Bislang kein Dialekt

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Obwohl ich als Sprachwissenschaftler natürlich Deskriptivist bin, den Sprachgebrauch also beschreibe und erkläre, ohne ihn in Kategorien wie „gut“ und „schlecht“ zu bewerten, versuche ich mich beim Verfassen meiner Texte im Großen und Ganzen an präskriptiven (vorschreibenden) Sprachnormen zu orientieren. Einfach, weil es viel Ärger und überflüssige Diskussionen mit der (verlegenden und lesenden) Kundschaft erspart.

Um mich präskriptiv auf Spur zu bringen, nutze ich unter anderem den Duden Korrektor, der seine Arbeit im Großen und Ganzen sehr ordentlich macht. Nur manchmal verhält er sich etwas merkwürdig, zum Beispiel, als er eine Zeit lang den geografischen Namen Bremen als Dialektwort markierte, weil dies auch die Pluralform der Breme, einem mundartlichen Ausdruck für die Stechfliege, sein könnte.

bislangAuch das Wort bislang wird als dialektal markiert. Ich habe das immer achselzuckend hingenommen und das Wort trotzdem verwendet, da für mich offensichtlich war, dass es sich dabei um tadelloses Standarddeutsch handelt. Als nun gestern jemand auf Twitter darüber nachdachte, welchen Dialekt der Korrektor hier meinen könnte, behauptete ich öffentlich, dass es sich bei dieser Kategorisierung um einen Fehler handeln müsse.

Wie immer, wenn ich etwas öffentlich behaupte, das ich eigentlich gar nicht weiß, wurde ich sofort danach unsicher und beschloss, der Sache lieber genauer nachzugehen.

Zunächst sah ich mir an, was die Standardwörterbücher zur Sache sagen. Weder im Bertelsmann-Wörterbuch noch im Duden selbst gibt es in den Einträgen für bislang Hinweise darauf, dass es sich um ein Dialektwort handeln könnte. Durch Zufall entdeckte ich dann aber einen solcher Hinweis im Duden-Eintrag für bisher, wo bei den Synonymen folgendes steht:

bis heute, bis jetzt, bis zu diesem Zeitpunkt, bis zum heutigen Tag, bis zur Stunde; (schweizerisch) bis anhin; (landschaftlich) bislang; (Kaufmannssprache veraltet) bis dato [Duden online, s.v. bisher]

Einen weiteren Hinweis auf einen möglichen dialektalen Status des Wortes fand ich dann im Grimmschen Wörterbuch:

bislang, adv. aus bissolang (s. bis III, 5) zusammengezogen, und etwa noch für tam diu, gewöhnlich für adhuc = bisher gebraucht. es fehlt ganz in den wörterbüchern, ist aber im munde der geschäftsleute, namentlich im Hannöverischen sehr beliebt. … [Grimms Wörterbuch, s.v. bislang]

Wenn es ein Wort aus dem hannoverischen Dialekt wäre, würde das ja erklären, warum es für mich wie ein ganz normales Wort klingt, denn mein Hamburger Dialekt unterscheidet sich ja nicht stark von dem der Hannoveraner. Trotzdem passte diese Erklärung nicht zu meinem Sprachgefühl, da ich sicher war, das Wort auch in der Schriftsprache schon oft gelesen zu haben.

Also habe ich eine kleine Dialektstudie des schriftdeutschen Gebrauchs von bislang durchgeführt. Im Deutschen Referenzkorpus des Instituts für Deutsche Sprache habe ich die Häufigkeiten für bis jetzt, bisher und bislang herausgesucht und mir nach Quellen sortiert anzeigen lassen. Aus diesen Quellen habe ich alle Tageszeitungen ausgewählt, in denen die drei Wörter insgesamt mehr als 150 Mal vorkommen und die den Namen einer Stadt oder Region im Namen tragen. Dann habe ich den Anteil (in Prozent) ausgerechnet, den die Form bislang an der kombinierten Trefferzahl für alle drei Wörter hat. Das Ergebnis habe ich auf folgende Karte übertragen, wobei der Durchmesser der gelben Kreise in Pixeln der jeweiligen Prozentzahl von bislang entspricht. Wenn eine Stadt mit zwei Zeitungen vertreten war, zeigt ein zusätzlicher oranger Kreis die Häufigkeit in der zweiten Zeitung an.

bislang
Verwendung von bislang im Vergleich zu bisher/bis jetzt. [Die verwendete Landkarte stammt von OpenStreetMap. OpenStreetMap und diese von mir erstellte Karte stehen unter der Creative-Commons-BY-SA-2.0-Lizenz.]

