Astronom(i)en vorm Ishtartor
BLOG: Uhura Uraniae
diese Woche fand in Berlin der vierte Workshop von Wissenschaftlern statt, die sich mit den Wurzeln unserer Wissenschaft beschäftigen. Diese Ursprünge lagen – so meint man in Bezug auf unsere “westliche” Kultur – im Zweistromland (vllt. im legendären Babylon bzw. den umliegenden Städten im heutigen Irak). Wann es angefangen hat, ist natürlich nicht an einem konkreten Datum fest machbar … das war eine lange Entwicklung, die wir überwiegend dann gut fassen (also beschreiben) können, seitdem es eine Schrift gibt. Die Etablierung der (Keil)Schrift für Verwaltungszwecke und damit auch Entwicklung komplexerer Rechnungen und Rechenmethoden, die irgendwann eben nicht mehr so leicht im Kopf gehen, ebnete auch den Weg für das, was wir heute “exact science” oder Naturwissenschaft nennen. Natürlich war damals auch nicht alles so “exact” wie wir das heute machen: weder kommen die Alten an moderne Hochpräzisionsmessungen heran noch hatten sie Atommodelle oder eine String-Theorie für die Struktur des Universums. Sie haben “nur” den Himmel und die Erde beobachtet und sich einen Reim drauf gemacht. Wissenschaft funktioniert ja im Grunde bis heute so (wenngleich mit ganz anderen Methoden und Techniken) und daher werden auch immer wieder irgendwelche Erkenntnisse das jeweilige Weltbild kontinuierlich erweitern und in seltenen Fällen vielleicht sogar grundlegend ändern.
Die alten Weltbilder und Kosmologien – so man denn überhaupt welche hatte und nicht “bloß” als ersten Schritt versuchte die Welt nutzbar zu interpretieren – waren natürlich noch stark infiltriert von der jeweils vorherrschenden Religion, dem Götterkult und – auch wenn es heutzutage viele Naturwissenschaftler ungern wahr haben wolleztn – von dem Glauben, dass Götter, Dämonen oder sonstige überirdische Wesenheiten uns mit den Geschehnissen in der Natur (am Himmel wie auf Erden) Zeichen geben – Zeichen fürs Jetzt und für die Zukunft. Der Apperat von Omina, die die Priester damals nutzten, um diese Zeichen zu deuten, ist uns – vermutlich ebenso bruchstückhaft wie die Mathematik, die sie später nutzten – überliefert und gehört natürlich dazu, wenn man sich mit dem Denkstil (im Fleckschen Sinn) unserer Vorfahren auseinandersetzt. Die Zeichendeutung war ja letztlich das (ursprüngliche) Ziel, wofür die Astronomen damals im ersten vorchristlichen Jahrtausend ihr Geld bekamen.
Darum gliederte sich das Programm der dreitägigen Tagung grob in die Teile: 1) Divinationslehre und Omina, 2) Beobachtungen und praktische Astronomie, 3) mathematische Astronomie.
Diese imposant vielfältige Themenspektrum erfordert Experten aus aller Welt: Aus den USA, der Schweiz, Japan, Österreich, Großbritannien, Israel, Kanada … kamen sie nach Berlin und redeten drei Tage lang gemeinsam mit den Berliner Spezialisten (eh schon eine internationale Gruppe) über diese alte Astronomie. … die Vortragenden waren dabei zwischen etwa einem und drei Viertel Jahrhunderte alt : – ) d.h. alles vom Studenten über hobby-forschende Pensionäre bis zu emeritierten Professoren. Das ist nicht nur unglaublich spannend, sondern auch super konstruktiv: Live konnten man hier zuschauen, wie durch interdisziplinäre Zusammenarbeit Erkenntnisse entstehen. So kann halt der eine Tontafeln lesen und die andere gut rechnen und die Rechnungen nachvollziehen, die da drauf stehen – und gemeinsam versteht man dann in der Diskussion ein Stückchen mehr von der Wissenschaft. Und die älteren Leute, die schon lange so arbeiten und ein unglaubliches Repertoir an Leseerfahrung mitbringen, turnen es den jungen Denkern eindrucksvoll vor, während diese mit neuen Arbeitsmethoden, Techniken, frisch erworbenen Erkenntnissen und Denkstilen die älteren bereichern – immer wieder überraschend, aber es geht wirklich! : – )
Nachdem am Donnerstag ein Philologe seine Tontafeln präsentiert hatte, konnte eine Mathematikhistorikerin am Freitag Morgen gleich ihren Vortrag um ein weiteres Ergebnis ergänzen, denn sie hatte am Vorabend von dem Kollegen das fehlende Argument geliefert bekommen.
