Pippi Langstrumpf, Negerprinzessin und Übersetzungsproblem

BLOG: Sprachlog

Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
Sprachlog

Wenn ich meiner Tochter früher die Bücher Pippi Langstrumpf geht an Bord und Pippi auf Taka-Tuka-Land vorgelesen habe, sah ich mich zu redaktionellen Änderungen gezwungen: Wörter wie Neger, Negerprinzessin, Negerkönig und ähnliche kamen mir im Jahr 2004 im Kontext eines Kinderbuchs nicht mehr angemessen vor, und so habe ich das Wort Neger durchgängig durch Südsee- bzw. Südseeinsulaner ersetzt.

Im vorletzten Jahr habe ich darüber in einem Beitrag im Bremer Sprachblog geschrieben, und damit einen für mich überraschenden Sturm der Empörung ausgelöst, sowohl in den Kommentaren damals als auch in E-Mails und Briefen, die ich bis heute erhalte. Die Empörung bezieht sich dabei hauptsächlich auf zwei Aspekte. Erstens habe ich mein Vorgehen damals als „Übersetzung“ charakterisiert indem ich schrieb: „Ich habe also das Deutsch der Übersetzerin Cäcile Heinig aus den 1950ern in das Deutsch des 21. Jahrhunderts übersetzt.“ Das wird, mal mehr, mal weniger aufgeregt infrage gestellt, zuletzt in einem eher unaufgeregten (aber auch eher undurchdachten) Beitrag in Ludwig Trepls Deutsche-Sprak-Blog. Zweitens wirft man mir Zensur und Bilderstürmerei vor — in Lindgrens Text stehe nun einmal Neger, und das müsse ich respektieren und beim Vorlesen eben erklären und historisch einbetten; keinesfalls aber dürfe ich am Text etwas ändern.

Meine Einstellung zu beiden Punkten hat sich durch diese Diskussionen weiterentwickelt, und als ich vor ein paar Wochen festgestellt habe, dass der Oetinger-Verlag die Texte im Jahr 2009 — zufällig dem Jahr meines ursprünglichen Blogbeitrags — in einer sprachlich aktualisierten Fassung neu herausgegeben hat, hielt ich das für einen guten Anlass, mich in zwei Folgebeiträgen noch einmal mit diesem Thema zu befassen.

Beginnen möchte ich heute mit der relativ trockenen Frage, ob meine Anpassungen beim Vorlesen, und die des Oetinger-Verlags in seiner Neubearbeitung, eine „Übersetzung“ darstellen. Das beinhaltet auch die Frage, ob es angemessener ist, das neger des schwedischen Originals mit Neger zu übersetzen.

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst vergegenwärtigen, was eine Übersetzung eigentlich ist. Eine allgemein akzeptierte Definition besagt, dass es sich dabei um die „schriftl[iche] Form der Vermittlung eines Textes durch Wiedergabe in einer anderen Sprache unter Berücksichtigung bestimmter Äquivalenzforderungen“ handelt [1].

Entscheidend ist hier der Verweis auf die „Äquivalenzforderungen“: Um als Übersetzung zu gelten, muss die Wiedergabe dem Original in ihrem gesamten Bedeutungsumfang entsprechen. Schon die Bedeutung von Wörtern (um die es mir hier geht) ist dabei deutlich komplexer, als unser Alltagsmodell von Sprache es möglicherweise vermuten lässt.

Zunächst müssen wir zwischen der Referenz eines Wortes und seinem Sinn unterscheiden.* Die Referenz ist dabei grob gesagt dasjenige, was durch ein Wort bezeichnet wird, der Sinn ist die abstrakte Wissensstruktur, die wir mit dem Wort verbinden. Diese beiden Aspekte der Wortbedeutung können auseinanderfallen. Der Philosoph Gottlieb Frege verdeutlicht das an einem Beispiel, das inzwischen Standard in allen Lehrwerken ist: den Wörtern Morgenstern und Abendstern. Die Referenz dieser beiden Wörter ist identisch: sie bezeichnen den Planeten Venus. Der Sinn dagegen unterscheidet sich: der Abendstern ist der erste Himmelskörper (außer dem Mond), der am Nachthimmel sichtbar wird. Der Morgenstern ist dagegen der letzte Himmelskörper (außer dem Mond), der am Morgenhimmel (kurz vor, manchmal sogar nach Sonnenaufgang) noch sichtbar ist.

Innerhalb des Sinnes (also der mit dem Wort verknüpften abstrakten Wissensstruktur) müssen wir eine weitere Unterscheidung treffen: die zwischen der Denotation des Wortes und seiner Konnotation. Die Denotation ist der neutrale Kern dieser Wissensstruktur — grob gesagt, der Teil, der es uns erlaubt, die Referenz des Wortes zu erkennen. Mit Konnotation bezeichnen wir dagegen diejenigen Teile dieser Wissenssturktur, die uns etwas über die Einstellung von Sprecher/innen zum Bezeichneten und über die mit diesem verbundenen Gefühle sagen. Die Ausdrücke Erde und blauer Planet bezeichnen beispielsweise beide den Planeten Terra, aber während Erde neutral ist, schwingen bei blauer Planet eine Reihe von Gefühlsregungen mit — Romantik, Verbundenheit, Zerbrechlichkeit usw.

Die Komplexität von Wortbedeutungen bringt es außerdem noch mit sich, dass Wörter einen Teil ihrer Bedeutung mit anderen Wörtern teilen können, ohne deshalb dieselbe Referenz oder denselben Sinn zu haben. Die Wörter Planet, Venus und Erde teilen zum Beispiel alle die Bedeutungskomponente „Himmelskörper einer bestimmten Größe, der sich auf einer Umlaufbahn um einen Stern befindet“, aber während der Sinn von Planet damit vollständig beschrieben ist, kommen bei Erde und Venus zusätzliche Komponenten hinzu, die dazu führen, dass man die beiden Wörter nicht beliebig austauschen kann (wohl aber könnte man sie notfalls beide durch das Wort Planet, also durch ihren Oberbegriff ersetzen).

Sehen wir uns mit diesem Wissen im Hinterkopf nun ein konkretes Übersetzungsproblem an. Da ich Anglist bin, erlaube ich mir, dafür einen Klassiker der mittelenglischen Literatur heranzuziehen, nämlich Geoffrey Chaucers Canterbury Tales. Im Prolog dieser Erzählung heißt es über eine der Figuren (eine Äbtissin):

Of smale houndes hadde she that she fedde
With rosted flessh, or milk and wastel-breed.
But soore wepte she if oon of hem were deed,
Or if men smoot it with a yerde smerte;
And al was conscience and tendre herte. [2]

Eine wörtliche Übersetzung der ganzen Passage ins Gegenwartsdeutsche findet sich am Ende des Beitrags.** Uns geht es hier nur um die erste Zeile, speziell um das Wort hound. Das Wort bezeichnete im Mittelenglischen alle Mitglieder der Gattung Canis familiaris, also das, was wir im Deutschen mit Hund bezeichnen. Und wie das Wort Hund hat auch das Wort hound im Mittelenglischen keine speziellen Konnotationen, drückt also keine besondere Einstellung gegenüber Hunden aus.

In der bekannten deutschen Übersetzung von Adolf von Düring lautet die Passage wie folgt:

Wenn von den Hündchen, die mit Semmelbrod
Und Bratenfleisch und süßer Milch sie nährte,
Eines verreckt war, oder mit der Gerte
Geschlagen wurde, weinte sie vor Schmerz.
So voller Zartgefühl war sie und Herz. [3]

Düring benutzt hier zunächst folgerichtig das Wort Hund und entscheidet sich dann, die Bedeutung von smal („klein“) nicht als separates Wort, sondern in Form des Suffixes -chen wiederzugeben. Damit bewegt er sich schon auf dünnem Eis, denn das Suffix -chen trägt neben der denotativen Bedeutung „klein“ auch noch die konnotative Bedeutung „positive Einstellung“. Aus den neutralen smale houndes des Originals werden also „niedliche kleine Hunde“. Trotzdem ist klar, dass Düring es schlechter hätte treffen können, zum Beispiel, indem er folgende, klar positiv bzw. negativ konnotierte Ausdrücke verwendet hätte:

Wenn von den besten Freunden des Menschen, die mit Semmelbrot…
Wenn von den Wauwaus, die mit Semmelbrot…
Wenn von den Kötern, die mit Semmelbrot…
Wenn von den Tölen, die mit Semmelbrot…

Außerdem musste Düring etwas wissen, das dem Englischen nur aus der Ferne vertraute Leser/innen vielleicht gar nicht bemerkt haben: die Bedeutung des Wortes hound hat sich seit dem Mittelenglischen verändert. Im Gegenwartsenglisch bedeutet es nämlich nicht mehr allgemein „Hund“, sondern es hat sich auf die Bedeutung „Jagdhund“ spezialisiert. Hätte Düring diesen semantischen Wandel ignoriert, hätte er fälschlicherweise wie folgt übersetzt:

Wenn von den kleinen Jagdhunden, die mit Semmelbrot…

Auch moderne englische Übersetzungen der Canterbury Tales nehmen natürlich auf diesen Bedeutungswandel Rücksicht, und schreiben statt hound dasjenige Wort, das im heutigen Englisch die neutrale Bezeichnung für Canis familiaris ist:

And she had little dogs she would be feeding
With roasted flesh, or milk, or fine white bread.
And bitterly she wept if one were dead
Or someone took a stick and made it smart;
She was all sentiment and tender heart. [4]

She kept some little dogs, and these she fed
On roast meat, or on milk and fine white bread.
But how she’d weep if one of them were dead,
Or if somebody took a stick to it!
She was all sensitivity and tender heart. [5]

Die Übersetzer würden ihrer Aufgabe kaum gerecht werden, wenn sie stur mit hound übersetzen würden, oder wenn sie ein negativ konnotiertes Wort verwenden wie mutt/mongrel verwenden würden:

She kept some little hounds, and these she fed…
She kept some little mutts, and these she fed…
She kept some little mongrels, and these she fed…

Kommen wir nun zu Pippi Langstrumpf zurück und sehen uns die Passage, die ich schon in meinem ursprünglichen Beitrag problematisiert habe, unter diesen Gesichtspunkten noch einmal an. Im schwedischen Original lautet diese Passage:

Negerprinsessa, tänk bara! […] Jag ska ha en egen neger som blankar mej med skokräm över hela kroppen, sä att jag blir lika svart som dom andra negerbarna.

Die klassische deutsche Übersetzung von 1950 lautet:

Bedenkt mal — Negerprinzessin! … [I]ch werde einen eigenen Neger haben, der mir jeden Morgen den ganzen Körper mit Schuhcreme putzt. Damit ich ebenso schwarz werde wie die anderen Neger. ([6a], S. 173-174)

Die Wörter negerprinsessa und neger sind mit Negerprinzessin und Neger übersetzt, aus den negerbarna („Negerkindern“) werden schlicht Neger.

