Adventskalender: Das vierte Türchen

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Intelligenz, Sonntagskinder und Schulversager
Hochbegabung

Der zweite Advent … Zeit, die nächste Kerze am Adventskranz anzuzünden! Und auch, das vierte Türchen aufzumachen. Was verbirgt sich heute dahinter?

 

Es ist eine große Fähigkeit, seine Fähigkeit zu verbergen. (François de la Rochefoucault, Maximen)

Wenn ich mich recht erinnere, wurde unlängst der Kommentar geäußert, die Klugen könnten sich doch einfach dumm stellen, um das Problem sozialer Schwierigkeiten etwas abzufangen. (Das Gegenteil ist ja bekanntlich schwieriger.) Aber funktioniert das? Ich würde sagen, ersteres funktioniert hauptsächlich deshalb, weil das Umfeld eigentlich kluge Kommentare als “seltsam”, “töricht” etc. abtut – und dass es den betreffenden Personen einfach wahnsinnig gut tut, wenn sie auf ein Umfeld treffen, in dem ihre Begabung als das interpretiert und anerkannt wird, was es ist: ein Teil ihrer Persönlichkeit.1 Aber eben auch nur eine Eigenschaft unter vielen. Ich würde mir für Hochbegabte ein Umfeld wünschen, das eine gewisse Gelassenheit bezüglich Begabung mitbringt und das offen ist für die vielen anderen Eigenschaften, die Hochbegabte mitbringen – und die sie mit anderen Menschen gemeinsam haben. Damit sich niemand mehr dumm stellen muss.

 


 

1 Die Psychotherapeutin Andrea Brackmann, die zwei vor allem unter Hochbegabten sehr populäre Bücher geschrieben hat (Jenseits der Norm – hochbegabt und hoch sensibel und Ganz normal hochbegabt) postuliert auf Grundlage ihrer Einzelfalluntersuchungen, dass Hochbegabung die ganze Persönlichkeit “durchdringt” und somit bei der Diagnostik und Therapie psychischer Störungsbilder als Hintergrundvariable berücksichtigt werden muss – zumal Hochbegabung Probleme nach sich ziehen kann, die phänotypisch anderen Störungen ähneln kann (z.B. ADS, Autismus), sodass die Differentialdiagnose nicht trivial ist.

 

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Dr. rer. nat. Tanja Gabriele Baudson ist Diplom-Psychologin und Literaturwissenschaftlerin. Seit Oktober 2017 vertritt sie die Professur für Entwicklungspsychologie an der Universität Luxemburg und ist als freie Wissenschaftlerin mit dem Institute for Globally Distributed Open Research and Education (IGDORE) assoziiert. Ihre Forschung befasst sich mit der Identifikation von Begabung und der Frage, warum das gar nicht so einfach ist. Vorurteile gegenüber Hochbegabten spielen hierbei eine besondere Rolle - nicht zuletzt deshalb, weil sie sich auf das Selbstbild Hochbegabter auswirken. Zu diesen Themen hat sie eine Reihe von Studien in internationalen Fachzeitschriften publiziert. Sie ist außerdem Entwicklerin zweier Intelligenztests. Als Initiatorin und Koordinatorin der deutschen „Marches for Science“ wurde sie vom Deutschen Hochschulverband als Hochschullehrerin des Jahres ausgezeichnet. Im April 2016 erhielt sie außerdem den SciLogs-Preis "Wissenschaftsblog des Jahres".

1 Kommentar

  1. Kognitive Dissonanz

    Es ist aussergewöhnlich, wenn Meinungen zu einem Grossteil einem eigenen Denprozess entspringen. Auf die Frage, was denkst Du zum Thema XY, haben zwar Gebildete und gut Informierte meist eine Antwort parat. Doch in der Regel entspringt diese Einsicht einer Kombination von Angelesenem und selber Kombiniertem. Wird man mit einer anderen Meinung konfrontiert, ist das meist dem gleichen Meinungsbildungsprozess zuzuordnen und nur die Informationsquellen waren andere. Gibt es aber keine solchen äußeren Referenzen um eine Meinung einzuordnen, reagieren viele verstimmt und halten die Ansicht für versponnen. Dieses Phänomen ist universell. Nicht umsonst spricht man auch in der Wissenschaft vom Standardmodell. Erst ein Paradigmenwechsel lässt die neue Ansicht zu. Wer also Paradigmen immer wieder über den Hauffen wirft, hat es schwierig mit seinen Mitmenschen. Hochbegabte aber sind oft solche Paradigmeninfragesteller.

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