Mein App Store, dein App Store
BLOG: Sprachlog
Ich hatte vor ein paar Wochen einen Beitrag zum laufenden Rechtsstreit zwischen Apple und Microsoft um das Wort App Store geschrieben, ihn aber dann nicht veröffentlicht, weil er mir zu lang und langweilig, und dann auch nicht mehr aktuell genug erschien. Jetzt liegt in dem gleich gelagerten Rechtsstreit zwischen Apple und Amazon eine erste Reaktion von Amazon vor, die ich mir in den nächsten Tagen genauer ansehen will, und deshalb habe ich mich entschlossen, den alten Beitrag zu Apple gegen Microsoft doch noch zu veröffentlichen. Wenn eine Nation Zeit findet, sich einen ganzen Tag lang die Eheschließung eines möglichen zukünftigen Feudalherren einer kleinen Insel vor der Küste Europas im Fernsehen anzusehen, gibt es offensichtlich für alles ein Publikum, warum also nicht auch für einen aus dem Vorruhestand geretteten Blogbeitrag. Und außerdem sind die Wochenendausgaben der großen Tageszeitungen auch alle zu lang und zu langweilig. Und ich habe diesen Monat sehr sparsam publiziert und dies ist die letzte Gelegenheit, daran etwas zu ändern.
In dem Rechtsstreit geht es um die Frage, ob der Ausdruck App Store ein allgemein gebräuchliches Wort für jede Art von Verkaufsplattform für Software ist (eine sogenannte „generische“ Bezeichnung), oder ob es ein Eigenname ist, der sich ausschließlich auf Apples App Store bezieht. Apple ist natürlich der Meinung, dass letzteres der Fall ist, für Microsoft, Amazon und andere dagegen ist klar, dass ersteres zutrifft und sie deshalb das Recht haben, ihre eigenen Plattformen ebenfalls als App Stores zu bezeichnen.
Der Rechtsstreit zwischen Apple und Microsoft wurde am 10. Januar 2011 aus sprachwissenschaftlicher Sicht interessant, denn an diesem Tag legte Microsofts Anwalt Nathaniel Durrance eine Argumentation für die Generizität des Wortes App Store vor, die sich hauptsächlich auf Beobachtungen bezüglich des Sprachgebrauchs stützt: Er diskutiret erstens die 1071 Treffer für den Ausdruck app store (klein geschrieben — das wird später noch wichtig), die die Datenbank USNEWS für das Jahr 2010 liefert, und zweitens die Einträge für die Wörter app, application und store aus dem Oxford English Dictionary und anderen anerkannten Wörterbüchern.
Die Wörterbucheinträge zeigen, dass app eine Abkürzung für application ist, dass application eine Bezeichnung für Softwareprogramme und store eine Bezeichnung für Orte ist, an denen Waren verkauft werden. Damit ist klar, dass app store eine logische, aus den Bedeutungen seiner Einzelteile herleitbare generische Bezeichnung für Orte ist, an denen Softwareprogramme verkauft werden.
Die Treffer aus der Datenbank USNEWS sind deshalb relevant, weil, wie Durrance zeigt, 867 davon sich auf Verkaufsplattformen anderer Anbieter als Apple beziehen. Dies soll zeigen, dass der Begriff nicht nur logisch herleitbar ist, sondern tatsächlich bereits generisch verwendet wird.
Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist der Fall damit klar: Es besteht kein Zweifel daran, dass app store eine generische Bezeichnung für Softwareverkaufsplattformen (und theoretisch auch für Ladengeschäfte, die Software verkaufen) ist. Microsoft ist im Recht — ich hätte nicht gedacht, das ich das mal schreiben würde — und Apple im Unrecht (dass ich das mal schreiben würde, ist wiederum nicht weiter erstaunlich.).
Aber klare und unbestreitbare Fakten haben Apple noch nie daran gehindert, Eigentumsansprüche auf Offensichtlichkeiten anzumelden (man denke nur an das Designpatent für den Mac Mini). Und so heuerte Apple den Sprachwissenschaftler Robert Leonard an, um Durrances Beweise zu wiederlegen.
Leonard versucht dies auf zwei Wegen: Erstens will er zeigen, dass das Wort app store entgegen der von Microsoft vorgelegten Belege überwiegend verwendet wird, um speziell Apples Verkaufsplattform zu bezeichnen, und zweitens will er zeigen, dass man das Wort app store nicht in seinen Einzelteilen sondern im Ganzen betrachten muss und dass dann klar wird, dass es sich dabei nicht um eine aus allgemeinen Regeln herleitbare Bezeichnung handelt.