Der Oetinger-Verlag rechtfertigt diese klassische Übersetzung auf seiner Webseite Übersetzung damit, dass das schwedische Wort neger und das deutsche Neger „[i]n den 1940er Jahren, als Astrid Lindgren die ‚Pippi Langstrumpf“-Bücher schrieb … die übliche Bezeichnung für Menschen mit schwarzer Hautfarbe“ war, und auch im Buch selbst gab es eine entsprechende Fußnote:

[I]n diesem und folgenden Kapiteln wird der Ausdruck „Neger“ verwendet. Als Astrid Lindgren Pippi Langstrumpf geschrieben hat, war das noch üblich. Heute würde man „Schwarze“ sagen ([6b], S. 10).

Ich weiß nicht, seit wann diese Fußnote in den Büchern steht. Ich besitze zwei Ausgaben, eine von 1968 und eine von 1986; in der zweiten ist sie enthalten, in der ersten noch nicht. Die Tatsache, dass man es irgendwann zwischen 1968 und 1986 für nötig hielt, diese Fußnote hinzuzufügen, zeigt, dass die ursprüngliche Übersetzung spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht mehr angemessen war. Denn wie ich oben ausführlich illustriert habe, muss eine Übersetzung nach vollständiger semantischer Äquivalenz streben, also Wörter finden, deren Referenz, Denotation und Konnotation dem Original entsprechen.

Das schwedische Wort neger mag in den 1940er Jahren eine neutrale Bezeichnung für Menschen mit schwarzer Haut gewesen sein. Das deutsche Wort Neger war es spätestens 1986 nicht mehr, sondern hatte zusätzlich negative Konnotationen angenommen. Indem der Verlag das Wort trotzdem beibehalten hat, hat er diesen Bedeutungswandel nicht berücksichtigt und ein falsch konnotiertes Wort verwendet — eben so, als hätte Düring Chaucers smale houndes mit kleine Köter oder kleine Jagdhunde übersetzt.

Als ich meiner Tochter die Geschichte im Jahr 2004 vorgelesen habe, habe ich, wie eingangs angedeutet, statt Negerprinzessin das Wort Südseeprinzessin verwendet, den „eigenen Neger“ und das Einfärben mit Schuhcreme habe ich ganz weggelassen. In der Neuausgabe des Oetinger-Verlags von 2009 lautet die Passage so:

Stellt euch mal vor — Taka-Tuka-Prinzessin! […] ich werde mich jeden Morgen mit Schuhcreme blank putzen lassen. Damit ich genauso schwarz werde wie die anderen. [7]

Man hat hier also etwas weniger radikal in den Text eingegriffen: Das Einfärben wird beibehalten, der „eigene Neger“ aber mittels einer Passivkonstruktion aus dem Text entfernt.

Die englische Übersetzung aus den 1950er Jahren hat die scheinbare Übersetzung negro von Anfang an vermieden — offenbar war der Übersetzerin schon damals klar, dass dieses Wort eine negative Konnotation hatte, die nicht der von Astrid Lindgren intendierten Bedeutung des schwedischen neger entsprach. Die Passage lautete dort so:

Imagine! A Cannibal Princess! … I shall have a cannibal of my own to polish me all over with shoe polish every morning. [8]

Das Polieren mit Schuhcreme bleibt hier erhalten, aber der Zweck — das Färben der Haut — wird weggelassen.

Nachdem ich klargestellt habe, dass die Übersetzung mit Neger und davon abgeleiteten Wörtern wie Negerprinzessin eine schlechte Übersetzung darstellt, muss ich eingestehen, dass auch die hier präsentierten Alternativen, anders als in meinem ursprünglichen Beitrag behauptet, als Übersetzungen nicht unproblematisch sind.

Sie beschränken sich nämlich nicht darauf, semantische Äquivalenz herzustellen: Weder Südseeprinzessin, noch Taka-Tuka-Prinzessin oder gar Cannibal Princess genügen diesm Kriterium, denn keine dieser Übersetzungen versucht, eine angemessene neutrale Bezeichnung für Menschen mit „schwarzer“ Hautfarbe zu finden (eine solche Bezeichnung wäre heute vielleicht so etwas wie „dunkelhäutiger Mensch“).

Stattdessen versuchen alle drei Übersetzungen, über die semantische Äquivalenz hinauszugehen. Der Oetinger-Verlag rechtfertigt seine Neubearbeitung wie folgt (und ich hätte mich dieser Begründung damals angeschlossen):

Wer Astrid Lindgren und ihre Werke kennt, weiß, dass sie tolerant und allem Fremden gegenüber aufgeschlossen war. Ihr Werk ist gekennzeichnet durch Liebe und Verständnis gegenüber allen Menschen und ihr humanitärer Anspruch prägt alle ihre Geschichten. Auch ihre Kinderbuchfiguren hegen keinerlei Vorurteile. [9]

Wenn wir davon ausgehen, dass Astrid Lindgren nicht nur keine negativ konnotierten Wörter verwenden wollte, sondern sogar aufgeschlossen für alles Fremde — in diesem Fall für die Bewohner der Südsee — war, dann können wir versuchen, diese Aufgeschlossenheit mit zu übertragen. Dazu müssen wir aber in den Inhalt der Geschichten eingreifen, denn diese sind — egal, wie aufgeschlossen und tolerant Lindgren war oder nicht war — von Anfang bis Ende von einem tiefgreifenden Rassismus durchdrungen.

Das fängt mit der relativ trivialen Tatsache an, dass die Bewohner der Südsee schlicht keine schwarze Haut haben, und dass allein die Idee, dass alle „Fremden“ Schwarz sein müssen ein koloniales Herrschaftsdenken spiegelt, das einem kalte Schauer den Rücken herunterlaufen lassen würde — wenn dieses Denken nicht so tief verankert wäre, dass wir es kaum bemerken.

Die englische Übersetzung und meine Vorlesepraxis haben versucht, die Idee des „Schwarzen“ völlig zu vermeiden, indem wir die schwarze Hautfarbe komplett aus der Geschichte gestrichen haben. Ich habe beim Vorlesen z.B. die Passage mit der Schuhcreme einfach weggelassen, in der englischen Übersetzung lässt sich Pippi zwar mit Schuhcreme polieren, aber eine Farbe wird dabei nicht erwähnt. (Dass die englische Übersetzung mit cannibal leider gleich zum nächsten üblen kolonialen Stereotyp gegriffen hat, wäre einen eigenen Beitrag wert).

Die Neubearbeitung des Oetinger-Verlags behält die schwarze Hautfarbe durchgängig bei, sie versucht aber, alle Wörter zu vermeiden, die überhaupt eine Klassifikation von Menschen nach ihrer Hautfarbe vornehmen. Statt Negerkönig steht dort Südseekönig, statt Taka-Tuka-Neger heißt es Taka-Tuka-Volk und statt Negern schlicht Taka-Tukaner, statt der Negersprache spricht man die Taka-Tuka-Sprache und so weiter (z.B. [6] S. 157ff. und [7] S. 106ff).

Eine semantisch saubere Übersetzung, egal wie gelungen sie wäre, würde nichts daran ändern, dass Pippi Langstrumpf geht an Bord und Pippi in Taka-Tuka-Land von einem Rassedenken geprägt sind, das im 21. Jahrhundert in Kinderbüchern nicht mehr akzeptabel sein kann. Das zeigt ein Versuch, die oben zitierte Passage unter Verwendung des (vergleichsweise) neutralen Ausdrucks dunkelhäutiger Mensch zu übersetzen:

Bedenkt mal — Prinzessin der dunkelhäutigen Menschen! … [I]ch werde einen eigenen dunkelhäutigen Menschen haben, der mir jeden Morgen den ganzen Körper mit Schuhcreme putzt. Damit ich ebenso schwarz werde wie die anderen dunkelhäutigen Menschen.

Das Problem an dieser Passage (und an den Büchern insgesamt) ist tatsächlich gar nicht die Sprache. Es ist die Idee, dass es sinnvoll ist, Menschen nach ihrer Hautfarbe zu kategorisieren, dass man Menschen (mit bestimmten Hautfarben) besitzen kann, dass man Hautfarben mit der Einfärbung durch Schuhcreme vergleichen kann. Diese Ideen bleiben auch bei einer guten Übersetzung Teil des Textes.

Auch die Neubearbeitung des Oetinger-Verlags schafft es nicht, gegen diese tief in die Bücher gewobenen Ideen anzukommen — um das wirklich zu erreichen, müsste man so radikal in Lindgrens Texte eingreifen, dass man sie nicht mehr als Übersetzung, sondern als Neudichtung bezeichnen müsste. Das ist ja auch nicht schlimm — ich habe schon in meinem ursprünglichen Beitrag darauf hingewiesen, dass ich nicht nur neu übersetzt, sondern teilweise auch umgedichtet habe und dass Texte wie die Pippi-Langstrumpf-Geschichten nur durch eine solche Umdichtung aktuell bleiben.

Mit solchen Umdichtungen stellt sich aber ein neues Problem, das ich in einem Folgebeitrag am Donnerstag genauer diskutieren werde: Wann kann man umdichten, und wann würde man damit ein Kunstwerk zerstören? Und was geschieht mit Texten, die man nicht umdichten kann oder darf, die aber in ihrer Originalform nicht mehr angemessen sind?

* Ich folge hier grob der Diskussion von Gottlob Frege, nicht aber den von ihm vorgeschlagenen Begriffen: Das, was er „Bedeutung“ nennt, nenne ich Referenz, um das Wort Bedeutung im alltagssprachlichen Sinne für die Gesamtheit der semantischen und pragmatischen Aspekte eines Wortes verwenden zu können.

** „Sie hatte einige kleine Hunde, die sie mit geröstetem Fleisch oder Milch und Weißbrot füttere. Aber sie weinte bitterlich, wenn einer von ihnen starb, oder wenn die Leute sie mit einer Gerte schlugen; sie bestand ganz aus Empfindsamkeit und weichem Herzen.“

[1] Brockhaus Enzyklopädie, 19. Aufl, Wiesbaden 1974-1994, 22. Band (1994), S. 542f, zit. InfoWissWiki, s.v. Übersetzungswissenschaft. [Link]

[2] Geoffrey Chaucer, The Canterbury Tales. Originalfassung.

[3] Geoffrey Chaucer, Die Canterbury-Erzählungen. In: Geoffrey Chaucers Werke, Band 2. Übersetzt von Adolf von Düring. Straßburg, Trübner, 1886. [Link]

[4] Geoffrey Chaucer, The Canterbury Tales. Übersetzt von Nevill Coghill. London, Penguin, 1952.

[5] Geoffrey Chaucer, The Canterbury Tales. Übersetzt von David White. Oxford University Press, 1985.

[6a] Astrid Lindgren, Pippi geht an Bord. Übersetzt von Cäcile Heinig. Hamburg, Oetinger, 1968.

[6b] Astrid Lindgren, Pippi geht an Bord. Übersetzt von Cäcile Heinig. Hamburg, Oetinger, 1986.

[7] Astrid Lindgren, Pippi geht an Bord. Übersetzt von Cäcile Heinig. Hamburg, Oetinger, 2009.

[8] Astrid Lindgren, Pippi Goes Aboard. Übersetzt von Marianne Turner, Oxford University Press, 2002.

