“Wir haben den Lauf der Erdgeschichte verändert” – die neue Studie der Anthropocene Working Group
Die signifikante Skala der menschlichen Auswirkungen auf unseren Planeten hat den Verlauf der Erdgeschichte verändert, so meint ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, der Working Group on the “Anthropocene”.
Die Forscher weisen darauf hin, dass eine Vielzahl von menschlichen Auswirkungen den Verlauf der geologischen Geschichte der Erde verändert habe . Dieses Ausmaß rechtfertigt einen formellen Vorschlag, eine neue erdgeschichtliche Epoche, das Anthropozän zu etablieren und damit zur geologischen Zeitskala hinzuzufügen. Das Anthropozän-Konzept basiert ursprünglich auf einem ad-hoc Vorschlag von Nobelpreisträger Paul Crutzen aus dem Jahr 2000.
Die schnellen Änderungen an unserem Planeten beinhalten die enorme Beschleunigung der Erosions- und Sedimentationsrate, großmaßstäbliche chemische Störungen in den Zyklen von Kohlenstoff, Stickstoff, Phosphor und anderen Elementen, der Beginn einer signifikanten Veränderung des globalen Klimas und des Meeresspiegels sowie biotische Veränderungen einschließlich nie dagewesener Ausmaße invasiver Tier-, Pflanzen- und Bakterienarten, welche sich über die ganze Erde ausbreiten.
Die neue Studie ist eine Zusammenfassung der Erkenntnisse und Zwischenempfehlungen der internationalen Arbeitsgruppe, welche seit 2009 das Anthropozän untersucht hat. Aufgabe dieser von der Internationalen Stratigraphischen Kommission (ICS, als Teil der International Union of Geoscienticst, IUGS) eingesetzten Arbeitsgruppe ist zu prüfen, inwieweit es sinnvoll ist, eine derartige neue erdgeschichtliche Epoche formal zu etablieren und wie eine formelle Definition ggf. aussehen könnte. Die Ergebnisse und Empfehlungen wurden ursprünglich auf dem Internationalen Geologischen Kongress 2016 in Kapstadt, Südafrika vorgestellt und soeben in der Fachzeitschrift “Anthropocene” veröffentlicht.
Der Leiter der Arbeitsgruppe, Jan Zalasiewicz, Universität Leicester meint dazu:
“Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die anthropozäne Epoche nun die die holozäne Epoche ablösen sollte, welche 11 700 Jahre, also seit dem Ende der letzten Eiszeit durch eine relativ hohe Umweltstabilität ausgezeichnet war. Nun aber haben wir eine instabilere und sich besonders schnell weiterentwickelnde neue Phase der Geschichte unseres Planeten betreten.”
Mark Williams, ebenfalls von der Universität Leicester, ergänzt:
“Geologisch betrachtet repräsentiert die Mitte des 20. Jahrhunderts den vernünftigsten Horizont für den Beginn des Anthropozäns – da es zu großen globalen Veränderungen vieler geochemischer Zyklen der Erde führte, wie der von Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor, aber auch sehr große Mengen an neuartigen Materialien wie Kunststoffen, Beton und Aluminium produziert wurden, die dazu beitragen werden, die geologischen Schichten der Zukunft aufzubauen.”
Colin Waters, der Generalsekretär der Arbeitsgruppe, erläutert das weitere Vorgehen:
“Die Anthropozän-Arbeitsgruppe arbeitet nun an einem solchen formalen Definitions-Vorschlag, der auf der Suche nach einem “Golden Spike “basiert – also einem Referenzniveau in einer Schichtabfolge irgendwo in der Welt, welches die Veränderungen zwischen Holozän und Anthropozän am besten charakterisieren. Sobald diese Studien zur bestmöglichen geologischen Charakterisierung der vorgeschlagenen Untergrenze in Mitte des 20. Jahrhunderts abgeschlossen sind, werden sie der im abgeschlossen, sie wird der Unterkommission für Quartäre Stratigraphie der Internationalen Kommission für Stratigraphie zur Prüfung vorgelegt.Es gibt keine Garantie für den Erfolg dieses Prozesses – die geologische Zeitskala soll stabil sein und ist nicht leicht zu ändern. Aber wie auch immer die Entscheidung zur Einführung einer formalen stratigraphischen Einheit letztendlich aussieht, die geologische Realität des Anthropozäns ist bereits jetzt eindeutig.”
Die Arbeitsgruppe besteht etwa zur Hälfte aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Geologie und Paläontologie. Weiterhin sind Geographie, Biologie, Archäologie, Bodenkunde, Atmosphärenchemie, Meteorologie, Klimatologie, Ozeanographie, Umwelttechnik, Umwelt- und Wissenschaftsgeschichte, Philosophie und Umweltrechtswissenschaften vertreten.
Dieser Meldung zugrunde liegende wissenschaftliche Originalstudie:
Jan Zalasiewicz, Colin N. Waters, Colin P. Summerhayes, Alexander P. Wolfe, Anthony D. Barnosky, Alejandro Cearreta, Paul Crutzen, Erle Ellis, Ian J. Fairchild, Agnieszka Gałuszka, Peter Haff, Irka Hajdas, Martin J. Head, Juliana A. Ivar do Sul, Catherine Jeandel, Reinhold Leinfelder, John R. McNeill, Cath Neal, Eric Odada, Naomi Oreskes, Will Steffen, James Syvitski, Davor Vidas, Michael Wagreich, Mark Williams. The Working Group on the Anthropocene: Summary of evidence and interim recommendations. Anthropocene, 2017; 19: 55-60, DOI: 10.1016/j.ancene.2017.09.001
Hier die zentrale Abbildung der Publikation:
Quelle: Text und Materialien: Universität Leicester, übersetzt, leicht gekürzt, Zusammensetzung der AWG hinzugefügt.
