Wieviele Postdocs gibt es in Deutschland? Ein Berechnungsansatz und erste Ergebnisse

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Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Das Ministerium schreibt eine Förderinitiative für die Postdoc-Phase aus. Und die Bedingung für die Teilnahme ist, dass von den Wissenschaftseinrichtungen eine zuverlässige Datenbasis zur Anzahl der Postdocs an Ihrer Institution nachgewiesen wird. Da könnte sich mancherorts die Frage stellen: Wieviele Postdocs gibt es in Deutschland?

Ob eine spezielle Förderinitiative des Bundes für Postdocs kommt, weiß ichnicht. Aber dieses Szenario erscheint nicht unrealistisch. Denn in den letzten Jahren hat das Thema in der Wissenschaftspolitik eine deutlich höhere Aufmerksamkeit erfahren als in früheren Zeiten. Dies hat auch mit der deutlich gestiegenen Anzahl jährlich abgeschlossener Promotionen zu tun: Von rund 23.000 im Jahr 2008 auf zuletzt rund 28.000 im Jahr 2014. Zu einer höheren Aufmerksamkeit für das Thema beigetragen hat außerdem die Diskussion um die Beschäftigungsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs seit der Evaluation des Wissenschaftszeitvertrags­gesetzes. Anfang 2016 erfolgte seine Neufassung sowie der Beschluss zur Förderung von 1.000 Tenure-Track-Professuren im Rahmen des Nachwuchs-Paktes des Bundes und der Länder in Höhe von insgesamt einer Mrd. Euro.

Angesichts dessen mag es zunächst erstaunen, dass derzeit kaum Informationen darüber existieren, wieviele Postdocs es in Deutschland gibt. Allerdings ist die grundsätzliche Problematik für den wissenschaftlichen Nachwuchs nicht neu; sie wurde für die lange Zeit unbekannte Anzahl der Doktoranden in Deutschland zuvor in ähnlicher Weise beschrieben. Für Doktoranden gab es dann 2008 erste Schätzungen sowie in den Folgejahren mehrere Berechnungen mit unterschiedlichen Ansätzen und Ergebnissen. Für Postdocs steht dies noch aus. Ich versuche mich daher hier mit einem Rechenexempel der Beantwortung dieser Frage zu nähern.

Grundlagen für die Berechnungen fehlen teilweise

Für die Beantwortung der Frage fehlen derzeit teilweise Grundlagen bzw. diese sind nicht ausreichend geklärt. Insbesondere gibt es keine genaue allgemeingültige Definition von Postdocs: „Die Postdoc-Phase schließt an die Promotion an und erstreckt sich in der Regel über mehrere Jahre. Da es sich um keine homogene, zeitlich und inhaltlich eindeutig definierte Phase im wissenschaftlichen Qualifizierungsverlauf handelt […] sind einer umfassenden Abbildung Grenzen gesetzt.“ (Bundesbericht wiss. Nachwuchs 2013).

Daher ist hier vorauszuschicken, dass derzeit nur die Größenordnung dieser Personen­gruppe innerhalb eines Korridors (mit einer als plausibel eingeschätzten unteren und oberen Begrenzung) feststellbar ist, jedoch keine genaue Anzahl wie z.B. in der amtlichen Studierendenstatistik. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass das Ergebnis einer Berechnung sehr stark von der Definition abhängt, die man für Postdocs zugrundelegt. Je nach den Zielen der jeweiligen Wissenschafts­einrichtungen kann es für diese entscheidend sein, welche Definitionen und Abgrenz­ungen der Gruppe der Postdocs sie sich selbst geben.

