Black History Month 2024: Der Kampf des Afrobrasilianers Marcellino gegen die Sklaverei in Preußen

Sklaverei in Brasilien, Jean-Baptiste Debret

Die Abschaffung der Sklaverei in Preußen im Jahre 1857 ist eng mit dem Kampf des versklavten Afrobrasilianers Friedrich Wilhelm Marcellino verbunden. Marcellino wurde in Brasilien in den 1830er in die Sklaverei1 geboren. Im März 1852 wurde Marcellino in Rio de Janeiro von dem deutschstämmigen Mediziner Dr. Ludwig Ritter gekauft. 1854 begleitete Marcellino Ritter auf einer Reise nach Dresden und schließlich nach Berlin.

Sklaverei in Brasilien, Jean-Baptiste Debret
Sklaverei in Brasilien, Jean-Baptiste Debret

Als Ritter nach Brasilien zurückreisen wollte, entschied sich Marcellino, für seine Freiheit zu kämpfen. Er nahm Kontakt mit der Berliner Bevölkerung auf und zeigte seinen mit Narben übersäten Rücken, ein Zeugnis der Brutalität, die er erlitten hatte. Unterstützt von seinen neu gewonnenen Verbündeten, reichte Marcellino eine Klage beim Königlichen Stadtgericht in Berlin ein.

Das Gericht erkannte Ritters Besitzrecht an Marcellino grundsätzlich an, entschied aber, dass er innerhalb der nächsten neun Monate zusätzliche Beweise dafür aufbringen müsse, dass dieser sein Sklave sei. Andernfalls würde Ritters Besitzrecht an Marcellino für immer erlöschen. In zweiter Instanz wurde das Urteil jedoch revidiert: das Kammergericht2 in Berlin wies Marcellinos Klage ab und gab Ritter ohne diese Auflage Recht.

Die Entscheidung des Kammergerichts basierte auf dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, das explizite Bestimmungen zur Sklaverei und zum Sklavenhandel preußischer Untertanen enthielt (§ 196–208, Teil 2, Titel 5 „Von Sklaven“). Die grundlegende Regelung schien Marcellinos Anspruch auf Freiheit zu stützen, indem sie klarstellte, dass Sklaverei in Preußen nicht geduldet werden sollte (§ 196). Doch es gab eine Ausnahme, die in § 198 festgelegt war: Ausländer, die sich nur vorübergehend in Preußen aufhielten, durften ihre mitgebrachten Sklaven behalten, unter der Bedingung, dass sie diese nicht lebensgefährlich misshandelten (§ 199). Da Ritter vom Kammergericht nicht als Preuße, sondern als Brasilianer eingestuft wurde, stand Marcellinos Freiheit der §198 entgegen.

Obwohl Marcellinos Klage erfolglos war, konnte er in Berlin bleiben und schließlich seine Freiheit erhalten. Die Nachricht von dem kontroversen Urteil fand ihren Weg in die USA und wurde zur Munition in den politischen Debatten der Südstaaten, die vehement die Rückkehr entlaufener Sklaven aus dem Norden forderten. Einige Preußen kritisierten die Entscheidung des Gerichts und forderten eine Rechtsreform. In der Folge befassten sich beide Kammern des preußischen Parlaments mit dem Paragrafen § 198. Schließlich wurde am 9. März 1857 eindeutig verfügt:

§1 Sklaven werden von dem Augenblicke an, wo sie Preußisches Gebiet betreten, frei. Das Eigenthumsrecht des Herrn ist von diesem Zeitpunkte ab erloschen

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Gesetz, betreffend die Abänderung der im Allgemeinen Landrecht Theil II. Til. 5 §§. 198. ff, enthaltenen Bestimmungen über Sklaven, 1857

Marcellinos Klage hatte die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Ungerechtigkeiten der Sklaverei gelenkt und letztendlich zu einer Gesetzesänderung geführt, die das letzte Schlupfloch schloss, das die Sklaverei in Preußen fortbestehen ließ.

