen wird, doch tiefergehend keine Erkenntnisse gewonnen werden. Hier durfte ich als Leser sehr interessante Inhalte erfahren, die ich beim einfachen Lesen des Vertrages gar nicht bemerkt hätte.

    “Gar keine Aussage zu diesem Thema zu treffen, halte ich jedoch zum jetzigen Zeitpunkt für eindeutig zu wenig.” Diese in der letzten Zeile getroffene Aussage ihres Beitrages teile ich und muss ebenfalls meine Verwunderung kund tun. Ich hätte mir eine Bemerkung gewünscht (wenn nicht sogar gefordert). Nichts darüber zu sagen, kann auch viel bedeuten. Daher hätte ich mir eine klare Position gewünscht, sodass Interpretationsspielräume ausgelotet werden können. Sprache ist sehr mächtig. Und keine Aussage ist auch eine Form der Kommunikation. Beruflich arbeite ich viel mit Dokumenten aus dem Ausland, was mich in gewissen Situation dazu bringt mit solch einem Übersetzungsbüro zusammen zu arbeiten. Denn auch zwischen den Zeilen steht viel, und das möchte ich trotz meiner sprachlichen Defizite (spanisch) erfahren!

    Ich bin auf die “neue” politische Etappe gespannt und verabschiede mich mit diesen Worten.
    Mit den freundlichsten Grüßen an diesem verregneten Montag.

  3. Zitat: Gar keine Aussage zu diesem Thema [Rolle von Englisch in der EU] zu treffen, halte ich jedoch zum jetzigen Zeitpunkt für eindeutig zu wenig.
    Da bin ich anderer Ansicht. Die Koalitionsvertrag der Regierungsparteien tut gut daran, sich nicht zur zukünftigen Rolle von Deutsch und Englisch in der EU zu äussern. Denn tendenziell dominiert Deutschland die EU ohnehin. Wenn die deutsche Regierung sich nun gegen Englisch und für mehr Deutsch in der EU stellen würde, würde sie damit andere Staaten, die Englisch als Kommunikationssprache favorisieren, verprellen. Umgekehrt würde ein Bekenntnis zu Englisch als Kommunikationssprache die Franzosen verprellen, die wohl die Chance zur Renaissance ihrer Sprache in der Diplomatie und darüber hinaus sehen.
    Anstatt jetzt schon eine Position bezüglich Sprachen in der EU einzunehmen ist es wohl klüger, die Entwicklung abzuwarten – zumal Grossbritannien heute noch Teil der EU ist.

    • ‘Verprellen’, von Ihnen zweifach genannt in Ihrem Kommentar, ist keine politische Kategorie, sondern die Antizipation von Emotionalität, die Etymologie von ‘Prellen’ scheint unklar zu sein, womöglich gilt es hier lautmalerisch zur Kenntnis zu nehmen, der Mensch ist ja manchmal schon recht einfach gestrickt.

      Die BRD ‘dominiert’ die EU auch nicht, sie ist zuvörderst ihr gutmütiger Zahlmeister, Dr. W erfreut sich bspw. regelmäßig an von der EU unterstützten, wenn nicht umfänglich bezahlten, Baumaßnahmen.
      In Polen wird sich noch mehr gefreut.
      Dennoch lehnen diese Länder sozusagen affig erscheinende Vorhaben aus dem Hause Merkel regelmäßig ab.

      Unterschätzt wird allgemein die Verbreitung der deutschen Sprache in Europa und der EU, Dr. Webbaer beispielsweise hätte nichts Besonderes dagegen, wenn diese Rolle stärker in die Sprachpflege, als Amtssprache, einfließen könnte, Englisch kann er auch, sogar : perfekt, aber Französisch mag er nicht, auch wegen des Sounds sozusagen nicht.

      ‘Die Entwicklung abzuwarten’ ist halt so eine Phrase, das Vereinigte Königreich ist raus und nunmehr kann sich in der EU an Irland oder Malta festgehalten werden, wenn Englisch hoch gehalten bleiben soll, lol.

      MFG + schönen Tag des Herrn noch,
      Dr. Webbaer

  4. Die zeitnahe Berücksichtigung aller Amtssprachen in der EU ist eine kostspielige Verpflichtung, der sich die EU nach den selbst auferlegten Regeln zu stellen hat (Punkt). Selbstverständlich sollten sich die einstimmig vereinbarten Arbeitssprachen nach einem Mehrheitsprinzip richten und Mehrheiten können sich eben auch ändern. Aufgabe der Regierenden in den Mitgliedsländern bleibt jedoch dafür Sorge zu tragen, dass alle (!) Bürger eines Landes an der uneingeschränkten Kommunikation mit der EU teilhaben können. Nur eine Kommunikation ohne Behinderungen garantiert die Akzeptanz der EU als gemeinsame Interessensvertretung. Also, mehr Verantwortung von den Mitgliedsländern einfordern.

  5. Die Gruppe der Geduldeten, bei denen “die Ausreise kurzfristig nicht zu erwarten ist”, soll “Angebote [für den Spracherwerb] nach dem Grundsatz des Forderns und Förderns […] bekommen.” (Z. 4982ff). Der Zugang zu den Sprachkursen soll dabei für diese Gruppe so ausgestaltet werden, dass es nicht zu einer “Verfestigung von Aufenthaltsrechten” und einer Gleichstellung zu denen mit einer “rechtlichen Bleibeperspektive” kommt.

    Dies ist nicht nur eine “nicht ganz leicht zu lösende Aufgabe”, sondern zeigt, dass die AfD bereits mitregiert.

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