[9] Verlag Friedrich Oetinger, Die Begriffe „Neger“ und „Zigeuner“ im Werk Astrid Lindgrens [Link]

© 2011, Anatol Stefanowitsch

Avatar-Foto

Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

58 Kommentare

  1. Frege

    Kleiner Hinweis: Freges Vorname war “Gottlob” nicht “Gottlieb”.

    [Danke, ist korrigiert (gottlieb haben Sie aufgepasst) — A.S.]

  2. Nur nebenbei: Interessant, daß sich in der Ausgabe von 1986 überhaupt schon die Fußnote findet. Andere nahmen das auch in den 80ern noch nicht so eng: Per Versandhauskatalog konnte man ohne weiteres eine ‘Negerlampe’ bestellen und im (großen, bekannten, Schul-)Weltatlas gab es noch immer die Grafik zur ‘Negerpopulation in den USA’…

  3. Guter Text. Erklärt sehr anschaulich, warum übersetzen mehr ist als nur Vokabeln transferieren. Zum Thema Umdichtung und Weglassen der Hautfarbe und Sklaventum: Ich finde nicht, dass es ein Gewinn ist, diese Problematik einfach zu ignorieren. Eine unangenehmes Thema Kindern gegenüber zu verschweigen war noch nie eine gute Idee. Besser bei einer Gelegenheit mal mit dem Kind über das Thema Rassismus oder Sklavenhaltung zu reden und dann sagen “Kannst du dich noch ein die Geschichte von Pipi Langstrumpf erinnern, in der Sie ins Taka Tuka Land fuhr. Da kommt das Thema auch vor.”
    Da kann man gleich den Blick der Kinder für Alltagsrassismus schärfen und sie lernen, Dinge differenziert zu betrachten.

  4. Und? Was tun?

    Ich bin kein Linguist, aber ein selbst mit Lindgren aufgewachsener, heute (vor 2009) Lindgren vorlesender Vater, und habe selbstverständlich an derselben Stelle gestanden und gezögert.

    Und? Was tun wir jetzt konkret? Es ist ja ganz richtig, übersetzten wir den Text in die “Gegenwartssprache political correctness”, bliebe kein Fleisch mehr am Knochen, die Geschichte hätte schier irreparable Brüche. “Bedenkt mal – demokratisch gewähltes Oberhaupt dunkelhäutiger, ansonsten aber ganz gleicher Menschen!”

    Das geht nicht, weil eine Übersetzung auch die Aufgabe hat, der Intention der Autorin treu zu bleiben. Nun war Lindgren meines Wissens keine Rassistin, aber sie war sicherlich keine politisch Korrekte, die ganze Grundidee von Pippi Langstrumpf ist der Grundidee der Political Correctness so diametral entgegengesetzt, dass das eine in die Sprache des anderen einfach nicht übersetzt werden kann. Pippi hat mit Obdachlosen, Kleinkriminellen und anderen sozial Benachteiligten zu tun, mit Großwüchsigen und Kleinwüchsigen, mit aufgrund ihrer nicht akzentfreien Sprachbeherrschung Diskriminierten, und natürlich immer wieder mit der Kurzsichtigkeit des Establishments. Und sie findet für jede und jeden die richtige Ansprache.

    Ich glaube, Pippi selbst hätte dazu gesagt: “Du, Onkel, wenn ich mit diesen Kindern spiele, mit ihnen Fische fange und mit ihnen gegen Piraten kämpfe, und sie dabei keinen Deut besser oder schlechter behandele als meine blonden und blauäugigen Freunde Tommi und Annika, ist es dann nicht egal, wie ich sie nenne?”

    “Political correctness” ist eben keine Sprache, und deshalb ist das ganze auch kein linguistisches Problem.

  5. witzig

    Da gibt es noch ein Problem mit der genannten “Pippi”-Passage: die ist nämlich auch noch sehr witzig, und das geht eigentlich in jeder Neuübersetzung verloren. Ich habe jedenfalls als Kind gelacht über die Vorstellung, sich mit Schuhkrem einzureiben zu lassen um daduch zum “Neger” (oder was immer) zu werden.

    Außerdem zeigt der Satz “Ich werde einen eigenen Neger haben,…” an, daß hier mit “Neger” auch “Diener” gemeint war. Das dürfte aber der Punkt sein, der Pippi besonders gefiel. (Die konnte ja ein ziemliches Ekel sein, gerade darum lieben wir sie doch.)

    Ich halte es für den besten Weg, die Geschichte genau so zu lassen wie in der ursprünglichen Übersetzung. Und dann aber ein für Kinder verständliches (und witziges!)Nachwort dranzuhängen, das nicht nur den Begriff “Neger” problematisiert, sondern überhaupt die Vorstellung von äußerlich unterscheidbaren Menschengruppen. Und zum Nachdenken über Ungleichheiten auffordert.
    Vielleicht mal J.K.Rawling bitten, die könnte sowas hinbekommen.

  6. Vielleicht eine blöde Frage, aber wie ist das bei Tom Sawyer und Huckelberry Finn? Da kommen ja auch ständig die Wörter Injun und Nigger vor. Die sind aber in meiner Ausgabe, die recht neu ist (erst vor ein paar Jahren gekauft) noch enthalten.

  7. “‘Political correctness’ ist eben keine Sprache, und deshalb ist das ganze auch kein linguistisches Problem.”

    Bemerkenswerte Sentenz. Und vielseitig einsetzbar: Das Passiv ist keine Sprache, deshalb ist das Passiv auch kein linguistisches Problem; Subjektanhebung ist keine Sprache, deshalb …

  8. Pipi Langstrumpf würde ein Buch so vorlesen wiede wiede wie es ihr gefällt. “Aber das steht da ja gar nicht!” “So gefällt’s mir aber besser.”

    Kennzeichnung als Remix und gut is.

  9. Ein sehr interessanter und gut durchdachter Text. Danke, Anatol. Ich war mit Deinem Text im Bremer Sprachblog (btw: gibt es da eigentlich Neuigkeiten bezüglich der Archivierung?) damals nicht zufrieden, konnte aber auch keine bessere Lösung finden. Ich finde, dieser Text zeigt schön, daß es keine wirklich in allen Hinsichten zufriedenstellende Lösung für das Problem gibt. Ich bin schon gespannt auf den zweiten Teil am Donnerstag.

  10. Hm… Ich habe jetzt kaum Aktien drin, wie jemand die Geschichten variiert, die er seinen Kindern vorliest, auch wenn ich selbst wahrscheinlich einfach lesen würde, was da steht, und es zur Not erläutern.
    Aber wenn ich mir trotzdem mal Gedanken dazu machen würde, käme ich wohl zu dem Ergebnis, Lindgrens Geschichten seien tatsächlich
    “von Anfang bis Ende von einem tiefgreifenden Rassismus durchdrungen”, sodass man tatsächlich den “Neger” beibehalten müsste, wenn man nicht umdichten wollte. Eine Übersetzung ist das für mich nicht mehr. (Ich weiß allerdings auch nicht viel über die Konnotationen des Begriffs für Frau Lindgren, deswegen fühle ich mich da auf dünnem Eis.)
    Das Umdichten wiederum sehe ich dann pragmatisch: Wenn die Geschichte dadurch besser (also unterhaltsamer, lehrreicher, origineller, klüger, oder alles davon) wird, bin ich dafür, ansonsten dagegen. Und weil ich persönlich nun Lindgrens Geschichten nie ausstehen konnte, kann ich eigentlich nur dafür sein, dass jeder sie so gut umdichtet, wie er eben kann.
    (Und um ein bisschen mit meiner Autoren-Cred zu wedeln: Falls es jemanden interessiert, hätte ich als… ähem, Schriftsteller auch nichts dagegen, wenn jemand meine Geschichten beim Vorlesen umdichten würde, solange er das irgendwie kenntlich macht und nicht so tut, als würde er meine Version vorlesen.)

  11. Also ich weiß nicht …

    Bin keine Linguistin, jetzt 35, schwanger und sehe mich mit ganz neuen, mir bisher unbekannten (noch zukünftigen) Problemen konfrontiert. Ich denke, ich würde meinem Kind Pipi Langstrumpf in der originalen Version vorlesen. Ganz ohne “political correctness”. Das ist doch ohnehin so was ganz erwachsenes und hat in Kinderbüchern irgendwie nix verloren.

    Außerdem ist Kindern ja “Rassismus” als Konzept vollkommen fremd, wenn man es ihnen nicht beibringt. Vielleicht kann man ja anschließend mit dem Kind darüber sprechen, was das Wort “Neger” damals und heute bedeutet hat. In ganz schlimmen Fällen müsste man sonst eben auf das Buch verzichten. Aber die Geschichte ganz so verändern bis es passt … das ist mir zu verkopft. Dann vielleicht lieber zu einem anderen Buch greifen.

  12. Irgendwie scheint das Thema (was genau eigentlich…) nostalgisch aufgeladen zu sein, dass es da zu Protest kommt?

    Letzten Sommer stand in der Süddeutschen ein langer Artikel über Hanni und Nanni. Die Geschichten sind ja rund 70 Jahre alt, und so ging es auch darum, wie die Bücher halbwegs up to date gehalten werden, z.B. wurde aus dem Grammophon ein Plattenspieler.

    Außerdem wurde die deutsche Fassung mancher Blyton-Bücher nach Norddeutschland verlegt (Tina und Tini spielt auf deutsch in Hamburg), und niemand stört es. Aber Lindgren Negerkönig muss weiterhin Negerkönig heißen? Oder liegt es daran, dass Lindgren als literarisch-unantastbar gilt und Blyton als trival?

  13. Bedeutungen drehen

    Wie wäre es denn, wenn man einfach die Bedeutungen der Wörter mal wieder da hin dreht, wo sie mal hingehört haben? Es wurde ja nun hier im Text festgestellt, das dieses Wort “Neger” wahrscheinlich nicht negativ gemeint war. Genau so sehe ich es auch und warum sollte es auch so sein? Eine (zu große) kleine Minderheit nutzt dieses Wort negativ, darf ich es dann gar nicht mehr nutzen? Warum bringen wir nicht gerade unseren Kindern bei, daß Wörter wie diese NICHT negativ sind und es nur ein paar Idioten gibt, die es negativ belegen wollen. Ein Negerkuss ist und bleibt für mich ein Negerkuss. Und ich sehe das nicht negativ irgendjemand gegenüber. Warum ist es nicht sogar etwas positives, wenn so etwas leckeres nach einem Volk benannt wird? Wichtig ist es nicht, wie ich den Menschen nenne, wichtig ist, daß ich ihn achte. Mir geht diese komplette Debatte um political correctness jedenfalls gehörig auf den Senkel. Man muss nicht politisch korrekt reden, man muss nur so handeln. Und gerade Pipi Langstrumpf gibt sich (wie oben schon geschrieben) sehr vorurteilsfrei gegenüber jeglichen anderen. Ich finde sogar, dass sie durch die Schuhcreme sein will wie diese anderen ist eher etwas positives als etwas negatives. “Schau mal, Pipi will sein wie diese Neger, also muss das doch etwas tolles sein”. Und schon ist das Wort in der jungen Generation wieder positiv besetzt. Stärken wir (als Eltern) das!