Derzeit gibt es in Deutschland ein weites Spektrum an Definitionen, die sich zwischen zwei Polen einordnen lassen: Auf der einen Seite gibt es eine eher enge Sichtweise: Danach werden als Postdocs z.B. nur solche bezeichnet, die auf Postdocstellen tätig sind (die explizit als solche ausge­schrieben wurden). Sie werden nachfolgend als Postdocs im engeren Sinne (i.e.S.) bezeichnet. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es eine eher weite Sichtweise: Danach werden als Postdocs alle Promovierten bezeichnet, die mit einer abgeschlossenen Promotion in der Wissenschaft tätig sind und sich in irgendeiner Weise weiterqualifizieren wollen – sei es z.B. für eine Professur oder auch für eine andere (wissenschaftsbasierte) Tätigkeit in der Berufspraxis auch der Privatwirtschaft bzw. im Nonprofit-Sektor. Diese Personengruppe wird nachfolgend als Postdocs im weiteren Sinne (i.w.S.) bezeichnet. In der Berechnung wird nach Postdocs i.e.S. und Postdocs i.w.S. differenziert.

Rechenexempel zeigt Bandbreite auf

Hier soll einer der Berechnungsansätze aus dem Indikatorenmodell für die Berichterstattung zum wissenschaftlichen Nachwuchs vorgestellt werden (für weitere Ansätze und ausführlichere Info siehe Krempkow 2016). Dabei wird die Postdoc-Phase auf die Zeitspanne bis 10 Jahre nach der Promotion begrenzt und mit Daten aus der amtlichen Statistik und mit Befragungsdaten gerechnet.

Im ersten Schritt wird hierfür die Anzahl der abgeschlossenen Promotionen aus der amtlichen Statistik innerhalb der letzten 10 Jahre berechnet. Dies sind nach den aktuellsten vorliegenden Daten insgesamt 249.954 Promovierte in Deutschland.

Im zweiten Schritt erfolgt eine Eingrenzung der Postdocs i.e.S. anhand der Angaben zum Anteil der Promovierten auf Postdoc-Stellen aus einer bundesweiten Absolventenbefragung. Demnach arbeiten 8% der Promovierten nach eigenen Angaben auf Postdoc-Stellen. Würde man diese Prozentzahl zugrunde legen, ergäbe dies (multipliziert mit rund 250.000 Promo­vierten in den letzten zehn Jahren) etwa 20.000 Postdocs i.e.S. in Deutschland. Die Konzentration nur auf Postdoc-Stellen wird aber oft als zu eingeschränkt angesehen.

Zieht man die Promovierten auf Habilitations- oder Juniorprofessur-Stellen und damit weitere 8% hinzu, ergibt dies zusammen schon rund 40.000 Postdocs in Deutschland. Allerdings ist auch bei dieser Zahl immer noch eine deutliche Untererfassung der Postdocs i.w.S. zu erwarten, wegen der fehlenden Einbeziehung der großen Zahl Promovierter in der Wissenschaft auch jenseits von Postdoc-, Habilitations- und Juniorprofessur-Stellen.

Hierfür kann die Eingrenzung anhand weiterer Studien herangezogen werden (vgl. BuWiN 2013): Demnach sind insgesamt 27% der Promovierten in der Wissenschaft tätig. Dies ergäbe hochgerechnet auf die Promovierten in den letzten 10 Jahren rund 70.000 Postdocs i.w.S..

Fazit

Es gibt je nach Definition 20.000 bis 70.000 Postdocs in Deutschland. Das Wissen, in welchem Ausmaß die Definition die Größenordnung beeinflusst, dürfte für die Entwicklung von Definitionen und Abgrenzungen der Gruppe der Postdocs nützlich sein. Denn je nachdem, ob man das Ziel verfolgt, schwerpunktmäßig über Karrieremöglichkeiten innerhalb und außerhalb der Wissenschaft zu informieren oder ob man auch angehende Führungskräfte in Forschung und Entwicklung gezielt weiterentwickeln will, dürften andere Definitionen angemessen sein, die andere Anzahl zur Folge haben. Und dies wiederum ist eine wichtige Grundlage für die Planung von Angeboten für diese Gruppe und die entsprechende Ressourcen­allokation, wenn die Personalentwicklung vorangetrieben werden soll.