Großzügige Spenden3 ermöglichten ihm eine Ausbildung zum Schreiner. In der Folge fand er Jobs als Kellner, Portier und Übersetzer, der Portugiesisch, Spanisch und Italienisch sprach. 1861 heiratete er in Berlin und nahm den Namen Friedrich Wilhelm an.

1862 wurde Marcellino auf einen Fall aufmerksam, der dem seinen ähnlich schien: Ein osmanischer Pferdehändler und seine beiden afrikanischen Pferdepfleger ließen sich in Kreuzberg nieder, um Hengste an den königlichen Hof zu verkaufen. Eine Lokalzeitung beschuldigte den Pferdehändler in offen antisemitischem Ton, seine Pferdepfleger versklavt und misshandelt zu haben und betitelte die Geschichte mit der Schlagzeile “Negersklaverei in Berlin”.

Marcellino und seine Gruppe aus Schwarzen und PoCs versammelten sich vor dem Wohnhaus des Pferdehändlers und forderten nicht nur die Freiheit der Männer, sondern auch faire Löhne. Spätere polizeiliche Ermittlungen ergaben allerdings, dass die Vorwürfe der Sklaverei unbegründet waren, dennoch erhielten die beiden Pferdepfleger wochenlang weiterhin “Massenbesuche“ von der lokalen Community. Marcellinos Rolle als Anführer dieser Gruppe zeigt nicht nur sein fortdauerndes Engagement gegen die Sklaverei, sondern auch die Präsenz einer gut vernetzten Berliner Community, die einander unterstützte und für ihre Rechte kämpfte.

Fußnoten

1. Die frühesten Aufzeichnungen über die Entsendung afrikanischer Sklaven nach Brasilien stammen aus dem Jahr 1533, als Pero de Gois, Kapitän Mor da Costa von Brasilien, den König um die Lieferung von 17 Schwarzen für sein Kapitänsamt in São Tomé (Paraíba do Sul / Macaé) bat. Am 13. Mai 1888 verkündete Prinzregentin Isabella, dass Brasilien die Sklaverei abschafft – als letztes Land der westlichen Hemisphäre.

2. 1780 gab es bereits einen ähnlichen Fall vor dem Berliner Kammergericht: Ein Schwarzer Sklave des Adligen Joachim Erdmann von Arnim bat den König von Preußen, Friedrich II, in einem Schreiben um seine Freiheit. Der Mann, dessen Name nicht überliefert ist,  war 1773 während von Arnims Zeit als Botschafter Preußens in Dänemark in Kopenhagen gekauft und später nach Berlin gebracht worden. Der König wies die Bitte ab.

3. Gemäß § 202 muss der ehemalige Sklave ab dem Zeitpunkt seiner Freilassung seinem früheren Besitzer ohne Bezahlung dienen, bis er die Kosten ausgeglichen hat, die der Besitzer für seinen Kauf aufgewendet hat.

Weiterführende Literatur

Bärwald, A  & Lentz, S (2023) German Slavery and Its Legacies: On History, Activism, and a Black German Past

Reed-Anderson, P & Kopp, C (2022) Berlins versklavte Afrikaner »›Eigentum‹ von Fremden in einem fremden Land

Lentz, S. (2020). “Wer helfen kann, der helfe!” Deutsche SklavereigegnerInnen und die atlantische Abolitionsbewegung, 1780-1860. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 261).

Der Mohr verlangt die Freiheit

Roots: Afrikanische Sklaven und ihre regionale Isotopensignatur

Der gestrichene Absatz der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung

Die afroamerikanische Dichterin Sunni Patterson

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Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

13 Kommentare

  1. Danke für diesen Beitrag.
    Die Preußen waren nicht so edel , wie sie gern gewesen wären.
    Ja und nach der Reichsgründung gab es gar keinen Grund mehr, die Schwarzen auszugrenzen. Wenn die Engländer und Franzosen nicht eifersüchtig darüber gewacht hätten, wer mehr Kolonien hat, dann hätten die Reichsdeutschen auch noch mehr Gebiete kolonisiert.
    In Namibia wohnen noch die Nachkommen der deutschen Besatzer und “Mördertruppen”.
    Sogar die Nachkommen des berüchtigten General Lettow “„Unsere Spur ist gezeichnet von Tod, Plünderung und menschenleeren Dörfern“.

