Rosettas Komet: Woher kommt die Entenform?
Am 14. Juli macht die Raumsonde Rosetta ein erstes größeres Bild vom Kometenkern 67P / Tschurjumow-Gerasimenko. Es ist ein seltener Anblick – zwar kannten schon die alten Griechen die Schweifsterne und gaben ihnen den heutigen Namen: komētēs bedeutet Schopfstern. Die Kerne der Kometen waren aber lange Zeit unbekannt, weil sie unbeschreiblich viel kleiner (~10 km) sind als die Schweife (~100 Millionen km).
Am 14. März 1986 passierte Rosettas Vorgänger Giotto (gemeinsam mit sowjetischen und japanischen Sonden) den Halleyschen Kometen, mit einer enormen Geschwindigkeit von fast 70 Kilometern pro Sekunde. Sie lieferte für Jahrzehnte die beste Aufnahme eines Kometenkerns überhaupt. Später gab es nur zwei drei Sonden, die überhaupt einen Kometenkern fotografierten: Deep Space 1, Deep Impact und Stardust.
Rosetta ist gekommen, um zu bleiben. Kein fixer Vorbeiflug, sondern ein monatelanger Orbit. Am 14. Juli ist Rosetta gerade noch 12.000 Kilometer entfernt, die Sonde kommt langsam immer näher, der abgebildete Kometenkern wächst. Auf den Bildern ist nun erstmals kein Pixelhaufen mehr zu sehen, sondern eine Struktur. Eine Struktur, mit der niemand gerechnet hat.
Die erste Blogreaktion auf das Bild kommt von Emily Lakdawalla von der Planetary Society. Und Emily sieht mit einem Kennerblick: Ein contact binary, ein sogenannte Kontaktsystem! Die entscheidende Frage lautet nicht: Ist das eine Quietscheente? Sondern: Was ist ein Kontaktsystem, ein Contact Binary?
Nicht selten zu zweit
Planeten haben Monde. Dass auch kleine Objekte im Sonnensystem von noch kleineren umkreist werden, beweist ein Blick an die Ostseite der Schwäbischen Alb. Dort liegt das Nördlinger Ries, einer der besterhaltenen Einschlagskrater der Welt. Nur 40 Kilometer entfernt liegt das Steinheimer Becken. Es ist viel kleiner als das Ries. Berechnungen der Flugbahn zeigen, dass beide Geschosse aus der gleichen Richtung gekommen sein müssen. Und sie flogen zu weit voneinander entfernt, um erst beim Atmosphärenritt auseinander gebrochen zu sein: Beide Körper kamen also gemeinsam aus den Tiefen des Alls! Kurz: Beim Rieseinschlag vor knapp 15 Millionen Jahren traf ein Meteoritenzwilling die Erde.
Astronomen versuchen schon länger, auch im All doppelte Asteroiden zu finden. Das ist von der Erde aus schwierig, weil die Brocken so klein sind. Erst Ende der 90er Jahren war die Auflösung der Teleskope gut genug, um spärliche Hinweise auf die Zwillinge zu finden [1]. Dazu zeichnen die Teleskope über viele Stunden die Leuchtkraft eines Asteroiden auf. Wird der Lichtpunkt kurzzeitig dunkler oder heller, durchkreuzte wohl gerade der Begleiter die Sichtlinie zur Erde.
Der erste handfeste Beweis eines Zwillingsasteroiden gelang der NASA-Sonde Galileo am 28. August 1993. Auf dem Weg zum Jupiter durchflog Galileo den Asteroidengürtel – und passierte den Asteroiden 243 Ida, in einem Abstand von 10.500 Kilometern. Schon auf den ersten Bildern fiel ein kleiner Punkt auf – der später Dactyl getaufte Mond. Sie sind ein ungleiches Paar: Ida ist eine dicke Kartoffel (59 Kilometer lang und rund 20 Kilometer dick), Dactyl dagegen ein Klößchen (gerade 1,4 Kilometer dick).
Für Astronomen war die Entdeckung überraschend, trotz aller Indizien. Es gab sogar einige, die davor die Existenz von Asteroidenmonden für sehr unwahrscheinlich gehalten hatten: Die Umlaufbahnen um so kleine Körper sollten auf Dauer nicht stabil sein, sagten sie: Deren Anziehungskraft ist recht überschaubar – wie soll sich da dauerhaft ein Mond halten?
Tatsächlich haben kleine Doppelasteroiden ein Problem, wenn sie nicht nur umeinander kreisen, sondern auch die Bahnen großer Planeten kreuzen. Deren enorme Gravitation kann die Beziehung von Asteroid und Mond instabil machen. Ausführliche Modellrechnungen von Bertrand Chauvineau zeigten 1995, dass planetare Vorbeiflüge die Rotation der Asteroidenmonde abbremsen können [2]. Innerhalb astronomisch kurzer Zeiten (rund 10 Millionen Jahre) entfernen sich dadurch Asteroid und Trabant voneinander, bis sie schließlich für immer getrennt sind. Traurig aber wahr.