Um sein erstes Argument zu belegen, sucht er ebenfalls Treffer für app store in einer Nachrichtendatenbank (LexisNexis, mit USNEWS durchaus vergleichbar) und zusätzlich in einem repräsentativen Korpus des amerikanischen Englisch und im Internet.
Anders als Durrance schließt er aber die groß geschriebenen Variante App Store mit ein, denn er will zeigen, dass es sich um einen Eigennamen handelt, und nicht um eine generische Bezeichnung, und Eigennamen werden typischerweise groß geschrieben. Durrance, so schreibt er, habe durch die Suche nach app store in der klein geschriebenen Variante genau die Belege ausgeschlossen, die beweisen, dass es sich um einen Eigennamen für Apples Verkaufsplattform handelt. Leonard zeigt dann, dass sich bei Hinzunahme der großgeschriebenen Variante je nach untersuchtem Korpus zwischen 79 und 88 Prozent der Treffer auf Apples Verkaufsplattform beziehen. Er zeigt außerdem, dass die überwältigende Anzahl der Treffer aus der Zeit nach dem Start von Apples App Store stammt und sieht dies als Beleg dafür, dass der Ausdruck erst durch Apples Plattform überhaupt breite Verwendung gefunden hat.
Leonard argumentiert weiter, dass es keine Rolle spiele, ob die Bedeutung von app store sich theoretisch aus den Bestandteilen herleiten ließe. Entscheidend sei, dass der Ausdruck im Ganzen sich auf Apples Plattform beziehe, was er durch Wörterbucheinträge belegt (allerdings handelt es sich bei diesen Wörterbüchern nicht um anerkannte Werke, die nach wissenschaftlichen Prinzipien erstellt wurden, sondern um verschiedene technische Online-Glossare). Er führt außerdem das Beispiel der Firma „The Container Store“ an, die zeige, dass ein scheinbar herleitbarer Ausdruck wie container store sich nicht auf jeden Laden beziehe, der Behälter verkaufe, sondern auf einen ganz bestimmten Laden. Schließlich äußert er noch die Meinung, dass der Begriff app store sich ohnehin nicht herleiten lasse, da er sich nicht auf ein Ladengeschäft beziehe, sondern auf eine Internetplattform, der Wortteil store hier also metaphorisch gebraucht würde.
Was ist von Leonards Argumenten zu halten? Aus sprachwissenschaftlicher Sicht absolut gar nichts. Er kämpft von vorneherein auf verlorenem Posten.
Bei Microsoft hat man das erkannt und seinerseits den Sprachwissenschaftler Ronald Butters ins Feld geschickt, und dem fällt es dann auch nicht schwer, die Argumente des Apple-Anwalts zu zerpflücken.
Zunächst spielen die Einträge aus den Glossaren nach Butters Ansicht keine Rolle, und man kann ihm da nur zustimmen. Solche Glossare können nur dann als Beweis für irgendetwas dienen, wenn sie ihrerseits nach wissenschaftlichen Kriterien auf der Grundlage nachvollziehbarer Belege des Sprachgebrauchs erstellt wurden.
Interessanter sind natürlich die Korpusbelege. Butters stellt klar, dass es bei der Frage, ob app store als generischer Begriff verwendet wird, einzig und allein auf der Grundlage der klein geschriebenen Belege beantwortet werden kann. Die groß geschriebenen Belege können sich ja von Natur aus nicht auf generische Verwendungen, sondern nur auf Eigennamen beziehen, und da Apples App Store derzeit der einzige App Store ist, der sich so nennen darf, kann die Verwendung des groß geschriebenen App Store sich nur auf diesen beziehen.
Aber Microsoft bestreitet ja nicht, dass Apple seine Verkaufsplattform App Store nennt, sondern Microsoft bestreitet, dass der Ausdruck ausschließlich gebraucht wird, um Apples App Store zu bezeichnen. Und genau das zeigen die Belege, die Durrance ursprünglich vorgelegt hatte, und genau das zeigt auch die Tatsache, dass sich eben auch in den von Leonard vorgelegten Gebrauchsdaten zu einem beträchtlichen Teil (denn selbst 20 Prozent wären ja ein beträchtlicher Teil) eben nicht auf Apples Onlineplattform bezeiehen.
Selbst, wenn sich auch die klein geschriebenen Belege mehrheitlich auf Apples App Store beziehen würden (was sie nicht tun), wäre das nach Butters Ansicht kein Grund, an der Generizität des Ausdrucks zu zweifeln. Die Korpora, die Leonard verwendet, stammen aus einem Zeitraum, in dem Apple im Online-Verkauf von Software marktbeherrschend war, sodass es nicht weiter verwunderlich wäre, wenn in diesem Zeitraum mehr über Apples App Store geschrieben worden wäre, als über die der Konkurrenz.