  14. Das mit dem tiefgreifenden Rassismus ist mir auch aufgefallen, als ich “Taka-Tuka-Land” kürzlich, mit über 30, nochmals las.
    Das fängt schon damit an, dass ihr Vater und seine Kumpane “freiwillig” von den “Negern” zu Häuptlingen gemacht werden (die Weißen als “natürliche” Herrscher) und führt dann dazu, dass dauernd die “Negerkinder” von Haien gefressen werden bis die intelligenten weißen Kinder kommen und die haie vertreiben und dann einen Schutzzaun um die Bucht ziehen. Von den auch von dir genannten Teilen (alle Menschen der Südsee sind “Neger”, “Neger” als Diener, … ganz abgesehen.

    Auch die anderen Pippi-Bücher sind nicht unproblematisch – Gewalt wird eigentlich durchgehend als legitimes Mittel nicht nur zum Kampf gegen Unterdrückung etc sondern zur Durchsetzung der eigenen Interessen dargestellt.

    Ich tue mich (nicht nur deshalb) schwer, dem Zitat im Artikel “Ihr Werk ist gekennzeichnet durch Liebe und Verständnis gegenüber allen Menschen und ihr humanitärer Anspruch prägt alle ihre Geschichten” zuzustimmen. Pippi Langstrumpf ist als Identifikationsfigur und für diese angeblichen Ziele jedenfalls denkbar ungeeignet.

  15. @Bernhard: keine blöde Frage. In den USA ist kürzlich eine politisch korrigierte Neuausgabe erschienen, die ähnliche Diskussionen ausgelöst hat. Eine literaturwissenschaftliche Anmerkung: Pippi ist ein surrealistischer Text, das hätte berücksichtigt werden müssen, zumal es sich auch für Kinder erschließt, auch wenn diese den Begriff nicht kennen. Tom Sawyer ist das nicht, was die Problematik verschärft, die Diskussion ist entsprechend breiter geführt worden.

  16. unsere tägliche Schuhcreme

    Den Kommentaren zum eigentlichen Thema habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Mir ist aber aufgefallen, dass die ganze Schuhcremeschmiererei auf deutsch und englisch täglich vorgesehen ist (“jeden Morgen”, “every morning”). Im schwedischen Originaltext, wie er hier wiedergegeben wurde, fehlt diese Angabe. Wie kommen die verschiedenen Übersetzer dazu, dies unabhängig voneinander einzufügen?

  17. Diverses

    @tba, Thomas Arbs, Muriel, Mueller, Bernhard: Darüber mehr am Donnerstag!

    @Irene: das ist eine sehr interessante Beobachtung. Bei den meisten Einsprüchen habe ich das Gefühl, es liegt tatsächlich daran, dass viele Leute aus einem mir nicht nachvollziehbaren Grund Lindgren für literarisch wertvoller halten als Blyton. Bei einer Minderheit (die sich hier glücklicherweise bislang nicht blicken lässt) dürfte es darum gehen, dass einem die ursprüngliche Übersetzung eine Entschuldigung bietet, straflos „Neger“ zu sagen.

    @Kai: Sie können Bedeutungen nicht „drehen“: http://www.iaas.uni-bremen.de/…notativen-leiter/

    Das Grundproblem ist außerdem nicht das Wort „Neger“, sondern die Idee, dass wir Wörter brauchen, um Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe in Gruppen einzuteilen.

    @Engywuck: Danke für diese kurze aber prägnante Analyse von rassistischen Elementen auf der Erzählebene. Diese werden in der Diskussion gerne übersehen — auch dazu kommen am Donnerstag ein paar Anmerkungen.

    @Achim: Keine Ahnung! Man bräuchte dazu Einblick in die verschiedenen schwedischsprachigen Ausgaben, die mir leider nicht vorliegen. Falls jemand eine schwedische Ausgabe hat, wäre ich für einen Scan der betreffenden Seite mit genauer Angabe der Ausgabe sehr dankbar.

  18. Moralvorstellung

    Hallo Allerseits,

    es erscheint mir als wenig sinnvoll literarische Werke (unabhängig ihrer Höhe) den jeweils herrschenden Moralvorstellungen entsprechend anzupassen.
    Vor 20 Jahren führte unser Deutschlehrer kurz in die jeweilige zeitliche Situation und Besonderheiten der anstehenden Literatur ein.
    Sensibilisierung statt Verleugnung oder Geschichtsverdrehung.

  19. Das Grundproblem ist außerdem nicht das Wort „Neger“, sondern die Idee, dass wir Wörter brauchen, um Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe in Gruppen einzuteilen.

    Wieso soll man dafür denn kein Wort haben? Wir haben doch auch Wörter um Menschen aufgrund ihrer Haarfarbe in Gruppen einzuteilen. Daran sehe ich per se nichts Verwerfliches.

  20. Interpretation

    Das ist in der Tat ein altes sprachphilosophisches Problem.
    Ich würde hier allerdings nur bei der Neuübersetzung im Auftrag des Verlages von einer Translation reden, da beim Bettkantenlesen nicht das Original herangezogen, die Sprache (wenn auch in minimal anderer diachroner Ausprägung) beibehalten und das Medium gewechselt wird. Stattdessen handelt es sich um eine Interpretation, denn wenn sie auch vor exklusiven Publikum und pro-bono stattfindet, handelt es sich beim Vorlesen doch um eine Aufführung.

    Wer – außer Kleinstgeistern – würde Künstlern, seien es Musiker (am Instrument, Mikrofon oder Pult) oder Regissöre und Schauspieler, verbieten wollen, ihrem Spiel trotz fester, originaler Notation eine eigene Note zu verleihen und sie durch Adaption dem kontemporären Publikum näherbringen zu wollen?

    Das 20. Jahrhundert war anders als alle davor und hoffentlich alle danach stark von der Idee des kanonischen Originals geprägt, die wir uns mit den modernen audiovisuellen Konserve-und Telemedien eingehandelt haben. So steht heute weniger der Autor (ob Texter oder Komponist) im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, sondern der Interpret (oft Sänger oder Darsteller) und nur seine in Bild und Ton verewigte Aufführung ist das Original. Wenn wir Eltern solcherlei Freiheiten verneinen, tun wir das auch mit Remixern, Mashuppern etc.pp. und behindern damit potentiell einen guten Teil neuer Kultur.

  21. @SaschaC: Im Text und in den bisherigen Kommentaren geht es implizit um Kinderbücher als Gebrauchsliteratur. Nur unter dieser Prämisse kann man ja sinnvoll die Forderung erheben, die Bücher sollten “aktuell bleiben”. – Einer möglichen Lindgren-Philologie ist damit der Rückgriff aufs Original nicht genommen.

    @Alle: Wenn Sie die Nöte beim Leseeinsatz am Kinderbett mal schön illustriert sehen wollen, empfehle ich Ihnen die erst am 21. Juli ausgestrahlte Episode “Country Drive” der amerikanischen Sitcom “Louie”, die das Thema mit Mark Twain durchexerziert: “I can’t sit on my daughter’s bed and say ‘nigger’ all night!”

  22. Anachronismen

    In der Tat ist “Pippi in Taka-Tuka-Land”von kolonialem Denken durchzogen, da Astrid Lindgren eben ein Kind ihrer von kolonialem Denken durchzogenen Zeit war.

    “We cannot help it; our view of history is limited by our vantage-point and our imaginations.
    Han van Meergeren’s paintings are an example. Van Meergeren produced a number of paintings in the 1930s and 1940s in the style of Vermeer and de Hoogh. He managed to fool all the Vermeer experts of his time. When they are viewed today, it is hard to understand how anyone could have thought they were by Vermeer. Werness comments in her article on the famous legal prosecution of van Meergeren, “Some of van Meergeren’s beautiful figures curiously resemble Greta Garbo…that charm has faded with its time.” ” (Bruce Haynes, “The end of Early Music”, Oxford, 2007)

    Ich denke, das Hauptproblem bei Astrid Lindgren ist, dass es sich um ein Kinderbuch handelt und dass wir unseren Kindern keine anachronistischen Denkweisen mit auf den Weg geben wollen (obwohl es ein fantastisches Buch ist).

    Abgesehen davon: gibt es Beispiele literarischer Stilkopien, in der die Entstehungszeit später nur allzu sichtbar wurde wie in darstellende Kunst und Musik?

  23. @FrauMau

    Meinen Sie so etwas wie Mendelssohn-Bartholdys Barocknachahmung? Und dann, welche Entstehung, die der Kopie oder die des Originals?

  24. Kulturwandel ist Wandel der Prioritäten

    Wir wollen unsere Kinder darauf vorbereiten, in unserer Kultur Spaß und Erfolg zu haben.
    Wir müssen also nicht die Probleme aller veralteten Kulturen für sie aufwärmen, bevor sie sich für Geschichte interessieren. Es ist unsinnig zu erklären, dass Messerklingen aus Stein hergestellt wurden und statt Geld eingesetzt wurden, weil es auch kein Geld gab.
    Kinder von heute interessieren sich für Computer und werden dadurch Erfolg haben. Wer ihnen die augenblicklichen Prioritäten vorenthalten will, z.B. das Problem der Internetsucht, tut ihnen keinen Gefallen.
    Also ist es besser, das Problem des Kolonialismus nicht bei jedem Kinderbuch erklären zu müssen, sondern die Sprache zu bereinigen.

  25. Wortwandel

    Viele alte Wörter bekommen einen neuen Sinn, das ist ja einer der Gründe, warum dieses Sprachblog existiert.
    Das Wort “Hexe” ist ein Beispiel. In gebirgigen Regionen von Europa bringt sie im Volksglauben Glück, weil sie das keltische Heilwissen bewahrte. In unseren Volksmärchen frisst sie Kinder, weil die katholische Kirche sie verleumden wollte.
    Wir müssen alte Texte auch in unserer eigenen Muttersprache völlig anders lesen als neue Texte. Wir müssen also übersetzen.
    Das ist gerade das Problem der berühmten 72 Jungfrauen, welche angeblich den Märtyrern im Paradies gegeben werden. Das Wort für Jungfrau bezeichnete in seiner aramäischen Herkunft nur eine Weintraube. Wer hier nicht richtig übersetzt, kann großes Unheil anrichten.

  26. Ein Blick auf die Figuren

    Von Pipi im Taka-Tuka-Land einmal abgesehen, weil das ein anders gelagerter Fall ist. Aber in der Regel erzählt Pipi doch Tommy und Annika bloß ihre Geschichten. Von daher ist aus literaturwissenschaftlicher Perspektive die Rede von den Negern zunächstmal Figurenrede und nicht Ausdruck eines latenten Rassismus von Astrid Lindgren. Vielleicht ließe sich genau an diesem Punkt Kindern erklären, dass Pipi da wohl ein paar falsche Vorstellungen von der Welt hat, weil sie nie in der Südsee war. Das zu erklären ist in meinen Augen Aufgabe der Eltern, und nicht das Weglassen oder Neuübersetzen heikler Stellen. Dann dürfte man ja auch die Filme nur mit Kommentaren schauen.