Für einen dialektalen Status von bislang liefert die Karte keine Hinweise. Das Wort findet sich in Zeitungen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz. Allerdings ist es in der Schweiz und in Österreich seltener (in einigen Regionen sogar deutlich seltener) als in Deutschland. Innerhalb Deutschlands gibt es dagegen kaum nennenswerte Häufigkeitsunterschiede.

Es kann also sein, dass das Wort ursprünglich auf den hannoveraner Dialekt beschränkt war, wie es das Grimmsche Wörterbuch sagt, und sich von dort aus in die Standardsprache ausgebreitet hat (was durch den herausgehobenen Status der des Hannoverischen bei der Standardisierung des Deutschen gut möglich ist). Das würde erklären, warum es in Deutschland häufiger ist als in den anderen deutschsprachigen Ländern. Aber dialektal im Sinne des Korrektors ist es sicher nicht.

Oder übersehe ich etwas? Hat bislang zusätzlich zu seiner standardsprachlichen Verwendung noch auf einzelne Dialekte bestimmte Bedeutungen? Gibt es vielleicht ein Insekt, das mundartlich als „Bislang“ bezeichnet wird?

 

©2011, Anatol Stefanowitsch

Erklärung zu Interessenkonflikten: Es bestehen keine Interessenkonflikte. Ich stehe in keinerlei persönlicher oder geschäftlicher Beziehung zum Verlag Bibliographisches Institut GmbH, der Cornelsen-Verlagsgruppe, der Bertelsmann AG oder deren Mitarbeiter/innen.

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

31 Kommentare

  1. Zwei Kommentare:

    zum geringen Auftreten in der Schweiz:
    nach meinem Sprachgefühl kann man “bislang” in unserem Dialekt nicht verwenden. Daraus ergibt sich wohl, dass wir es auch im Standard weniger verwenden.

    Zu möglichen Interferenzen:
    Im Zweifelsfälle-Duden steht:
    bislang: Das Adverb bislang (= bis jetzt) kann nicht als Attribut vor einem Substantiv verwendet werden; also nicht: die bislangen Ergebnisse, sondern: die bisherigen Ergebnisse. Adverb (1).
    © Duden – Richtiges und gutes Deutsch, 7. Aufl. Mannheim 2011 [CD-ROM]

    Evt. behandelt das Korrekturprogramm von Duden Wörter, bei denen Einschränkungen bestehen generell vorsichtiger, unterscheidet aber nicht nach der Art der Einschränkung.

  2. Vom Viech “Bis-fliege” zum

    Ja, dieses Viech gibt es im „Rheinischen Wörterbuch”: „Bis-fliege bę•i.s- Prüm-Ihren; bī:s- Erk-Borschemich; best- Barm-Rittershsn f.: Stechmücke. Bis-mücke bę•i.smek von Merz-Bergen an im Mosfrk verbr. f.: Dasselfliege.“ [“Bislang” fehlt dort aber.]

    Einige groß- und kleinliterarische Wortbefunde:

    Im Schriftsprachlichen, in der Literatur, die bei z. B. „gutenberg-online“ erfasst ist (also nicht nie neuste, für die der Urheberrechtsschutz gilt, ist „bislang“ deutlich nur in wörtlicher Rede, die auch schnell verstanden werden soll oder will, üblich; übrigens nicht sehr häufig gegenüber anderen gebräuchlicheren Kopula oder Zeitadverbien etc.)

    Peter Rosegger: Die Schriften des Waldschulmeisters. Prolog:

    »Wenn Sie meinen, Sie haben bislang nur Übles gestiftet, warum wollen Sie sich aus dem Staube machen, ohne der Welt, dem Gemeinsamen, auch das Gute zu geben, das gewiß in reichem Maße in Ihnen schlummert?«