    Die Deutschen wurden nur nocht getoppt von den Belgiern im Kongo.
    Was dort passiert ist sollte man mal nachlesen.

  2. Man könnte diese Anekdote aus Preussens Vergangenheit auch als Beleg für das sehen, was Montesqieu den „Geist der Gesetze“ nennt. Montesqieu vertritt darin die Auffassung, dass die Gesetze eines Landes, eines Staates, letztlich die tiefere Logik, das Selbstverständnis des gesetzgebenden Staates ausdrücken. Und schon damals passte Sklaverei nicht zum Selbstverständnis des preussischen Staates, ja zum Selbstverständnis der deutschen Länder.

    Interessant und vielsagend ist aber, dass Montesqieus Werk De l’esprit des loix fast sofort nach Veröffentlichung auf den Index gesetzt wurde. Der Papst und der Vatikan erahnten und witterten in diesem Werk wohl den Geruch der Freiheit und der bald schon heraufziehenden Menschenrechte. Und ja, der Papst und der Vatikan waren damals Garanten für die uneingeschränkten Rechte der Machthaber und sie waren eingeschworene Gegner der Menschenrechte – mehr noch als es heute Vertreter des politischen Islams sind. Auch die Sklaverei wurde vom Vatikan gutgeheissen, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Sklaven keine Christen waren. In der tieferen Logik der katholischen Kirche durften also Mitglieder der Gemeinde Gottes nicht versklavt werden.

    • Martin Holzherr,
      Neben Montesquieu war es auch Voltaire, der das Selbstverständnis des Staates zu seinen Bürgern beeinflusste.
      Dieses Selbstverständnis fand dann in der französischen Revolution ihren Ausdruck und wurde kurz danach von Napoleon dem Imperialismus untergeordnet. Und so war es auch in Preußen.
      Dieser Imperialismus bekämpfte zuerst die demokratischen Parteien innerhalb des deutschsprachigen Raumes um dann nach der Rechsgründung 1871 sich auf dem ganzen Erdball auszubreiten , bis nach China.
      Ja, und der Sklavenhandel ?
      Der wurde ausgeklammert. Brandenburg, so hieß Preußen früher, war auch am Sklavenhandel beteiligt. Von Groß-Friedrichsburg in Ghana sollen etwa 30 000 Sklaven nach Amerika verkauft worden sein.
      Die Abschaffung der Sklaverei in Preußen war wohl eher der Ausdruck sich von den Engländern abzugrenzen als der Menschenliebe geschuldet.
      Denn im gleichen Zeitalter wurden als Ausgleich die Industriearbeiter “versklavt” , nicht dem Name nach, sondern ganz real, durch unmenschliche Arbeitsbedingungen.
      Nix mit edler Staatsgesinnung, nackter Kapitalismus.
      Die Entstehung des Kommunismus hat hier ihre Ursache.
      Die Rolle des Vatikans dabei war schändlich.

      • @Martin Holzherr @Nicker Friedrich Wilhelm Carové forderte in der Märzrevolution 1848 das umfassende Verbot der Beteiligung von Deutschen am Sklavenhandel und hoffte, das es in die gesamtdeutsche Verfassung aufgenommen wird. Er konnte die Abgeordneten der Paulskirche aber nicht überzeugen.

    • Auch die Sklaverei wurde vom Vatikan gutgeheißen, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Sklaven keine Christen waren. In der tieferen Logik der katholischen Kirche durften also Mitglieder der Gemeinde Gottes nicht versklavt werden.

      Das Christentum verbot die Versklavung von Christen frühzeitig, ähnlich wie der Islam verbat Muslime zu versklaven, beide Religionen teilten aber die Ansicht, dass bereits versklavte Anhänger ihrer Religion als Sklaven weiter leben müssten, keinen Anspruch auf Befreiung hätten.
      Nicht korrekt ist ebenfalls die Ansicht, dass das Christentum die Sklaverei gutgeheißen hat, der Islam tut so, unter obig genannter Bedingung.

