Nachdenken über Silvana Koch-Mehrin
BLOG: Sprachlog
Während Guttenberg noch von „vergessenen Fußnoten“ sprach und damit das Plagiat zugab und nur die Absicht bestritt, mag die gerade enttitelte Silvana Koch-Mehrin nicht einmal die wörtliche Übernahme fremder Texte einräumen. Allenfalls Qualitätsmängel ihrer Arbeit thematisiert sie in ihrer Stellungnahme:
Meine Doktorarbeit ist nicht frei von Schwächen, nicht selten ungenau, oberflächlich und manchmal geradezu fehlerhaft. Es wäre auch zu wünschen gewesen, dass ich deutlich gemacht hätte, auf welche Literatur ich mich jeweils stütze. Es werden Aussagen gemacht, ohne dass auch nur ein einziger Beleg genannt würde.
Dieser Mangel an (nach außen sichtbarer) Einsicht ist deshalb umso erstaunlicher, weil Koch-Mehrin ja mit dem Fall Guttenberg eine Art Lehrstück zur Verfügung hatte, anhand dessen sie sich hätte klar machen können, dass man mit dieser Art von Ablenkungsmanöver in der Post-GuttenPlag-Ära bestenfalls ungläubiges Kopfschütteln, wahrscheinlicher aber öffentliche Empörung auslöst.
Man fragt sich, warum sie aus Guttenbergs desaströsen Rückzugsgefechten nichts gelernt und sich frühzeitig auf eine klare, bußfertige und nachvollziehbare Entschuldigung für ihren Betrugsversuch vorbereitet hat.
Aber nicht nur, dass sie keine Entschuldigung liefert — nicht einmal die Art von Pseudoentschuldingung von familiärer Überarbeitung, die man ihr als Mutter von drei Kindern vielleicht eher abgenommen hätte, als dem als aufopferndem Familienvater nur bedingt glaubhaften Guttenberg.
Nein, sie greift stattdessen massiv die Universität Heidelberg und die Gutachter ihrer Dissertation an, die die Qualität der Dissertation in ihren Gutachten als eher mittelmäßig eingeschätzt hatten:
Zur guten wissenschaftlichen Praxis gehört es, in einer Doktorarbeit ordentlich zu zitieren. Zur guten wissenschaftlichen Praxis gehört es aber sicher auch, eine vorgelegte Arbeit ordentlich zu prüfen.
Wenn in den beiden Gutachten zu einer vorgelegten Doktorarbeit derart massive Kritik geäußert wird, dann ist ganz sicher davon auszugehen, dass bei den Mitgliedern des Promotionsausschusses im Jahr 2000 alle Alarmglocken geklingelt haben und meine Arbeit einer besonders kritischen Untersuchung unterzogen wurde. Der Promotionsausschuss hat mir im Jahr 2000 in voller Kenntnis aller eklatanten Schwächen meiner Arbeit den Doktortitel verliehen.
Diese Vorwürfe sind fraglos empörend, aber sie sind es hauptsächlich deshalb, weil sie anstelle eines eigenen Schuldeingeständnisses erfolgen.
Aber im Kern sind sie natürlich trotzdem bedenkenswert. Bei der Vielzahl an plagiierten Dissertationen, die derzeit kollaborativ enttarnt werden, muss auch die Frage diskutiert werden, ob man die Gutachter und Promotionsausschüsse von vorneherein von jeder Mitschuld freisprechen darf.
Ich bin hin- und hergerissen und es interessiert mich, wie die Leser/innen des Sprachlogs von innerhalb und außerhalb des Wissenschaftsbetriebs das sehen.
Sicher, die Mittel, die den Plagiatejägern heute zur Verfügung stehen, gibt es in diesem Umfang und mit dieser breiten Verfügbarkeit noch nicht lange. Sicher, das Verhältnis zwischen Doktorand/in und Doktorvater/-mutter ist grundsätzlich von einem besonderen Vertrauen geprägt. Hinzu kommt, dass die Betreuung von Dissertationen ein zeitaufwändiger Prozess ist, der im Normalfall neben dem Tagesgeschäft erledigt werden muss, sodass man als Betreuer mit der inhaltlichen Beratung und Bewertung schon sehr eingespannt ist.
Ich habe selbst Promotionen betreut und ich war in einem guten Dutzend Promotionsverfahren als Prüfer oder Gutachter beteiligt, und ich muss zugeben, dass ich nicht dafür garantieren könnte, dass in keiner der betreffenden Arbeiten plagieert worden ist. Ich bin mir relativ sicher, dass ich Plagiate in dem Umfang, wie sie bei Guttenberg und Koch-Mehrin vorliegen, erkannt hätte — das seitenweise Abschreiben aus zentralen Veröffentlichungen zum Thema, aus Handbüchern oder gar aus Zeitungen wäre mir vermutlich zumindest in den Verfahren aufgefallen, in denen ich Gutachten verfasst und deshalbt die Dissertationen gründlich und vollständig durchgelesen habe.
Ich bin mir auch sicher, dass die Forschungsergebnisse in den betreuten Dissertationen eigenständig erarbeitet wurden, und ich bin froh, dass die Linguistik eine empirische Wissenschaft ist, weil das das bloße Zusammenschreiben fremder Texte unwahrscheinlicher macht.
Aber trotzdem könnten die Arbeiten natürlich geschickt plagiierte Passagen enthalten, und insofern betreffen mich Koch-Mehrins Vorwürfe indirekt. Ich habe ordentlich geprüft, aber nicht ordentlich genug, um Plagiate kategorisch ausschließen zu können. Es wäre interessant, zu hören, welche Gedanken sich die tatsächlich betroffenen Betreuer im Moment machen.
Trotzdem sagt mir mein Gefühl, dass unter den von mir (mit-)betreuten Arbeiten keine Plagiate sind. Dieses Gefühl beruht auf meiner persönlichen Kenntnis meiner Doktorand/innen und auf dem Bild von deren wissenschaftlicher und menschlicher Integrität, das ich mir in den vielen Jahren der Zusammenarbeit gebildet habe.
Diese Integrität fehlt denen völlig, deren Doktortitel da gerade fallen wie Dominosteine.
Meine Kolleg/innen und ich werden in Zukunft Dissertationen sicher noch genauer prüfen und vor allem unser Urteilsvermögen kritischer hinterfragen, und das ist eine gute Sache. Aber wir werden potenziellen Doktorand/innen auch mit mehr menschlichem und wissenschaftlichen Misstrauen begegnen, und das ist eine schlechte Sache.
© 2011, Anatol Stefanowitsch
Schuld sind die anderen
Ich finde es schon sehr traurig, dass statt einer Entschuldigung der Beschuldigten ein Weiterschieben der Schuld an die Prüfer folgt. Dieses “Aber die Anderen haben auch Fehler gemacht” hat mir mein Vater erfolgreich in frühen Jahren der Kindheit abgewöhnt.
Das dieses Verhalten, wie am Schluss Ihres Beitrags darauf hinausläuft, dass man den Menschen mit noch mehr Misstrauen begegnet, ist besonders traurig.
Und so eine Person ist einer unser Volksvertreter…
Ich habe gestern online einen Artikel gelesen (den ich leider nicht wieder finde), in dem die Vorwürfe noch etwas schärfer klangen, als hier wiedergegeben.
Dort wurde unteranderem gesagt, dass ein eklatanter Mangel an Quellenangaben von der Kommision festgestellt wurde und Teil des Prüfgesprächs waren.
Die Frage in diesem Fall scheint mir daher weniger zu sein, inwieweit die Gutachter damals eine gründliche und gewissenhafte Prüfung vorgenommen haben, und falls dies nicht der Fall sein sollte ob man dadurch eine Mitschuld auf die Prüfer abwälzen kann, sondern vielmehr ob der Doktortitel tatsächlicherweise trotz einer gründlichen Prüfung die die Mängel aufdeckte verliehen wurde.
Ich habe ein bisschen den Eindruck als würden sie hier den falschen Satz in oben gennanten Zitat hervorheben. In meinen Augen ist die Gretchenfrage ob der letzte Satz des obigen Zitats der Wahrheit entspricht oder nicht.
@voerdus
Das kommt darauf an, was mit „eklatanten Schwächen“ gemeint ist. Wenn es sich tatsächlich um fehlende Quellenangaben oder gar um die nicht gekennzeichnete Übernahme fremder Texte gehandelt hat, dann hätte die Arbeit nie angenommen werden dürfen. Es ist für mich aber nur schwer vorstellbar, dass das der Fall war, denn es gibt ja Protokolle über das Prüfungsgespräch und die werden vom Promotionsausschuss eingesehen und oft sogar von Gremien wie Fachbereichsräten o.ä. eingesehen.
Wenn es um eklatante inhaltliche Mängel ging (und davon gehe ich aus), liegt kein Fehlverhalten vor, denn die Arbeit wurde mit „cum laude“, also sozusagen mit „befriedigend“ bewertet (das war bei Guttenberg ja anders, dort wurde mit „summa cum laude“ die höchstmögliche Bewertung vergeben).
Mitschuld
Ich weiss wozu es gut ist, dass Gutachter Lügen erkennen. Aber welche Konsequenzen sollte eine Schuldzuweisung für einen Gutachter, der eine Lüge nicht erkannt hat, haben? Wozu ist das gut?
Soll er dann bestraft werden, soll die jeweilige Arbeit dann anerkannt bleiben?
Bei meiner Diss. …
(Entschuldigung, wird etwas länger!)
… war ich vollkommen auf mich gestellt. Die Kapitel, die in der Bearbeitungsphase abgeliefert habe, habe ich mit zum Teil wütenden Korrekturen zurückbekommen. Ich solle, doch die Rechtschreibung prüfen, bevor ich dergleichen abliefere. Der Hinweis, dass ich meine Dissertation nach den Regeln der Neuen Rechtschreibung abfassen würde und sich somit bis auf zwei Tippfehler alle bemängelten Erscheinungen erklären ließen, wurde begrummelt.
Ich konnte wegen meines auch in meinem Fach ungewöhnlichen Themas nicht plagiieren, aber ich glaube, dass ein Plagiat nicht aufgefallen wäre, da eine inhaltliche Auseinandersetzung kaum stattgefunden hat.