    Übrigens: Janoschs Bücher und Trickserien sind ja auch nicht immer ganz astrein, weil da bspw. mitunter recht explizit sexuelle Themen verhandelt werden, etwa beim kleinen Schweinchen oder wenn der Igel mit seiner Frau oder in dem Buch vom Kindermachen. Und was ist mit dem “unsichtbaren Indianer” den sich Hannes Strohkopp mittlels eines Zaubers für den Sommer als Faktotum herbeizaubert?

    Klar, heute sagen wir nicht mehr Neger, und auch von Schwarzen zu reden ist irgendwie seltsam. Meine Tochter (fast 5) hat, wie ich finde, für sich eine schöne Lösung gefunden. Sie hat im Kindergarten eine Freundin, die aus Ägypten kommt. Diese hat für meine Tochter einfach nur ein dunkles Gesicht. Überhaupt ist sie fasziniert davon, dass es Menschen gibt, die dunkle oder gar schwarze Gesichter haben.

  27. @ kreetrapper, kai,gast

    Die Bedeutung und der Sprachgebrauch dieses Wortes lassen sich nicht so einfach trennen und ändern. Vor allem nicht von einer einzelnen Person.

    Buchtipps:

    Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk”

    Wie Rassismus aus Wörtern spricht
    (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache.

  28. @Dierk

    Die Musikgeschichte seit den Karolingern wimmelt nur so von Stilkopien, allerdings haben die Komponisten, wenn sie eine solche (nicht zu Übungszwecken) anfertigten eigentlich immer versucht, die Vorlage zu verbessern, dh dem Stil/der Mode ihrer eigenen Zeit anzupassen. Ich bezog mich allerdings eher auf Aufnahmen von Musik, die zum Zeitpunkt der Aufnahme eben schon etwas älter ist, wie sie ja seit über hundert Jahren massenhaft produziert werden.
    Kennen Sie das, dass man eine Aufnahme von zB Bach hört und sich denkt: “Das klingt ja voll 70er-Jahre mäßig.”?. Wir erkennen sofort die Entstehungszeit der Aufnahme anhand einer Reihe von bewussten Entscheidungen, die die Musiker getroffen haben, aber eben auch einer Menge von Interpretationsgepflogenheiten, die absolut unhinterfragt übernommen wurden. So kann eine vor 1750 entstandene Komposition 70er-Jahre-mäßig klingen.
    Warum werden unsere modernen Aufnahmen in 40 Jahren nach 2010 klingen?
    Welche der zahlreichen Klischees, die in den Harry Potter Büchern gedroschen werden, werden in 50 Jahren Anstoß erregen? Die extrem negative Darstellung von Dicken? Oder vielleicht etwas völlig anderes, das keiner von uns heute für problematisch hält?

  29. Sehr interessanter Beitrag!
    Ich finde, 2 interessante Aspekte der “Übersetzung” verdienen noch etwas mehr Beachtung:

    1. die englische Übersetzung “cannibal” ist aus meiner Sicht die sprachlich ziemlich clever. Das Konzept der schwedische Autorin ist ja wohl die Abeneteur von Pippi bei den “unzivilisierten Wilden”. In der Gedankenwelt des Westeuropäers sind das natürlich automatisch Schwarze und das es auch “zivilisierte” Schwarze geben könnte existiert im eigenen Wahrnehmungsraum nicht.
    Ein Leser in den USA hat da selbst in den 50ern einen anderen Erfahrungshorizont und denkt bei “Negro” vllt. eher an Baseball als an Wilde Stämme in der Südsee. Ddas gemeinte koloniale Klischee wird mit den Kannibalen ziemlich perfekt abgebildet.

    2. Man sollte unterscheiden zwischen der Frage ob man Worte wie “Neger” redigiert und der Frage ob man den gesamten kolonial-rassistischen Hintergrund des Buches “säubern” will.
    Für das Wort Neger gibt es aus meiner Sicht schlicht keine Rechtfertigung. Wie man seinen Kindern klarmachen will, dass das “Neger” eine abwertende und rassistische Bezeichnung ist (und das ist es, trotz einiger Kommentatoren die das anders sehen wollen), es aber selbst dann Dutzend Male fröhlich vorliest will mir nicht in den Kopf. Allem Erklären zum trotz, wenn man es hier drinlässt führt man es dem aktiven Wortschatz eines Kindes zu.

    Der andere Puntk ist das koloniale Denken, das man nur durch Ignorieren des Buches wirklich beseitigen kann. Ich denke hier kann man durchaus dem Kind erklären, dass es sich dabei um eine fiktive Welt handelt, die dem Geiste der damaligen Zeit entsprungen ist. Dafür fände ich auch im Deutschen eine Übersetzung mit “Kannibalen” oder “Wilden” akzeptabel, weil es zwar das volle Programm kolonialer Vorurteile transportiert, aber das Ganze zumindest in eine fiktive Sphäre verschiebt, denn Kannibalen trifft man ja eher selten mal in der U-Bahn.
    Problematisch bleiben die Bezüge zur Hautfarbe (z.B. mit der Schuhcreme) trotzdem und inwieweit man einem Kind trotz Erklärungen dabei nicht doch das koloniale Weltbild irgendwie mit auf dem Weg gibt, da bin ich mir auch nicht sicher.

  30. “[…] ich werde mich jeden Morgen mit Schuhcreme blank putzen lassen. Damit ich genauso schwarz werde wie die anderen.”

    Ich spiele mal Teufel’s Anwalt und interpretiere die Passage mal auf ein paar andere Arten:

    1) Umgekehrter Rassismus: Nicht Weiß, sondern Schwatz ist eine erstrebenswerte Hautfarbe

    2) Demonstration des Integrationswillens: Wenn alle schwarz sind, macht man halt mit.

    3) Symbolische Characterisierung des Unterschiedes als oberflächlich: Mit oberflächlicher Anwendung von etwas Schuhcreme ist der Unterschied nämlich aufgehoben.

    4) Legitimierung des Herrschaftsanspruches: Frei nach Heinrich dem IV. von Frankreich (“Paris ist eine Messe wert.”) denkt frau: “Taka-Tuka ist eine Schuhcreme wert.”

  31. @FrauMau

    Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob ich sie richtig verstehe, würde ihre ursprüngliche Frage jetzt aber mit einem lauten ‘Na klar’ beantworten.

    Da wäre zuerst einmal die interpretatorische Aufführung, wie sie in der Musik gang und gäbe ist. In der Literatur finden wir das bei Lesungen, bei Poetry-Slams und natürlich in Theater und Film. Zu William Shakespeare gab es den großen Streit, ob seine Werke bühnengerecht bearbeitet werden dürfen [Samuel Johnson sprach sich heftig dagegen aus], andere meinten, sie würden den Barden dadurch verbessern.

    Dann gibt es ganz bewusste Bearbeitungen für, meist, ein jüngeres Publikum, wie Charles und Mary Lambs Tales from Shakespeare, Howard Pyles Robin-Hood-Verwurstung und Ähnliches. Hier geht es allerdings nicht so sehr darum, ältere Erzählformen und Stilistiken wiederzugeben, sondern im Gegenteil darum, Altertümliches aus dem Text zu entfernen. In diese Kategorie gehören sicher auch die inzwischen diversen Bearbeitungen der Texte von Karl May, die immer wieder dem Zeitgeist angepasst wurden.

    Zu guter Letzt beziehen sich Autoren immer wieder, bewusst und unbewusst, auf mehr oder weniger bekannte Werke. Darunter gibt es auch solche, die alte Stile und Formen aufleben lassen wollen. Und natürlich im Bereich sogenannter “Trivialliteratur” Schreiber, die nach dem Tod des Originalautors fortschreiben – z.B. Ruth Plumly Thompson für L. Frank Baum; diverse englische, französische und deutsche Enid Blytons; Kingsely Amis, John Gardner, Raymond Benson für Ian Fleming.

    Ich denke, gerade unter den Auftragsarbeitern, die eine Erfolgssereie weiter führen sollen finden Sie reichlich Beispiele, die analog zu Ihrem van Meergeren sind. Nicht zu vergessen Fälschungen und ‘Aufspringer’, jene Schriftsteller also, die ganz schnell Werke produzieren, die einem großen Vorbild entsprechen und dadurch Geld machen sollen – siehe die umstrittenen Stücke rund um Shakespeare. In letzterem Falle handelt es sich allerdings weitgehend um Zeitgenossen.

    Trifft eine dieser Kategorien, was Sie sich vorstellten?

  32. Auch ich bin keine Linguistin, aber begeisterte Leserin des Sprachlogs und ausserdem Mutter von drei nunmehr fast erwachsenen Kindern

    Wie schon mehrfach gesagt, die politische Unkorrektheit in „Pippi Langstrumpf“, lässt sich nicht durch einige Neuübersetzungen oder Weglassungen wegdiskutieren, sondern zieht sich durch das ganze Werk …einen eigenen Neger besitzen … erwähnte Gewaltverherrlichung und fragwürdige Frauenbilder … Neben der Kunstfigur Pippi mit Superkräften ala Clark Kent entsprechen alle anderen weiblichen Figuren,allen voran Annika, das ängstliche Mädchen, des weiteren die überängstlich besorgte Mutter von Tom und Annika, die zickige Lehrerin usw…. damals (und zum Teil bis heute) gängigen Klischees.

    Ähnlich ist es bei Erich Kästner, der auch als literarisch wertvoll gilt, dessen Frauenfeindlichkeit ja offfensichtlich ist…

    Zwar ist beispielsweise Pünktchen eine prima weibliche Identifikationsfigur, aber das naive Dienstmädchen fällt auf den Betrüger herein und Pünktchens Mutter ist eine Karrierefrau, die naturgemäß herzlos ist .. da helfen auch Synonyme, Auslassungen und Umschreibungen nichts.

    Wieder anders ist es bei dem schon öfters erwähnten Huckleberry Finn: Es geht ja gerade darum , dass Huckleberry im Konflikt mit sich ist, sich mit einem „Nigger“, also einem aus damaliger Sicht „minderwertigen Menschen“ angefreundet zu haben und eben gleichzeitig zu erkennen, dass jener eigentlich „schwer in Ordnung“ ist….

    Inwieweit die Passage: „Wurden Menschen verletzt?“ „Nein ,nur ein Nigger“ von Marc Twain schon ironisch gemeint gewesen sein könnte, kann ich nicht einschätzen
    Und by the way, lesen Kinder Tom Sawyer zumeist erst in einem Alter, wo ihnen diese Problematik schon selbst auffällt.

    Als ich damals meinen Kindern vorlas, ging es folgendermaßen zu: Ich habe die einschlägigen Werke ohne vorherige Prüfung einfach unbedarft vorgelesen …umso authentisch befremdeter bis erschütterter war ich dann hin und wieder über eben Phenomene wie Rassismus, Frauenfeidlichkeit usw. (unvergessen: die Häschenschule oder Christian Andersons „kleine Meerjungfrau“, die ich meinen Töchtern als „literarisch hochwertige“ Variante zu Disneys „Arielle“ vorlesen zu müssen glaubte) …und umso authentischer konnte ich dann meinen Kindern erzählen,w a s mich an besagten Texten nun befremdete oder gar erschütterte und wir konnten darüber sprechen.

