Heimat bauen: Frankfurts schöne neue Altstadt

Vor drei Jahren ging es in diesem Blog schon einmal um die neue Altstadt im Zentrum von Frankfurt am Main. Im Mai diesen Jahres wurden die Bauzäune um das neue Quartier geöffnet, ab Mitte des Monats zogen die ersten Bewohner ein und der Innenausbau der Läden wurde in Angriff genommen. Nun soll das Stadtviertel richtig eröffnet werden. Vom 28. bis zum 30. September 2018 wird das Quartier gefeiert – als ein “erlebbares Stück Geschichte”, wie Michael Guntersdorf, Geschäftsführer der DomRömer GmbH, erklärte.

Schon seit Mai ziehen die Gebäude täglich viele Schaulustige an. Es sind nicht nur Touristen aus der Ferne, sondern ganz oft auch Menschen, die in Frankfurt und Umgebung wohnen und zum ersten Mal seit der Fertigstellung der Gebäude wieder in der Gegend zwischen Dom und Römer zu tun haben.

Frankfurts neue Altstadt mit Schaulustigen
Vielfach bestaunt in der neuen Altstadt von Frankfurt: Das Haus zur Goldenen Waage, eines der am besten dokumentierten Häuser der 1944 zerstörten Altstadt (Foto vom Mai 2018)

Die Reaktionen sind gemischt, es gibt viel Bewunderung für die Nachbildungen, aber immer wieder ist auch zu hören, dass die Bebauung als irgendwie künstlich empfunden wird – allzu glatt und aus einem Guss, ganz anders als man es von gewachsenen Stadtvierteln gewöhnt ist.

Ich selbst war aus den im Post aus dem August 2015 genannten Gründen bei meiner Besichtigung voreingenommen. Und wurde auch jetzt nicht warm mit dem Ganzen. Zu viele Brüche im Detail (Isolierglas, Türbeschläge, …) und insgesamt ein so aseptisches Gefühl, als wäre ich eine der Spielfiguren in dem Computerspiel SimCity. Viele kritisieren, es sei verfehlt, für den wenigen entstehenden Wohnraum rund 130 Millionen Euro an öffentlichen Geldern auszugeben. Aber um die Schaffung von Wohnraum ging es auch gar nicht vorrangig – und schon gar nicht um günstigen Wohnraum: Bei Mieten von bis zu 25 Euro pro Quadratmeter kann davon keine Rede sein. Aber mal ehrlich: Wer viel günstigen Wohnraum schaffen will, macht das nicht ausgerechnet im Herzen der Stadt. Selbst wenn man das finanzieren wollte, würde man der Lebendigkeit einer Stadt damit keinen Dienst erweisen: Tagsüber arbeiten alle irgendwo außerhalb, die Kinder sind in irgendeiner Betreuung, auf den Straßen tut sich nichts. Abends brauchen müde Bürger Ruhe.

Jetzt aber:

“Die Neue Frankfurter Altstadt ist ein Anziehungspunkt für alle: Bewohner, Bürger und zahlreiche Gäste aus aller Welt treffen sich hier auf einen Kaffee, besuchen die zahlreichen Museen und individuellen Geschäfte und genießen das Altstadt-Flair im Herzen der Mainmetropole”,

(so bewirbt FrankfurtTourismus das fertiggestellte Projekt) .

Hühnermarkt im Dom-Römer-Viertel Frankfurt
Auch die Menschen wirken wie ferngesteuerte Figuren in einem Computerspiel  – in einer Kulisse, die irgendwie an den Europapark Rust erinnert. So empfand ich es jedenfalls bei meinem Besuch im neuen Dom-Römer-Viertel.

Vielleicht alles doch nur Geschmackssache? Leider mit einem ausgesprochen schlechten Beigeschmack: “Wir haben das Haus am rechten Fleck”, war ein Artikel in der FAS vom 8. April 2018 überschrieben. Autor Stephan Trüby setzt sich mit den Einflüssen rechtsextremer Akteure auf die Architektur auseinander und machte publik, dass der Initiator der neuen Frankfurter Altstadt aus einschlägigen Kreisen kommt. Der Journalist Claus Wolfschlag hatte sich nach eigenen Aussagen bis dahin bewusst bedeckt gehalten. In einer Erwiderung auf Trüby verwahrt er sich gegen dessen altlinken verbalen Sermon“. Seinen Anspruch an die Architektur und seinen Widerwillen gegen die ganze “modernistische Seilschaft” (zumeist “Leute in sicheren, wohldotierten Pöstchen im Universitätsbetrieb oder sonstigen Institutionen”) formuliert Wolfschlag dabei so:

“Es geht, um es einfach auszudrücken, um eine menschlich gestaltete Welt angesichts einer fortschreitenden, den ganzen Erdball umfassenden Globalisierung”.