Auch hier muss man Butters zustimmen: Gebrauchshäufigkeit ist grundsätzlich kein relevantes Maß für die Generizität eines Begriffs. Wenn ich in einem deutschen Korpus das Wort Zug suchen würde, wäre klar, dass sich die Mehrzahl der Treffer auf Züge der deutschen Bahn beziehen würde, so wie sich die Mehrzahl der Treffer für Brief auf Briefe beziehen würde, die die Deutsche Post transportiert hat und die Mehrzahl der Treffer für das Wort Suchmaschine auf Google. Mit den betreffenden Wörtern hätte das nichts zu tun, sondern mit den Realitäten der jeweiligen Märkte.
Es wäre hinzuzufügen, dass Apple selbst die Gebrauchshäufigkeit des Ausdrucks App Store verzerrt, in dem man gegen jeden Mitbewerber Klage einreicht, der es wagt, diesen Ausdruck zu verwenden.
Zu Leonards Beobachtung, dass der Ausdruck app store kaum in Gebrauch war, bevor Apple seine Verkaufsplattform gestartet hat, stellt Butters fest, dass dies für die Frage der Generizität nicht relevant sei. Der Ausdruck folgt dem Wortbildungsmuster [SUBSTANTIV + store], das allgemein verwendet wird, um Läden durch das zu Bezeichnnen, was dort verkauft wird — z.B. im Fall von hardware store, candy store, usw. Selbst, wenn Apple den Ausdruck app store als erster verwendet hätte, wäre es schon bei der ersten Verwendung ein generischer Ausdruck gewesen. Tatsächlich gibt es ja aber frühere Verwendungen — unter anderem hat die Firma Sage Networks das Wort APPSTORE 1998 und 2006 schützen lassen, den Markenschutz aber 2000 und 2008 wieder verfallen lassen.
Bleibt Leonards Behauptung, dass das Wort app store deshalb keine generische Bezeichnung sei, weil es sich nicht auf einen echten Laden sondern auf eine internetgestützte Verkaufssoftware bezieht und deshalb metaphorisch sei. Für mich ist unklar, inwieweit die Frage der Metaphorik für die Frage der Generizität überhaupt relevant ist, aber Butters lässt sich auf diese Problematik gar nicht erst ein sondern argumentiert überzeugend, dass es sich bei Ausdrücken wie app store nicht um einen bildhaften Gebrauch handelt, sondern dass das Wort store sich in seiner Bedeutung schlicht an neue Technologien angepasst hat. Wäre es eine Metapher, so Butters, so müsste man metasprachliche Signale finden, die darauf hinweisen — neue Metaphern würden beispielsweise häufig in Anführungszeichen gesetzt, was bei dem store in app store aber nie der Fall sei.
Wie der Fall ausgeht, bleibt abzuwarten, aber als Sprachwissenschaftler muss ich hier schon jetzt so entscheiden, wie ich mich als Computernutzer nie entscheiden würde: für Microsoft und gegen Apple.
Weiterführende Lektüre
- Gerichtsdokument des Rechststreits zwischen Apple und Microsoft
- Ben Zimmer in der New York Times: The Great Language Land Grab, 26. März 2011.
- Mark Liberman im Language Log: Lexicalize different?, 27. März 2011.
- Mark Liberman im Language Log: Dueling linguists, 30. März 2011.
© 2011, Anatol Stefanowitsch
aber müsste es in der Überschrift nicht “Mein App-Store, dein App-Store” heißen?
@matthias
Gute Frage. Apple schreibt App Store auch in Deutschland ohne Bindestrich.
Diese Abweichung von den orthografischen Konventionen des Deutschen könnte übrigens vor einem deutschen Gericht ein Argument dafür sein könnte, dass es sich um einen Eigennamen handelt. App Store wäre dann Apples Plattform, Appstore oder App-Store wäre eine generische Bezeichnung.
das Argument funktioniert aber nicht mehr lange. Nach meiner Beobachtung nimmt diese Schreibung von Komposita – ohne Bindestrich, aber auch nicht zusammengeschrieben – in letzter Zeit ziemlich stark zu.
Mit “Der größte mobile App Store der Welt” (Abb. in Kommentar 2) gibt Apple bereits zu, dass es sich um einen generischen Begriff handelt.
Aber Microsoft hat gut lachen: Deren Marke “Windows” will niemand freiwillig kopieren.
@at
Apples eigene Verwendung des Wortes App Store ist in der Tat an vielen Stellen klar generisch — darauf begründet sich auch Amazons Widerspruch, zu dem hier nächste Woche ein kleiner Beitrag kommt.