Ich bin der festen Überzeugung, dass man als Professor Plagiate vermeiden kann, wenn man eng mit dem Promovenden zusammenarbeitet, die Entstehung der Diss aufmerksam begleitet und schon im Vorfeld auf sich langsam einschleichende methodische Unsauberkeiten hinweist. So fühlt sich der Prüfling von Anfang betreut und man kann sich als Prüfer bei der Abgabe schon relativ sicher sein, dass dieser Mensch nicht gefuscht hat.
Verstehe ich total, aber leider sieht die Realität oftmals anders aus…
Dass der Promotionsausschuss eventuell Fehler gemacht hat, vielleicht nicht gründlich genug kontrolliert hat, mag ja sein. Dass Frau Koch-Mehrin aber die Plagiate in ihrer Arbeit im Grunde indirekt dem Ausschuss in die Schuhe schiebt, finde ich unglaublich frech und dreist – sie war, nicht die Prüfer, die auf Quellenangaben großzügig verzichtet hat. Also ist natürlich sie verantwortlich, nicht die unter Umständen unzureichende Kontrolle der Prüfer.
Als ich diese verkorkste Stellungnahme gelesen habe, kam mir Guttenbergs Verhalten plötzlich fast schon akzeptabel vor. (sein Verhalten nach Aufdeckung der Plagiate natürlich, nicht das Plagiieren an sich)
Doktorarbeit
Mich haut diese Unzahl an Plagiaten auch aus den Schuhen. Zwar habe ich noch 3 Jahre Zeit, bis (mit viel Glück) meine Doktorarbeit ansteht, sofern ich eine Doktorandenstelle finden werde, doch da fragt man sich dann langsam – wie kommt denn inzwischen ein Doktortitel bei den Leuten an?
Guttenberg & Co haben Verbrechen begangen, und damit meine ich nicht nur ihre direkten Plagiate, sondern vor allem, dass sie Doktortitel so in Verruf gebracht haben. Alle ehrlichen Menschen müssen darunter leiden.
Dreistigkeit und Sühne
Dass Koch-Mehrins Stellungnahme ein Glanzstück an Dreistigkeit ist, das Guttenbergs Aussagen im Vergleich fast ernsthaft erscheinen lassen, ist klar. Dass Gutachter, Kommission und Ausschuss nicht die Hauptschuldigen sind, auch klar. Aber mich interssiert die Frage, wo und inwiefern eine Mitverantwortlichkeit besteht. Anders gefragt: Was kann die institutionalisierte Wissenschaft aus diesen Vorfällen lernen (außer, in Zukunft alle Dissertationen durch Plagiatssoftware zu jagen)? Vor allem: Was kann sie über sich selbst lernen?
Plagiate
Lieber Herr Stefanowitsch,
vielen Dank dafür, daß Sie die Fragen so stellen wie Sie sie stellen. In dem allgemeinen Aufheulen über die Schlamperei und Korruption der Universitäten, dem Geschrei nach mehr Kontrolle ist das eine Wohltat.
Ich meine, man muß zunächst eine Unterscheidung machen:
(1) Bereiche, in denen Doktorarbeiten geschrieben werden, weil sie der Beginn einer wissenschaftlichen Laufbahn sein sollen oder einfach, weil der Doktorand am Thema interessiert ist.
(2) Bereiche an den Rändern der wissenschaftlichen Welt, in denen das eben Genannte zwar auch vorkommt, die Doktorarbeit aber in den meisten Fällen dazu dient, sich einen Titel fürs Türschild zu verschaffen.
(1) ist der Normalfall im Sinne von der weit überwiegende Fall. Typisch ist hier, daß man seine Doktoranden über mehrere bis viele Jahre kennt und intensiv betreut, ja, daß die Arbeit oft oder sogar meist eher eine gemeinsame Arbeit von Betreuer und Doktorand ist als eine Prüfungsarbeit, die von dem einen abgegeben und von dem anderen benotet wird. Hier wäre es völlig abwegig, systematisch oder auch nur ab und zu nach Plagiaten zu suchen; so abwegig wie im Falle eines langjährigen Arbeitskollegen, der einem etwas von einiger Bedeutung erzählt und man prüft als erstes durch Nachfragen bei der Polizei usw., ob er nicht lügt. Das macht man nur, und darf es auch nur, wenn man einen sehr begründeten Verdacht hat. Die Hauptgefahr der Guttenberg-Affäre sehe ich darin, daß nun statt dieses normalen Umgangs eine allgemeine Kontrollwut einsetzt.
Die Gefahr des Plagiierens ist hier auch aus mehreren anderen Gründen ohnehin gering, z. B., weil einem eine geklaute Doktorarbeit wenig nützt als Start einer Wissenschaftlerlaufbahn: Man hat ja beim Schreiben wenig gelernt, darauf kommt es aber hauptsächlich an, und das ist den Doktoranden auch bekannt.
Anders ist es im Fall (2), den ich aber nicht aus eigenem Erleben kenne. In Fächern wie Rechtswissenschaften und BWL wird er nicht selten sein, könnte ich mir denken. Da kommt es sicher häufig vor, daß die Arbeit kaum betreut wird; externe, dem Gutachter kaum bekannte Doktoranden liefern nach einiger Zeit ein Produkt ab, das dieser in diesem Moment zum ersten mal sieht. Da es hier nur um den Titel geht, weder ein Interesse am Gegenstand besteht noch klar ist, daß die Doktorandenzeit als Qualifizierungsphase für die Karriere notwendig ist, ist die Gefahr des Betrugs groß. Nach mehr Kontrolle würde ich aber auch hier nicht rufen, eher darauf hinarbeiten, daß es solche Arten von Doktorarbeiten gar nicht mehr gibt.
Sie schreiben, „ich muss zugeben, dass ich nicht dafür garantieren könnte, dass in keiner der betreffenden Arbeiten plagieert worden ist. Ich bin mir relativ sicher, dass ich Plagiate in dem Umfang, wie sie bei Guttenberg und Koch-Mehrin vorliegen, erkannt hätte“.
Ich kenne Kollegen, die meinen, sie würden Plagiate weit geringeren Umfangs sicher erkennen und die meinen, das sei von jedem zu fordern. Ich selbst bin mir nicht einmal sicher, ob ich sie in diesen beiden Fällen (die ich mir allerdings nicht genauer angesehen habe) erkennen würde.
Die unterschiedliche Einschätzung kommt vermutlich vor allem daher, daß es Fächer gibt, in denen sehr kleine Forschergruppen sehr enge Themen bearbeiten, so daß es die betreffenden Kollegen für normal halten, die gesamte relevante Literatur zu kennen. Doch je diffuser ein Fach, je breiter ein Thema ist, desto weniger ist es möglich, auch nur einen Bruchteil der als Quellen in Frage kommenden Literatur zu kennen. Man ist auf so etwas angewiesen wie auffällige Stilbrüche, die aber in den meisten Wissenschaften aufgrund der ziemlich standardisierten Sprache recht selten vorkommen. Ich selbst habe in vielen Jahrzehnten an der Universität nur ein einziges Mal einen geklauten Satz gefunden; er war von mir selber und stand nicht in einer Dissertation, sondern in einem publizierten Aufsatz. (Von Studentenarbeiten besonders der Anfangssemester rede ich hier natürlich nicht.)
Finde ich gut,
dass hier grundsätzliche Fragen jenseits der Antipathie für die erwischten Politiker gestellt werden.
Für mich als Außenstehender stellt sich die Frage, wozu eine Doktorarbeit überhaupt gut ist, wenn sie nicht als Baustein einer Forscherkarriere dient. Ein Handwerker macht seinen Meister, weil er in seinem Handwerk arbeiten will. Bei den erwischten Plagiatoren diente jedoch der Titel nur als Zierde für eine weitere Karriere, die mit Forschung nichts mehr zu tun hat. Ich denke, wenn dieser Haltung zum Doktortitel nicht begegnet werden kann, wäre es besser, den Titel ganz abzuschaffen.
Wenn also ein Prof., wie von A.S. beschrieben, nicht mehr in der Lage ist, seine Doktoranden hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Integrität einzuschätzen (z.B., wenn er zu viele auf einmal betreuen muss), dann hat dieser Titel in der Tat ein ernstes Problem. Er wird zu einem nichtssagenden Massentitel, wie der Dr. med. jetzt schon.
Plagiat Schlechte Betreuung
Ein guter Betreuer sollte ein Plagiat verunmöglichen. Das ist meine Meinung. Ich bin mir jedenfalls recht sicher, dass mein Betreuer mir lange vor Abgabe auf die Schliche kommen würde, hätte ich Plagiatsabsichten. Aber egal zu welchem Zeitpunkt, der Doktorvater oder die Doktormutter blamiert sich aufs Peinlichste, wenn er oder sie eine plagiierte Dissertation durchgehen lässt. Im Prinzip sollte ein Plagiat gar nicht erst bis zum Promotionsausschuss durchkommen.
Vielleicht gibt es hier auch eine unterschiedliche Praxis je nach wissenschaftlicher Disziplin. Da in der Computerlinguistik oft ein zu entwickelndes Software-System mit der Dissertation einhergeht kann natürlich der Betreuer auch mal sagen: Na, lass mal laufen, lass mal sehen wie das tut! Das geht natürlich in den Rechtswissenschaften nicht so gut.
Hallo,
ich als Nicht-Doktorand bin hier ehrlich gesagt der Meinung dass es den Prüfern kaum vorzuwerfen ist wenn Menschen offensichtlich betrügen. Es ist ja nicht so dass Frau Koch-Mehrin oder auch Herr Gutenberg nicht gewußt hätten was sie da tun.
Natürlich wünsche ich mir dass jeder Prüfer so gut wie nur möglich seine Kontrollaufgaben wahrnimmt. Aber, wie schon im Text erwähnt, stehen Heute bessere Methoden zur Verfügung und es entwickelt sich eine große Community die gezielt nach Plagiaten sucht. Das gab es vor 10 Jahren faktisch nicht. Die Vorwürfe von Frau Koch-Mehrin sind zwar einerseits verständlich, insbesondere wenn sie auf inhaltliche Schwächen anspielt, aber trotzdem einfach nur frech. Sie hat den Fehler gemacht, nicht die Prüfer.
Es ist doch, auch wenn sehr abstrakt, auch nicht des Polizisten schuld wenn ein Mensch ein Verbrechen begeht und erst Jahre später überführt werden kann.