Aber es gibt einen gegenteiligen Extremfall – und nun nähern wir uns den Kontaktsystemen: Die Gravitation von Erde, Venus und Co. können die Bahn des Asteroidenmondes auch sehr exzentrisch machen, also von einer Kreisbahn zu einer Ellipse verlängern. Der kleine Mond fliegt nun teilweise sehr viel weiter hinaus, kommt seinem Asteroiden aber kurzzeitig auch sehr nah. Und an diesem Punkt können beide in Tuchfühlung kommen – und sich für immer verbinden. Ein Kontaktsystem ist entstanden.
Sonderfall Komet
Bei den Kometenkernen ist es dagegen schwieriger, von der Form auf die Entstehungsgeschichte zu schließen. Das zeigen die Spekulationen, die direkt nach Rosettas ersten Bildern von Komet 67P bei der NASA veröffentlicht wurden. Demnach gibt es vier mögliche Erklärungen für die zweigeteilte Form:
- Das klassische Kontaktsystem: Vielleicht kollidierten vor langer Zeit zwei Objekte mit geringer Geschwindigkeit – und sind nun seit Jahrmilliarden gemeinsam unterwegs. Das ist plausibel, immerhin sind Kometen ursprüngliche Körper aus der Jugendzeit des Sonnensystems, wo sehr viel mehr Brocken herumgeflogen sein müssen als heute.
- Vielleicht war 67P auch schon immer ein Einzelobjekt, kam aber einmal Sonne oder Jupiter zu nahe – und wurde durch deren Schwerkraft kräftig verformt.
- Vielleicht war 67P auch einmal ziemlich rund und hat seine Form eingebüßt, als er durch die Sonne mehrfach erwärmt wurde und dabei viel Eis aus seinem Innern zu einem Gas sublimierte.
- Zuletzt kann es auch ein Einschlag auf der festen Oberfläche gewesen, bei dem 67P zwar nicht zerbrach – aber einen größeren Teil seines festen Materials eingebüßt hat.
Auch eine Kombination dieser Erklärungsversuche ist denkbar – schon bald werden wir es genauer wissen. Derzeit können selbst die Forscher nur spekulieren, warum etwa der Halsbereich von 67P heller ist als Körper und Kopf. Am 6. August 2014 ist Rosetta in Stellung: 100 Kilometer über der Oberfläche. Danach geht es schrittweise hinab, bis schließlich am 11. November der Lander Philae abgesetzt wird. Ich bin gespannt, ob der Kometenkern in drei Monaten noch als Kontaktsystem gilt – oder längst als etwas ganz Anderes.
Quellen
[1] W. Merline et al.: Discovery of a moon orbiting the asteroid 45 Eugenia, Nature (1999)
[2] Chauvineau, Farinella und Harris: The Evolution of Earth-Approaching Binary Asteroids: A Monte Carlo Dynamical Model, Icarus (1995)
Rosetta ist wohl nicht dafür ausgerüstet, die Herkunft der beiden binären Teile des Kometen zu bestimmen. Dazu bräuchte es Probenentnahmen von beiden Teilen mit anschliessender chemischer Analyse. Falls die Chemie übereinstimmt könnte es sich immer noch um zwei Brocken unterschiedlicher Herkunft, aber zufällig gleicher Chemie handeln. Die Isochronenmethode könnte auch dann weiterhelfen, falls es einen Altersunterschied zwischen den beiden Teilen gibt: Dazu vergleicht man den Mengenanteil von Zerfallsprodukten bekannter Radioisotope. Oft zerfallen nämlich Radioisotope in zwei Tochterprodukte, von denen das eine radioaktiv ist, das andere nicht. Mit der Zeit nimmt der Anteil des radioaktiven Geschwisters ab, was zur Datierung verwendet werden kann.
Fazit: Schade, dass man beim Start von Rosetta noch nicht wusste, dass es sich beim Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko um ein binäres Gebilde handelt. Über Kometen weiss man sowieso wenig, viel weniger jedenfalls als über Asteroiden. Es ist deshalb kein Zufall, dass auch der verlinkte Artikel ” The Evolution of Earth-Approaching Binary Asteroids: A Monte Carlo Dynamical Mode” von Asteroiden und nicht von Kometen handelt.
Persönlich habe ich früher immer Asteroiden und Kometen verwechselt oder besser gesagt, zuwenig auseinanderhalten können. Ich scheine da aber nicht allein zu sein. In der Wikipedia liest man dazu:
Offenbar hat man beim Begriff Kometen vom Phänomen (Schweifstern) zur Herkunft gewechselt. Dahinter steckt die Annahme, dass Asteroiden, die sich in den äusseren Bezirken des Sonnensystems befinden für das Phänomen Komet verantwortlich ist.