    Mir wären „Originalausgaben“ mit Anmerkungen, Erläuterungen und Nachworten,wie schon vorgeschlagen, am liebsten … und auch gerne dürfte bei „Hanni und Nanni“ noch das „Grammophon“ zu lesen sein und die Kinder lernten dann, was ein „Grammophon“ war … ist doch auch ganz spannend…

    und ich zöge auch eine Originalversion der „canterbury tales“ mit „ hounds“ einer Neuanpassung vor, allerdings mit diesbezüglich notwendigen Erläuterungen …um es eben im ursprünglichen Kontext zu verstehen.

    Eine Alternative wäre, Lindgren oder Kästner eben garnicht mehr vorzulesen ??? Wäre es das?
    Sicher fährt man da mit „Harry Potter“ besser.
    Doch selbst dort lassen sich Momente politischer Unkorrektheit finden: Eine gewisse blytoneske Frankophobie … oder die Tatsache, dass alle Dicken in „Harry Potter“ dumm und/oder gewalttätig sind…

  33. @flux

    Ich habe bei Astrid Lindgren den Eindruck, dass normalerweise nicht nur Frauen, sondern Erwachsene überhaupt mehrheitlich recht schlecht wegkommen.

    Auf dem Katthulthof ist die vernünftigste und verständigste Person die Mutter Alma, gefolgt m.E. vom Knecht Alfred. Bei Pippi nehmen sich Tom und Annika nichts bzgl. Bravheit und Angepassheit; die Lehrerin mag (im Gegensatz zur Lehrerin aus Lönneberga) nicht gut wegkommen, aber die beiden Polizisten sind ihr in puncto Beschränktheit wahrscheinlich noch ein Stück voraus.

  34. @flux

    wg. Geschlechterrollen bei Kästner [und anderen]:

    Drehen Sie die Geschlechter aller Figuren um. Sollte ein Werk dann immer noch sexistisch sein, ist es nicht sexistisch.

    Ich habe nicht den Eindruck, dass bei Kästner Männer grundsätzlich besser weg kommen als Frauen. Ich glaube auch nicht, dass jeder Schriftsteller zu jeder Zeit die Realität ‘da draußen’ ignorieren und nur noch Utopien verfassen sollte.

    Für den Fall Pippi Langstrumpf fehlt mir schlicht die Kompetenz, zu beurteilen, inwieweit die Wahl des schwedischen Wortes ‘neger’ zu jener Zeit oder heute in jedem Aspekt deckungsgleich ist mit dem deutschen Wort ‘Neger’. Auch im Deutschen war das Wort mal neutral und beschrieb einfach Menschen mit relativ moderner afrikanischer Abstammung [aber prä-kolonial]. Das Konzept, dass deutlich anders aussehenden Menschen einen 4/5-Status-Mensch oder weniger zugestand, hängt nicht am Wort.

    Mir scheint die Begründung des Verlages, weshalb man bei der aktuellen Übersetzung Lindgrens das Wort ersetzt hat, sehr einsichtig. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass eine wie auch immer versteckte oder offene Haltung gegen Kolonialträume durch die Streichung verwässert wird.

    Im Falle Mark Twains ist die ganze Sache durchaus komplizierter, nicht zuletzt, weil sein Werk noch weiter von uns entfernt ist als Lindgrens – zeitlich, räumlich, stilistisch, inhaltlich. Der üblicherweise in Frage gestellte Huck Finn ist allerdings auch nicht als Kinderbuch konzipiert, sondern wendet sich an Erwachsene. Eine Übersetzung dieser Satire ist ohnedies nur eine Krücke, da die sprachlichen Eigenheiten wesentliches Element sind – aber zur Abwechslung wirklich unübersetzbar.*

  35. Schwedische Ausgabe

    @A.S.: “Keine Ahnung! Man bräuchte dazu Einblick in die verschiedenen schwedischsprachigen Ausgaben, die mir leider nicht vorliegen. Falls jemand eine schwedische Ausgabe hat, wäre ich für einen Scan der betreffenden Seite mit genauer Angabe der Ausgabe sehr dankbar.”

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass es in den Ikeas hierzulande auch schwedische Ausgaben von Lindgrens Büchern gibt.
    Ansonsten: Hervorragender Artikel!

  36. @Wentus
    das mit dem “Hexe=böse” wegen(!) “Verleumdung durch die katholische Kirche” würde ich gerne belegt sehen. Meines Wissens ist diese vermeintliche Kausalität nämlich erst deutlich morderner, nämlich nach 1850, entstanden, als “die Kirche” als böse dargestellt werden sollte (nur ein Stichwort: Kulturkampf)
    Im übrigen sollen in evangelischen Gebieten mehr Hexen verbrannt worden sein als in katholischen.

  37. Und stattdessen?

    Die sprachliche Seite finde ich verständlich herausgearbeitet, aber wird das dem Thema gerecht? Was ist mit den Rezipienten? Es handelt sich um Kinderbücher. Kinder sind neugierig auf Fremdes und lieben krasse Darstellungen und Überhöhungen (das macht auch den Reiz der Lindgrenschen Bücher für sie aus). Wie in dem Textbeispiel: Kinder lachen sich über die Schuhcreme kaputt, wollen auch Prinzessin sein und probieren mit der Hauptperson einfach mal aus, in eine andere Kultur zu schlüpfen. Letzeres finde ich fortschrittlich, nicht abwertend. Ich selbst habe als Kind laufend von Negern und Muselmännern gelesen, immer aus Interesse – nie, um sie abzuwerten; ich war auch von keiner negativen Konnotation belastet. Was für ein Mensch ich dann geworden bin, haben eh keine Kinderbücher bewirkt, sondern die guten und schlechten Vorbilder realer Personen in meinem Leben. Ärgerlicher wäre ein Verlust der Denotation gewesen, wie er beim Ersatz von “Neger” durch “Dunkelhäutiger” auftritt, weil es nur auf die Hautfarbe abstellt und die anderen Unterschiede (Haare, Lippen, Sprache, Brauchtum, Wohngegend) unterschlägt.

    Wenn ich also nicht möchte, dass mein Kind “Neger” sagt, habe ich zwei Möglichkeiten:

    1. Die alten Geschichten vorlesen und erklären, dass man heute nicht mehr “Neger” sagt, sondern … was dann? Was bedeutet es eigentlich, dass wir heute kein Wort besitzen, das dieselbe Konnotation und Denotation wie “Neger” in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte? Außerdem müsste ich natürlich erklären, dass man heute auch keine Hexen mehr in Backöfen stößt.

    2. Wie Sie zum Schluss vorschlagen: Neue Geschichten vorlesen. Zum Beispiel und als Entsprechung zu dem vorgestellten Text, wie eine westliche Pippi des 21. Jahrhunderts in eine Burka schlüpft und den afghanischen Mädchen beibringt, wie man Facebook verwendet… auch nicht konfliktfrei.

    Beides verlangt mehr als eine sprachliche Beurteilung.

  38. Neger oder nicht Neger?

    Ich finde, es ist wichtig bei solchen Sachen zu differenzieren. Da ist einmal der Begriff “Neger”, und dann das Menschenbild, das im Textzusammenhang mit dem Begriff propagiert wird.

    Ersteres stößt mir immer wieder sauer auf, allerdings anders als üblich. Bei dieser Gelegenheit sei gesagt, daß die Pippi-Langstrumpf-Version, mit der ich groß geworden bin – eine Lizenzausgabe des Deutschen Bücherbundes, ebenfalls aus dem Jahre 1986 – ohne die erwähnte Fußnote dahergekommen ist. Pippi Langstrumpf wurde mir damals vorgelesen – ich gehe mal davon aus ohne irgendwelche “Übersetzungen”. Irgendwann hieß es dann plötzlich, daß der Negerkuß nicht mehr Negerkuß heißen darf. (Noch später wurde dann klar, daß auch “Schwarzer” nicht mehr opportun ist.) Verstanden habe ich das damals nicht, denn das Wort “Neger” hatte für mich als Kind absolut keinen negativen Beigeschmack. Es bezeichnete nichts weiter als Menschen mit dunkler Hautfarbe, so wie das Mädchen, das zwei Klassenstufen unter mir auf dieselbe Grundschule ging. Nun hieß es also auf einmal, Neger sagen darf man nicht, das wäre eine Beschimpfung.

    Was ich mich heute aber frage: Redet man damit nicht die negative Bedeutung für ein Kind, das den Begriff gar nicht derart empfunden hat überhaupt erst herbei? Nach meinem Dafürhalten hätte man genausogut – wenn nicht sogar besser – durch aktive Gleichbehandlung von Menschen aller Hautfarben bei bestehender Verwendung des Begriffs dazu beitragen können, daß sich die zweifellos real vorhandene negative Bedeutung im Laufe der Zeit (für kommende Generationen endgültig) zum Positiven wandelt?

    Stattdessen habe ich das Gefühl, für eine wachsende Zahl von Leuten ist “Moslem” gleichbedeutend mit “Islamist” und das wiederum gleichbedeutend mit “Terrorist”. Neue negative Bedeutungen sind also fleißig am Entstehen…

    Und das kolonialistische Weltbild? Fakt ist, für die Geschichte macht es keinen Unterschied, ob die Taka-Tuka-Bewohner nun eine dunkle Hautfarbe haben oder nicht. Seltsamerweise haben Polynesier eigentlich gar keine völlig dunkle Hautfarbe, wozu also die “Neger”? Eine Prinzessin könnte genausogut einen hellhäutigen Diener haben. Aber – Pippi hat dann ja später auf Taka-Tuka-Land gar keinen. Im Gegenteil, Pippi will nicht, daß ihr die Taka-Tuka-Bewohner zu Füßen liegen und die Taka-Tuka-Kinder werden nicht anders behandelt als Thomas und Annika.

    Also vielleicht doch kein Kolonialismus? Ich denke schon er ist irgendwo vorhanden in der Pippi-Langstrumpf-Welt, wenn auch vermutlich von Astrid Lindgren selber nur unbewußt hereingebracht. Aber deswegen das gesamte Buch umstricken? Ich sage nein. Kinder im Pippi-Langstrumpf-Lesealter sind zwar keine Geisteswissenschaftler, die die Geschichten in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang einzuordnen vermögen, in dem sie entstanden sind. Ich bin aber der Meinung, daß gerade solche Lektüre einem Kind auch unbewußt entsprechende Denkanstöße vermitteln kann.

    Ich habe als Kind sehr schnell Bücher selbst gelesen. Und so wußten sich meine Großeltern nicht anders zu helfen, als der Drittklässlerin, der in den Ferien der Lesestoff ausgegangen war, die Bücher zu geben, die mein Vater in seiner Kindheit gelesen hat. Das war in diesem Falle Karl May, und ich habe mich durch die vom Schreibstil für eine Achtjährige deutlich zu anspruchsvolle Lektüre gearbeitet. Bei späteren Lesedurchgängen durch die geliebten Winnetou-Geschichten dagegen habe ich, völlig ohne das Zutun meiner Eltern übrigens, einen sehr kritischen Blick auf den religiösen Eifer Karl Mays entwickelt, der mit Sicherheit seinen Teil dazu beigetragen hat, daß ich heute Atheist bin.