Mitverantwortlich
Meiner Meinung nach sind die Studenten verantwortlich für ihre Doktorarbeit, nicht die Uni oder der Prof. Mit dem Plagiatsoftwareprogramm ist gut. Aber eine interaktive Zusammenarbeit mit dem Betreuer ist besser, so würde ein Plagiatsversuch wahrscheinlich gar nicht zustande kommen.
Der Raub der Seele
Die Diskssion um die Plagiate ist lange überfällig. Und man könnte sich fragen, warum sie nicht schon vor 10 Jahren geführt wurde. Als ich in den 90er Jahren meine MA-Arbeit geschrieben habe, hatte ich mir, trotz des strengen Zeitlimits den Luxus erlaubt, die von mir zitieren Schriften selbst zu überprüfen, also Zitate, Textstellen, ja auch Textbausteine zurück zu verfolgen. Das Ergebnis hatte mich sehr ernüchert, will heißen: Es gibt eine Rieseneisberg, dessen kleine Spitze wir gerade zu sehen bekommen.
Aber man muss genauer hingucken: Die Frage, was ein Plagiat ist, ist keineswegs so eindeutig wie die Diskussion plausibel machen möchte. Denn wie die Dinge auch immer sein mögen, sie müsssen erst in Erfahrung gebracht werden; und sobald sie in Erfahrung gebracht wurden, stellt man fest, dass man sie immer auch ganz anders betrachten könnte. Für die gegenwärtige Diskussion könnte man annehmen, dass die spezifische Problemlage nicht mit jeder anderen einfach zu vergleichen ist. Bei der Affäre um zu Guttenberg konnte man erkennen, dass ja nicht nur das Copy-and-Paste-Plagiieren durch das Internet leichter und schneller wird, sondern auch die Aufklärung durch Ausnutzung der internettypischen Schwarmintelligenz. Und möglicherweise haben die daraus resultiereden Lerneffekte eine entscheidende Auswirkung auf das, was man Originalität, Authentizität und Neuartigkeit nennen könnte. Wenigstens kann man glauben, dass sowohl ein Copy-and-Paste-Verfahren als auch eine Plagiatsüberprüfung niemals die Bedingungen, durch die beides zustande kommen kann, unbeeindruckt zurück lassen werden.
Diese Wissenschaft kann so nicht bleiben. Bislang konnte sich das akademische Kulturgut des Plagiierens in der Intransparenz der Guttenberg-Galaxy verstecken, weil ja die Überprüfung kaum zu leisten war. Jetzt gibts den Fleiß der Schwarmintelligenz. Streng genommen tut diese Intelligenz ja genau das, was wissenschaftlich geboten ist: Wissenschaft ist ein Open-Source-Projekt, jeder darf, ja, jeder sollte überprüfen, was geschrieben wurde, aber wie sollte das in der Massenuniversität funktionieren? Das Internet könnte das Problem nun lösen, aber niemand weiß, welche Probleme anschließend entstehen könnten.
Bei Interesse ausführlicher:
http://differentia.wordpress.com/…faren-plagiat/
Bachelor reicht auch?
Die (hier und andernorts) in Kommentaren anklingende Diskussion, wozu man Promotionen überhaupt brauche (wenn man hinterher keine akademische Laufbahn anstrebt) finde ich ausgesprochen kontraproduktiv, auch wenn sie natürlich in die Zeit (Verkürzung und Verschulung der Studiengänge, Stichwort Bologna) paßt. Sich längere Zeit auf ein Thema konzentriert zu haben und dabei eben Wissen nicht nur zu rezipieren, sondern auch weiterzuentwickeln, ist mit Sicherheit eine gute und nützliche Ausbildung, jedenfalls wenn die Dissertation nicht nur nebenbei neben anderen wichtigeren Tätigkeiten geschrieben wurde.
Wissenschaft und so…
Interessante Frage, hier mein Senf als unpromovierter Außenstehender 😉
Wenn heute – mit Hilfe der digitalen Medien – gefälschte Doktorarbeiten entlarvt werden, so heißt das ja nicht, dass es die früher nicht gab. Ohne die Popularität der Mogler würde sich heute vermutlich niemand für das Thema interessieren.
Denn – und darauf will ich hinaus – es ist letztlich ein Problem des Wissenschaft-Diskurses. Und hier kann man einen “Werteverlust” feststellen, den schon vorher Ärzte, Lehrer, Pastoren und Radprofis hinnehmen mussten: Wissenschaft ist nichts mehr wert, weil sie letztlich nach den gleichen, billigen Regeln der niederen Alltagswelt funktioniert. Ein bisschen Lügen und Betrügen zeichnet einen pfiffigen Bürger doch aus. Ob man nun bei den Steuern, beim Hortantrag oder bei der Doktorarbeit mogelt – da die Masse der Zauderer das System für blöd hält, wird sie Regelverstöße gerne billigen, weil es als Rechtfertigung für das Abwälzen von Verantwortung auf ein abstraktes System gut taugt.
So, worauf ich eigentlich hinaus will ;-): Das Kind ist im Brunnen. Das vertrauen in die Wissenschaftswelt und ihre Auszeichnungen ist futsch. Der einzige Weg, das zu ändern, liegt darin, die Notwendigkeit von Wissenschaft und Forschung wieder gesellschaftlich zu verankern. Das ist ein steiniger Weg, und dafür muss man aus dem Elfenbeinturm heraus.
Btw: wenn mein Kind in der Schule eine 6 bekommt, wer ist dann Schuld? Der Lehrer, das Kind oder ich?
Ich würde sagen: ich. Und da man als Dissident / Promovent / Doktorarbeitschreibender in aller Regel volljährig ist, eben der bzw. diejenige. Sowohl Doktorvater als auch Prüfungsausschuß handeln im Rahmen ihrer Möglichkeiten, sind aber nicht verantwortlich. Nur meine Meinung.
Spannende Frage übrigens 🙂
@ Mißfeldt
Früher war natürlich auch das Betrügen nicht so einfach. Copy & Paste gab es ja noch nicht 🙂
Abgesehen davon sollte man eigentlich meinen, daß Professoren die Fachliteratur in ihrem engeren Spezialgebiet kennen und schlicht wissen, von wem welche Thesen schon einmal vertreten worden sind. Natürlich können sie nicht die wörtlichen Formulierungen im Kopf haben, aber inhaltliche Ähnlichkeit mit bereits Gedachtem sollten sie wohl bemerken.
Wenn man freilich, wie im Fall Guttenberg geschehen, schon mit Zeitungsartikeln promovieren kann, dann liegt wohl mehr im Argen als nur das Fehlen einer Plagiats-Software.
@tk
“Früher war natürlich auch das Betrügen nicht so einfach. Copy & Paste gab es ja noch nicht :-)” Gute Replik, stimmt.
Früher war es wahrscheinlich für Professoren noch möglich, die Literatur des jeweiligen Spezialgebiets zu überschauen. Aber auch hier denke ich, dass das heutzutage kaum mehr geht. Allein das Abwägen, was wissenschaftlich tauglich ist und was nicht, halte ich mir im Zeitalter der Blogs und Foren kaum für möglich – die digitale Vernetzung sorgt ja auch dafür, dass immer mehr Laien auch zu Experten werden, auch außerhalb des Wissenschaftsbetriebes. Aber das ist nur Spekulation, weil ich das gar nicht abschätzen kann.
@Professoren: wie sieht das aus?
Wissenschaftliche Praxis?
Bei VroniPlag wird gerade die Dissertation von Margarita Mathiopoulos durchleuchtet. In der Arbeit wurde offenbar in einem so großen Maß fremde Texte ohne Kennzeichnung übernommen, dass die Aberkennung des Doktortitels durch die Uni Bonn wohl nur noch eine Formalie sein dürfte. Gleichzeitig dürfte Mathiopoulos ihre Professur an der Uni Potsdam los sein.
So weit, so schlecht: Damit könnte der Fall eigentlich erledigt sein; das wird er aber wahrscheinlich nicht. Und das betrifft genau das hier Angesprochene Thema.
Mathiopoulos’ Doktorvater ist der international renommierte Gelehrte Karl Dietrich Bracher und das ist im Folgenden delikat: Als “herausragende Fundstellen” gibt VroniPlag u.a. an:
und
Das lässt realistisch zwei Schlüsse zu: (1) Bracher war mit seinen eigenen Schriften und den Dissertationen seiner Doktoranden nicht besonders intim vertraut und konnte keine Plagiate finden, oder (2) ihm waren die Plagiate bekannt und der hat Mathiopoulos das durchgehen lassen.
Punkt (2) ist ein schwerer Vorwurf. Die Indizien weisen allerdings in diese Richtung. In jedem Fall hat aber die Uni Bonn in nächster Zeit etwas aufzuklären, besonders weil es spätestens seit 1989 öffentlich und ebenso der Uni Bonn bekannt war, dass die Arbeit Plagiate enthält.
Eine gute Diskussion
Eine gute Diskussion, bei der sich einige interessante Themen herausschälen:
1. Die Frage nach einer Schuldzuweisung an die Gutachter. Mir ging es in meinem Beitrag nicht um eine Schuldzuweisung oder gar Bestrafung, sondern um die Frage der Mitverantwortlichkeit. Ich habe ja versucht, deutlich zu machen, dass auch eine Plagiatsfreiheit der von mir begutachteten Dissertationen nicht mit hundertprozentiger Sicherheit garantieren kann und dass ich mich am Ende auf die Integrität der von mir menschlich und wissenschaftlich hochgeschätzten Promovend/innen verlasse.
Interessanterweise ist dieses Vorgehen auch die einzige Lösung, die dem Vorsitzenden des Promotionsausschusses der Universität Heidelberg einfällt, der im Mannheimer Morgen heute so zitiert wird:
Aber die Fälle zeigen ja leider, dass man sich in diesem Vertrauensverhältnis schwer täuschen kann. Ich bin mir sicher, dass Guttenbergs und Koch-Mehrins Betreuer ein aufrichtiges Vertrauensverhältnis zu ihren Doktorand/innen hatten, nur war dies eben leider nicht gerechtfertigt. Natürlich wollen wir nicht alle unsere Doktorand/innen unter Generalverdacht stellen, aber was ist die Alternative?
