Wie international ist die deutsche Professorenschaft?
BLOG: Über das Wissenschaftssystem

Heute wurde die aktuelle Publikation Wissenschaft Weltoffen 2020 veröffentlicht, die regelmäßig vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) herausgegeben wird. Dies erfolgte mit neuen Rekordmeldungen, wie der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda auf seinem Blog dazu schrieb, aber ohne Pressekonferenz. Dies hänge wohl mit der aktuellen Pandemie-Sondersituation zusammen. Demnach sind die Rekordmeldungen wohl kaum mehr aktuell. (Fairerweise muss man aber sagen, dass dies von den Studienverfasser*innen in einem “Schlaglicht Spezial Corona und die Folgen” auch reflektiert wird.)
Es gibt aber Aspekte, die von vornherein keineswegs Rekorde darstellen, worauf auch Wiarda hinweist, und die die Studienverfasser*innen nicht kritisch reflektieren. So sind nach der aktuellen Publikation von Wissenschaft Weltoffen gerade einmal 7,1 Prozent der gesamten Professorenschaft internationaler Herkunft (Datenbasis hierfür ist 2018). Schaut man sich die Darstellung der Entwicklung dieses Anteils durch die Studienverfasser*innen genauer an, so bekommt man den Eindruck, dass dies recht einseitig dargestellt wird. So heißt es in der DAAD/DZHW-Publikation: “Seit 2007 hat sich die Zahl aller internationalen wissenschaftlichen Mitarbeiter/ innen an deutschen Hochschulen kontinuierlich erhöht, in den letzten drei Jahren allein um 15%. Bei den internationalen Professor/ innen betrug der Anstieg im selben Zeitraum 7%.” (Vgl. DAAD/DZHW 2020, S. 9). Übersehen wurde hierbei, dass über einen längeren Zeitraum wie z.B. eine Dekade nicht unbedingt ein Anstieg zu beobachten ist. Natürlich ist so etwas nicht sichtbar, wenn man wie in der Publikation geschehen für die längerfristige Entwicklung Absolutzahlen grafisch darstellt (s. DAAD/DZHW 2020, S. 10) – und diese nicht in Relation zur Entwicklung der Gesamtzahl des Personals stellt (z.B. mittels Darstellung der Prozentanteile ausländischer Professor*innen). Schaut man sich aber die Prozentanteile ausländischer Professor*innen vor etwa einer Dekade an, so findet man z.B. für 2011 einen Anteil von 7,6% – und damit ist der aktuelle Anteil ausländischer Professor*innen 7% GERINGER als 2011. Die Trendaussage wäre also genau das Gegenteil zu der der Studienverfasser*innen, wenn man unbedingt einen Trend ableiten will.
Darstellung reizt zu kommentieren
Die DAAD/DZHW-Darstellung reizt mich daher hier zu kommentieren: Ich will dabei nun nicht weiter auf Effekte verschiedener Bezugsjahre für prozentuale Entwicklungen eingehen. Vielmehr finde ich diese Entwicklungen eher klein und daher müßig darüber zu debattieren. Ich finde es aber schon erstaunlich, dass wie vor einer Dekade immer noch nur rund 7% der Professorenschaft internationaler Herkunft sind. Das ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr wenig (siehe dazu S.3 der
Präsentation zur Jahrestagung des Netzwerkes Wissenschaftsmanagement 2020). So hatten die USA und England bereits 2011 mindestens doppelt so hohe Anteile, ähnlich auch Frankreich. Die Schweiz hat sogar sechsmal so hohe Anteile. Auch Österreich mit relativ ähnlichem Hochschulsystem wie Deutschland hat einen etwa dreimal so hohen Anteil. Deutschland ist damit in seiner einzigen Kategorie wissenschaftlichen Personals, in der es mehrheitlich sichere Stellen gibt, und die am ehesten die Unabhängigkeit der Wissenschaft gewährleisten, also keineswegs international(er). Dies gilt sowohl im Vergleich zu vor einer Dekade, als auch im Vergleich zu anderen zentralen Wissenschaftsnationen!
Professorenschaft keineswegs international(er)
Und Internationalität ist nur eine Dimension, in anderen Dimensionen wie sozialer Herkunft sieht dies noch ungünstiger aus für die Offenheit des deutschen Wissenschaftssystems: So haben Akademikerkinder nicht nur etwa 3fach höhere Chancen auf Hochschulzugang und 10fach höhere Chancen auf eine Promotion (s. Blog dazu), sondern trotz dieser extremen sozialen Vorselektion nochmals 4fach höhere Chancen auf eine Professur. Dies hat leider kaum etwas mit akademischen Leistungen zu tun (ebd. S. 8, sowie Überblick über jüngere Studien hier im Blog bzw. ausführlicher in einem Artikel der Zeitschrift Qualität in der Wissenschaft).
Ähnlich sieht es für weitere Dimensionen von Diversity aus, wie z.B. Elternschaft (ebd. S. 18ff.).
Leider gibt es zu solchen anderen Dimensionen für die deutsche Wissenschaft kein ähnliches systematisches Monitoring wie “Wissenschaft Weltoffen”, so dass solche Fakten bislang kaum bekannt sind. Dabei ist die sogenannte Bestenauswahl auch und gerade in der letzten Phase der Förderung des “wissenschaftlichen Nachwuchs” bis zur Berufung nicht nur rechtlich geboten, sondern auch für die Leistungsfähigkeit der deutschen Wissenschaft eine zentrale Grundlage (s. auch Beitrag im kürzlich erschienenen Buch “Leistungsbewertung in wissenschaftlichen Institutionen und Universitäten”).