    Ich würde meinen Kindern (die ich allerdings noch nicht habe) nach wie vor Pippi Langstrumpf “im Original” vorlesen, und ihnen auch die alten Karl-May-Bände meines Vaters zu lesen geben. Letzteres ist vermutlich alleine schon wegen der alten Rechtschreibung pädagogisch verpönt. Aber wenn ich in der Lage bin meinen Kindern zu erklären, daß man früher anders geschrieben hat (und Mama deshalb immernoch so schreibt), dann kann ich ihnen auch erklären, daß man früher anders gedacht hat.

  39. Gute Idee

    Nach meinem Dafürhalten hätte man genausogut – wenn nicht sogar besser – durch aktive Gleichbehandlung von Menschen aller Hautfarben bei bestehender Verwendung des Begriffs dazu beitragen können, daß sich die zweifellos real vorhandene negative Bedeutung im Laufe der Zeit (für kommende Generationen endgültig) zum Positiven wandelt?

    Es scheint zunächst einen unerhörten Aufwand von zweifelhaftem moralischem Mehrwert zu bedeuten, beleidigende Ausdrücke wieder ins Neutrale wenden zu wollen. Aber hey – wenn wir eh schon dabei sind, nehmen wir uns doch gleich alle vor. “Darf ich ihnen über die Straße helfen, sie altes Arschloch?” und “Kann ich ihnen, mit dem Kinderwagen behilflich sein, sie dumme Sau?”, das brächte uns nach vorn.

    Wenn wir damit durch sind, wird es keine Beleidigungen mehr geben, und wir alle werden eine glückliche Gemeinschaft von Drecksäcken und Grasdackeln bilden. Bin ich für!

  40. @Dierk

    „Ich glaube auch nicht,dass jeder Schriftsteller zu jeder Zeit die Realität „ da draussen“ ignorieren und nur noch Utopien verfassen sollte.“

    Da sprechen Sie mir aus der Seele, genau das wollte ich doch sagen.
    Erich Kästner (z.B) ist aus seiner Zeit heraus zu verstehen , die er beschrieben hat und aus seinen eigenen, seiner Zeit gemäßen Sichtweisen oder gar Vorurteilen, die einem/einer nunmal aus heutiger Sicht ärgerlich vorkommen können.
    Denkt man dies mal weg, bleibt die erzählerische Kraft von Erich Kästner.
    Und genau deswegen bin ich dafür,die Werke so zu belassen, wie sie geschrieben wurden und dem Leser die Möglichkeit zu geben, sie aus ihrer Zeit heraus zu verstehen … gegebenfalls mit Fußnoten und dergl
    Würde man Kästner in einer Neuanpassung politisch korrekt „umdichten“, würde man in der Tat die damalige „Realität da draussen“ ignorieren und Utopien verfassen.

  41. Hexen

    @Engywuck

    das mit dem “Hexe=böse” wegen(!) “Verleumdung durch die katholische Kirche” würde ich gerne belegt sehen.

    Ich bin kein Historiker, aber mir scheint die Erwähnung des “Hexenhammers” aus 1486 genug.

  42. Die Realität da draußen

    @flux

    Diese alten Geschichten enthalten überhaupt nicht die Problematik, die für Kinder interessant sein wird.

    Auf dem Schulhof gibt es heutzutage die Auseinandersetzung zwischen “Kanaken” und “Kartoffeln” oder “Schweinefressern”. Jedes Kind ist außerdem in Gefahr, der Internetsucht zu verfallen.

    Darüber muss man Geschichten vorlesen. Das ist “die Realität da draußen”.

  43. @Carolin Liefke

    “Was ich mich heute aber frage: Redet man damit nicht die negative Bedeutung für ein Kind, das den Begriff gar nicht derart empfunden hat überhaupt erst herbei?”

    Mein Sohn ist in einen firmeneigenen Kindergarten gegangen, in dem Kinder mit verschiedenen Hautfarben und Muttersprachen betreut wurden. Dass das etwas Besonderes sein könnte, kam ihm gar nicht in den Sinn.

    Auf der Grundschule waren die Schulkameraden dann zu mehr als 90% hellhäutige Mitteleuropäer. Sprich: Deutsche. Und dann gab es diese Unterrichtseinheit gegen Diskriminierung von Fremden, die ihn erst auf die Idee brachte, dass so ein Negerkind wegen seiner dunklen Haut ja ein Fremder sei. Und nach anfänglichem Unverständnis (wieso ist der José ein Fremder? Der wohnt doch auch hier?), hat er die Lektion dann gelernt und wurde natürlich prompt dafür bestraft, dass er den Fremden nach einem Streit erklärte, sie sollten doch heimgehen, wo sie herkämen. Es kostete uns einige Mühe, diesen Unsinn wieder einigermaßen geradezurücken.

  44. “Neger” war nie neutral

    Lieber Herr Stefanowitisch,

    Sie schreiben, “in einem eher unaufgeregten (aber auch eher undurchdachten)“ Beitrag in meinem Deutsche-Sprak-Blog hätte ich Ihre Meinung, Sie hätten „das Deutsch der Übersetzerin Cäcile Heinig aus den 1950ern in das Deutsch des 21. Jahrhunderts übersetzt“ infrage gestellt. Da haben Sie recht: Mein Beitrag ist rasch hingeschrieben und wenig durchdacht. Da Sie aber dann, wenn auch zögerlich, im Grunde alles bestätigen, was ich geschrieben habe, scheine ich das Wesentliche doch einigermaßen getroffen zu haben.

    Sie schreiben weiter: „Das schwedische Wort neger mag in den 1940er Jahren eine neutrale Bezeichnung für Menschen mit schwarzer Haut gewesen sein.“

    Das deutsche Wort Neger und das englische negro – und man kann jeden Betrag darauf wetten, daß es beim schwedischen neger nicht anders war – waren keineswegs neutral. (Im Hinblick auf den kulturelle Rang dürfte der „Mohr“ des Mittelalters neutral gewesen sein, allerdings war das Wort mit einer anderen, viel wichtigeren, wenn auch individuell leicht zu behebenden Minderwertigkeit konnotiert: Ein Mohr war im allgemeinen ein Heide.) Neger war nicht neutral, sondern nur allgemein gebräuchlich. Das Wesen des Negers (also auf deutschdeutsch bzw. in der Sprache derer, die vor 40, 50 Jahren für die Befreiung kämpften und, was etwas ganz anderes ist, in der Sprache der heutigen political correctness: des Schwarzen) war seine Hautfarbe. Er wurde, anders als die anderen, nicht über seine Kultur, Sprache, nationale Zugehörigkeit usw. definiert, sondern über seine Hautfarbe. Alle taten das. Ein weißer Amerikaner war ein Amerikaner, ein weißer Engländer ein Engländer, ein schwarzer Amerikaner oder Engländer aber war ein Neger, egal was er sonst noch sein mochte. Nicht-Rassisten wird es wohl gegeben haben, aber man mußte sie Lupe suchen. (Wer zu jung ist, um sich daran zu erinnern, muß nur einiges an Literatur, am besten beliebig herausgegriffener Trivialliteratur, lesen.) Die Rassisten unterschieden sich nur darin, daß die einen meinten, man müsse die Neger gut behandeln, die anderen, man dürfe sie schlecht behandeln.

    „Indem der Verlag das Wort [Neger] trotzdem beibehalten hat, hat er diesen Bedeutungswandel nicht berücksichtigt und ein falsch konnotiertes Wort verwendet — eben so, als hätte Düring Chaucers smale houndes mit kleine Köter oder kleine Jagdhunde übersetzt.“
    Es stimmt schon, es gab einen Bedeutungswandel und das Wort war nun (in den 70er/80ern) anders konnotiert. „Neger“ bedeutete nun ein explizites Bekenntnis zum Rassismus (es sei denn, jemand hatte, wie damals wohl die noch meisten, den Bedeutungswandel einfach nicht mitbekommen). Dennoch ist ein Unterschied zu „Jagdhunde“. Der normale Leser würde nämlich denken, es habe sich um Jagdhunde gehandelt, er weiß von dem Bedeutungswandel nichts. Was Neger bedeutet hat, wußte aber jeder, der auf „Schwarzer“ umgestiegen ist. Das spielt natürlich hinsichtlich der Frage, was man heutigen Kindern vorlesen soll, keine Rolle, aber es zeigt, daß das ganze Übersetzungsproblem etwas komplizierter ist. „König“ muß man trotz seines Bedeutungswandels nicht mit „Staatschef“ oder ähnlichem übersetzen, weil nämlich jeder die alte Bedeutung noch kennt.

    Daß „Neger“ auch damals nicht neutral war, zeigt ein Problem: Wer das Wort aus der Sprache entfernen will, der müßte den Rassismus überhaupt eliminieren, und er müßte folglich so gut wie die gesamte Literatur der rassistischen Zeit, also etwa der 200 Jahre von der Mitte des 20. Jahrhunderts zurückgerechnet, in der z. B. vorkommt, daß es Länder außerhalb Europas gibt, umdichten oder einstampfen. Mir würde das nicht gefallen. Ich möchte auch nicht, daß man die Ritterburgen abreißt, weil die Ritter die Bauern blutig unterdrückten, und die Kirchen, weil … usw. usf.

  45. @ Ludwig Trepl

    Lieber Herr Trepl,

    vielen Dank für den Kommentar mit dem hervorragenden Hinweis auf die schon immer zweifelhafte „Neutralität“ des Wortes Neger. Ich stimme ihnen hier zu, und habe deshalb Formulierungen wie „angebliche“ Neutralität, oder „mag … gewesen sein“ gewählt.

    Der pauschale Vorwurf des „Undurchdachten“ tut mir leid, ich hätte genau sagen müssen, was ich an Ihrem Beitrag undurchdacht finde, und was nicht. Wo ich Ihnen (teilweise) zustimme, ist ja, wie Sie richtig festgestellt haben, bei der Grenzziehung zwischen Übersetzungen und Umdichtungen. Wo ich Ihnen Undurchdachtheit vorwerfen wollte, war bei der bei Ihnen fehlenden Differenzierung zwischen Werken, die nur nebensächlich rassistisch sind (Pippi Langstrumpf) und solchen, in denen es die Vermittlung rassistischer Inhalte geht (Mein Kampf). Dass es ein entscheidender Unterschied ist, ob man erstere oder letztere Umschreibt, dürfte doch auf der Hand liegen, ich führe es aber trotzdem in dem versprochenen Folgebeitrag genauer aus.

  46. Manchmal läuft es leichter als man denkt

    Wir haben “Pippi” vor ca. einem Jahr gelesen, und da ich noch meine alte Ausgabe aus den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts habe, stand auf jeden Fall noch das Wort “Neger” drin. Genau so habe ich es auch vorgelesen (meine Tochter kann eh überprüfen, was da wirklich steht) – und was geschah? Mein Kind wollte erstmal wissen, was ein Neger überhaupt ist. Kurz erklärt, dann darauf hingewiesen, daß das Wort inzwischen als nicht mehr nett empfunden wird, das Buch eben schon etwas älter ist und man jetzt andere Wörter benutzt. Und schon war das Thema durch.