2. Interne und externe Dissertationen. Eine Möglichkeit, die in der Diskussion anklingt, betrifft den Unterschied zwischen Dissertationen, die als Ausgangspunkt einer Karriere in der Wissenschaft verfasst werden („intern“) und solchen, bei denen das nicht der Fall ist („extern“) (siehe den Kommentar von Ludwig Trepl).
Bei den internen Dissertationen ist die Gefahr von Plagiaten sicher geringer, aber mindestens einer der aktuell bei VroniPlag in Arbeit befindlichen Fälle dürfte die Vorstellung ins Wanken bringen, dass man das Risiko ausschließen kann (siehe den Kommentar von L.R.).
Aber selbst wenn, was wäre die Konsequenz? Externe Dissertationen einzuschränken/abzuschaffen (vgl. die Kommentare von Lichtecho und tk) halte ich für problematisch, denn erstens wissen Doktorand/innen möglicherweise zum Zeitpunkt der Dissertation noch nicht, ob sie eine wissenschaftliche Karriere einschlagen wollen (ich selbst war mir z.B. keineswegs sicher), und zweitens, darauf wird in der Diskussion ja auch hingewiesen, kann die vertiefte Beschäftigung mit einem Thema auch für Nicht-Wissenschaftler/innen eine lohnende Sache sein.
3. Intensivere Betreuung. Immer wieder kommt auch der Ruf nach einer intensiveren Betreuung (siehe z.B. die Kommentare von Alberto Green, DrNI und poppy). Eine gute Betreuung ist natürlich wichtig, aber man darf nicht vergessen, dass die Dissertation der Nachweis sein soll, dass der/die Verfasser/in zu eigenständigem wissenschaftlichem Arbeiten befähigt ist. Die Betreuung muss deshalb Grenzen haben. Ich selbst treffe mich zwar regelmäßig mit Doktorand/innen um mir den Fortschritt berichten zu lassen und konkrete Fragen zu beantworten, die seit dem letzten Treffen aufgetaucht sind oder um allgemeine Hinweise auf Methoden, Literatur usw. zu geben, aber ich lese z.B. keine Kapitelentwürfe, bevor eine Arbeit nicht in einem fortgeschrittenen Stadium ist. Ich sehe mich also in der Tendenz eher in der Rolle eines Motivationscoachs und Ansprechpartners für konkrete Probleme. Eine meiner Doktorand/innen hat hier in der Diskussion schon mitkommentiert, vielleicht will sie ja mehr dazu sagen.
4. Das Ende des Dissertationszeitalters. Sehr viel radikaler ist die hier und da geäußerte Idee, dass wir aus der kollaborativen Enttarnung von Plagiaten allgemeinere Schlussfolgerungen über den kollaborativen Umgang mit Wissen lernen könnten: Möglicherweise ist durch die dahinterstehenden kollaborativen Technologien das Ende des Zeitalters eingeläutet, in dem wissenschaftliche Erkenntnis einzelnen Personen zugeschrieben werden kann (siehe die Kommentare von Kusanowsky und Mißfeld).
In der Wissenschaftspraxis ist es ja längst so, dass Forschung kollaborativ betrieben und publiziert wird (allerdings am stärksten in den Naturwissenschaften, etwas weniger ausgeprägt in den Sozialwissenschaften und am wenigsten in den Geisteswissenschaften). Die Dissertation ist in diesem Sinne ohnehin ein Anachronismus.
Vermutlich braucht die Wissenschaft aber trotzdem eine Art Qualifikationssystem, durch das festgestellt wird, wer das Zeug zum Forschen hat. In einigen Ländern können Promotionen heute schon kumulativ erarbeitet werden, also durch die hauptverantwortliche Mitarbeit an einer gewissen Anzahl kollaborativ entstehender Studien. Es wäre auf jeden Fall lohnenswert, über diese Möglichkeit einmal genauer nachzudenken.
5. Nochmal: Mitverantwortung. Ich will aber auch nicht die im Beitrag gestellte Kernfrage aus den Augen verlieren: Wie ist die Mitverantwortung in den konkret vorliegenden Fällen zu bewerten?
Koch-Mehrins Doktorvater, Prof. Volker Sellin, wird im Tagesspiegel mit einem einzigen Satz zitiert:
Das glaube ich ihm ohne Einschränkung, aber trotzdem würde es mich interessieren, wo er möglicherweise eine Mitverantwortung sieht. Hätte er genauer lesen müssen? War er Koch-Mehrin gegenüber zu vertrauensvoll?
Auch der Vorsitzende des Promotionsausschusses verteidigt die Gutachter:
Auch hier habe ich keinen Zweifel, dass das der Wahrheit entspricht. Aber trotzdem: Hätten die Gutachter einen solchen Verdacht wirklich nicht haben können? Zugegeben, Koch-Mehrins Arbeit ist „besser“ plagiiert als die von Guttenberg, in dem Sinne, dass letztere auffälligere Stilbrüche enthält als erstere. Aber trotzdem gehe ich doch davon aus, dass die Gutachter sich fragen, wie sie die seitenweise Übernahme von Texten aus Handbuchartikeln übersehen konnten. Wie gesagt, ich will keinesfalls behaupten, dass ich das bemerkt hätte (oder habe), aber wenn es sich nachträglich herausstellte, würde mich das nachdenklich stimmen und von dieser Nachdenklichkeit würde ich gerne mehr sehen.
Qualfikationssystem
“Vermutlich braucht die Wissenschaft aber trotzdem eine Art Qualifikationssystem” –
Das könnte man mit Recht vermuten, aber vielleicht hilft hier die Betrachtungsweise weiter, dass die Wissenschaft – wie alles andere auch – Ergebnis von gesellschaftlicher Erfahrung ist, sie ist geworden, gewachsen und nicht einfach nur “gegeben”. Sie ist Ergebnis eines langen gesellschaftlichen Selektionsprozesses, dessen Beginn man etwa datieren kann auf den Übergang von der klösterlichen Gelehrsamkeit zur bürgerlichen Studierstube, prototypisch dafür steht die Biographie von Martin Luther, der als Mönch gestartet und als bürgerlicher Professor gelandet war. Nicht zufällig entstand diese Art der Wissenschaft durch die begleitende Entwicklung des Buchdrucks; und man kann sagen, dass dies höchst folgenreiche Auswirkungen auf die Ausgestaltung eines sozialen Lernprozesses hatte, durch den sich die ganze Gesellschaft entwickelte. Wer will glauben, dass diese Strukturen durch das Internet unberührt bleiben könnten? Könnte man nicht stattdessen eine Analogie annehmen, die besagt, dass mit der innovativen Ausbreitung eines Mediums immer auch ein Formenbildungprozess vonstatten geht? Nicht, dass man vorhersehen könnte, wie es wird, aber wenigtens, dass es wird, könnte man sagen. Gesellschaft ist immer Werden und Vergehen. Warum sollte dies nicht auch für diese Art der Wissenschaft gelten, die den sich durch das Internet entfaltenden Strukturen womöglich so nicht mehr gewachsen ist.
Bei Interesse ausführlicher:
http://differentia.wordpress.com/…-wissenschaft/
Zwei Politiker, die nur an ihrer Karriere interessiert sind, wollen den Doktor vor ihrem Namen stehen haben. Mehr ist da erst mal nicht. Wenn man keine Lust oder Zeit hat, den Titel auf redliche Weise zu verdienen, kann man anscheinend leicht auf dumme Gedanken kommen. Noch schlimmer, wenn man nicht einmal über die geistigen Fähigkeiten verfügt, zumindest theoretisch eine Doktorarbeit schreiben zu können, aber den Titel dennoch haben will. Zu dumm zum Abschreiben, reicht es dann noch nicht einmal mehr zum einem gelungenen Plagiat, dann bleibt nur noch der plumpe Kauf.
Bei Guttenberg tippe ich eher auf Kauf. Zum CSU-Politiker hat es gereicht, aber schon Minister wäre er besser nie geworden. Sein Nachfolger im Verteidigungsministerium sammelt gerade die Scherben in seinem “gut bestellten Hause” auf. Gut, dass er in’s gelobte Land will, dort reicht das unverdiente von vor dem Namen.
Dass beide den Betrug nicht zugeben wollen, wundert mich nicht, dazu gehört nämlich eine gewisse menschliche Größe, über die sie nicht verfügen. Weder das politische “Talent” Guttenberg, noch die schöne “Hoffnungsträgerin” der FDP.
Das alles ist meiner Meinung nach nicht eine Krise der Doktorväter oder gar der Wissenschaft, sondern die einer Zeit, in der der mühelose Erfolg machbar scheint.
“Zur guten wissenschaftlichen Praxis gehört es aber sicher auch, eine vorgelegte Arbeit ordentlich zu prüfen.”
Da fällt einem doch wirklich nichts mehr ein. Da müsste ja jeder Prüfer einen Generalverdacht gegen Verfassern von Dissertationen hegen. Frei nach dem Motto: ” Selbst Schuld, wenn Ihr mich nicht erwischt!”.
Versuch einer Antwort
Was läuft falsch und was kann die Uni daraus lernen? Tja. Nach meiner Erfahrung (1993/94, allerdings nur mit der Master-Arbeit, und die auch nicht in Deutschland) haben die Prüfer zumindest oft zu wenig Zeit. In einigen Fällen offenbar auch zu viel Vertrauen. Und in noch anderen Fällen zu wenig Interesse.
Meine beiden “Betreuer” sagten mir jedenfalls unabhängig voneinander gleich zu Beginn, daß sie nur für Fachfragen zur Verfügung stünden und ich die Form zu dem Zeitpunkt gefälligst selbst beherrschen müsse. Hätte ich plagiiert und es wäre aufgefallen, hätte es mich eben ohne Vorwarnung und Korrekturmöglichkeit meinen Abschluß gekostet. Bei uns galt damals: “Abgegeben ist abgegeben.” Erst dann wurde die Arbeit überhaupt gelesen.
Mich erstaunt im Fall Koch-Mehrin daher am meisten, daß sie ihre Arbeit nach anfänglicher Kritik offenbar auch unter formalen Aspekten nochmals überarbeiten durfte. (Und dennoch weiter Murks gebaut hat.) Ist das üblich?
Bei Guttenberg könnte ich mir auch durchaus vorstellen, daß die Spenden seiner Familie an die Uni sowie der Adelstitel eine Rolle beim Hinterherwerfen des “summa cum laude” gespielt haben. Aber gut, das ist Spekulation.