    In anderer Trivialliteratur verstärkt und deutlich in kurzen erklärenden Zusammenhängen:
    „Das ›Im Namen des Königs‹ stellte allgemeine Ruhe und Aufmerksamkeit her. Die kauf- und schaulustigen Männer und Weiber, die bislang die zu versteigernden Gegenstände untersucht, in Töpfe und Schränke die Nase gesteckt, alles Abschätzenswerte befühlt und betastet und die Yorkshire-Sau einer gründlichen Beaugenscheinigung hinsichtlich des zu erwartenden Fleischwertes unterzogen hatten, placierten oder drängten sich an den Tisch, wo der Herr Auktionator amtierte, um ihre Angebote zu machen.
    »Im Namen des Königs!«
    (Joseph von Lauff: Pittje Pittjewitt – Kapitel 6)

    *

    Interesant, dass Schopenhauser „bislang“ als ein „Beipsiel im Verzeichniß der wichtigeren in der Abhandlung über die Sprachverhunzung besprochenen Worte“ führte: „sprachverhunzend „bislang« 179.“
    [An diese Textstelle kam ich bisher nicht ran.)

    Vom Nierrhein er kenne ich es im Alltagsprachlichen nicht; im Westfälischen nur in etwas gezierten, formalisierten Zusammenhängen: “Bislang ist der Jansenhans nicht wieder aufgetaucht.”

    Südlich der Benrather Sprachlinie scheint man es umganssprachlich nicht zu kennen.

  3. Rainstes Hochdeitsch!

    Hannoverisches Deutsch wird, so erlebe ich es, immer als reinstes Hochdeutsch bezeichnet. Spricht Einer im Süden reines Hochdeutsch, wird er dort sofort als “aus Hannover” einsortiert.

    Mich interessiert aber etwas ganz anderes: Wie benutzt man eine Zeitung als Wortquelle? Daß ein Wort in einer Zeitung steht, ist eine Sache, aber wie will man die Häufigkeit von Worten messen? Dicke Zeitungen haben mehr Inhalt, kleine Blättchen viel weniger Text. Große Städte haben große Zeitungen, kleine haben Käseblättchen. Insofern ist doch zu erwarten, daß in einer Kleinstadt viel eher sprachlich dialektische Inhalte sind (aber in viel geringerer Textmenge) als in einer sich vornehm geben Großstadtregion mit “besserem” Lesepublikum.

  4. (was durch den herausgehobenen Status der des Hannoverischen bei der Standardisierung des Deutschen gut möglich ist)

    der des? klingt komisch…

    Freu mich aber das ich auf meinen “Dialekt” -> Niedersachse, spreche daher “Hochdeutsch” stolz sein kann 😉

    Hat jmd zu dem Thema Bedeutung der Hannoveraner Sprache in Bezug auf das Hochdeutsch einen Link?

  5. @ ama: Hannöversch ist kein Hochdeutsch

    “Hannoverisches Deutsch wird, so erlebe ich es, immer als reinstes Hochdeutsch bezeichnet. Spricht Einer im Süden reines Hochdeutsch, wird er dort sofort als “aus Hannover” einsortiert.”

    Zu unrecht. In Hannover wird beileibe nicht nur Hochdeutsch gesprochen, sondern auch Dialekt. Der heißt Hannöversch und klingt nicht wirklich wie Hochdeutsch. Nachzulesen bei Wir sind Hannoveraner, da gibt’s auch schöne Sprachbeispiele zum Anhören.

  6. @gnaddrig

    “Hannöversch ist kein Hochdeutsch”… Danke für den link. Anhören werde ich das nicht. Die schriftlichen Beispiele sind schon schlimm genug.

    Wie gut, daß ich NICHT aus Hannover bin, auch wenn mich die Spitzkohlköppe der Fildern der hannover’schen Landschaft zuordnen.

    Interessant ist, wie man in einer Umgebung aufwachsen kann und doch eine ganz andere Sprache als diese spricht, wobei es sogar die Hochsprache des Landes ist. Sprachliche Oasen und Exklaven…

  7. Häufigkeit

    @ama: Die Karte zeigt nicht die reinen Häufigkeiten. Das wäre in der Tat sinnlos, weil die Zeitungen mit unterschiedlich großen Textmengen im Deutschen Referenzkorpus vertreten sind. Stattdessen zeigt die Karte, wieviel Prozent aller Treffer für bislang, bis jetzt und bisher auf bislang fallen, also:

    nbislang / (nbislang + nbisher + nbis jetzt)

  8. Lieber Histogramm nehmen?

    AS, Danke für die Erklärung.

    Das meiste der Karte ist doch weiß, weil unbekannt. Die Kreise kann ich schlecht unterscheiden, auch fehlen die Prozentzahlen. Oder sind die woanders, was ich jetzt nicht verlinkt finde?

