Ministerielle Konferenz 2016 – Was kam raus?

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Heute endete in Luzern die Konferenz auf Ministerratsebene der ESA-Mitgliedsstaaten mit wichtigen Weichenstellungen für die europäische Raumfahrtbehörde. In einer Pressekonferenz werden die wesentlichen Ergebnisse verkündet. Die Pressekonferenz wird live im Internet gestreamt.

Ich höre mir das neben meiner Arbeit mal mit an und notiere die Punkte , die für mich von Belang oder besonderem Interesse sind.

Das folgende meine ich mitgekriegt zu haben. Meine Kommentare sind gleich beigefügt.

AIM

Die Asteroidenbeobachtungsmission AIM wird nicht finanziert, obwohl seitens der ESA-Mitgliedsstaaten generell ein großes Interesse an der Forschung zur Asteroidenabwehr und an Asteroidenmissionen bekundet wurde. Das General Studies Program der ESA wird aufgestockt, daraus soll u.a. auch solche Forschung finanziert werden. Allerdings ist mir nicht klar geworden, welches Finanzvolumen die asteroidenbezogene Forschung haben darf, die aus dem GSP finanziert wird. Es soll in Bälde einen Workshop geben, in dem eruiert wird, was man denn überhaupt so machen könnte.

Kommentar: Eine Mission sollte generell fest in einem technischen Direktorat verankert sein. AIM war das nicht, und das war ein Problem. Ich wüsste nicht, warum das bei irgendeiner neuen Mission besser laufen sollte, die auch aus GSP oder einem anderen Umfeld ihren Weg nimmt und nicht einen der üblichen Wege, über den aus Vorschlägen Projekte und aus Projekten fliegende Raumsonden werden.

Das belegt auch die Historie: Schon 2004 wurde eine Kommission einberufen, die mögliche Missionen der ESA zu Asteroiden evaluieren und vorschlagen wollte. Diese Kommission namens NEOMAP tagte, organisierte Workshops, arbeitete ordentlich und kam zu zunächst sechs Missionskonzepten, von denen dann Don Quijote, ein Demonstrator für die Abklenkung per Hochgeschwindigkeitsimpakt weiter verfolgt und schlussendlich doch nicht realisiert wurde. 

Danach gab es zwei Missionen, die es zumindest in die Phase A/B1 geschafft haben, die also durchaus weiter gediehen als irgendetwas aus der NEOMAP: Marco-Polo zur Asteroiden-Probenrückführung und nun eben AIM. Keine entstand aus der NEOMAP heraus, und beide wurden aufgegeben. Interesse haben und machen wollen … schön und gut, aber das allein reicht eben nicht. Ich würde mir ja wirklich wünschen, dass es mit der nun angesprochenen Vorschlags- und Auswahlrunde anders läuft. Vielleicht bin ich ja nur pessimistisch, wenn ich da sehr skeptisch bin. Ja, das Problem wird wohl mein Pessimismus sein.

ExoMars

Das ExoMars-Programm besteht zur Zeit aus zwei Missionen. ExoMars 2016 wurde bekanntlich im März gestartet. Das orbitale Element TGO wartet auf den Beginn der Aerobrakingphase und hat mit der Kalibrierung der Instrumente begonnen. ExoMars RSP soll im Juli starten und eine Landeplattform und einen Rover zum Mars bringen. Diesem Teil der Mission fehlte noch Geld. Die Finanzierungslücke von 436 Millionen ist jetzt geschlossen. 97 Millionen kommen dabei durch Umschichtung aus einem anderen Topf, nämlich “Level of Resources”. Das ist technische und wissenschaftliche Infrastruktur. Der Aderlass an anderer Stelle soll jedoch keinem anderen Projekt zum Schaden gereichen. (Kommentar: Wie das? Hatte die anderen das so dicke? Wundert mich jetzt erst einmal. Gut, ich habe da auch nicht den Einblick.).

Exploration

Die ESA wird ihren Beitrag zur Verlängerung des Betriebs der ISS bis 2024 leisten, und zwar neben der direkten Finanzierung auch in Form von “Barter”-Elementen, also einem Tauschhandel. Ein solches “Barter”-Element ist die Bereitstellung eines zweiten Service-Moduls für das bemannte Raumschiff MPCV. Inwiefern die Forschung auch über den Zeitraum bis 2024 finanziert ist, ist mir nicht klar geworden.