Realitäts- bzw. Reflektionsverlust. Wieder kein gutes Zeugnis für den psychologischen Zustand weiter Teile der politischen Klasse. Die Fähigkeit zum (uneingeschränkten) Schuldeingeständnis scheint ihnen abtrainiert worden zu sein. Wie Ratten, die schon bei der vorgeschalteten roten Lampe der antizipierten Stromstöße anfangen zu zucken, lügen und vertuschen Politiker auch noch, wenn es längst zu spät ist. Eine fatale Konditionierung, die sich in diesen Fällen offenbart.
Nochmal: Mitverantwortung
Um zur Promotion zugelassen zu werden benötigt man
“Schriftliche Erklärung darüber, dass
– der Bewerber/die Bewerberin die Arbeit ohne unerlaubte Hilfe angefertigt hat,
– er/sie keine anderen, als die von ihm/ihr angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt hat, und
– er/sie die den benutzten Werken wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht hat.
Diese Erklärung ist mit Originalunterschrift am Ende jedes Dissertationsexemplares mit einzubinden.
Von den fünf Exemplaren gehen 2 an die Gutachter, 2 an die Prüfer und 1 verbleibt im ZPA.” (vgl. http://www.zpa.uni-bremen.de/…mit%20Vordruck.pdf)
Ich denke, es ist ganz klar, dass die Studenten verantwortlich sind und nicht der Prof.
Natürlich wäre gut, wenn der Prof. es vor der Verleihung der Doktorwürde merken könnte, wenn es plagiiert wurde. Aber in erster Linie ist es die Arbeit und somit die Verantwortung der Studenten.
Prüfer sind auch nur Fachidioten
Wir sollten langsam anfangen hier so das Eine vom Anderen zu trennen. Da hätten wir erst einmal ein sehr kleines Sample, das betrogen hat. Es bleibt auch dann ein sehr kleines Sample, sollte sich heraus stellen, dass alle Politiker/Wirtschaftsbosse ihre akademischen Grade zusammengeklaut hätten – noch dazu ein alles andere als repräsentatives. Im Augenblick haben wir Menschen, die auch einen ausgeprägten Sinn für die Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit haben, sie wollen als Wissende beklatscht werden. Ausschließlich.
Es mag sein, dass sich Prüfer und Universitäten von Blendern [mit Geld bzw. Vitamin B] ebenso einfach hinters Licht führen lassen, wie der berüchtigte einfach Mann von der Straße. Ich sehe keinen Grund, ihnen das vorzuhalten; der Betrogene ist nicht so sehr sauer wg. des Betruges, sondern weil man ihn für zu blöde hält sich anstrengen zu müssen. Schließlich hätte man den Betrug ja sonst nicht bemerkt. Man muss seinen Mitmenschen erst einmal vertrauen können, anders wäre ein halbwegs zivilisiertes Zusammenleben schlicht nicht möglich.
Ein anderer Punkt ist die Frage, wie weit ein Prüfer Plagiate erkennen können muss. Bleiben wir bei den Prüfern, deren eigene Arbeiten von ihren Studenten kopiert wurden. Dass ihre Gedankengänge sich in den Dissertationen wiederfinden, ist kaum verwunderlich, immerhin ist es das Ziel eines Professors, seine Ideen und Argumente erfolgreich weiter zu geben. Hat er auch nur das in Deutschland übliche Maß an Veröffentlichungen geschaffen, wird er die genauen Formulierungen nicht erinnern.
Und dann ist da das Problem des Expertentums. Es mag in den Naturwissenschaften marginal anders sein, aber in den Geisteswissenschaften, sind die fachlichen Nischen inzwischen so speziell, dass es kaum möglich ist einen anständigen Überblick zu behalten. Ich habe bereits vor der Graduierung Hausarbeiten zu Themen abgeliefert, die “geglaubt” werden mussten [allerdings geht es dort auch vorwiegend um Form und Konsistenz], da es für die Dozenten physisch gar nicht möglich gewesen wäre, sich in alle HA-Themen eines 100-köpfigen Seminars einzuarbeiten.
Weder meine Magisterarbeit noch spätere Dissertationsthemen hätten ernsthaft auf Plagiate untesucht werden können, wenn nicht zufällig jemand von außerhalb über dasselbe Thema gestolpert wäre. Was mir übrigens beim ersten Diss-Thema passiert ist, und wäre ich ein wenig skrupelloser, hätte ich die Arbeit damals abgegeben, statt sie in die Tonne zu stecken.*
Ich erinnere mich, dass wir bereits in der zweiten Hälfte der 1980er darüber sprachen, wie denn bestimmte Probleme im Zusammenhang mit Magister-, Diplom- und Doktorarbeiten in den Griff zu bekommen seien. Schon damals schien mir die praktischste Lösung ein aushäusiger Zweitprüfer zu sein, einer, der keine persönliche Bindung zum Kandidaten hat, am besten auch keine zum Hauptprüfer. Ergänzt durch Suchalgorithmen, wie sie die Plagmacher und andere schon länger nutzen, sollte das jedem angehenden Gradträger deutlich machen, dass es sich nicht um ein Spiel handelt. Dabei muss eine Prüfung durch Software nicht einmal zur Bedingung werden, die Warnung, sie einzusetzen – und bei entsprechendem Ergebnis mit dem Prüfling darüber ein ernstes Gespräch zu führen -, reicht bereits aus.
Ach ja: die meisten Doktoranden sind heute so ehrlich wie vor 30, 60, 150 Jahren, womöglich sogar ehrlicher.
*Ein damals recht frisches und extrem schwer aufzutreibendes Buch, das praktisch nur mir bekannt war, entsprach inhaltlich zu 90% meiner fertig geschriebenen Diss.
Zu poppy Nochmal: Mitverantwortung
“Natürlich wäre gut, wenn der Prof. es vor der Verleihung der Doktorwürde merken könnte, wenn es plagiiert wurde. Aber in erster Linie ist es die Arbeit und somit die Verantwortung der Studenten.” Einige andere schreiben hier auch von “Studenten”.
Im Sprachlog scheint mir der Hinweis angebracht, daß das ein Amerikanismus ist. An deutschen Universitäten sind Doktoranden keine Studenten, auch wenn sie manchmal (und im Zuge der Amerkanisierung (nun nicht der sprachlichen) “eingeschrieben” sind. Die Studentenzeit ist mit dem Diplom, Magister oder entsprechendem zuende. Doktoranden sind Wissenschaftler, ja: die meisten Wissenschaftler an den Universitäten sind Doktoranden.
Diffuse und kompakte Fächer
Wichtig scheint mir vor allem, Unterscheidungen zu machen, z. B. die zwischen Fächern, in denen man die Dissertation gewöhnlich schreibt, weil man damit eine wissenschaftliche Laufbahn beginnen will, und solchen Fächern, in denen sie auch oder vor allem den Zweck erfüllt, sich einen Titel zu verschaffen, der das Ansehen außerhalb der Wissenschaft hebt.
Eine andere ganz wesentliche Unterscheidung, auf die ich in meinem obigen Beitrag hingewiesen habe, die aber offenbar nicht bemerkt worden ist, ist die zwischen kompakten und diffusen Disziplinen und ebenso die zwischen unterschiedlich weiten Themen. In dem einen Fall kann der Prüfer die Literatur überblicken und bei aufmerksamem Lesen auch Plagiate bemerken, in dem anderen ist das nicht möglich, es ginge nur mit zusätzlichen Kontrollen, etwa unter Nutzung des Internets. Berücksichtigt man diesen Unterschied nicht, besteht die Gefahr, daß von einem großen Teil der Prüfer etwas verlangt wird, was sie nicht erfüllen können, und zwar deshalb verlang wird, weil es für andere selbstverständlich ist. Diese Gefahr ist groß. Angehörige diffuser Fächer gibt es zwar viele, aber sie sind wissenschaftspolitisch schwach, und die Angehörigen kompakter Fächer sind selten in der Lage, sich eine andere Welt vorzustellen als ihre eigene.
Aufklärung
Auch wenn in den Naturwissenschaften das plagiieren wohl seltener vorkommt, wünsche ich mir vor allem während des Studiums mehr Aufklärung zu diesem Thema. Momentan sind alle diese formalen Aspekte aus dem Studium ausgeklammert und man kann sich “glücklich” schätzen, wenn man auf einer Sonderveranstaltung vollkommen unnütze und pauschale Empfehlungen wie “Ihr sollt nicht betrügen” hingeworfen bekommt. Ich wünsche mir (zentrale) Veranstaltungen auf denen
– näher und zu Details der guten wissenschaftlichen Praxis eingegangen wird,
– das Zitieren und Finden von Literatur erklärt wird,
– die wissenschaftliche Form von Veröffentlichungen und Vorträgen besprochen wird…
Mitschuld von Promotionsausschüssen
Lieber Herr Stefanowitsch,
Sie schreiben: “Bei der Vielzahl an plagiierten Dissertationen, die derzeit kollaborativ enttarnt werden, muss auch die Frage diskutiert werden, ob man die Gutachter und Promotionsausschüsse von vorneherein von jeder Mitschuld freisprechen darf.”
Ich weiß ja nicht, wie das an der Uni Hamburg (oder in Heidelberg oder sonstwo) ist, aber an der Bremer Uni hätte der Promotionsausschuss (der geisteswissenschaftliche jedenfalls) Koch-Mehrins Plagiate höchstwahrscheinlich nicht bemerkt, wenn die Arbeit dort eingereicht worden wäre. Dort ist der Promotionsausschuss nur mit dem formalen Ablauf des Verfahrens befasst. Für die inhaltliche Prüfung jeder Dissertation gibt es ja die jeweilige (individuell zusammengesetzte) Prüfungskommission, zu der auch die Gutachter gehören.
Die Mitglieder des Promotionsausschusses nehmen die Dissertation nur in seltenen Fällen zur Hand. Das wird bei der Überprüfung der gegenwärtigen Plagiatsfälle anders sein. Aber im Regelfall beschränkt sich der Promotionsausschuss darauf, einen (ansonsten möglichst unbeteiligten) Berichterstatter aus der Fakultät (Fachbereich) anzuhören, aus der die Dissertation stammt.