    Ich finde die Stelle jetzt nicht, kann mich aber auch irren: wie ist es mit dem Satzbau? Gibt es bevorzugte Konstruktionen, bei denen ein Wort häufiger, ein anderes weniger oder gar nicht benutzt wird? Dann könnte die Häufigkeit auch mit den regionalen Vorlieben für die Erzählweise zusammenhängen.

    Übrigens habe ich das Wort “bisweilen” hier im Text nicht entdeckt. Das ist auch auch so ein Kandidat.

    Schon vor einiger Zeit ist mir “deswegen” “darum” “deshalb” aufgefallen. Die sind doch in der Anwendungsweise gleich. Aber ich wette, es sind Unterschiede in der Häufigkeit festzustellen.

    Kann die Anwendungshäufigkeit auch etwas mit dem Zielpublikum der jedweiligen Zeitung zu tun haben, also weniger damit, wie WIRKLICH gesprochen wird? Manche Zeitungen haben den Wahn, sprachbildend sein zu müssen, und reiten germanikalistische Steckentrojaner.

  9. wieso? weshalb? warum? *weswegen?

    Ama: „Schon vor einiger Zeit ist mir “deswegen” “darum” “deshalb” aufgefallen.“
    In der Reihe fehlt ‚dieso‘, um für jedes Sesamstraßen-W-Fragewort eine entsprechende Antwort parat zu haben.

  10. Kleine Anmerkung

    @ama usw.:

    Der deskriptive Linguist bevorzugt im übrigen “Standarddeutsch” statt “Hochdeutsch”, da es weniger wertgeladen klingt.

    Bzgl. Hannover und Standarddeutsch: Ich würde behaupten, dass in Hannover kein Standarddeutsch gesprochen wird (sondern ein “Regiolekt”) – und es überhaupt kaum jemanden geben dürfte, der es spricht.

    Die zugrunde liegende Definition von “Standardvarietät” wäre, das es die Abwesehenheit regionaler/lokaler Färbungen bedeutet. D.h. ein Sprecher des Standarddeutschen dürfte räumlich nicht zu verorten sein.

    Das ist bei Hannoveraner mit Sicherheit nicht der Fall; die lassen sich i.d.R. recht leicht verorten…

  11. Und ich dachte immer, der Linguist bevorzugt den Begriff Standarddeutsch um nicht ständig die Vewechselungsgefahr mit Hoch- (aka Oberdeutsch) und Niederdeutsch zu befördern.

  12. Als ich (im Ruhrgebiet) aufgewachsen bin, kannte ich nur das Wort bisher. Als mir zuerst – vielleicht in den 60er oder 70er Jahren – das Wort bislang begegnete, fand ich es fürchterlich affektiert, ja lächerlich.

    Mir scheint deshalb, daß das Wort bislang bis vor wenigen Jahrzehnten nicht zum standarddeutschen Wortschatz gehörte. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, und das Wort gehört heutzutage wohl durchaus zum Standarddeutschen.

    Wörterbucheinträge sind allerdings langlebig und entsprechen nicht immer dem aktuellen Stand. Es wäre naiv anzunehmen, daß der Duden bei jeder Neuauflage seine sämtlichen Einträge überprüft.

    Eine Suche im DWDS- Standardkorpus bestätigt meinen Eindruck. Danach hat die Verwendung von bislang seit den 70er, aber besonders in den 80er und 90er Jahren stark zugenommen.

    Nach wie vor ist aber bisher laut DWDS und Google die eindeutig vorherrschende Variante, von bis jetzt oder bis heute ganz abgesehen.

    Ob bislang früher eine „dialektale“ oder regionale oder bloß eine seltenere hochdeutsche Variante war, bleibt allerdings noch offen. Um das zu entscheiden, bedürfte es genauerer historisch-regionaler Untersuchungen.

  13. Apropos…

    Ich versuche selbst so gut wie möglich dialektfrei zu reden. Jedoch ist das nicht einfach.
    Welche Möglichkeit besteht für mich, richtig Deutsch zu lernen?
    Schule ist schon lange her und ich bin auf der alten Rechtschreibung noch hängen geblieben. 🙂
    Danke!

  14. Diesenthalb und derentwegen …

    Anatol Stefanowitsch schrieb (10. Oktober 2011, 09:29):
    > […] den Anteil (in Prozent)ausgerechnet […]
    > Das Ergebnis habe ich auf folgende Karte übertragen, wobei der Durchmesser der gelben Kreise in Pixeln der jeweiligen Prozentzahl […] entspricht.