Der Anspruch allein klingt erstmal harmlos, die Formulierungen drumherum aber doch deutlich populistisch. Entwickelt hat Wolfschlag sein Bild der menschlich gestalteten Welt auf der Grundlage eines Gedankens, den er 25 Jahre zuvor  als Aufsatz unter dem Titel “Heimat bauen. Für eine menschliche Architektur”  veröffentlichte. Er distanziert sich heute einerseits von diesem Text – “manches würde ich heute ein wenig anders formulieren” – aber der Artikel gefällt ihm ausdrücklich noch immer so gut, dass er ihn als PDF zum Download anbietet. Darin plädiert er als Grundlage für ein neues Bauen dafür, das Bevölkerungswachstum im Ausland radikal zu bekämpfen und die Einwanderung einzudämmen, damit “Menschen verschiedenster Hautfarbe” nicht “in Betonburgen langsam grau werden”.

Eine deutliche Erinnerung an die politische Dimension des Bauens und des Rekonstruierens, die man über ästhetischen Fragen vielleicht manchmal zu vergessen droht. In die Richtung weist auch ein vor ein paar Tagen erschienener  Artikel in der taz über die Tagung “Altstadt 2.0” in Frankfurt.  Der Text liefert einen Eindruck von mehreren dort zum Thema neues Dom-Römer-Viertel gehaltenen Redebeiträgen. Zentrale Begriffe waren offenbar “Schönheit”, “Heimat”, “Herz” und immer wieder der emotionale Bezug auf eine glorreiche Vergangenheit. Es sind Vokabeln der Sehnsucht nach einer heilen Welt, wie es sie nie gegeben hat. Harmlos ist das nicht. Denn die nachgebaute Vergangenheit wird  zur potenziellen Projektionsfläche für populistische Botschaften.

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

5 Kommentare

  1. In China gibt es ganze nachgebaute europäische Stadtviertel und diese neue Frankfurter Altstadt würde wohl auch dazu passen. Der Unterschied ist die Erwartungshaltung: Die Chinesen wollen mit ihren Nachbauten die Welt da draussen kennen lernen, die Frankfurter dagegen wollen die Welt wie sie war zurück.

    Natürlich hat diese neue Altstadt etwas museales. Doch damit ist Frankfurt überhaupt nicht allein. Jede grössere europäische Stadt – ob nun Paris, London oder Barcelona – hat durch die vielen Touristenbesuche automatisch etwas museales. Und die Pariser, Londoner oder Barcelona-Bewohner müssen damit leben und können auch damit leben, da es ja auch Geld einbringt. Das gilt auch für Frankfurt. Wenn durch die neue Altstadt auch nur 10’000 Besucher pro Jahr angelockt werden, hat sich das wohl schon ausbezahlt.

  2. Eine sehr gute Sache. Man möchte meinen,dass hinter der nächsten Hausecke gleich ein gewisser Johann Wolfgang von Goethe hervorkommt .Aber sachlich: Nach dem 2.Weltkrieg als viele deutsche Innenstädte in Schutt und Asche lagen,haben die Polen viele ihrer zerstörten Städte in liebevoller und mühevoller Kleinarbeit wieder restauriert.Danzig, Krakau,Breslau,Posen etc. bekamen wieder ihr altes historisches Gesicht. Viele Städte sind heute von ihrer City schon austauschbar und von Einkaufstempeln geprägt. Solche neu gestalteten “Altstädte ” zeigen, dass wir zwischen LIDL und ALDI auch eine sehenswerte Geschichte haben. Dresden hat mit der Restaurierung der Frauenkirche bzw. der Altstadt bewiesen,dass solche Attraktionen Millionen Touristen in die Stadt bringen…Zu DDR-Zeiten wurde in Berlin übrigens mit dem Bau des NikoleiViertels ähnliches versucht.

  3. Nun die Diskussion kenne ich aus meiner Schulzeit vor 40 Jahren. Waren das nicht Gebäude, die früher nicht an dieser Stelle waren? Nun gut, die Diskussion geht weiter. Nur frage ich mich, was die politische Ansicht eines Initiators mit diesem Projekt zu tun hat.

  4. Leider kenne ich in Frankurt keinen ein Ort moderner (und modern heißt hier bis zu 60 Jahre alter) Architektur, an dem ich mich gerne aufhalte. M.M.n. liegt das an einem Hang der Architekten zu Gigantismus und Kälte. Abschreckend ist z.B. die gelobte Europaallee. Die “neue Altstadt” könnte da ein Kontrapunkt sein – auch wenn mich die aseptische und künstliche Athmosphäre etwas stört. Aber Architektur muss auch “wachsen” durch Menschen, die sie sich aneignen. Oft habe ich den Eindruck, Archtekten lernen in der Ausbildung “sich selbst zu verwirklichen”, Entwürfe ohne Rücksicht auf die Umgebung und die Nutzer zu planen und Auffallen für eine Tugend zu halten.
    Den Reflex zum Alten zurück haben sich die Architekten und Bauherren selbst zuzuschreiben.

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