 

Weiterführende Informationen:

Krempkow, René, 2016: Wieviele Postdocs gibt es in Deutschland? Drei Berechnungs-ansätze und erste Ergebnisse. In: Das Hochschulwesen 5+6/2016, S. 177-181. Online: www.researchgate.net/publication/311455468

BuWiN (2013): Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs. Statistische Daten und Forschungsbefunde zu Promovierenden und Promovierten in Deutschland. Bielefeld: Bertelsmann. Hinweis: Der nächste BuWiN soll Mitte Februar 2017 veröffentlicht werden. Online: www.buwin.de

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Dr. René Krempkow bloggte zunächst seit 2010 bei den academics-blogs, nach deren Einstellung zog er zu Scilogs um. Er studierte Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Psychologie an der Technischen Universität Dresden und der Universidad de Salamanca. Nach dem Studium baute er zunächst am Institut für Soziologie, dann im Kompetenzzentrum Bildungs- und Hochschulplanung an der TU Dresden u.a. eine der ersten hochschulweiten Absolventenstudien in Deutschland auf und erarbeitete den ersten Landes-Hochschulbericht Sachsen. Nach seiner Promotion 2005 zum Themenbereich Leistungs- und Qualitätsbewertung an Hochschulen arbeitete er am Institut für Hochschulforschung Wittenberg am ersten Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN) mit. Danach war er im Rektorat der Universität Freiburg in der Abteilung Qualitätssicherung tätig, wo er die Absolventen- und Studierendenbefragungen leitete und eines der ersten Quality Audits an einer deutschen Hochschule mit konzipierte. Von 2009 bis 2013 leitete er am iFQ Bonn/Berlin (jetzt Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung - DZHW) ein bundesweites Projekt zur Analyse der Wirkungen von Governance-Instrumenten (v.a. Leistungsorientierte Mittelvergabe an Hochschulen) und arbeitete im Themenbereich wiss. Nachwuchs und Karrieren mit. Anschließend koordinierte er im Hauptstadtbüro des Stifterverbandes u.a. das Projekt zur Personalentwicklung für den wissenschaftlichen Nachwuchs und den Gründungsradar; sowie an der HU Berlin u.a. ein hochschulweites Projekt zur Kompetenzerfassung, sowie Sonderauswertungen der hochschulweiten Absolventenstudien. Derzeit ist er an der HTW Berlin im Curriculum Innovation HUB im Bereich Wirkungsanalysen und Evaluation tätig, sowie an der IU - Internationale Hochschule. Er berät seit etlichen Jahren Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Ministerien. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Leistungs- und Qualitätsbewertung an Hochschulen; Akademische Karrieren und Nachwuchsförderung; Indikatorenentwicklung, Evaluationsforschung; Hochschul-, Wissenschafts- und Bildungsforschung.

4 Kommentare

  1. Bezieht sich die Grundgesamtheit der Promovierten in den BuWiN 2013 Daten (und auch aus den anderen Datenquellen) denn ebenfalls auf die letzten 10 Jahre? Ansonsten wäre der Rückschluss ein wenig zu trivial…

    • Hallo dzp_nerd,

      Danke für den Kommentar! Der Hinweis ist grundsätzlich berechtigt, da die Grundgesamtheit der Promovierten in den BuWiN-2013-Daten (und aus anderen Datenquellen) in verschiedenen Erhebungen jeweils eine andere sein kann. Allerdings beziehe ich mich hier mit den zehn Jahren einerseits konkret auf das Indikatorenmodell für die Berichterstattung zum wissenschaftlichen Nachwuchs (2014). Andererseits stimmen die Angaben, dass insgesamt etwa 27% der Promovierten in der Wissenschaft tätig sind, in mehreren Studien weitgehend überein – und zwar auch in verschiedenen Erhebungen mit jeweils etwas anderen Grundgesamtheiten (ausführlicher hierzu siehe: http://www.researchgate.net/publication/311455468).

      Beste Grüße
      René Krempkow

  2. Wunderbarer Artikel, ich habe gerade – besonders als es um den Fußabdruck ging – herzlich gelacht.
    Vielen Dank dafür!

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