    Wie viele Pixel groß sind denn nun die Durchmesser dieser verschiedenen gelben Kreise; z.B. der “über Hamburg” oder der “über Salzburg”?

  15. Daten

    @Frank Wappler: Die genaue Größe der Kreise ist ja eigentlich egal, es ging mir bei dieser Art der Visualisierung darum, die relative regionale Verteilung zu zeigen. Wenn Sie die genauen Prozentzahlen haben möchten, finden Sie sie in dieser Datei (csv, gezipped).

  16. Historische Entwicklung

    @Nörgler u.a.: Die historische Entwicklung zeigt genau das, was die Gegenüberstellung des Grimmschen Zitats („fehlt in den Wörterbüchern“) und die aktuelle Situation (im gesamten deutschen Sprachraum verbreitet) vermuten lässt: Die Häufigkeit der von bislang im Schriftdeutschen hat (gerade über die letzten Jahrzehnte) stark zugenommen, die Form kann heute eindeutig als Standarddeutsch bezeichnet werden:

    Die Entwicklung von BISLANG im Standarddeutschen (Datenquelle: Deutscher Referenzkorpus)

    [Nachtrag: Die Prozent sind in Dezimalschreibweise angegeben, d.h. 1,0 = 100 %]

  17. @ JHB

    Willy Sanders beschreibt in „Sachsensprache, Hansesprache, Plattdeutsch – Sprachgeschichtliche Grundzüge des Niederdeutschen“ (Göttingen 1982), wie es zu dem Eindruck kommt, dass in oder um Hannover das beste Hochdeutsch gesprochen werde, und welche Rolle die Hannoveraner Sprache für das Hochdeutsche spielt.

    Kurz zusammengefasst von S. 179: Im ober- und mitteldeutschen Bereich stellen Hochsprache und Mundarten Repräsentationen desselben Sprachtyps dar, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Übergänge sind fließend, der Wechsel zwischen Hochsprache und Mundart ist stufenlos möglich.

    Im niederdeutschen Bereich ist es anders. Hochsprache und Mundarten stellen Repräsentationen verschiedener Sprachtypen dar. Der Unterschied zwischen Hochdeutsch und Niederdeutsch ist letztlich unüberbrückbar, man spricht entweder Hochdeutsch oder Mundart. Deshalb ist das Hochdeutsche im niederdeutschen Bereich (u.a. um Hannover) als erlernte „Fremdsprache“ anzusehen. (Jedenfalls ist es dort wie eine Fremdsprache eingeführt worden und hat über einen längeren Zeitraum das niederdeutsche Sprachgebiet „erobert“.)

    „Man kann immer wieder hören, das beste Hochdeutsch werde im Niedersächsichschen gesprochen, genauer noch im Raum um Hannover […]. Dies trifft in der Tat zu, wenn man die Korrektheit der Artikulation an ihrer Übereinstimmung mit der Schrift bemißt. Man muß sich infolgedessen klarmachen, daß diese vorbildhafte niederdeutsche Aussprache im Grunde nichts anderes ist als das Sprechen des zunächst als fremd empfundenen und erlernten Hochdeutschen nach dem geschriebenen Buchstaben. Dennoch zählt letzen Endes nur der Erfolg, und so hat H. Bach „die dominanz der norddeutschen aussprache“ als einen nichtzu unterschätzenden „gegenstoß der unterlegenen sprache“ gewertet.“ (S. 189f.)

  18. bisweilen passt nicht in die Reihe

    Übrigens habe ich das Wort “bisweilen” hier im Text nicht entdeckt. Das ist auch auch so ein Kandidat.

    bislang und bisweilen sind aber nicht synonym, da bisweilen so viel wie manchmal oder mitunter bedeutet, vgl.:
    “Die Bewohner der Tiefsee sind bisweilen bizarr.”
    (http://www.dradio.de/…1152300/bilder/image_main/)

    “Zuwanderer sind bisweilen sehr gut ausgebildet, bekommen aber ihre Abschlüsse nicht anerkannt.”
    (http://www.faz.net/…56E4A~ATpl~Ecommon~SMed.html)

  19. … noch immer (jot jejange)

    A.S. schrieb (11.10.2011, 09:46):
    > Die genaue Größe der Kreise ist ja eigentlich egal

    Falls, wie das Diagramm “Historische Entwicklung” (11.10.2011, 10:43) bei flüchtigem Lesen suggeriert, der “bisher”-Anteil in der Größenordnung von noch immer weniger als einem halben Prozent läge …
    … dann könnte man ja eigentlich einen Soziolekt vermuten.