Startvehikel

Neben der Entwicklung der Ariane 6 und der VEGA C (Version der VEGA mit größerer Nutzmasse) soll, ist auch die “Unterstützung der Nutzung” der aktuellen Modelle (Kommentar: ich nehme an, das ist eine vornehme Umschreibung für Subventionierung) gesichert. Zudem soll es neue Aktivitäten wie IXV und “Space Rider” (Kommentar: Ich nehme an, das ist eine zum orbitalen Flug fähige Weiterentwicklung des IXV) geben. Space Rider soll bis 2021 starten. Zudem war die Rede von einer Rakete unterhalb der Vega, mit der Kleinsatelliten von unter 500 kg Masse ins LEO gestartet werden können. Hier war spezifisch von LOX/Flüssigmethan-Antrieb die Rede  (Kommentar: ist das wirklich noch ein Thema für eine Raumfahrtagentur? Sowas stemmen anderswo Privatunternehmen)

SSA

Die Ausgaben für “Space Situational Awareness” (ein etwas an den Haaren herbeigezogener Oberbegriff für alles, was mit Weltraumwetter, Weltraumschrott und Registrierung erdnaher Asteroiden zu tun hat) sollen auf das Doppelte steigen, etwa 95 Millionen. Konkret wird die Entwicklung einer Mission zur Sonnenbeobachtung angestoßen, die entweder im Lagrangepunkt L1 (1.5 Mio km von der Erde entfernt Richtung Sonne) oder L5 (150 Millionen km von der Erde entfernt, nacheilend auf der Erdbahn) positioniert werden soll. Mehr oder weniger ein Nachfolger der NASA/ESA-Mission SOHO.

Weiteres

Es gab dann noch Details zur Erdbeobachtung (kofinanziert von der EU), zur Technologieentwicklung und zur Navigation, die an mir ziemlich vorbei rauschten, wie ich offen zugeben muss.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

13 Kommentare

  1. Keine Überraschungen also, Kontinuität ist angesagt. Die ESA kooperiert weiterhin mit Rokosmos (Luna 27, ExoMars) , die bestehenden Raketensysteme Ariane und Vega werden weiterentwickelt und evtl. kommt ein weiteres Raketensystem für kleinste Nutzlasten hinzu. Die Beteiligung an der ISS wird fortgesetzt.
    Etwas mickrig wirkt das Ganze insgesamt vor allem wenn man es mit dem NASA-Programm vergleicht. Dabei hätten die 22 Mitgliedsländer der ESA – zu denen die grossen europäischen Industrieländer gehören ) durchaus das Geld für mehr. Erstaunlich etwa, dass die russische Raumfahrt eine so wichtige Rolle spielt wenn doch Russland bezüglich Wirtschaftsstärke knapp mit Frankreich gleichzieht.
    Stoff für Träume kommen vor allem von Jan Wöhrner, dem ESA-Generaldirektor, der von Space 4.0 spricht.

  2. Sehr bedauerlich die Entscheidung, AIM nicht zu finanzieren. Wieder eine verpasste Gelegenheit, eine wirklich interessante Raumfahrtmission auf den Weg zubringen, die auch dazu geeignet gewesen wäre, Skeptiker der Raumfahrt vom Nutzen der Raumfahrt für uns Erdenmenschen zu überzeugen.

    • Ich bezweifele, dass nun gerade so eine Mission wie AIM einen Skeptiker überzeugen würde, wenn der Skeptiker Herschel, Planck, Gaia, Rosetta, Cassini-Huygens, Magellan, Integral und viele andere mehr, oder auch Wetter-, Erdbeobachtungs-, Kommunikations- und Navigationssatelliten nicht überzeugend findet. Da mache ich mir keine Illusionen. Wer trotz alledem immer noch dagegen ist, der bleibt dagegen.

      Dass AIM nicht stattfinden wird, finde ich auch bedauerlich, aber ich hatte mir vorher auch keine allzu großen Hoffnungen gemacht. Den wissenschaftliche Wert der Mission erachte ich als sehr hoch. Aber ich meine, man hätte das Ganze anders aufziehen müssen, wenn man überzeugend demonstrieren will, dass die Missionsrisiken durch eine für europäische Verhältnisse kurze Vorlaufphase und eine sehr harte Deadline (Start November 2020, kein Backup) beherrschbar sind.

      Gut, die Situation ist nicht so ganz unähnlich der damals bei Giotto, wo man eine ganz ähnliche Situation hatte. Aber erstens war damals die Einstellung eine andere und zweitens ist man damals an den Satellitenentwurf anders herangegangen.

      • “Ich bezweifele, dass nun gerade so eine Mission wie AIM einen Skeptiker überzeugen würde,…”

        Doch, ich glaube schon. Mars und ISS werden von Infragesteller der Raumfahrt oft als Beispiele für “sinnlose Geldverschwendung” dargestellt, und es fällt nicht immer leicht, dem gute Gegenargumente zu liefern. Ein Mission, die auf die Abwehr potentiell gefährlicher Asteroiden zielt, wäre da schon “näher am Menschen” als Herschel, Planck, Gaia, Rosetta, Cassini-Huygens, Magellan, Integral, etc. Die Chance wurde leider erst mal vertan.

        • Das sehe ich ganz gelassen. Wissenschaft muss sich nicht so rechtfertigen, dass sie zur Rettung der Zivilisation beiträgt.