Scienceblogs
Du hast eine seltsame Auffassung von “langweilig”. Da war die Eheschließung für doch etwas gut.
Ist ScienceBlogs oder Scienceblogs in Deutschland dann auch generisch? Dann übernehmen wir die einfach 😉
store
Dass “‘store’ eine Bezeichnung für Orte ist, an denen Waren verkauft werden”, ist schon voellig ausreichend, um das Metapher-Argument zu entkraeften. Die Definition eines Ortes ist zwar geometrischer Natur, bezeichnet aber auch ganze Bereiche (“am Strand”, “im Laden”, “im Weltraum”), deren geometrische Beschreibung schon nicht mehr so einfach moeglich ist (“im Universum”).
Das Internet ist auch ein Ort, dessen geometrische Beschreibung ebenfalls nicht so einfach moeglich ist.(*) Aber heute wird, zumindest im Deutschen, “im Internet” im Sprachgebrauch verwendet; es ist zu einem Ort geworden.
Es wird ja auch gefragt, wo man das Buch her hat. “Aus dem Internet.” oder auch “Das habe ich im Internet bestellt.”, was nicht weit von “Das habe ich an der Theke des Buchladens bestellt” entfernt ist.
Ja, mehr Belege fuer diese These waeren wuenschenswert, mir faellt aber gerade nicht mehr dazu ein.
(*) Als einfaches Bild koennte man es vielleicht als global verteilte Agglomeration von untereinander verbundener Serverhardware und Benutzerschnittstellen auffassen.
In einer abstrakten, mathematisierteren Form vielleicht als Raum, dessen Koordinatensystem in IP- und Speicheradressen, sowie Entfernungen ueber Zugriffszeiten angegeben werden. Und dann liessen sich ueber die Mathematik sogar Orte definieren.
App Store in anderen Sprachen?
Ich kann Ihre Argumentation vollkommen nachvollziehen und stimme ihr auch zu – jedoch nur für den englischsprachigen Raum. Ich weiß nicht, wie es sich in anderen Sprachräumen verhält, doch zumindest im Deutschen wird das Wort “App Store” ja unübersetzt beibehalten (und ich gehe davon aus, dass es sich in den meisten anderen Sprachen ebenso verhält). Inwieweit kann hier noch von einem generischen Begriff die Rede sein? “Store” mag sich inzwischen auch im deutschen Sprachgebrauch eingebürgert haben, für “Online Stores” fällt mir zumindest an geläufigen Alternativen nur “Online Shop” ein, “Laden” oder “Geschäft” würde im E-Shopping niemand verwenden. Doch “App” kenne ich in der Verwendung im Deutschen tatsächlich erst seit dem ersten iPhone. Vor Kurzem habe ich eine Werbung gesehen, in der ein Programm damit beworben wurde, “im App Store” erhältlich zu sein – man kann davon ausgehen, dass damit der App Store des iPhones gemeint ist. Dies spricht meines Erachtens dafür, dass “App Store” außerhalb des englischen Sprachraums tatsächlich ein Eigenname ist.
@Matthias
Nach Apples eigener Verwendung ist es auch bei uns generisch. Der groesste macht keinen Sinn, wenn es nicht noch andere geben wuerde.
Gänsefüßchen, sozusagen wichtige…
“… (sogenannte „generische“ Bezeichnung) …”
Zeichenhaft kluge, eingeschränkt Zitation in seiner begrifflichen Bedeutung; sozusagen eine sogenannte, nicht real semantische Wirklichkeit.
Von w e m generiert, von A.S. oder der Gänsefüßchen-System von Duden & Co? ?
Ist es aus rechtlicher Sicht relevant, dass der app store(recht elegant,wie ich finde) sowohl application store als auch apple store bedeuten könnte?
App(le) Store
@krawumm: Nun ist “app” im Englischen aber eine geläufige Abkürzung für “application”, sodass ein Muttersprachler nicht auf die Idee kommen würde, das Wort als Kurzform für “Apple” zu betrachten. Wenn ich im Deutschen von IM Friedrich spreche, meine ich ja höchstwahrscheinlich auch einen inoffiziellen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der DDR und nicht unseren Innenminister – zumindest wäre das nicht meine erste Assoziation 😉
@krawumm
Tatsächlich hat John C. Dvorak dieses Argument auf PCmag.com vorgebracht:
http://www.pcmag.com/…cle2/0,2817,2381267,00.asp
Ob diese Argumentation Apple etwas nützen würde, wage ich aber zu bezweifeln, da das Wort app so gut etabliert ist, dass eine zwingende Assoziation zu Apple nicht gegeben ist.