    > Wenn Sie die genauen Prozentzahlen haben möchten, finden Sie sie in dieser Datei […]

    Danke, passt schon, so weit (Bremerhaven–Kiel an die hundert Pixel).

  20. impala: “bislang und bisweilen sind aber nicht synonym”

    Das hatte ich auch nicht behauptet! Ich hatte geschrieben;

    “Übrigens habe ich das Wort “bisweilen” hier im Text nicht entdeckt. Das ist auch auch so ein Kandidat.”

    Es ging mir um die Auflistung der Wörter mit “bis” vorne.

    “bisweilen” ist eine seltsam verschraubte Konstruktion.

  21. @ ama: -bis

    Was wollen Sie hier mit den Wörtern auf -bis? Es geht doch um “bislang” und seine Synonyme. Da hat “bisweilen” nichts verloren, -bis hin, verstaubt her.

  22. bislang/bisher/bis jetzt

    Ich komme aus Südhessen, einem “Hotspot” des “bislang”, das meinen Ohren also gar nicht fremd klingt.

    Ich mag das Adjektiv als Bereicherung der sprachlichen Möglichkeiten gerne leiden, denn “bislang” zielt mehr auf den (langen) Zeitraum, der VOR dem Ereignis liegt (“bislang hat er seine Schulden nicht bezahlt”), wohingegen “bisher/bis jetzt” mehr auf den aktuellen Moment zielt – zumindest für mein Sprachgefühl.

  23. Bis bald

    Bislang gibt es keine (jedenfalls kenne ich bis jetzt keine, was aber gelegentlich gar nichts heißt…) Untersuchung über die Häufigkeit von Anglizismen in z.B. den deutschen Tageszeitungen. Bisher bin ich auch noch gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass das eine interssante Sache sein könnte, bis dato vielleicht auch noch niemand anders.
    Seither lässt mir jedenfalls das keine Ruhe mehr. Mitunter hätte vielleicht A.S. Lust und Laune sich der Sache einmal zeitweilig anzunehmen? Bisweilen gilt es abzuwarten.

  24. “Korrekte” Aussprache

    Die Behauptung, die niederdeutsch geprägte Aussprache des Standarddeutschen sei irgendwie “korrekter” oder “schriftnäher” also etwa die oberdeutsche Aussprache des Standarddeutschen in der Schweiz oder die mitteldeutsche Aussprache des Deutschen in Obersachsen setzt voraus, was sie behauptet: Dass die Aussprache, wie sie in ehemals niederdeutschen Gebieten vorherrscht, “korrekt” ist.
    Zunächst mal müsste nämlich definiert werden, wie denn ein ‘a’, ein ‘e’, ein ‘d’ usw. auszusprechen sind, wollte man festlegen, was die richtige Aussprache eines geschriebenen Wortes ist. Freilich gibt es dazu bestimmte Ansichten, eine davon ist die, dass die in Norddeutschland vorherrschende Aussprache der in Süddeutschland vorherrschenden vorzuziehen sei. Nicht ganz zufällig kam der wohl einflussreichste Vertreter dieser Ansicht, Herr Theodor Siebs, aus Bremen.

    Wenn man andere Lautstände als “korrekt” definiert, wie es vor Zeiten der Fall war, als die meissenische Aussprache als besonders vorbildlich galt, erscheint das Hannoveraner Hochdeutsch plötzlich “falsch”. Wenn wer festlegt, dass ein ‘k’ im Anlaut als /kχ/ zu sprechen ist, wie es in einigen süddeutschen Dialekten üblich ist, weil nur das den voll verschobenen Lautstand der hochdeutschen Lautverschiebung darstellt, spricht der größte Teil der Sprachgemeinschaft “falsch”.

  25. Ähm nö.

    “bisweilen” ist eine seltsam verschraubte Konstruktion.

    bisweilen kommt aus dem mittelhochdeutschen bīwīlen und existierte in früheren Sprachstufen auch als beiweilen. Das bis hier steht also in keiner klaren Verbindung zu dem bis aus bislang, vgl. nhd. bisher aus mhd. biӡ her, s. auch DWDS.