Der Berichterstatter schreibt 1-2 Seiten über die Dissertation (kein Gutachten!), aber so genau, dass ihm Plagiate auffielen? Das wäre Zufall. Diesem Berichterstatter (und damit dem Promotionsausschuss) dürfte es aber auffallen, wenn in einer Dissertation das Literaturverzeichnis (ebenso wie Verzeichnisse für Quellen, Abkürzungen, Siglen, Abbildungen oder Tabellen) fehlt, wie im Fall Uwe Brinkmann an der Universität Hamburg geschehen.[1]
Wie ist das mit dem Promotionsausschuss an der Uni Hamburg? Über die Mitschuld von Promotionsausschüssen o.ä. lässt sich nur schwer abstrakt reden. Dafür gibt es m.E. in der Praxis zu viele verschiedene Formen, verschiedene Abstufungen des Einflusses, den solche Ausschüsse überhaupt nehmen. Und Promotionsausschuss ist nicht gleich Promotionsausschuss.
@Erbloggtes:
Zum Hamburger Promotionsausschuss kann ich nichts sagen, da ich noch nicht lang genug an der Uni Hamburg bin, um die Abläufe dort zu kennen. In meiner Bremer Zeit habe ich aber für den dortigen Promotionsausschuss mehrfach als Berichterstatter die von Ihnen erwähnten ein- bis zweiseitigen Berichte erstellt und vorgetragen. Sie haben Recht, dass diese Berichte nicht geeignet sind, Plagiate aufzudecken, da der Berichterstatter die Dissertation nicht notwendigerweise in die Hand bekommt: Der Bericht bezieht sich auf das Promotionsvorhaben (typischerweise in Exposeeform, bei externen Doktorand/innen manchmal auch einen fertigen Gesamtentwurf der Dissertation) und auf die inhaltliche und formelle Qualifikation der potenziellen Doktorand/innen. Der Bericht schließt mit einer Empfehlung, ein Promotionsverfahren einzuleiten oder eben nicht. Als Berichterstatter habe ich aber Exposee und Lebensläufe sorgfältig geprüft und die Themenstellung auf ihre Originalität abgeklopft, und andere Kolleg/innen haben das ebenso gehalten. Dabei kam es im Ausschuss teilweise zu hitzigen Diskussionen um die Frage, ob ein bestimmtes Thema überhaupt noch Raum für eigenständige Forschungsarbeit biete, und das ist an sich schon der erste Schritt zur Plagiatsvermeidung: Ist ein Thema ausreichend originell, wird es schwerer, Werke zu finden, aus denen man abschreiben kann. Der Promotionsausschuss ist außerdem angehalten, später die Gutachten genau zu prüfen und gegebenenfalls nachzuhaken. Insofern ist den Promotionsausschüssen sicher nicht vorzuwerfen, dass man die Plagiate dort nicht erkannt hat und ich habe mich in der zitierten Passage falsch ausgedrückt. Worum es mir ging ist eher, wie die Arbeitsweise von Promotionsausschüssen in Zukunft verändert werden muss. Zum Beispiel wäre darüber nachzudenken, ob nicht dort eine automatisierte routinemäßige Plagiatsprüfung stattfinden könnte: das würde es Promovend/innen und Betreuer/innen ermöglichen, sich auf einer Vertrauensbasis auf die inhaltliche Arbeit zu konzentrieren.
@ Ludwig Treppl
Ja, ich meine Doktoranden. In einem anderen Land, z. B. Indonesien, heißen Doktoranden “mahasiswa S3” (lit. mahasiswa = Student, S3 = Strata Tiga = Doktor/Promotion), während “mahasiswa S2” Masterstudent entspricht und “mahasiswa S1” Bachelorstudent entspricht. Also es war nicht als Amerikanismus gemeint von mir 😉
@ A.S. Intensivere Betreuung
Der Betreuer ist kein Polizist, der ständig jeden Paragraph kontrollieren muss, ob er abgeschrieben ist oder nicht. Von einem Betreuer wird erwartet, dass er während des Arbeitsprozesses mit dem Doktoranden diskutieren würde und die ganze Arbeit – zumindest vor der Prüfung – durchgelesen hat. Aber auch dann kann man den Betreuer nicht vorwerfen, dass er (der Betreuer) nicht ordentlich geprüft hat. Wenn der Doktorand in erster Stelle schon geschummelt hat, kann er doch nicht die Schuld jemandem anderen geben. “Die Rolle eines Motivationscoachs und Ansprechpartners für konkrete Probleme” finde ich gut. Ein Doktorand ist ja kein Kind, das man bevormunden muss, sondern ein verantwortungsbewusster Erwachsene, der eine wissenschaftliche Arbeit schreibt, weil ihn das Thema in erster Stelle interessiert, auch wenn er noch nicht weist, was er danach damit machen soll oder kann oder will.
Aber irgendwie hat Koch-Mehrin doch geschafft, uns allen zum Nachdenken zu bringen 😉
Promotionsausschuß
Das kann ich aus der Mathematik/Physik/Chemie bestätigen: Der Promotionsausschuß ist nur mit dem formalen Ablauf des Verfahrens befaßt, seine einzige Möglichkeit in das Verfahren einzugreifen ist bei der Auswahl der Gutachter, wo er zwar meist, aber nicht immer den Vorschlägen des Betreuers bzw. Doktoranden folgt, gelegentlich aber (wenn es irgendwelche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Gutachten gibt) auch schon mal noch einen zusätzlichen Gutachter benennt. (In Tübingen gab es mal einen Fall einer Dissertation zur Relativitätstheorie, die von zwei fachfremden Gutachtern mit ‘Ausgezeichnet’ bewertet worden war, worauf der Promotionsausschuß noch einen sehr renommierten Drittgutachter bestimmte, der die Ablehnung der Arbeit empfahl, was dann auch erfolgte.)
Langer Rede kurzer Sinn: die Promotionsausschüsse können und sollen nicht als Gutacher tätig sein. Sie sollen lediglich darauf achten, daß die Gutachter erstens kompetent und zweitens in ihrer Entscheidung unabhängig sind.
Zum Kommentar von A. S.
Sie wenden sich gegen die Abschaffung externer Dissertationen. Da bin ich sehr mit Ihnen einverstanden, vor allem aus den von Ihnen genannten Gründen. Die Gefahr ist groß; die Einführung von „Graduiertenschulen“ läuft darauf hinaus.
Etwas ganz anderes dagegen erscheint mit die Abschaffung von Dissertationen, die nur dem Zweck des Titelerwerbs dienen, wie meist in der Medizin, und die mit einer normalen Dissertation, die im allgemeinen um die vier Jahre harter Arbeit erfordert, gar nicht vergleichbar sind. Ich weiß allerdings nicht, ob das in dieser extremen Ausprägung außerhalb der Medizin überhaupt eine Rolle spielt.
Nicht einverstanden bin ich mit Ihrer Auffassung, daß die Betreuungsintensität Grenzen haben soll, und zwar weil sie auch ein Befähigungsnachweis sein soll. Zum einen halte ich das (d. h. den Prüfungscharakter der Dissertation) für sekundär und man muß aufpassen, daß sich das nicht zu sehr in den Vordergrund drängt. Zum anderen steht hohe Betreuungsintensität keineswegs gegen die Möglichkeit, die Qualifikation des Doktoranden nachzuweisen, im Gegenteil. Extrem hoch ist die Intensität der „Betreuung“ (man muß das hier in Anführungszeichen schreiben) bei Dissertationen, die im Zuge der Arbeit von Forschungsgruppen geschrieben werden, wie es ja vor allem in Naturwissenschaften die Regel ist. Hier kann man oft/meist nicht nur nicht sagen, wer da eigentlich „betreut“ (ein Professor, andere Wissenschaftler der Arbeitsgruppe, d. h. meist Mit-Doktoranden, Angehörige anderer Institute, mit denen man für ein paar Monate kooperiert …), sondern man kann auch kaum sagen, welchem der Mitarbeitenden nun welcher Teil des Ergebnisses als persönliche Leistung zugeschrieben werden soll. Aber gerade durch den kooperativen und kollektiven Charakter des Arbeitens ist es hier besonders gut möglich, die wissenschaftlichen Fähigkeiten der Doktoranden einzuschätzen.
externe dissertationen
Man sollte hier erstmal klären, wovon man eigentlich redet. Mir scheint, daß es in manchen Kommentaren grundsätzlich gegen Dissertationen geht, die von Doktoranden angefertigt werden, deren berufliche Zukunft nicht in der Forschung liegt. Diese Meinung halte ich, wie oben gesagt, für kontraproduktiv, zumal es sich ja oft auch erst im Laufe der Promotion zeigt, ob jemand weiter in der Wissenschaft arbeiten will.
Etwas anderes sind externe Promotionen von Leuten, die bereits einen Beruf ausüben und nebenbei eine Doktorarbeit schreiben. Dort gibt es sicherlich häufiger Fälle von zweifelhaften Doktorarbeiten. Trotzdem wäre ein grundsätzliches Verbot solcher externer Promotionen sicher auch keine gute Lösung. Auch zahlenmässig dürften diese externen Promotionen nicht wirklich ins Gewicht fallen, jedenfalls nicht in den naturwissenschaftlichen Fächern.
Promotionsausschüsse
Es ist ein interessanter Vorschlag, eine automatisierte routinemäßige Plagiatsprüfung auf die Promotionsausschüsse zu verlagern. Historisch sind Promotionsausschüsse ja immer dann in der Pflicht, wenn man den einzelnen Professoren nicht trauen oder nicht zumuten kann, eine bestimmte Prüfungsaufgabe zu übernehmen. Im Sinne des Doktorvater-Doktorand-Vertrauensverhältnisses wäre es sicher wünschenswert, wenn der Promotionsausschss in etwa als die “böse” externe Institution fungiert, in der der Doktorvater auch kein Auge zudrücken kann.
Tatsächlich könnte es eine Lösung sein, wenn jeder Promotionsausschuss einen Experten einstellt, einen “Plagiatsjäger”, der weniger wegen seiner thematischen Kompetenz und mehr wegen seiner technischen Kompetenz recht zuverlässig Hinweise auf Plagiate finden kann. Ob es sich dann tatsächlich um Plagiate handelt, das können Promotionsausschuss und Gutachter ja nochmal prüfen. Quasi als privates VroniPlag für jede Uni. Notwendig wäre dafür natürlich die digitale Abgabe jeder Doktorarbeit.