Ich habe mir als einer der Autoren des genannten Papers erlaubt, die Pressemeldung der Universität Leicester, an der die Lead-Autoren der Studie arbeiten, für den Scilogs-Anthropozäniker zu übersetzen und als obigen Text wiederzugeben. Die oben verlinkte Studie ist bis Jahresende 2017 frei verfügbar. Für weitere Infos siehe sonstige Einträge hier im Anthropozäniker, z.B. hier und hier und hier und hier und hier.
Eigentlich sollten bereits die biotischen Änderungen genügen um ein Anthropozän als neue geologische Einheit zu definieren, denn ist es nicht so, dass Fossilienfunde ebenfalls zum “geologischen Record” gehören. Die Verbreitung von Pflanzen und Tieren hat sich aber durch den menschlichen Einfluss (bewusste oder unbewusste Migrationshilfe) stark geändert. Zwar sind dadurch nicht neue Tiere und Pflanzen aufgetaucht, aber ihre Verbreitung hat sich radikal geändert, etwas was sich auch in der entsprechenden Verbreitung von Tier- und Pflanzenfossilien äussern sollte. Allerdings wäre beim Abstützten auf eine biotische Definition des Anthropozäns, der Anthropozänbeginn wesentlich früher als 1950.
Wir haben natürlich auch auf die biotischen Änderungen geschaut. Also, klassische Biostratigraphie (basierend auf dem Auftreten neuer Arten) ist im Quartär sowieso nur sehr eingeschränkt möglich, weil etwa die durchschnittliche Lebensdauer einer Säugetierart 1-2 Millionen Jahre beträgt (bei Invertebraten oft deutlich länger). Daher sind die Untereinheiten des Quartär anhand von Eiskernen festgelegt (bzw. z.T. anhand von klimabasierten Verteilungsänderungen von Organismenassoziationen). Richtig ist, dass es natürlich seit langem auch menscheninduziertes Artensterben und Veränderungen der Faunen- und Florenzusammensetzungen gibt. Diese sind aber zuerst einmal regional bzw. extrem diachron, so dass damit ebenfalls global nicht zur Grenzfestlegung des Anthropozäns gearbeitet werden kann, erst ab etwa Mitte des 20. Jahrhunderts beschleunigt sich auch diese Entwicklung dermaßen, dass sie global erkennbar und annähernd isochron ist – dies ist zumindest die Einschätzung der Anthropocene Working Group. Ich verweise etwa auf unsere neueste Arbeit, hier einige Ausschnitte:
Hier noch der stratigraphische Vorschlag aus dieser Arbeit als Abbildung :(aus Zalasiewicz et al. 2017a, http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2213305417300097)
In einer Arbeit vom Beginn dieses Jahres schreiben wir noch etwas detaillierter (Auszug):
(aus Zalasiewicz et al. 2017b, https://doi.org/10.1127/nos/2017/0385 )
Wir arbeiten derzeit noch an weiteren Artikeln auch zu diesem Thema, wird aber noch etwas dauern, bis das erscheint.
In weniger als 500 Jahren wird das Überleben auf diesem Planeten sehr schwierig werden!
»Plastik: extrem weit verbreitetes neues Technofossil (Fig. Univ. Leicester) «
Faszinierend!
Warum so verklausoliert? Nur 5 % der Bevölkerung können mit Anthropozän etwas anfangen. Nennen wir es, was es wirklich ist, das Zeitalter der Erdverschmutzung. Dafür sollten sich die Wissenschaftler nicht zu schade sein.
International schlage ich “Waste Age” vor.
Nur ne kurze Antwort (mehr dazu ggf. in den diversen Blogbeiträgen). Waste Age würde zu kurz greifen, wie eben auch andere gemachte Vorschläge, darunter Plastizän, Pyrozän, Technozän, Homogenozän, Kapitalozän etc. Alles wesentliche Aspekte, aber eben nicht umfassend genug. Der Mensch ist nun eben sowohl zu einem globalen Erdsystemfaktor geworden (u.a. bzgl. Atmosphäre, Strömungen, biogeochemische Kreisläufe, Biosphäre etc.), aber daraus resultierend auch zu einem globalen geologischen Faktor (z.B. neue Erosionsarten, neue Sedimentationsmuster, neue Sedimentzusammensetzung uvm). Das Anthropozän-Konzept ist aber nicht nur die Beschreibung all dessen, was die Menschheit hier nun angerichtet hat, sondern auch ein starker Stimulus, neue Lösungsansätze im Hinblick auf deren Integrationsfähigkeit in ein auch uns tragendes Erdsystem zu erarbeiten. Anthropozän, also „das Menschenneue“ (bzw. „das menschengemachte Neue“) passt da also doch recht gut, v.a. auch wenn man mit der Namensbedeutung der vorherigen erdgeschichtlichen Epochen des Känozoikums (also des bzgl. des Erdmittelalters Neuen) vergleicht. Paläozän, Eozän, Oliogozän, Miozän, Pliozän, Pleistozän, Holozän bedeuten übersetzt in etwa: „das alte Neue“, das aufgehende Neue“, das wenig Neue“ das bisschen Neue“ „das mehr Neue“, das am meisten Neue“ und „das komplett neue“. Das „menschengemachte Neue“ ist da dann schon die richtige Größenordnung, denn zuvor war es eben „nur“ die Natur, die für die Neuerungen zuständig war.
Eine deutsche Übersetzung wäre z.B. „Menschenzeit“ (siehe das gleichnamige sehr empfehlenswerte Buch von Christian Schwägerl) oder auch „Das Menschenzeitalter“. Menschengemachtes Neues trifft es m.E. aber am besten 😉