    Die Wörter sind also nicht nur nicht synonym, sondern auch etymologisch wahrscheinlich nicht verwandt. “Seltsam verschraubt” ist die Konstruktion auch nicht. Im Übrigen ist es relativ sinnlos, die Verwendungshäufigkeit eines einzigen Wortes zu untersuchen, weil sie dann nur eine absolute Zahl haben, die Ihnen überhaupt nichts bringt.

  26. @JHB – Hannoverisch und Standarddeutsch

    Den “herausgehobenen Status der des Hannoverischen bei der Standardisierung des Deutschen” will ich keinesfalls in Abrede stellen. Nach meiner laienhaften Beobachtung führt aber genau dieser Sachverhalt bei nicht wenigen Hannoveranern zu dem Fehlschluss, Hannoverisch sei mit Standarddeutsch identisch, sie müssten sich mithin nicht mit der Frage befassen, ob man dies oder jenes auf Standarddeutsch so sagen könne, weil sie ja qua Hannoveraner schon reines Standarddeutsch sprächen (eine Haltung, die nicht selten mit einer gewissen unausgesprochenen Geringschätzung des leicht süddeutsch gefärbten Standarddeutsch des Gegenübers einher geht). Dem ist aber nicht so. Wer es nicht glaubt, möge sich einmal von einem Hannoveraner die Wörter “Flug”, “Pflug” und “Fluch” vorsprechen lassen. Das Ergebnis deckt sich bei den meisten Hannoveranern nicht mit dem, was (zumindest außerhalb Niedersachsens) für standarddeutsche Aussprache gehalten wird.

  27. “Wer es nicht glaubt, möge sich einmal von einem Hannoveraner die Wörter “Flug”, “Pflug” und “Fluch” vorsprechen lassen.”

    Ich glaube es – bedingt. Es gilt nur für jene Minderheit, die noch eine gewisse regionale Färbung beibehalten hat. Ansonsten besteht, das ist richtig bemerkt worden, das “Reine” der hannoverischen (und braunschweigischen” Aussprache darin, dass man in dieser Gegend am konsequentesten den Dialekt (ostfälisches Platt) vergessen hat. Eigentlich schade.

  28. Nord- und Süddeutsch

    Bekanntlich unterscheidet sich die Aussprache des auslautenden `g´ der Nord- und der Süddeutschen. Beide liegen falsch, wenn man als „standarddeutsche“ Ausprache die sog. Bühnenaussprache zugrunde legt. Hinzu kommt anscheinend auch eine hyperkorrekte Aussprache.

    Man höre sich nur an, wie in Funk und Fernsehen artig oder König ausgesprochen werden. So sagt Günther Jauch, obwohl in Münster geboren und in Berlin aufgewachsen, grundsätzlich Könik usw.

    Außerdem muß man, nicht nur bei Hannoveranern, die Gesprächsumgebung berücksichtigen. Ich selbst spreche nur Hochdeutsch, sage aber im Familien- oder Freundeskreis z.B. Berch, in einem förmlicheren Zusammenhang aber ganz automatisch Berk, aber immer Könich.

  29. Regionale Verbreitung

    Zur Frage der regionalen Verbreitung fällt mir auf der Karte auf, dass in “Ostdeutschland” – mit Ausnahme von Berlin – das Wort anscheinend nicht gebräuchlich ist, oder es wurden keine Zeitungen aus diesem Gebiet ausgewertet.
    Ich selbst habe komme aus Magdeburg und benutze das Wort “bisher”, das Wort “bislang” wird oft von meinen zwei Kollegen aus dem Kölner Raum verwendet.

  30. bislang

    Danke für Ihre spannende Forschung über die (Hannoveraner?) Wurzeln von “bislang”.
    Ich habe zu dem Wort – vielleicht weil ich in der Schweiz lebe – eine recht gebrochene Beziehung. Als Synonym für “bis jetzt”, “bis heute” oder auch “soweit” scheint mir “bislang” unangenehm gestelzt, speckig, scheingebildet. Kaum lese oder höre ich dieses “bislang” irgendwo, ist mir der ganze Text samt Autor hochverdächtig.
    Woran liegt das eigentlich. Nur mein persönlicher Furz?
    Über eine Antwort würde ich mich freuen, aber nötig ist sie natürlich nicht.