  3. “Man sollte nicht den Respekt vor dem Gesetz pflegen, sondern vor der Gerechtigkeit.
    Das Gesetz hat die Menschen nicht um einen Jota gerechter gemacht; gerade durch ihren Respekt vor ihm werden auch die Wohlgesinnten jeden Tag zu Handlagern des Unrechts.” Henry David Thoreau

    So ist es absolut kein Wunder oder Phänomen, daß Mensch immernoch im zeitgeistlich-reformistischen Kreislauf des imperialistisch-faschistischen Erbensystems steckt und eine Minderheit dies nun “freiheitlicher” Wettbewerb nennt und Kapitulation vor der daraus resultierenden Hierarchie erwartet – Ein Wettbewerb um die Deutungshoheit, mit stets gleichermaßen unverarbeitet-gepflegter Bewusstseinsschwäche in Angst, Gewalt und egozentriertem “Individualbewusstsein”, auf stets heuchlerisch-verlogener Schuld- und Sündenbocksuche!?

  4. hto,
    Dem Asylanten aus Afrika, der in einem Asylantenheim wohnt, dem helfen deine Erkenntnise nicht.
    Dem Rentner in Deutschland, der bald seine Miete nicht mehr bezahlen kann, dem helfen deine Einsichten nicht.
    Die Mutter mit drei Kleinkinder, die von ihrem Mann verlassen wurde, der helfen deine Weisheiten nicht.

    Sag doch mal was Praktisches.

  5. @Nicker #was Praktisches

    “Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.” Marie von Ebner-Eschenbach

    Damit der Asylant kein Asylant mehr ist, der Rentner kein Rentner mehr, die Mutter mit ihren Kindern keine Abhängigkeiten bedenken, damit die glücklichen Sklaven nicht mehr im Geringsten falschen Vorstellungen auf den Leim gehen, muss Mensch das ganzheitlich-ebenbildliche Wesen im globalen Gemeinschaftseigentum ohne wettbewerbsbedingte Symptomatik werden, Geist, Seele, Kraft, Bewusstsein “wie im Himmel all so auf Erden”, Vernunftbegabung zu Vernunft und Verantwortungsbewusstsein für wirkliche Wahrhaftigkeit in zweifelfreier Eindeutigkeit.👋😇

  6. In einer Welt- und Werteordnung von globalem Gemeinschaftseigentum, OHNE Sklaven für die wettbewerbsbedingte “Ökonomie” von/zu unternehmerischer Abwägungen, ist niemand mehr ein Fremder dem “gesundes” Konkurrenzdenken droht, muss niemand Miete zahlen oder Steuern zahlen, muss niemand Sorgen vor Hunger oder um Bezahlbarkeit von Gesundheit haben, muss niemand mehr die Unwahrheit der Konfusion seit Mensch erstem und bisher einzigen geistigen Evolutionssprung fürchten.

    • hto
      Das ist eine gute Zielbeschreibung. So wie das “promised land”.
      Jetzt sind die I. im promised land, und sie sind es doch nicht.

      Der Mammon hindert sie daran, man muss zuerst den Mammon beseitigen.
      Aber wie ?

  7. §1 Sklaven werden von dem Augenblicke an, wo sie Preußisches Gebiet betreten, frei. Das Eigenthumsrecht des Herrn ist von diesem Zeitpunkte ab erloschen

    Marcellinos Rolle als Anführer dieser Gruppe zeigt nicht nur sein fortdauerndes Engagement gegen die Sklaverei, sondern auch die Präsenz einer gut vernetzten Berliner Community, die einander unterstützte und für ihre Rechte kämpfte. [Quellen jeweils : Artikeltext]

    Nur zu begrüßen – und gewusst wird ja nicht unbedingt, wie ‘osmanische Pferdehändler’ seinerzeit ihre (schwarze) Belegschaft zu behandeln wussten, denkbarerweise : suboptimal.

    Mit freundlichen Grüßen und vielen Dank für diesen berührenden Text
    Dr. Webbaer

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