          Zu AIM: Es ist nicht damit getan, heute Geld rüber zu schieben. Ich meine, man hätte das ganze schon ein paar Jahre früher anders angehen müssen.

          Zur Geldverschwendung: Bei ExoMars wurde jahrelang verzweifelt versucht, die Mission in ein viel zu kleines Finanz- und Massenbudget zu quetschen. Eine ganze Menge von dem, was wir da gemacht haben, können wir heute in die Tonne treten. Gleich ordentlich finanziert wäre schneller, besser und auch billiger gewesen. 20 lange, öde Jahre, um einen läppischen Rover auf die Räder zu stellen, das ist einfach lächerlich. Lächerlich ist nie gut. Lächerlich überzeugt keinen.

  3. Was bedeutet denn das Ende von AIM für den NASA-Teil der Mission? Schießen die jetzt immer noch ein Projektil in den kleinen Mond, auch wenn keiner aus der Nähe zusieht?

    • Das ist eine sehr berechtigte Frage.

      Ja, die DART-Mission von NASA/JHU-APL wird unabhängig von AIM stattfinden. Der fehlende wissenschaftliche Input von AIM wird sich aber schmerzlich bemerkbar machen. DART soll ja herausfinden, wieviel Impuls bei ein em Hochgeschjwindigkeitsimpakt übeertragen wird. Dazu sollte man aber möglichst genau die Masse von Didymoon wissen, auf den DART krachen soll. Jegliche Restunsicherheit in der Kenntnis der Masse vergrößert die Unsicherheit in der Berechnung des Impulses. Außerdem sollte man wissen, wie zentral dieser kleine Mond getroffen worden sein wird. Beobachtungen des Einschlagsgebiets nach dem Impakt wären da nicht nur Nice-to-Have, sondern wirklich wichtig.

  4. Die Asteroid Impact MIssion wäre nicht nur wegen den dabei gewonnenen Erkenntnissen über Asteroiden interessant gewesen, sondern auch wegen der dabei eingesetzten Kommumikationstechnologie, der optischen Zwei-Wege-Kommunikation im Weltraum nämlich, wobei die Daten der Didymond-Kamera (Auflösung von 1 m) über einen Laserlink zu optischen Basisstation auf Teneriffa übermittelt worden wären. Auch eine Inter-Satellitenkommunikation zwischen AIM , dem Mascot-2 Lander und mitgeführten Cubesats hätte es gegeben. Ich bin generell überzeugt davon, dass nicht die konkreten Untersuchungsresultate heutiger Weltraummissionen das Entscheidende sind, sondern dass es vielmehr die Entwicklung der dazugehörigen Technologie ist, denn wir stehen immer noch am Anfang der Weltraumfahrt und der Exploration unseres Sonnensystems. Bessere Methoden, Instrumente und Kommunikationsmittel kommen allen späteren Missionen zugute.
    Man kann sich vorstellen, dass es irgendwann ein Weltraum-Kommunikationsnetz mit Stationen an strategischen Stellen des Sonnensystems gibt, welches allen nachfolgenden Operation die Übermittlung von grossen Datenpaketen zurück zur Erde (oder irgendwann zu Marsbasisstationen) erlauben.
    Des weiteren könnte sich ein Markt für standardisierte Cubesat-Instrumente und Cubesat-Antriebe entwickeln, so dass irgendwann selbst Universitäten im Alleingang AIM ähnliche Projekte realisieren könnten.

  5. Kurz ein paar Ergänzungen aus Luzern:

    Bei Exomars2020 kamen nur 339 Mio. von benötigten 436 Mio. zusammen. Das fehlende Geld will die ESA im allgemeinen Haushalt und im verpflichtenden Wissenschaftsprogramm locker machen. Gimenez Canete war ziemlich angefressen und hat bestätigt, dass bereits geplante Projekte nicht geändert werden sollen, es bei künftigen Missionen aber wohl zu Verschiebungen kommen wird.

    Die ISS-Finanzierung (829 Mio. für Betriebskosten und 163 Mio. für Forschung/ELIPS-Nachfolge) läuft nur bis 2021, auch wenn die politische Entscheidung getroffen wurde, bis 2024 weiterzumachen.

    Das Lox/Methan-Triebwerk “Prometheus” ist ein französisches Projekt und wohl unabhängig von den <500 kg-Missionen, die mit Ariane 6/Vega bedient werden sollen und für die kaum Geld zusammenkam.

    Sowohl Spacerider (27 Mio.) als auch SSA (95 Mio.) haben nur etwa die Hälfte des geforderten Gelds bekommen.

    Und Deutschland will seine 35 Mio., die für AIM reserviert waren, im Rahmen des
    GSTP laut Zypries in "Mittelstandsförderung, z.B. für Antennen und Sensorik" stecken. Das klingt jetzt nicht nach einer großen Ersatzmission…

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