    Ich persönlich finde es auch gar nicht schlecht, die Bücher im Original zu erhalten, statt sie der jeweils aktuellen Vorstellung von Political Correctness anzupassen. Ich finde es nämlich sehr interessant, wenn ich so einen kleinen Einblick in die Original-Weltsicht des Autors erhalte. Auch andere Bücher aus meiner Kindheit offenbaren da interessante Einblicke, wie z.B. die Serie “Burg Schreckenstein”, die ich in den vergangenen Tagen nochmal gelesen habe. Hollala, der Autor (Oliver Hassencamp) hätte mit Alice Schwarzer aber mächtig Ärger bekommen… *g*

  47. @ A.S. @ Ludwig Trepl

    Lieber Herr Stefanowitsch,
    Sie haben natürlich recht. Die formale Übereinstimmung in dem Punkt: wenn man ein “gemäßigt” rassistisches Buch so “übersetzen” darf, daß der Rasssimus verschwindet, dann müsse man das doch auch mit einem nicht so gemäßigten rassistischen Buch dürfen, reicht natürlich nicht aus; das ist so ähnlich wie: wenn man Mundraub nicht bestraft, dann darf man Bankraub auch nicht bestrafen. (Allerdings: so harmlos finde ich den Rassismus in Pippi Langstrumpf nun auch wieder nicht, trotzdem lese ich die 5oer-Jahre-Fassung meinen Enkeln vor.) Aber so ganz ernst habe ich das mit dem politisch bereinigten “Mein Kampf” auch nicht gemeint.
    Ein Problem bleibt: wo zieht man die Grenze?

  48. @ A.S. @ Ludwig Trepl

    Lieber Herr Stefanowitsch,
    Sie haben natürlich recht. Die formale Übereinstimmung in dem Punkt: wenn man ein “gemäßigt” rassistisches Buch so “übersetzen” darf, daß der Rassismus verschwindet, dann müsse man das doch auch mit einem nicht so gemäßigten rassistischen Buch dürfen, reicht natürlich nicht aus; das ist so ähnlich wie: wenn man Mundraub nicht bestraft, dann darf man Bankraub auch nicht bestrafen. (Allerdings: so harmlos finde ich den Rassismus in Pippi Langstrumpf nun auch wieder nicht, trotzdem lese ich die 5oer-Jahre-Fassung meinen Enkeln vor.) Aber so ganz ernst habe ich das mit dem politisch bereinigten “Mein Kampf” auch nicht gemeint.
    Ein Problem bleibt: wo zieht man die Grenze?

  49. Umdichten kann nicht die Lösung sein. Die Bücher sind, was sie sind, und man sollte sie nicht verändern und aus dem historischen Kontext reißen. Es ist immer noch das Werk der Autorin. Wenn sie noch leben und einer Umdichtung zustimmen würde, oder sie sogar selbst durchführen, wäre der Fall ein anderer. Aber die Bücher einer toten Autorin umzuschreiben, ist schlicht nicht richtig. Ich finde auch die Veränderungen, die bereits durchgeführt wurden, grundfalsch. Bücher sind etwas statisches, sie sind, was sie sind, und sie bleiben es. Das ist die Grundlage des geschriebenen Wortes. Man dichtet ja auch Kafka nicht um.

    Ohne Frage sind diese Bücher nicht mehr aktuell und ich würde sie meinen Kindern auch nicht vorlesen, weil ich dieses rassistische und sexistische Weltbild nicht vermitteln möchte.

    Aber ich verstehe nicht, warum Sie sich auf Pipi Langstrumpf versteifen. Wenn es Ihnen nicht gefällt, lesen Sie es ihren Kindern nicht vor. Es ist nicht mehr zeitgemäß, aber es gibt neue Kinderbücher, die genau das vermitteln, was Sie ihren Kindern offenbar vermitteln möchten. Ein sehr gutes Beispiel ist Molly Moon. Ein selbstbewusstes kleines Mädchen, das niemals irgendwelche Vorurteile gegen Menschen hat, weil sie eine andere Hautfarbe haben. Oder ein anderes Geschlecht.

    Es gibt so viele gute Kinderbücher mit einer modernen Weltsicht. Man muss seinen Kindern nicht vorlesen, was man selbst vorgelesen bekommen hat. Dazu zwingt einen niemand. Und es gibt auch keine Bücher, die Kinder “gelesen haben sollten”. Wenn sie Pipi nicht kennen, kennen sie sie nicht. Davon geht die Welt nicht unter. Bücher zu verfälschen finde ich da wesentlich schlimmer. Das verstößt gegen so ziemlich alles, was Literatur ausmacht und sein soll.

    Pipi ist das Werk von Astrid Lindgren, und außer ihr sollte da keiner dran pfuschen. Es malt ja auch niemand drei neue Seerosen auf einen Monet, weil die Lücken nicht hübsch aussehen.

  50. Englisch

    Wäre es möglich, diesen Text und den danach folgenden Text “Pippi geh von Bord” ins Englische zu übersetzen? Als Diskussionsbeitrag für einen indonesischen Schriftsteller, der glaubt, dass es ein “Vandalismus gegenüber literarischen Werken” sei. Er bezieht sich auf diesen Artikel: http://www.bbc.co.uk/news/world-us-canada-12126700

  51. Gottlieb strikes again

    Ziemlich zu Anfang des Artikels ist einmal “Gottlieb” stehengeblieben. Ein interessanter Beitrag zu einem hochkontroversen Thema übrigens, danke!

  52. Viele Kommentatoren und auch der Blogautor selbst sind anscheinend der Meinung, Astrid Lindgren sei eben ein Kind ihrer Zeit gewesen und habe deren kolonialistische Werte naiv reproduziert. Und weil sie ja nichts dafür kann, müsse man ihr Werk eben jetzt den aufgeklärten, neuen Zeiten anpassen. Wofür man allerdings abwarten musste, bis die Autorin gestorben war, denn zu Lebzeiten hatte sie sich stets dagegen gesperrt.

    Naiv ist hier vor allem das Literaturverständnis. Nicht die Autorin spricht hier, sondern Pippi, eine literarische Figur. Und Pippi ist – aufgemerkt! – keine Diplom-Sozialpädagogin, sondern ein junges, starkes Mädchen, das aus Prinzip zu jedermann respektlos ist und eine blühende Fantasie hat. Deswegen ist es auch vollkommen schnurz, welche Hauttönung die Bewohner der Südseeinseln in Wirklichkeit haben. In Pippis Fantasie leben dort eben die Neger, und ihr Papa ist dort Negerkönig.

    Im frühen Nachkriegsdeutschland galt Pippi Langstrumpf vielen konservativen Eltern als schlechtes Kinderbuch, weil Pippi eben kein gutes Vorbild für ihre Kinder abgeben würde. Inzwischen sind wir offensichtlich wieder im Verhätschelungsmuff der 1950er angekommen. Überall treiben die wohlmeinenden Prusselieses ihr Unwesen, auch hier in diesem Blog.

  53. Eine interessante und schwierige Debatte

    Einfach dagegen ist es Astrid Lindgren auf einen Sockel zu heben, und als Tabu zu verkünden, sie könne nicht nur ein Kind ihrer Zeit gewesen sein, sondern eine Rassistin ihrer Zeit, die zwar nicht mit weißer Kapuze zum Lynchen durch die Wälder zog, aber eben auch kein Vorbild an Aufklärung war.

    Wer ihre Bücher für sakrosankt erklärt, der mag ja ins Auge fassen sie nur noch reifen Erwachsenen zu Studienzwecken zu überlassen.

    Bei Tim & Struppi gibt es eine ähnliche Problematik mit “Tim im Kongo”. Kongolesen sind übrigens ein Volk – “Neger” oder “Schwarze” ist kein Volk, und war auch nie eines, auch nicht 1940.

    Jedenfalls hat Hergé m.W. selbst dafür gesorgt, dass spätere Auflagen überarbeitet werden. Das Frau Lindgren sich gegen Änderungen verwahrt ist m.E. ihr gutes Recht – man muss die Bücher ja nicht kaufen, oder Verfilmungen senden.

    Die Idee zu warten, bis Begriffe ihre Konnotation ändern mag einem sog. Weißen plausibel erscheinen. Aber wenn die Betroffenen unter der Bezeichnung leiden, dann halte ich den Vorschlag für indiskutabel. Ich muss aber zugeben, dass ich, als ich selbst keine Freunde afrikanischer Abstammung jüngerer Zeit – wir kommen ja wohl alle aus Äthiopien, soweit man weiß – hatte, die Problematik mir auch viel theoretischer schien, und ich dachte, dass Worte wie “Negerkuss” zu verwenden unschuldig sei.

    Ja, die Frage ist, wieso braucht man eine Unterscheidung der Hautfarbe? Und wieso genügt denen, die ganz unschuldig nur Hautfarben unterscheiden wollen eine Unterscheidung in schwarz und weiß? In die und wir? Wenn ich einen Briefbogen aus dem Druckerfach nehme, und an meine Haut halte, dann ist das nicht gleich oder ähnlich – ich bin nicht weiß! Und wenn ich das 10.000m Finale, Leichtathletik der Männer sehe, dann haben die Kenianer oft eine ähnliche Farbe untereinander, aber eine andere als die Äthiopier, und die Läufer aus Namibia wieder eine andere, und aus Jamaika, dass ist beileibe nicht schwarz – niemals. Und fragt man einen sog. Weißen, dann glauben fast alle Obama sei ein schwarzer Präsident, dabei ist er zur Hälfte weiß, oder was man für weiß hält. Haben Spanier und Dänen i.d.R. die gleiche Hautfarbe?

    Wir haben den Rassismus noch lange nicht überwunden, aber wir würden es gerne glauben.

  54. Lindgren wusste genau, was sie schreibt

    Noch ein winziger Nachtrag, weil ich gerade eine Astrid Lindgren Biografie gelesen habe, und mich dabei an diese Diskussion hier erinnerte: Astrid Lindgren war 1948 in Amerika, und auf eigene Faust, sehr zum Entsetzen all ihrer Reisebegleiter, in New Orleans unterwegs.
    Ihre Erfahrungen hat sie in “Kati in Amerika” (1950 in Schweden und 1952 auf deutsch erschienen) verarbeitet. Darin findet sich die Passage, wie Kati ihrer Tante schreibt: “Farbige Amerikaner nennt man coloured, einen Neger als Neger zu bezeichnen ist eine eindeutige Beleidigung.”
    aus: Astrid Lindgren, Ein Lebensbild, von Margareta Strömstedt, Oetinger 2011, S. 322

    Pipi Langstrumpf ist zum einen als mündliche Erzählung für die eignen Kinder entstanden, und zum anderen erst nach dieser Reise erschienen, so dass man davon ausgehen kann, es handelt sich um Figurenrede und keineswegs um ein rassistisches Weltbild der Autorin. Pipi war ihr erstes Buch überhaupt, sie stand ganz am Anfang ihrer schriftstellerischen Betätigung, ihre Figuren sind im Laufe ihrer Schaffens immer ausgearbeiteter geworden, ich würde ihr das also sehr zugute halten wollen.

  55. Sehr interessante Sichtweise! Finde ich durchaus nachvollziehbar und lässt sich sich sicher auf so manche “Übersetzung” anwenden!

  56. Pingback:nicht politisch korrekt | Geschichte ist…