Das ist eben das Schöne an diesem Arbeitsstil. Es präsentieren nicht belehrende Selbstdarsteller ihre Arbeit, sondern Wissenschaftler, die wissen, dass sie zwar eine bestimmte Expertise haben … aber auch so viel anderes nur oberflächlich wissen und ihren Vortrag daher so gestalten, dass alle anderen mit ihren jeweils anderen Schwerpunkt-Expertisen die Arbeit ergänzen und bereichern. Die wunderbare Arbeitsatmosphäre, die dadurch entsteht, ist für Nachwuchswissenschaftler natürlich sehr erfrischend, denn so bekommt man durchaus das Gefühl, dass man auch schon etwas beitragen kann.
CREDITS
Dieser Workshop wurde organisiert am Lehrstuhl Wissenschaftsgeschichte der Antike an der Humboldt-Universität zu Berlin (Mathieu Ossendrijver, Danke) und einem tollen Team durch dessen Verbindung zum Exzellenzcluster TOPOI zur Erforschung der Formation und Transformation der Antike.
Die Regensburger Senior-Professorin Lis Brack-Bernsen, die diesen Workshop dereinst ins Leben gerufen hatte, wurde am Mittwoch Abend mit einer Festschrift geehrt. Sie war zuvor von den Teilnehmenden zusammengetragen worden und von John Steele zusammengestellt und überreicht worden.
DANKE!!!
Ich persönlich fühlte mich mit meiner Fächerkombination früher – eigentlich seit dem Vordiplom, als ich begann sowohl Physik auf Diplom und Wissenschaftsgeschichte& Philosophie auf Magister im Doppelstudium zu studieren – oft wie das letzte Einhorn, aber dank TOPOI und den “neuen” HU-Professoren (die seit ca. 2010 in Berlin sind) bin ich jetzt in einer Einhorn-Herde und entdecke nun durch die Konferenzen, Tagungen und Gruppen, die sich hier bilden, dass es auf der Welt noch mehr von uns gibt.
Auch Einhörner lieben es, nicht mehr allein zu sein! 😉
Diesbezüglich ist philosophisch im Negativen zu reagieren, der Primat hat zwar sprechen (“Am Anfang war die Sprache oder Wort oder Schrift.”) gelernt, auch sich mathematisch (“Die Kunst des Lernen betreffend”) oder philosophisch (“Die Kunst oder Liebe das Denken betreffend”), gar technisch (“Fähigkeiten” sind gemeint) ausdrückend; aber die Ursprünge “westlicher” [1] Kultur liegen im Abendland [2] bzw. sind der sogenannten Aufklärung anvertraut – zuvor war nichts oder nur wenig. [3]
Wobei dieses Wenig natürlich schon “ganz OK” war, wenn sich vorgestellt werden darf, dass sich Primaten über Zehntausende von Jahren im Wort und manchmal auch in Bild oder Schrift bemüht haben, oft übelst geknechtet, no prob here.
HTH
Dr. W
[1] ‘westlich’ ist der Code für diejenigen Staaten oder Gesellschaftssysteme, die der Aufklärung folgend implementiert haben, auch Minderheiten oder globaler: Menschenrechten folgend, dabei auch den Freiheitsgedanken im Auge hatten und so den Mehrwert der sogenannten Schwarmintelligenz mitnehmen konnten, dabei auch erkenntnistheoretisch bemüht waren
[2] vs. ‘Zweistromland’
[3] nichts gegen gelegentliche Erhebung, bspw. im Rahmen der Stoa, der Sklave kniete aber idR nebenbei