Im Bremer Promotionsausschuss gab es übrigens noch einen dritten Prüfungsschritt neben der “Annahme als Doktorand” und der Prüfung der Gutachten zur “Zulassung zum Promotionskolloquium”. Dass Sie das nicht wissen (dafür vielleicht auch nie herangezogen wurden) zeigt, wie spezifisch und in der Öffentlichkeit unbekannt solche Verfahrensschritte sind. Da müsste man eigentlich mal was unternehmen, damit die Öffentlichkeit überhaupt versteht, was ein Promotionsausschuss tut.
Beim von Ihnen nicht genannten Prüfungsschritt bekommt der Berichterstatter des Promotionsausschusses tatsächlich die Dissertation in die Hand und soll zur Frage Stellung nehmen, ob die “Annahme der Dissertation” empfohlen werden kann. Dabei müssten fehlende Literaturverzeichnisse und ähnliches auffallen, nicht aber kleinere Plagiate. Denn dass der Berichterstatter bei diesem Schritt die Dissertation genau und vollständig liest, ist m.E. nicht zu erwarten.
Promotionsausschuß
Hmm, in meinem Fach gibt es solche Berichterstatter nicht, jedenfalls habe ich das auch von anderen Unis nie gehört. Mir ist auch nicht recht klar, was ein solcher Berichterstatter schreiben kann, was nicht schon in den Gutachten steht.
Die Plagiatserkennung den Promotionsausschüssen aufzuhalsen scheint mir doch etwas aufwändig. Wenn man an manchen Fakultäten mit Texten aus Zeitungsartikeln (Guttenberg) oder Standard-Handbüchern (Koch-Mehrin) promovieren kann, dann ist das Problem doch in erster Linie, daß dort Doktortitel schon für Zeitungsmeinungen und Standard-Definitionen vergeben werden, und erst in zweiter Linie, daß es sich in den genannten Fällen um Plagiate handelte. (Man kann wohl davon ausgehen, daß es den begutachtenden Professoren, die ja sicher mit dem Stand der Wissenschaft zum jeweiligen Thema vertraut sein werden, auch ohne Plagiats-Software aufgefallen wäre, wenn die Promovenden aus Fachzeitschriften abgeschrieben hätten.)
Copy&Paste-Plagiate sind potentiell wahrscheinlich bei Bachelor-Arbeiten ein viel größeres Problem als bei Promotionen. Aber dagegen hilft schon, wenn der Student einfach mal im Seminar über das Thema der Bachelor-Arbeit vortragen und auf Fragen antworten muß – da würde man es mit Sicherheit bemerken, wenn die Arbeit nur mit Copy & Paste erstellt wurde.
Ich nehme meine Behauptung zurück
Eine der häufigsten Forderungen in der Diskussion um Plagiate ist, Doktorarbeiten, die nicht dem Einstieg in eine Wissenschaftlerlaufbahn dienen, abzuschaffen. Ich habe ähnliches in einem meiner vorigen Kommentare auch geschrieben. Das nehme ich zurück, es ist grundfalsch.
Richtig wäre, Doktorarbeiten abzuschaffen, die nur dazu dienen, einen Titel zu erwerben, um sich damit außerhalb der Wissenschaften zu schmücken; ob das eine realistische Forderung ist, ist eine andere Frage.
Doktorarbeiten sollten anspruchsvolle wissenschaftliche Arbeiten sein, das ist alles, was man fordern kann. Sie haben zwei Funktionen:
(1) Es werden wissenschaftliche Ergebnisse produziert. Der größte Teil aller Forschungsarbeiten sind Doktorarbeiten und Aufsätze, die anschließend aus der Dissertation gemacht werden. (Das Lebenswerk eines Professors besteht normalerweise weniger in dem, was er selbst geschrieben hat, als in dem was seine Doktoranden geschrieben haben.)
(2) Die Doktorarbeit dient der Qualifizierung des Doktoranden. (Daß sie auch deren Nachweis dient, ist sekundär.) Wer eine solche Arbeit geschrieben hat, ist in aller Regel weitaus höher qualifiziert als ein Absolvent ohne Doktorarbeit, auch als jemand, der die gleiche Zeit mit einem Zweit- oder Aufbaustudium verbringt. Wissenschaftliche Qualifikation ist aber keineswegs nur von Nutzen, wenn man Wissenschaft als Beruf betreibt, sondern auch in zahllosen anderen Tätigkeitsfeldern (Lehrer, irgendwelche Behörden …), abgesehen davon, daß eine wissenschaftliche Betätigung in manchen Fächern im klassischen Sinne bildend ist, also „fürs Leben“ etwas bringt.
Titel sind zeitlos, was kurios ist
In meinem ersten Kommentar habe ich auch in die Kerbe gehauen, die da lautet, dass doch bitteschön ein Doktortitel ein Baustein einer Wissenschaftlerkarriere zu sein hat und nicht einfach ein Angebertitel. Es wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Dissertation doch auch dann einen Wert für die eigene Persönlichkeit hat, wenn man seinen Weg außerhalb des akademischen Zirkus geht und außerdem wurde gesagt, dass man das ja vorher gar nicht wissen kann. Beides ist natürlich absolut richtig, dem will und kann ich gar nicht widersprechen.
Ein Doktortitel hat aber die kuriose Eigenschaft, dass er nicht verfallen kann, selbst wenn man sich nie wieder mit wissenschaftlichen Dingen befasst. Ich finde das ist nicht mehr zeitgemäß. Heutzutage kann sich niemand mehr im Berufsleben auf Qualifikationen berufen, die er irgendwann offiziell mit Brief und Siegel erworben hat. Man muss sich ständig neu erfinden und das Tun bestimmt das Sein.
Laut meinem Abiturzeugnis kann ich ganz gut Französisch. Tatsache ist, dass ich seit Jahrzehnten diese Sprache nicht mehr aktiv gepflegt habe. Das ist überhaupt nicht schlimm, weil ich ja mein Zeugnis nicht auf dem T-Shirt gedruckt vor mir hertrage. Der Doktortitel bleibt aber an den Leuten kleben, egal, was das Leben aus ihnen macht. Das ist schon ein Anachronismus.
Übrigens: Die Mediziner kann man zwar mit ihrem Scheindoktor belächeln, aber immerhin sind sie gezwungen, sich ständig weiterzubilden, um ihre Approbation nicht zu verlieren. Vielleicht sollte man dieses System auch auf den Doktortitel selbst anwenden.
Kontrollwut
In all den Diskussionen um Plagiate – und leider auch hier in den Kommentaren – ist die vorherrschende Meinung: Wir brauchen bessere Kontrollen.
Ja warum denn bloß? Auch wenn es selbstverständlich viel mehr Plagiatoren gibt als bisher aufgeflogen sind: Es war, ist und bleibt ein Randproblem, siehe den obigen Beitrag von Dierk (Prüfer sind auch nur Fachidioten). Was ist der Schaden, wenn ein paar Betrüger durchrutschen, verglichen mit einem Zustand allgegenwärtigen Mißtrauens und einem vervielfachten Heer von Kontrolleuren? Denn darauf läuft es hinaus.
Wir gehen mit entsprechenden Dingen doch sonst auch ganz locker um. Macht man Angaben bei Behörden, man muß unterschreiben, daß man sie nach bestem Wissen gemacht hat, wie bisher bei Doktorarbeiten auch, und das ist alles. In den seltensten Fällen werden die Angaben nachgeprüft. Es reicht zu wissen, daß man dann, wenn man zufällig auffliegt, sehr schlecht dran ist. Natürlich entgehen da etliche der Entdeckung, die bei flächendeckender Kontrolle erwischt würden, aber was soll’s? Der Aufwand und die üblen Nebenwirkungen stehen in gar keinem Verhältnis zum Ertrag.
Dierk Prüfer sind auch nur Fachidioten 17.06.2011 | 15:08
Was ich noch vergaß, Ihnen zu …
Wenn ich ganz ehrlich bin, interessieren mich die gefälschten Arbeiten jener, die außerhalb von Universitäten und Forschungsinstituten Karriere machen, recht wenig. Wie wir gelernt haben, hat der Doktortitel bei vielen Menschen nur dann eine Bedeutung, wenn die eigenen Leute ihn vorweisen – unabhängig davon, wie er erreicht wurde. Die Diskussionen über Guttenberg liefen immer darauf hinaus, dass der Doktor entweder überflüssig ist oder ohnehin gekauft.
Wir Akademiker wiederum erwarten vom Titel des Gegenüber eher wenig, wir hören zu und machen uns ein Bild über seine Aussagen; Autorität enthält kein Grad und keine Besoldungsstelle mehr. Sollen doch die gekauften, gefälschten und abgeschriebenen Politiker damit Eindruck schinden. Dafür haben internationale Universitäten, u.a. in Großbritannien und den USA, einen fröhlichen Handel mit Ehrendoktorwürden eingeführt.
Schlimm fände ich es, wenn ausgerechnet die echten Wissenschaftler sich ihre Arbeiten zusammenklauen und damit im Kerngebiet akademischer Grade Karriere machen, wie es möglicherweise mit dieser Berliner Honorarprofessorin passiert ist.
@ Dierk
“Schlimm fände ich es, wenn ausgerechnet die echten Wissenschaftler sich ihre Arbeiten zusammenklauen und damit im Kerngebiet akademischer Grade Karriere machen”.
Ja, das wäre schlimm. Aber ich glaube einerseits nicht, daß das in nennenswertem Umfang geschieht. Aber andererseits gibt es seit ein paar Jahren ein massenweises Phänomen, das nicht harmloser ist und dem selben Zweck dient: die Schauspielkurse (unter Titeln wie Rhetorik, Präsentationstechniken u. ä.), die fast alle angehenden Wissenschaftler heute machen und die man auch von ihnen verlangt.
An sich ist das ja etwas Ehrenwertes, aber es ist dazu verkommen, daß Leute lernen, Substanz vorzugaukeln, wo keine vorhanden ist, also zu guttenbergisieren. Das Schlimme ist – ich war in genügend Berufungskommissionen, kann es beurteilen – daß diese Fähigkeit immer mehr honoriert wird, daß man eher wegen ihres Fehlens “ungeeignet” attestiert bekommt als wegen des Fehlens wissenschaftlicher Fähigkeiten.
Hier wird systematisch das Betrügen gefördert; das strafrechtlich relevante Betrügen in Doktorarbeiten ist dagegen vernachlässigbar.
@Ute:
“Mich erstaunt im Fall Koch-Mehrin daher am meisten, daß sie ihre Arbeit nach anfänglicher Kritik offenbar auch unter formalen Aspekten nochmals überarbeiten durfte. (Und dennoch weiter Murks gebaut hat.) Ist das üblich?”
Ja. Ich kenne das zwar nur von Seminararbeiten etc. aber da bekommt man die Arbeit bei groben Fehlern einmal aus Kulanz zurück und darf ausbessern. Das finde ich auch OK so.
Promotion
Wahrscheinlich wäre es hilfreich, den Dr.-Titel nicht mehr als Namensbestandteil zu führen und ihn auf seine Bedeutung als wissemschaftliche Qualifikation zu reduzieren. Vielleicht könnte damit erreicht werden, dass der Titel tatsächlich Aukunft über eine Qualifikation und nicht Ausdruck der Eitelkeit seiner Trägerin oder ßeines Trägers ist.
bla @Ute: 19.06.2011 | 17:25
Ute fragt, ob es üblich sei, daß man Doktorarbeiten auch unter formalen Aspekten nochmals überarbeiten darf. bla anwortet:
bei Seminararbeiten etc. bekommt man die Arbeit bei groben Fehlern einmal aus Kulanz zurück und darf ausbessern.
Formale Fehler wie z. B. Rechtschreibfehler und auch inhaltliche darf, ja muß man verbessern, auch wenn das Prüfungsverfahren schon abgeschlossen ist, wenn die Prüfer das wollen.
Etwas anderes ist die Abgabe vor der offiziellen Abgabe; da kann die Arbeit beliebig oft mit Verbesserungsvorschlägen egal welcher Art zurückgegeben werden, und das ist auch üblich; besonders wenn die Arbeit im Rahmen einer Forschungsgruppe entsteht, sind mehrere Zwischenabgaben eher die Regel als die Ausnahme.
Üblich ist es auch, den Doktoranden von der Endabgabe einer Arbeit, mit der er durchfallen würde, abzuhalten, die Arbeit also erst dann anzunehmen, wenn sie so weit überarbeitet ist, daß die Gefahr des Durchfallens nicht mehr besteht. Ich persönlich hielte es auch für eine Gemeinheit, dies nicht so zu machen. Der einzige Weg, den Doktortitel nicht zu bekommen, besteht (sollte bestehen) darin, daß der Doktorand vor der Abgabe aufgibt.
Nochmal: Intensivere Betreuung
Wie sieht es denn in den Vereinigten Staaten aus? Gibt es dort auch Plagiatsfälle? Ich weiß es leider nicht. Aber ich kenne mindestens zwei Doktoranden, die in Amerika promoviert haben. Von dem, was sie mir erzählten, hatte ich den Eindruck, dass man dort eine ganz andere Betreuung hat als in Deutschland, also viel verschulter. Der “Supervisor” hat mehr die Rolle eines Lehrers und Kontrolleurs als “Motivationscoachs und Ansprechpartners für konkrete Probleme”. Der “Supervisor” steht z. B. als zweiter Author, wenn die Doktoranden in Konferenzen vortragen. Der “Supervisor” sagt den Doktoranden ganz genau, welche Bücher sie lesen sollten und wie die Experimente (wieviele Probanden und und und) durchgeführt werden sollten und und und. Damals war ich neidisch, weil ich mich – besonders in der Anfangsphase der Dissertation – eher wie ein “verlorenes Kind” gefühlt habe. Aber irgendwann habe ich meinen eigenen Weg selbst gefunden und konnte ziemlich zufrieden mit mir sein, weil es dann meine eigene Arbeit war.
Aber ich weiß nicht… Ob man mit so einem Betreuungssystem wie in den Vereinigten Staaten Plagiatsfälle verhindern kann?
“Das Ende des Dissertationszeitalters.”
Ja, vielleicht haben wir das wirklich bald. Die Wissenschaft ist ja auch schneller geworden. Ich als Jungspund habe es nie anders gekannt, als dass man bei Konferenzen den Proceedings-Band schon am ersten Tag gleich im Goodie Bag serviert bekommt, und dass der nicht Jahre später irgendwo auftaucht.
So gesehen ist eine Dissertation ein gefährliches Manöver, denn in vielen Feldern dreht sich die Welt schneller und schneller und es könnte der Inhalt schon lange veraltet oder zwischendurch von jemand erfunden worden sein, bis man die hunderte Seiten abgeliefert hat.
Bei einem kumulativen Verfahren können die einzelnen Teile direkt auf eine Zielgruppe (bestimmte Konferenz, bestimmtes Journal) zugeschnitten sein, was vermutlich zu einer besseren Fokussierung führt. Gleichzeitig liest das dann auch wirklich jemand, denn mal ehrlich… war hat noch Zeit und Lust, eine ganze Diss zu lesen, die womöglich über einige hundert Seiten erst mal das zusammenschraubt, was am Ende raus kommt?
Außerdem wären im Idealfall die einzelnen Beiträge zur kumulativen Diss immer von Reviewern begutachtet, was – zurück zum Thema – der Bescheisserei beim promovieren durchaus entgegen wirken sollte.
Es gibt immer das schwächste Glied
Auf die Stellungnahme will ich gar nicht erst eingehen, dazu wurde schon mehr als genug gesagt. Aber zu Ihren Fragen: ich denke, dass man recht leicht erkennen kann, ob in einer Arbeit massiv plagiiert wurde. Zwar musste ich mich nie mit fremden Doktorarbeiten auseinandersetzen, aber auf Webseiten fällt es mir regelmäßig auf, dass ich nicht die Erstquelle lese. Will man abweichenden Schreibstil, seltsame Schlussfolgerungen, fehlende Voraussetzungen und ähnliches verstecken, muss man viel Arbeit investieren – womöglich mehr, als wenn man die entsprechenden Passagen selbst geschrieben hätte. Das tut natürlich kaum jemand, und ich bin mir recht sicher, dass die meisten Dozenten eine plagiierte Arbeit sofort erkennen und ablehnen. Schwer zu erkennen sind lediglich Arbeiten, die nur wenig Plagiate enthalten – aber ich habe einen Verdacht, dass solche eher selten sind und normalerweise auf unsauberes Arbeiten zurückzuführen sind (man gewinnt ja nicht viel dabei).
Das größere Problem ist aber, dass es nicht alle Dozenten so handhaben. Als Student weiß man immer, wie man am einfachsten zum Ziel kommt. Es spricht sich herum, welche Professoren nicht so genau prüfen und sich mit sehr wenig zufrieden geben. Und es gibt stets einen Weg des geringsten Widerstandes, wo man nur sehr wenig Zeit und Kraft investieren muss. Einige Studenten nehmen dann gezielt diesen Weg – und bekommen danach denselben Abschluss wie andere, die sich wirklich Mühe gegeben haben. Die Leute, die Plagiate als Dissertation abliefern, wissen vermutlich genau, zu wem sie damit gehen müssen, damit es nicht auffällt. Insofern wäre es vielleicht doch sinnvoll, wenn die Unis genau nachschauen, wer da offensichtliche Plagiate durchgelassen hat und ob das nicht doch systematisch geschehen ist.
Ich schlage vor, Dissertationen probehalber auf einen Umfang von 20 Normseiten zu begrenzen. Was dann drinsteht, sollte allerdings schon besser sein als die Fleißarbeiten, für die heutzutage ein Großteil der Doktorgrade verliehen wird.
@Mueller
Nicht das eigentliche Schreiben der Dissertation bereitet Mühe, sondern das Zusammentragen von Forschungsergebnissen, die in diese Dissertation einfließen. Und dafür braucht man in der Regel etwa drei Jahre, Publikationen und Vorträge eingeschlossen. Diese drei Jahre lassen sich nie und nimmer auf zwanzig Seiten zusammenfassen. Nicht einmal die Ergebnisse einer Informatik-Diplomarbeit lassen sich auf zwanzig Seiten dokumentieren, wenn man den Weg dorthin ordnungsgemäß erklärt (wie es sich für eine wissenschaftliche Arbeit eigentlich gehört). Ich habe relativ einfache Publikationen, die sich bereits über 6-8 Seiten erstrecken, obwohl man dort kaum etwas kürzen kann – trotz einem kompakteren Format als für Diplom- und Doktorarbeiten üblich. Und in Informatik kann man ja eigentlich sehr kompakt schreiben. Ich sage mal einfach: wenn jemand wirklich originelle Forschungsergebnisse zu präsentieren hat (das ist die Mindestanforderung für eine Dissertation), dann sind 50 Seiten (mindestens) sehr schnell und mühelos geschrieben – nur für die Dokumentation der Ergebnisse. Dazu kommen noch weitere Teile einer Dissertation, die ebenfalls notwendig sind, damit die Arbeit tatsächlich wissenschaftlich relevant ist.
Das ist schon allgemein üblich, soweit ich weiß. In Wien ist es seit ein paar Jahren verpflichtend, und zwar auch für alle Diplomarbeiten und Masterarbeiten und, wette ich, auch für alle Bachelorarbeiten.
Meine Dissertation, in Cotutelle in Wien und Paris 6 verfasst, besteht aus meinen Veröffentlichungen und zwei damals noch unveröffentlichten Kapiteln sowie einer allgemeinen Einleitung und einer Einleitung zu jedem Kapitel. Auf jedem Kapitel ist mein Pariser Betreuer als Zweitautor vermerkt, und in der Einleitung zu jedem Kapitel habe ich erklärt, wer was gemacht hat (ich immer den größten Teil der Arbeit, was rechtfertigt, das ich jedes Mal Erstautor war). Weder von Wiener noch von Pariser Seite ist diese Praxis je auch nur erwähnt worden.
Ich habe mich getraut, das zu tun, weil man in Österreich Dissertationen gemeinsam verfassen darf, sofern klar ist, wer was gemacht hat.
WTF. Amerikanische Zustände.
*headdesk*
Ein Land, das seine Universitäten nicht ausreichend finanziert, ist selbst schuld, wenn die Universitäten anfangen, ihre Tätigkeit als Dienstleistung zu verkaufen.
Genau. 36 Manuskriptseiten (große Schrift, mehr als einfacher Zeilenabstand etc.) ergeben einen einzigen langen Zeitschriftenartikel; für eine Dissertation reicht das bei Weitem nicht.